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Marokko verfolgt Journalist wegen Interview-Äußerung in Deutschland

Archivmeldung vom 09.02.2016

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 09.02.2016 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Logo - Reporter ohne Grenzen e.V.
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Reporter ohne Grenzen (ROG) fordert die marokkanische Justiz auf, das Verfahren gegen den Journalisten Ali Anouzla sofort einzustellen. Anouzla steht seit dem heutigen Dienstag in Rabat wegen einer Äußerung in einem Interview mit Bild.de vor Gericht. Ihm drohen bis zu fünf Jahre Haft.

"Die Vorwürfe gegen Ali Anouzla wären lächerlich, wenn die drohenden Konsequenzen nicht so gravierend wären", sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Dieser Prozess ist auf traurige Weise charakteristisch für die Verfolgung unabhängiger Journalisten in Marokko. Offensichtlich ist den marokkanischen Behörden kein Vorwand zu absurd, um kritische Journalisten zum Schweigen oder zur Selbstzensur zu bringen."

Anouzla hatte Bild.de im vergangenen November ein ausführliches Interview zur Lage der Journalisten in seiner Heimat gegeben. Anlass war seine Ehrung mit dem von ROG unterstützten Raif Badawi Award for courageous journalists. In dem Interview nannte er als ein Beispiel für Tabus der Berichterstattung in Marokko "die Situation der Sahara" - also der völkerrechtlich umstrittenen, von Marokko beanspruchten Westsahara (http://t1p.de/t2vj). In der deutschen Übersetzung entschied sich Bild.de an dieser Stelle für die Formulierung "die Situation der besetzten West-Sahara" (http://t1p.de/67ov).

Die Staatsanwaltschaft konstruierte aus dieser Äußerung den Vorwurf der "Gefährdung der territorialen Integrität des Königreichs" gegen Anouzla und hält daran fest, obwohl Bild.de die Übersetzung der fraglichen Interviewpassage inzwischen geändert hat (http://t1p.de/t2u5).

TERROR-VORWÜRFE UND WIEDERHOLTE VERHÖRE SEIT 2013

Ali Anouzla ist einer der wenigen wirklich unabhängigen Journalisten in Marokko. Durch seine investigativen Recherchen deckt er immer wieder Menschenrechtsverletzungen auf. Dabei greift er regelmäßig Tabuthemen wie Kritik am König, Korruption in den Behörden, Folter oder unfaire Prozesse auf. Zugleich verfolgt er eine redaktionelle Linie, die klar für die Demokratie Partei ergreift.

Unabhängig von dem jetzigen Verfahren wird Anouzla seit September 2013 wegen Terrorismusvorwürfen verfolgt, die ihm zehn bis 30 Jahre Haft einbringen könnten. Anlass dafür war ein Artikel auf seiner damaligen Nachrichtenwebsite Lakome, der einen Link zu einem Online-Artikel der spanischen Zeitung El País über ein Video der Extremistengruppe Al-Kaida im Islamischen Maghreb enthielt. Die marokkanische Justiz wirft Anouzla deshalb Unterstützung einer Terrorgruppe, "Verteidigung des Terrorismus" und Anstachelung zu terroristischen Taten vor (http://t1p.de/d5l9).

Im Herbst 2013 verbrachte Anouzla wegen dieses Verfahrens fünf Wochen im Gefängnis, bevor er gegen Kaution entlassen wurde. Während seiner Haft wurde sein Nachrichtenportal Lakome gesperrt und bleibt es bis heute. Seitdem wurden seine Gerichtsanhörungen immer wieder vertagt, so dass die Gefahr einer Haftstrafe ständig über dem Journalisten schwebt. Nachdem Anouzla im vergangenen August das neue Nachrichtenportal Lakome2 startete, wurde er Ende November erneut wegen der Anschuldigungen von 2013 vor einen Untersuchungsrichter zitiert.

REPRESSIONEN WEGEN BERICHT ZU DIGITALER ÜBERWACHUNG

Anouzlas Verfolgung ist kein Einzelfall. Unter anderem stehen in Rabat derzeit fünf Journalisten und zwei Aktivisten vor Gericht, denen wegen "Gefährdung der Sicherheit und Integrität" sowie "illegaler" Finanzierung aus dem Ausland bis zu fünf Jahre Haft drohen (http://t1p.de/02rb). Alle fünf arbeiten für unabhängige Medien wie Lakome2 oder Zamane und sind Mitglieder des Marokkanischen Verbands für Investigativen Journalismus (AMJI).

Auslöser ihrer Verfolgung waren offenbar regierungskritische Artikel sowie zum Teil die Mitarbeit an einem ausführlichen Bericht über die digitalen Überwachungsmethoden der marokkanischen Regierung (http://t1p.de/3rle). Diesen hatte die Bürgerrechtsorganisation Association des droits numériques (ADN) im vergangenen Juni zusammen mit Privacy International veröffentlicht, worauf das marokkanische Innenministerium die Staatsanwaltschaft einschaltete. Anstoß erregten bei der Justiz offenbar auch Journalistenschulungen, die der AMJI und die Nichtregierungsorganisation Freedom Now veranstalteten.

In dem Bericht über die Überwachungspraktiken schildern unter anderem Ali Anouzla und drei ehemalige Bürgerjournalisten des oppositionellen Online-Magazins Mamfakinch ihre Erfahrungen mit digitaler Überwachung (http://t1p.de/8cup). Mamfakinch wurde mit Überwachungstechnologie des italienischen Anbieters Hacking Team ausgeforscht. Außerdem weist der Bericht darauf hin, dass Marokkos Regierung das Überwachungssystem "Eagle" des französischen Anbieters Amesys erworben hat, das E-Mails abfangen sowie Journalisten und Dissidenten in den sozialen Netzwerken überwachen kann - und mit dessen Hilfe schon der gestürzte libysche Diktator Muammar Gaddafi seine Bevölkerung ausspähte.

Marokko steht auf Platz 130 von 180 Staaten auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen. Weitere Informationen zur Lage der Journalisten in dem Maghreb-Land finden Sie unter www.reporter-ohne-grenzen.de/marokko/.

Quelle: Reporter ohne Grenzen e.V. (ots)

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