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Detlef Seif (CDU): „Müssen Brexit abfedern“

Archivmeldung vom 19.10.2018

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 19.10.2018 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Bild: Timo Klostermeier / pixelio.de
Bild: Timo Klostermeier / pixelio.de

Unionsfraktionsvize Detlef Seif (CDU) spricht sich für die Unterstützung von Unternehmen, die unter den Folgen des Brexit leiden, aus. Der Austritt Großbritanniens stelle viele Firmen, insbesondere die Zulieferer, vor Probleme, sagte der Brexit-Berichterstatter im EU-Ausschuss des Bundestages im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 22. Oktober). „Ein ungeordneter Brexit könnte sie in eine existenzgefährdende Situation bringen. Das müssen wir sehr ernst nehmen und gegebenenfalls abfedern.“ Infrage kämen neben nationalen Hilfen auch EU-Mittel. Allerdings wies Seif darauf hin, dass zunächst die Unternehmen selbst in der Pflicht seien.

Der CDU-Politiker betonte darüber hinaus, dass sich sowohl die Bundesländer als auch die Bundesregierung „intensiv“ auf alle Austrittsszenarien vorbereiteten. Sollten die Entwicklungen in den kommenden Wochen auf einen ungeordneten Austritt Großbritanniens zulaufen, müsste die Regierung entsprechende Gesetzentwürfe voranbringen. Bislang wolle man aber „nicht das Signal senden, dass es vorbei ist und auf den Notfall zuläuft“.

Das Interview im Wortlaut:

Herr Seif, lange schien es undenkbar, jetzt droht der Ernstfall einzutreten, dass Großbritannien die EU am 29. März 2019 ohne Übergangsregeln verlässt. Wieviel Hoffnung haben Sie, dass es doch noch zu einer Einigung kommt?

Ich bin zuversichtlich, aber in trockenen Tüchern ist das natürlich nicht. Zum einen ist es rechtlich und organisatorisch extrem schwierig zu verhindern, dass zwischen Nordirland und der Republik Irland eine harte Grenze entsteht, wenn Großbritannien aus der EU austritt. Das aber schließt das Karfreitagsabkommen aus, das immens wichtig für den nordirischen Friedensprozess ist. Zum anderen steckt die britische Premierministerin Theresa May in einem Dilemma: Sie hat für keinen der denkbaren Deals eine Mehrheit im Parlament - ganz egal, ob dieser künftig besonders enge Beziehungen zur EU vorsieht oder nicht. Auch für ein zweites Referendum gibt es im Unterhaus derzeit nicht genug Befürworter. Beide Seiten, die EU wie Großbritannien, müssen deshalb nun an die Grenzen des Machbaren gehen.

Sollte die EU weitere Zugeständnisse machen? Nicht wenige meinen, dass sie den Briten schon jetzt viel zu weit entgegengekommen ist.

Ziel ist es, die Integrität der EU als Ganzes und des Binnenmarktes nicht zu gefährden. Zum Beispiel ist der Vorschlag von May, der sogenannte „Chequers Plan“, derzeit nicht annehmbar. Er gibt für den Handel mit Waren nur vor, dass die Produktstandards eingehalten werden, die für den reibungslosen Grenzverkehr erforderlich sind. Es müssen aber sämtliche Standards, die mit den Herstellungs- und Lieferprozessen in Zusammenhang stehen, beachtet werden, um Wettbewerbsnachteile für EU-Unternehmen zu vermeiden. Würde Großbritannien dies akzeptieren, könnte die EU London hier weiter entgegenkommen.

Im britischen Unterhaus gehen die Interessen weit auseinander. Warum sollten die Abgeordneten sich letzten Endes auf einen Kompromiss einlassen?

Ich hoffe, dass eine Eigendynamik einsetzt, sollte May den Abgeordneten einen Deal vorlegen können. Sie müssen dann entscheiden: Akzeptieren wir, was in Brüssel ausgehandelt wurde? Oder gehen wir in eine völlig unsichere Zukunft mit einem ungeklärten Verhältnis zur EU? Ich gehe davon aus, dass die Abgeordneten eine Entscheidung treffen werden in dem Bewusstsein, dass das Land ohne Abkommen politisch, ökonomisch und gesellschaftlich gegen die Wand fahren wird. Sollte May tatsächlich keine Mehrheit finden, gibt es drei Möglichkeiten: Das Volk über den Deal abstimmen zu lassen, ein zweites Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU oder der Rücktritt der Premierministerin und Neuwahlen.

Hat in den vielen Gesprächen, die Sie mit britischen Politikern führen, eigentlich niemand gesagt: Wir haben uns verrannt, am liebsten würden wir das alles bleiben lassen?

Das sagen wenige so offen. Die meisten hoffen, dass das alles irgendwie gut geht. Und es herrscht der Gedanke vor: „Das ist der Wille des Volkes, also ziehen wir das jetzt durch.“ Dennoch sollten wir als EU alle Türen offen lassen. Großbritannien erfüllt sämtliche Voraussetzungen, die ein Staat für eine EU-Mitgliedschaft erfüllen muss. Deshalb ist der Brexit keine Einbahnstraße nach draußen, die Tür zurück steht jederzeit offen.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat im Fall eines ungeordneten Austritts von einer „Katastrophe“ gesprochen. Was wären die Folgen?

