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Interview zum Afghanistan-Abzug der Bundeswehr mit Prof. Dr. Michael Staack: ,,Das Pendel schlägt zurück"

Archivmeldung vom 18.10.2013

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 18.10.2013 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Der Krieg in Afghanistan seit 2001 ist die jüngste Phase des seit 1978 andauernden afghanischen Konflikts, die mit der US-geführten Intervention im Herbst 2001 eingeleitet wurde.
Der Krieg in Afghanistan seit 2001 ist die jüngste Phase des seit 1978 andauernden afghanischen Konflikts, die mit der US-geführten Intervention im Herbst 2001 eingeleitet wurde.

Foto: Swarm
Lizenz: CC-BY-SA-3.0
Die Originaldatei ist hier zu finden.

Die Bundeswehr hat nach zehn Jahren Abschied von ihrem wohl gefährlichsten Einsatzort im nordafghanischen Kundus genommen. Das dortige Feldlager wurde an die afghanischen Sicherheitskräfte übergeben. Prof. Dr. Michael Staack, der Internationale Politik an der Helmut-Schmidt-Universtität in Hamburg lehrt, zieht eine gemischte Bilanz: "Ein funktionierender Staat wurde nicht geschaffen, aber Chancen für die Afghanen eröffnet. Die Skepsis im Westen gegenüber Militäreinsätzen wächst, doch er zieht sich nicht aus der Weltordnungspolitik zurück."

"Schlechter als erhofft", wie Verteidigungsminister de Maizière es sieht, oder "nichts erreicht", wie Peter Scholl-Latour meint. Wie sieht Ihre Bilanz nach zwölf Jahren Afghanistan-Einsatz aus?

Prof. Dr. Michael Staack: Gemischt. Auf der einen Seite wurde manches erreicht. So eröffnete der Wiederaufbau in Teilen des Landes der afghanischen Bevölkerung durchaus Perspektiven. Zudem ist die Sicherheitslage besser als 2001. Auf der anderen Seite ist es nicht gelungen, einen funktionierenden Staat zu schaffen. Sicherheit gibt es nur in Teilen des Landes. Von einem aus eigener Kraft überlebensfähigen Staat darf man nicht ausgehen.

Was bleibt von den Brücken und den Mädchenschulen?

Prof. Staack: Einiges, wobei die Bundeswehr weniger Brü"cken und Mädchenschulen gebaut hat, als in der Öffentlichkeit vermittelt wurde. Aber durch die Beiträge von Bundeswehr, Entwicklungshilfe und zivilen Hilfsorganisationen sind viele Inseln in Afghanistan entstanden, die der Bevölkerung zeigen, dass sich das Land entwickeln kann. Der ausländische Beitrag ist aber eine Hilfe zur Selbsthilfe. Entscheidend ist, was in der afghanischen Gesellschaft selbst passiert. Ob die Afghanen die Hilfe aufgreifen und einen eigenen Weg entwickeln.

Der erste Kriegseinsatz deutscher Bodentruppen nach 1945 dauerte länger als die beiden Weltkriege zusammen. Trotz 54 Gefallener: Wieso lässt der Hindukusch die Öffentlichkeit so unberührt?

Prof. Staack: Der Hindukusch ist weit weg, geografisch und politisch. Obwohl ich ihn ansonsten sehr schätzte, habe ich immer ein Problem mit der Aussage des ehemaligen Verteidigungsministers Peter Struck (SPD) gehabt, wonach Deutschlands Sicherheit am Hindukusch verteidigt werde. Diese Einschätzung ist in der deutschen Gesellschaft nie angekommen. Es ist aber auch zu berücksichtigen, dass sich der Einsatz der Bundeswehr fundamental geändert hat. Anfangs ging es um Hilfe zur Stabilisierung der afghanischen Regierung. Später ging es dann nur noch um die Selbstverteidigung der ausländischen Truppen, was zur Parteinahme führte. Die Bundeswehr war und ist in Afghanistan Bürgerkriegspartei. Seit einigen Jahren verzeichnen wir eher Stagnation als Fortschritte beim Staatsaufbau. All dies führte dazu, dass der Sinn des Einsatzes nicht mehr vermittelt werden konnte.

Wäre es schon 2006 Zeit für eine Exit-Strategie gewesen, als sich der Charakter des Einsatzes so massiv änderte?

