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Polnische Kabinettsumbildung: Schwenk nach rechts und gleichzeitig nach links

Archivmeldung vom 09.10.2020

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 09.10.2020 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott
Mateusz Morawiecki (2017)
Mateusz Morawiecki (2017)

Bild: Screenshot Flicr Account KPRM

Den folgenden Artikel übersetzte Olivier Bault auf "Unser Mitteleuropa" vom französischen Orginalartikel aus der "Visegrád Post": "Die Diskussionen dauerten mehrere Monate und sorgten für erhebliche Spannungen innerhalb der Koalition der vereinigten Rechten, in der sich die Partei für Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) von Jarosław Kaczyński, die Entente-Partei (Porozumienie) von Jarosław Gowin und die Partei Solidarisches Polen (Solidarna Polska) von Justizminister Zbigniew Ziobro zusammengefunden hatten."

WEiter schreibt Bault: "Die lang angekündigte Umbildung soll die Funktionsweise der Regierung von Mateusz Morawiecki in diesen schwierigen Zeiten verbessern und die Zahl der Minister von zwanzig auf vierzehn reduzieren.

Der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński soll als stellvertretender Ministerpräsident als Leiter eines Ausschusses für Staatssicherheit in die Regierung eintreten, der für die Überwachung von drei Ministerien zuständig ist: des Verteidigungsministeriums, des Innenministeriums und des Justizministeriums. Wenn Justizminister Zbigniew Ziobro auf seinem Posten bleibt, scheint sich Kaczyński daher die Mittel gesichert zu haben, um rechtsgerichtete Initiativen und Rhetorik zu beruhigen, die seit einiger Zeit für den Minister und seine Staatssekretäre charakteristisch waren, denen es dadurch offenbar gekungen war, Premierminister Morawiecki zu verärgern, der sich mehr auf Wirtschaft und Finanzen konzentrierte. Kaczyński wird auch zwei PiS-Minister kontrollieren, die auf ihren Posten bleiben, aber manchmal durch ihre zu große Unabhängigkeit auffielen: Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak und Innenminister Mariusz Kamiński.

Jarosław Gowin, das zentristische Gesicht der Koalition der Vereinigten Rechten, der im Frühjahr von seinen Funktionen als stellvertretender Ministerpräsident und Minister für Forschung und Hochschulbildung zurücktrat, weil er mit der PiS über das Datum und die Form der Präsidentschaftswahlen während der Pandemie uneins war, kehrt als stellvertretender Ministerpräsident und Minister für Entwicklung, Arbeit und Technologie in die Regierung zurück. Das frühere Ministerium wird mit dem Bildungsministerium zusammengelegt und vom neuen Minister für Bildung und Wissenschaft Przemysław Czarnek geleitet. Noch vor der Einweihungsfeier der neuen Regierung am 6. Oktober (nachdem sie um einen Tag verschoben worden war, um die Regierungsmitglieder auf das Coronavirus zu testen, nachdem festgestellt wurde, dass Czarnek Covid-19-positiv war), hatte Czarnek bereits bei der Linken wegen seiner früheren Aktion als Woiwode (Präfekt) von Lublin und seiner Aussagen gegen die Ideologie der LGBT-Lobby Verärgerung hervorgerufen. Czarnek, konservativ und katholisch ohne Komplexe, bestreitet, einen ideologischen Kampf in der Bildung führen zu wollen. beansprucht aber das Recht, gegen die ideologische Offensive von LGBT-Organisationen in Schulen Widerstand zu leisten. Während die PiS für fünf Jahre Untätigkeit in diesem Bereich kritisiert wurde, verspricht der neue Minister bereits, dafür zu sorgen, dass „Sexualerzieher“ aus der LGBT-Lobby nicht in den Schulen auftreten dürfen und dass er die Meinungs- und Forschungsfreiheit an polnischen Universitäten wiederherstellen werde, die wie jene in Westeuropa und Nordamerika immer mehr unter einer regelrechten ideologischen Diktatur leiden, die ihnen von einer linken Universitätskaste auferlegt wird. Przemysław Czarnek ist neben dem nicht weniger konservativen Außenminister Zbigniew Rau (Gründer des nach Alexis de Tocqueville benannten Zentrums für Forschung zu politischem und rechtlichem Denken) das markante Gesicht für einen Rechtsschenk der neuen Regierung Morawiecki.

Gleichzeitig schwenkt die neue Regierung mit der Ernennung von Grzegorz Puda zum Leiter des Landwirtschaftsministeriums aber auch nach links; Puda gehört zu den Befürwortern eines Tierschutzgesetzes, das als typisch links, ja sogar extrem-links angesehen wird und vom früheren Landwirtschaftsminister Jan Krzysztof Ardanowski abgelehnt wurde, was dazu führte, dass dieser abgelöst und sogar als Mitglied der PiS suspendiert wurde. Dieses Tierschutzgesetz, das von der PiS ohne direkte Rücksprache mit ihren Partnern auf Vorschlag von Jarosław Kaczyński vorgelegt wurde, wurde Mitte September mit Unterstützung der Opposition und trotz Gegenstimmen von Solidarisches-Polen-Abgeordneten und einer Gruppe von PiS-Abgeordneten sowie sowie Stimmenthaltung der Entente-Abgeordneten im Sejm verabschiedet. Die PiS setzte daraufhin die Verhandlungen über die Zusammensetzung der nächsten Regierung mit ihren Partnern aus und der Bruch schien nahe zu sein. Innerhalb der PiS war sogar von einer Minderheitsregierung bzw. von vorgezogenen Neuwahlen die Rede, was den Wählern weniger als ein Jahr nach ihrem Erfolg bei den Parlamentswahlen und weniger als drei Monate nach dem bei der Präsidentschaftswahl schwer nahezubringen gewesen wäre.

