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Ärzte ohne Grenzen: EU-Türkei-Deal aus humanitärer Perspektive gescheitert

Archivmeldung vom 19.03.2018

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 19.03.2018 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott
Bombardierung und Bombenteppiche (Symbolbild)
Bombardierung und Bombenteppiche (Symbolbild)

Bild: Eigenes Werk /OTT

Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen wirft der EU und ihren Mitgliedstaaten vor, durch den EU-Türkei-Deal großes Leid verursacht zu haben. Zwei Jahre nach dem maßgeblich von Bundeskanzlerin Angela Merkel ausgehandelten Abkommen herrschen in den überfüllten EU-Hotspots für Asylsuchende auf den griechischen Inseln sehr schlechte Lebensbedingungen und Gewalt. Trotzdem steigt die Zahl der neu ankommenden Flüchtlinge, allein in den ersten beiden Märzwochen kamen 589 Menschen neu auf den Inseln an.

"Der EU-Türkei-Deal ist alles andere als ein Erfolg. Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben aus humanitärer Sicht versagt - allen voran die Bundesregierung, die diesen Deal auf Kosten der Flüchtenden maßgeblich ausgehandelt hat", sagt Florian Westphal, Geschäftsführer Ärzte ohne Grenzen in Deutschland. "Die Kliniken von Ärzte ohne Grenzen auf Lesbos, Chios und Samos sind überfüllt mit verzweifelten Menschen, die vor Krieg und Gewalt fliehen, und die fürchten, zurückgeschickt zu werden. Diese Menschen werden heute genauso im Stich gelassen wie bereits schon vor zwei Jahren. Jeden Tag behandeln unsere Mitarbeiter Wunden, sowohl physische als auch psychische, die diese Politik geschaffen hat. Nach den Behandlungen können sie nichts Anderes tun, als diese Menschen zurück in die gleichen Zelte, überfüllten Container und in den Schwebezustand zu schicken, die das Leid hervorrufen. Ist dieser unerträgliche Teufelskreis die Erfolgsgeschichte, die die EU weiterhin feiert?"

Die EU-Hotspots auf Lesbos und Samos sind überfüllt. In Lesbos leben 5.400 Menschen in einem Lager für höchstens 2.300 Personen, in Samos 2.000 Menschen in einem Lager für höchstens 700 Personen. Die Lebensbedingungen sind inakzeptabel. Im Hotspot Moria auf Lesbos gibt es oft kein fließendes Wasser, Toiletten und Waschräume sind oft nicht benutzbar und verdreckt. Immer wieder werden die Teams von Ärzte ohne Grenzen zu Zeugen von Gewalt. Es gibt in den Lagern keinerlei Vorkehrungen, um besonders verletzliche Menschen wie Kinder und Frauen wirksam vor Gewalt zu schützen. Am vergangenen Mittwoch kam es in Moria erneut zu Ausschreitungen. Die Teams von Ärzte ohne Grenzen behandelten 19 Patienten mit Panikattacken oder weil sie Tränengas ausgesetzt wurden - darunter 11 Kinder und ein sechs Monate altes Baby.

Selbst eine grundlegende Gesundheitsversorgung ist nicht gewährleistet. Ärzte ohne Grenzen hatte sich im März 2016 aus Protest gegen den EU-Türkei-Deal aus dem Lager Moria auf Lesbos zurückgezogen. Derzeit betreibt die Organisation vor den Toren des Lagers eine Klinik. Die Ärzte dort behandeln sehr viele Kinder unter fünf Jahren, die auf Grund der schlechten Lebensbedingungen oft mehrfach mit Atemwegserkrankungen, Durchfall und Hautkrankheiten in die Klinik gebracht werden.

In den Lagern auf den griechischen Inseln herrscht ein psychosozialer Notstand. Die schlechten Lebensbedingungen, die Unsicherheit über ihre Zukunft und Gewalterfahrungen in ihrer Heimat und auf der Flucht führen zu massiven psychischen Beschwerden. Erst vergangene Woche versuchten erneut zwei junge Männer in Moria, sich durch einen Stromschlag das Leben zu nehmen. "Ich habe mit vielen Menschen gesprochen, die jegliche Hoffnung und ihr Gefühl von Würde verloren haben", sagt Aliki Meimaridou, Psychologin von Ärzte ohne Grenzen. "Menschen, die Folter und Gefangenschaft in ihren Heimatländern überlebt haben, machen diese traumatischen Erlebnisse jetzt erneut durch. Sie erzählen mir: Ich habe alles getan, um Gewalt und Missbrauch zu entkommen, und jetzt bin ich wieder eingesperrt und lebe in Angst und Unsicherheit."

"Der EU-Türkei-Deal ist keine Abmachung, die darauf abzielt, Bedürftige zu schützen", so Westphal. "Sie verursacht Leiden für die Menschen, die das Meer überqueren. Es ist eine Abmachung, die andere von dieser Überfahrt abhalten soll. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat immer wieder gesagt, das Türkei-Abkommen würde aus irregulärer Migration legale Migration machen. Da es aber keine Alternative gibt, riskieren weiterhin täglich Familien aus Ländern wie Syrien, dem Irak und Afghanistan alles, um Griechenland zu erreichen. Die EU-Verantwortlichen behaupten, Menschen zu schützen, indem sie Grenzen sichern. Dies ist nicht nur falsch, sondern es funktioniert auch nicht."

Ärzte ohne Grenzen fordert von der EU und ihren Mitgliedstaaten, dringend den Transfer von Asylsuchenden auf das griechische Festland auszuweiten, die Übersiedlung von Asylsuchenden in andere EU-Staaten (Relocation) wiederaufzunehmen, zusätzliche Wohnmöglichkeiten auf dem griechischen Festland zu schaffen und auf den griechischen Inseln die medizinische und humanitäre Versorgung zu verbessern.

Quelle: Ärzte ohne Grenzen (ots)

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