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Polen: Reporter ohne Grenzen begrüßt Verschiebung des "Großen Mediengesetzes"

Archivmeldung vom 13.06.2016

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 13.06.2016 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Logo - Reporter ohne Grenzen e.V.
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Reporter ohne Grenzen (ROG) begrüßt die Verschiebung der geplanten Medienreform in Polen. Das sogenannte Große Mediengesetz sollte ursprünglich am 1. Juli in Kraft treten. Jüngsten Äußerungen der polnischen Regierung zufolge soll es nun aufgespalten und vertagt werden. ROG ruft die Regierung in Warschau auf, die Gesetzentwürfe zu den anstehenden Reformen gründlich zu diskutieren und zentrale Posten nicht länger nach politischen Kriterien zu vergeben.

"Die neuen Mediengesetze in Polen müssen mit Bedacht ausgearbeitet werden, um den Rundfunk tatsächlich unabhängiger von politischen Machtkonstellationen zu machen und effektive Kontrollmechanismen einzuführen", sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr in Berlin. "Wir hoffen sehr, dass die polnische Regierung die Bedenken der Zivilgesellschaft wie angekündigt ernst nimmt und ihre Anregungen im Gesetzgebungsprozess berücksichtigt."

MEHR ZEIT FÜR GROSSE MEDIENREFORM BENÖTIGT

Der stellvertretende Kulturminister und Beauftragte für die Medienreform, Krzysztof Czabanski, hatte in der vergangenen Woche bekannt gegeben, dass das "Große Mediengesetz" nicht wie geplant im Juni verabschiedet wird (http://t1p.de/qodu). Es sollte den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die Nachrichtenagentur PAP in staatliche Medien umwandeln.

Die nationalkonservative PiS-Regierung hatte bereits kurz nach ihrer Amtsübernahme ein "Kleines Mediengesetz" verabschiedet und damit im Dezember 2015 den Rundfunkrat KRRiT entmachtet. Seither ernennt der Schatzminister die Senderchefs des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und kann sie jederzeit wieder entlassen (http://t1p.de/3ycm). Die Eile, in der das Gesetz seinerzeit verabschiedet wurde, begründete die PiS damit, dass kritische Berichterstattung über die Tätigkeit der neuen Regierung unterbunden werden müsse (http://t1p.de/nsu8).

Für die "Große Medienreform" brauche man mehr Zeit, sagte Czabanski der Nachrichtenagentur PAP vergangenen Mittwoch. Es handele sich um weitreichende Änderungen des Systems, über die auch die EU informiert werden müsse (http://t1p.de/6xt8).

Die EU-Kommission hatte Mitte Januar ein Verfahren eingeleitet, um zu überprüfen, ob die neue Regierung das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit verletze. Am 23. Mai kritisierte sie in einer Stellungnahme die Entmachtung des Verfassungsgerichts, ließ die Umstrukturierung in den Medien jedoch unerwähnt (http://t1p.de/zh18). Wie stark beides zusammenhängt, zeigte sich in der Vergangenheit, als sich die obersten Richter immer wieder gegen einen Umbau des Mediensystems gestellt hatten. Eine Expertengruppe des Europarats kritisierte auch die geplanten Medienreformen in zahlreichen Punkten (http://t1p.de/v1w6).

NATIONALER MEDIENRAT MIT GROSSER MACHTFÜLLE

Mehrere Übergangsregelungen sollen nun die Zeit bis zur Verabschiedung des "Großen Mediengesetzes" überbrücken. Ein erstes Gesetz zur Gründung eines Nationalen Medienrats liege dem Parlament bereits vor, sagte Czabanski. Der neue Rat soll ab dem 1. Juli für die Ernennung der Senderchefs im Rundfunk zuständig sein. Er soll aus sechs Mitgliedern bestehen, die von Parlament und Präsident ernannt werden. Der stärksten Oppositionspartei wird dabei erstmals das Recht garantiert, eigene Kandidaten zu benennen. Problematisch ist die zentrale Rolle, die dem Parlamentsvorsitzenden zugedacht ist. Er soll den Chef des Nationalen Medienrats bestimmen, dem Rat eine Satzung geben und den Finanzplan des Nationalen Medienfonds bestätigen.

Das oppositionelle Komitee zur Verteidigung der Demokratie (KOD) kritisierte bei einer öffentlichen Anhörung am 17. Mai 2016, dass der mit umfassender Machtfülle ausgestattete Medienrat weder belangt noch aufgelöst werden könne. Dies mache jede Kontrolle unmöglich, insbesondere über die Finanzen der Medien und über die Einnahmen aus Rundfunkbeiträgen. In der Stellungnahme, die ROG vorliegt, fordert KOD, Abgeordnete von Sejm, Senat oder EU-Parlament dürften nicht als Mitglieder für den Nationalen Medienrat kandidieren. Außerdem solle festgeschrieben werden, dass für Chefposten der nationalen Medien nur Abgeordnete kandidieren dürften, deren Amtszeit schon mindestens drei Jahre zurückliege.

Ein weiteres Gesetz soll die Finanzierung des bislang chronisch unterfinanzierten öffentlichen Rundfunks regeln. Die Regierung will es in den kommenden Wochen vorlegen. Es sieht vor, den Rundfunk durch eine pauschale Haushaltsabgabe von drei bis vier Euro zu finanzieren, die mit der Stromrechnung abgezogen wird. Dadurch sollen die Sender unabhängiger von Werbeeinnahmen werden. Zudem könnten sie anders als bisher gegebenenfalls direkt aus dem Staatshaushalt bezuschusst werden.

PERSONALWECHSEL IN GROSSEM STIL

Unklar ist, wie die polnische Regierung mit der Frage der Entlassungen umgeht. Der erste Entwurf des "Großen Mediengesetzes" hatte vorgesehen, die Arbeitsverträge sämtlicher Mitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Medien nach drei Monaten auslaufen zu lassen. Die neuen Direktoren hätten dann selbst entscheiden können, ob sie Journalisten entlassen oder ihre Verträge verlängern. Laut der Fassung, über die das Parlament am 28. April in erster Lesung beriet, sollten nur noch die Verträge von Ressortleitern und deren Stellvertretern auslaufen. Nach der sehr kontroversen öffentlichen Debatte zum Gesetz im Sejm am 17. Mai (http://t1p.de/dzy7) kündigte Czabanski schließlich an, diesen Passus gänzlich zu streichen.

Allerdings hat ein Personalwechsel in großem Stil in den öffentlich-rechtlichen Medien längst stattgefunden. Schon wenige Tage nach Verabschiedung des "Kleinen Mediengesetzes" Ende 2015 traten aus Protest die Direktoren mehrerer öffentlich-rechtlicher Sender zurück. Jacek Kurski, der einst für Lech Kaczynski den Wahlkampf koordiniert hatte, wurde zum neuen Chef des Fernsehsenders TVP ernannt (http://t1p.de/3ycm). Die polnische Journalistengewerkschaft Towarzystwo Dziennikarskie zählt inzwischen mehr als 160 Journalisten, die unter der PiS-Regierung die entlassen, zur Kündigung gezwungen oder versetzt worden sind (http://t1p.de/qaff).

Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen ist Polen in diesem Jahr um 29 Plätze auf Rang 47 von 180 Staaten abgestürzt. Weitere Informationen zur Lage der Medien in Polen finden Sie unter: www.reporter-ohne-grenzen.de/polen.

Quelle: Reporter ohne Grenzen e.V. (ots)

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