Ardanowski war einer der bestbewerteten Minister in der Regierung Morawiecki, der für seine Fähigkeiten hoch angesehen und in der ländlichen Welt sehr beliebt war. Er soll viel zum Wahlsieg von Präsident Andrzej Duda im Juli und auch zu den sehr guten Ergebnissen der PiS auf dem Land während der letzten Europawahlen und Parlamentswahlen beigetragen haben. Allgemein wird gegen das neue Tierschutzgesetz vorgebracht, dass abgesehen von der Tatsache, dass Zirkustiere verboten werden sollen, auch die Ausfuhr von Halal- und koscherem Fleisch verboten wird, obwohl dieses einen erheblichen Teil der polnischen Fleischexporte ausmacht; das Gesetz sieht ferner ein Verbot der Pelztierzucht innerhalb eines Zeitraums von nur einem Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes vor, was den Züchtern wenig Zeit lässt, sich nach anderen Erwerbsmöglichkeiten umzusehen. In seiner ersten vom Sejm angenommenen Fassung hatte das Gesetz den Tierrechts-NGOs auch das Recht eingeräumt, gegen Züchter vorzugehen und ihre Tiere zu beschlagnahmen. Ardanowski fordert nun, den NGOs dieses Recht zu entziehen, das Exportverbots für Fleisch aus ritueller Schlachtung aufzuheben und eine ausreichend lange Übergangszeit mit angemessener Entschädigung für Pelztierzüchter vorzusehen. Das Gesetz wird von den Liberalen und der Linken unterstützt und hat gegen die Agrarpartei PSL (die dies als Chance sieht, die zugunsten der PiS verlorenen ländlichen Wähler wiederzugewinnen) und die nationalkonservativen Vertreter der Konföderation (die Aufhebung des Exportverbots für Fleisch aus der rituellen Schlachtung und eine ausreichend lange Übergangszeit mit angemessener Entschädigung für Pelzzüchter. Das Gesetz wird von den Liberalen und der Linken unterstützt; gegen das Gesetz treten auf die Agrarpartei PSL (die dies als Chance sieht, die an die PiS verlorenen ländlichen Wähler wiederzugewinnen) und die nationalkonservativen Vertreter der Konföderation (Konfederacja). Unter diesen Bedingungen wird es höchstwahrscheinlich im Senat verabschiedet, nachdem es nach Gesprächen zwischen PiS und der Partei Solidaritsches Polen von Ziobr im Sejm zweifellos noch zu einigen Änderungen kommen wird.

Was hat diese von Jarosław Kaczyński unterstützte Gesetzesvorlage motiviert? Wir wissen, dass der PiS-Vorsitzende ein großer Tierliebhaber ist  und dass der Leiter des PiS-Jugendforums, Michał Moskal, der dieses Projekt bisher getragen hat, in einem Interview vor der überraschenden Präsentation dieses Projekts vor dem Sejm erklärte, dass die PiS sich insbesondere durch eine Offensive im Bereich Ökologie und Tierrechte für junge Menschen öffnen solle. Laut Moskal müsse der Kulturkrieg ohnehin als verloren angesehen werden und die Rechts-Links-Trennung mache heute keinen Sinn mehr. Der junge Bezirksrat aus Warschau, 26 Jahre alt, ist seit mehreren Monaten Direktor des Kabinetts von Kaczyński.

Der PiS-Führer scheint zu versuchen, ein weites, vielleicht zu weites Netz zu werfen, um die Dominanz der PiS in der polnischen politischen Landschaft ab Beginn des laufenden Dreijahreszeitraums (d.h. ab der Präsidentschaftswahl im vergangenen Juni-Juli) ohne Neuwahlen zu festigen. Käme es trotzdem zu vorgezogenen Neuwahlen, dann bleibt eine große Frage offen: Was wird mit den fünfzehn PiS-Abgeordneten, darunter dem ehemaligen Landwirtschaftsminister geschehen, die nach der Abstimmung über das Tierschutzgesetz suspendiert wurden? Die vereinigte Rechte hat derzeit 235 von 460 Sitzen im Sejm (einschließlich 17 Abgeordneter von Entente und 19 von Solidarisches Polen, die alle auf PiS-Listen und als Abgeordnete der PiS-Fraktion im Sejm gewählt wurden), d.h. eine knappe Mehrheit von fünf Sitzen. Ohne die genannten fünfzehn PiS-Abgeordneten hätte sie keine absolute Mehrheit mehr.

*) Über den Autor:

Olivier Bault, seit Anfang der neunziger Jahre in Polen lebender Franzose, ist Warschauer Korrespondent der Visegrád Post und der Tageszeitung Présence. Als freiberuflicher Journalist, der die polnischen und europäischen Nachrichten genau verfolgt, schreibt er auch in polnischer Sprache in der polnischen Wochenzeitung Do Rzeczy und in englischer Sprache auf der Website kurier.plus des polnisch-ungarischen Kooperationsinstituts Wacław Felczak.

Dieser Artikel erschien zuerst in französischer Sprache bei Visegrád Post.

Quelle: Unser Mitteleuropa

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