Prof. Staack: Das Datum lag schon früher. Denn die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechterte sich massiv bereits ab 2003, als die USA größere Truppenkontingente in den Irak verlagert haben. Es dauerte dann bis 2006, bis dieser Wandel auch die Gebiete im Norden erreichte, die unter Kontrolle der Bundeswehr standen. Eine Exit-Option bestand bei diesem multinationalen Einsatz unter Führung der USA nicht wirklich.

Der Verteidigungsminister sieht in den 54 Gefallenen der Bundeswehr eine Zäsur für Deutschland. Offenbar eine negativ bewertete oder wie sind die Umfragen sonst zu erklären?

Prof. Staack: Das erklärt sich auch daraus, dass der Einsatz ungefähr seit 2005 politisch nicht mehr offensiv vertreten wird. Nachdem Struck dies noch leistete, versäumte sein Nachfolger Franz Josef Jung (CDU) über vier Jahre, den Bürgern den Einsatz der Bundeswehr zu begründen. Die Bundeskanzlerin hat ebenfalls nichts dazu gesagt. Man kann nicht erwarten, dass ein Einsatz, den die Regierung weder begründet noch verteidigt, in der Gesellschaft akzeptiert wird.

Liegt das auch daran, dass Sicherheitspolitik in Deutschland tabuisiert beziehungsweise an den Rand gedrängt wird?

Prof. Staack: Da ist sicherlich ein wahres Moment dran. Andererseits haben sich Bundesregierungen bei anderen Entscheidungen offensiv für ihre Sicherheitspolitik eingesetzt. Ich erinnere daran, wie nachdrücklich die damalige Regierung Schröder-Fischer für den Einsatz im Kosovo eingetreten ist. Gleiches gilt für den Einsatz in Mazedonien 2001, der wahrscheinlich eine Fehlentwicklung in diesem Land verhindert hat, damals aber auf eine starke Opposition stieß. Es bedarf einer politischen Führung, die Sicherheitspolitik in die Gesellschaft vermittelt. Generell ist die Gesellschaft offen für Bundeswehr-Einsätze, wie sich an vielfältiger Unterstützung ablesen lässt. Aber wenn sich die Regierung vor dieser Debatte drückt, kann sie nicht erwarten, dass diese in der Gesellschaft stattfindet.

"In Afghanistan lernte die Bundeswehr kämpfen." Hat de Maizière recht? War der Einsatz eine Blaupause für künftige NATO-Einsätze als Weltpolizist?

Prof. Staack: Die Bundeswehr hat in Afghanistan gekämpft. Aber dafür ist sie nicht dorthin entsandt worden. Sie sollte Sicherheit exportieren und sich nicht in einen Bürgerkrieg verwickeln lassen. Insofern ist sehr fraglich, ob man es positiv bewerten sollte, dass die Bundeswehr dort gelernt hat zu kämpfen. Was die Blaupausen-Funktion angeht, bin ich sehr skeptisch. Sowohl der Afghanis"tan- als auch der Irak-Einsatz, an dem sich Deutschland aus guten Gründen nicht beteiligt hat, haben gezeigt, dass großangelegte Pläne für den Wiederaufbau von Staaten in der Regel nicht durchzuführen sind. Entwicklungen, die bei uns Jahrhunderte brauchten, lassen sich in anderen Teilen der Welt nicht in fünf bis zehn Jahren wiederholen. Zudem fehlt westlichen Gesellschaften die Geduld, Aufbauprozesse in solchen Staaten über längere Zeiträume zu unterstützen. Zuletzt braucht man starke Partner in derartigen Gesellschaften, um demokratisierende Entwicklungen anzustoßen. Und die fehlen in Afghanistan.

Stichwort fehlende Geduld: Sollte das Ziel einer Stabilisierung verfehlt werden, war das dann der letzte derartige Einsatz?

Prof. Staack: Ich bin kein Prophet. Entscheidungen für Militäreinsätze fallen aus der tagespolitischen Situation he"raus. Das zeigte sich zuletzt in Mali. Klar ist, dass die Bundeskanzlerin großangelegten Militäreinsätzen zum Wiederaufbau von Staaten kritisch bis ablehnend gegenübersteht. Deswegen halte ich es für wahrscheinlich, dass sich Deutschland zumindest in den kommenden Jahren an solchen Einsätzen nicht beteiligt.