Wenn es keine Übergangsregeln gibt, herrscht ab Frühjahr 2019 plötzlich in Tausenden Bereichen Rechtsunsicherheit. Das betrifft etwa Überflug- und Landerechte im Luftverkehr, die Berechtigung von einem ins andere Land zu reisen und als EU-Bürger in Großbritannien oder als Brite in der EU zu leben und zu arbeiten. Auch der Handel wäre betroffen. Früher gab es Lagerhaltung, heute werden Produkte und Teile binnen Stunden zugeliefert. Da würde es zu massiven Verzögerungen kommen. Dazu käme die psychologische Komponente, die Unsicherheit der Märkte.

Ist die Bundesregierung auf dieses Worst Case-Szenario vorbereitet? Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich im Bundestag nur vage zu möglichen Notfallplänen geäußert.

Noch ist unklar, worauf wir uns konkret vorbereiten sollen, noch verhandeln wir. Und bislang wollen wir auch nicht das Signal senden, dass es vorbei ist und auf den Notfall zuläuft.

Das scheint aber fahrlässig angesichts der knappen Zeit, die noch bleibt.

Wenn sich in den kommenden Wochen keine Lösung abzeichnet, müssen wir tatsächlich entsprechende Gesetzentwürfe voranbringen. Betroffen sind alle Bereiche und Ressorts. Unabhängig davon bereiten sich die Bundesregierung und die Bundesländer intensiv auf alle Szenarien vor.

Wie berechtigt sind die Sorgen der deutschen Exportwirtschaft, die bei einem harten Ausstieg mit Kosten in Milliardenhöhe rechnet?

Der Brexit wird für viele Unternehmen hierzulande ein Problem, besonders für die Zulieferer, die auf die Handelsbeziehungen mit Großbritannien angewiesen sind. Ein ungeordneter Brexit könnte sie in eine existenzgefährdende Situation bringen. Das müssen wir sehr ernst nehmen und gegebenenfalls abfedern.

Sie meinen durch staatliche Hilfen wie für die Landwirte? Letztlich ist das doch unternehmerisches Risiko.

Grundsätzlich schon. Aber wenn ein Partner aus dem Projekt Europäische Union ausscheidet und die Unternehmen aus eigener Kraft die Umstrukturierung nicht schaffen, sollten wir eine Förderung nicht ausschließen. Das gilt erst recht für den Fall eines harten Brexits. Das müssen ja nicht allein nationale Hilfen sein. Dafür gibt es auch EU-Mittel. Aber in der Tat: Zunächst sind die Unternehmen in der Pflicht. Eine Förderung wäre Ultima Ratio.

Bei den Europawahlen im Mai 2019 dürften europaskeptische Parteien deutlich an Stimmen gewinnen. Zieht die Gemeinschaft aus Brexit und wachsendem Nationalismus die richtigen Schlüsse?

Die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten nehmen die Entwicklungen in jedem Fall sehr ernst. Und ich glaube, dass man inzwischen umdenkt. Zum Beispiel haben die Staaten zwei Jahre lang ohne Ergebnis über einen Verteilungsschlüssel für Asylbewerber in der Europäischen Union gestritten. In dieser Zeit hat sich in der Asylfrage kaum etwas bewegt. Nun gibt es zumindest die Überlegung, dass Länder, die keine Asylbewerber aufnehmen wollen - Ungarn etwa - anderweitig einen Beitrag leisten können. Anlass dürfte die Erkenntnis sein, dass die EU nicht gegen den Willen der Gesamtbevölkerung in den Mitgliedsländern handeln und Ideen zwangsweise umsetzen kann. Das ist keine gute Werbung für die EU und schadet dem gesamten Projekt.

Aber es war doch die deutsche Bundeskanzlerin, die besonders vehement auf die Verteilungsquote gepocht hat!

Ja. Und ihr Ansatz war und ist unter Gerechtigkeitsaspekten gut. Aber als Europapolitiker stelle ich in all den Jahren immer wieder fest, wie unterschiedlich die Menschen, die Regionen und Nationen in der EU sind. Und auf diese Unterschiede muss man Rücksicht nehmen, wenn diese Gemeinschaft mit bald nur noch 27 Staaten eine Zukunft haben soll. Wir sind ein Zusammenschluss von souveränen Mitgliedstaaten, die sich in einem Sonderverbund, der Europäischen Union, zusammengeschlossen haben. Und eben kein zentralistisches System, das von oben, von Brüssel aus, gesteuert wird.

Detlef Seif (CDU) ist seit 2009 im Bundestag und Brexit-Berichterstatter im EU-Ausschuss.

Das Gespräch führte Johanna Metz.

Quelle: Deutscher Bundestag - Wochenzeitung „Das Parlament“

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