Werden die Präsidentschaftswahlen 2014 das Land stabilisieren oder den Anlass geben für den nächsten Bürgerkrieg?

Prof. Staack: Weder noch. Dazu ist die zentrale Regierung in Afghanistan nicht wichtig und nicht mächtig genug. Politik wird in den Provinzen gemacht. Und die Zusammenarbeit der Provinzen mit der Zentrale entscheidet darüber, ob das Land stabil bleibt. Deshalb ist die Präsidentschaftswahl lediglich eine Etappe, die weder für einen Rückfall noch für große Fortschritte in der Entwicklung Anlass gibt.

Hat eine Friedensregelung, die unter Ausschluss der Taliban, aber auch der Nachbarstaaten geformt wird, überhaupt eine Chance?

Prof. Staack: Nein. Jede Friedensregelung muss sämtliche gesellschaftlichen Kräfte und Nachbarn einbeziehen. Ausgegrenzt werden können lediglich terroristische Gruppierungen. Die Taliban aber sind fest in der afghanischen Gesellschaft verankert.

Werden die Deutschen nach der Bombardierung der beiden Tanklastzüge mit 140 Toten gehasst?

Prof. Staack: Nach den vorliegenden Umfragen ist das nicht der Fall. Das Bild der Deutschen in Afghanistan ist nach wie vor eher positiv, wenngleich auch nicht so positiv wie 2001. Auch wenn Deutschland ein traditioneller Partner Afghanistans ist, muss es für Fehler wie den Einsatz von 2009 geradestehen. Zudem wird es natürlich auch für die Fehler von Verbündeten mit in die Verantwortung genommen -- etwa bei Drohnenangriffen.

Sehen wir am Hindukusch mehr als nur einen Abzug, nämlich einen Rückzug des Westens aus der Welt -- schlicht, weil ihm das Geld ausgeht?

Prof. Staack: Kurzfristig sicherlich ja. Auch insofern, als dass die Vorstellung, in anderen Teilen der Welt westliche Vorstellungen durchsetzen zu können, in den 90er-Jahren sehr übersteigert war. Hier schlägt das Pendel zurück. Die Skepsis beim Einsatz von Militär wächst. Zugleich will sich der Westen diplomatisch, wirtschaftlich und kulturell in allen anderen Teilen der Weltordnungspolitik weiter engagieren. Festzuhalten bleibt aber, dass der Westen solche Entwicklungen in der Zukunft weniger allein bestimmen kann als noch in den vergangenen zehn bis zwanzig Jahren. Er ist angewiesen auf die Zusammenarbeit mit anderen Staaten und internationalen Organisationen. Er muss seine Kräfte also eher konzentrieren, um sich nicht zu überdehnen. Einen Rückzug des Westens aus der internationalen Ordnungspolitik sehe ich nicht.

Würden Sie ihn denn als einmischungsmüde bezeichnen?

Prof. Staack: Das auf alle Fälle. Auch in den USA, Frankreich und Großbritannien ist erkannt worden, dass Auslandseinsätze nicht zu besonders vielen Erfolgen geführt haben. Das ist mehr als ein guter Anlass, darüber nachzudenken, dass sich Gesellschaften nur in längeren Perspektiven ändern lassen, und ob man dafür nicht andere Instrumente als das Militär braucht.

China hat gerade die USA als größter Importeur von Erdöl aus Nahost abgelöst. Bringt der Aufstieg Asiens dem Westen eher Partner für eine Weltordnungspolitik oder eher Rivalen?

Prof. Staack: China und andere ostasiatische Staaten haben von der bisherigen Weltordnung profitiert. Sie haben kein Interesse daran, diese Weltordnung zu beseitigen -- wohl aber an größerer Mitsprache. Angesichts ihres Aufstiegs scheint mir dieser Anspruch legitim zu sein. Die Zusammenarbeit mit Asien kann für Deutschland und ganz Europa positiv sein. Ein großer Teil des deutschen Wirtschaftswachstums wird schon heute aus Asien gespeist. Auf der Grundlage gemeinsamer wirtschaftlicher und politischer Interessen kann die Weltordnung durch die Einbeziehung der Aufsteigerstaaten nur verbessert werden. In Frage gestellt wird sie nicht.

Quelle: Landeszeitung Lüneburg - Das Interview führte Joachim Zießler (ots)

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