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UN-Anhörung: Bundesregierung muss Kritik der Zivilgesellschaft aufgreifen

Archivmeldung vom 04.05.2018

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 04.05.2018 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott
Bananenrepublik Deutschland? (Symbolbild)
Bananenrepublik Deutschland? (Symbolbild)

Bild: Eigenes Werk /OTT

Reporter ohne Grenzen (ROG) appelliert an die Bundesregierung, bei der Befragung zur menschenrechtlichen Lage in Deutschland durch die UN-Staatengemeinschaft eigene Defizite beim Schutz der Pressefreiheit zu benennen und Kritik der Zivilgesellschaft aufzugreifen. Deutschland muss sich am Dienstag (8. Mai) in Genf den Fragen der übrigen 192 UN-Mitglieder stellen. ROG hat für dieses sogenannte UPR-Verfahren im September einen Schattenbericht zur Lage von Journalistinnen und Journalisten eingereicht, in dem Kritik und Empfehlungen ausgesprochen werden (http://ogy.de/azfo).

"Deutschland hat hohe Pressefreiheitsstandards und vergleichsweise gute Arbeitsbedingungen für Journalistinnen und Journalisten, doch auch hierzulande gibt es Defizite", sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Gerade beim Schutz vor digitaler Überwachung oder Löschpflichten für soziale Netzwerke hat Deutschland ein schlechtes Vorbild für andere Staaten abgegeben - und ist nach eigenen Worten Empfehlungen von Iran und China gefolgt."

DEUTSCHLAND IM UN-VERHÖR

Das Allgemeine Periodische Überprüfungsverfahren (englisch: Universal Periodic Review, UPR) ist ein 2007 eingeführtes Instrument des UN-Menschenrechtsrats. Hierbei muss sich abwechselnd jeder Mitgliedsstaat der Überprüfung durch die anderen Länder stellen. Nach 2009 und 2013 ist Deutschland am 8. Mai 2018 zum dritten Mal an der Reihe. Die deutsche Delegation wird in Genf angeführt von der Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Bärbel Kofler (SPD), und hat zwei Aufgaben: Einerseits muss sie erklären, ob und wie sie die UPR-Empfehlungen zur Verbesserung der Menschenrechte aus dem Jahr 2013 umgesetzt hat. Andererseits muss sie sich den Fragen der übrigen UN-Staaten stellen und erklären, welche der Empfehlungen sie bis zum nächsten UPR umsetzen möchte.

Im Vorfeld hat die Bundesregierung einen eigenen Staatenbericht eingereicht, in der sie die menschenrechtliche Lage bewertet (http://ogy.de/rd6r). In einem Anhang (http://ogy.de/sqh0) zählt sie Maßnahmen auf, mit denen sie einzelne Empfehlungen aus dem Jahr 2013 umgesetzt habe. Problematisch ist mit Blick auf die Pressefreiheit, dass die Bundesregierung nach eigener Aussage zwei Empfehlungen von Iran und China "akzeptiert" habe. Die Länder, die auf der Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 164 (Iran) und 176 (China) stehen, regten 2013 gesetzliche Maßnahmen gegen die Verbreitung rassistischer, islam- oder ausländerfeindlicher Inhalte im Internet oder in den Medien an. Solche Forderungen sind üblich für Länder mit starker Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit, die solche Initiativen häufig für ein Vorgehen gegen unliebsame Berichterstattung missbrauchen.

UMSTRITTENES NETZDG WIRD ALS LÖSUNG PRÄSENTIERT

Die Bundesregierung führt dazu aus, dass die iranisch-chinesischen Empfehlungen unter anderem mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) aufgenommen wurden. Das Gesetz verpflichtet soziale Netzwerke, binnen 24 Stunden "offensichtlich rechtswidrige Inhalte" zu löschen und droht bei systematischen Fehlverhalten der Unternehmen mit Strafen von bis zu 50 Millionen Euro. Das NetzDG gehörte zu den umstrittensten Gesetzen der vergangenen Legislaturperiode. Es verlagert die Verantwortung für Löschentscheidungen einseitig auf die Seite der Betreiber und beinhaltet keine unabhängigen Aufsichtsmechanismen. Außerdem erhalten Nutzerinnen und Nutzer kein Widerspruchsrecht, wenn ihre Inhalte fälschlicherweise gelöscht wurden.

Reporter ohne Grenzen hatte diese Kritikpunkte unter anderem in einer Sachverständigen-Anhörung im Bundestag vorgetragen (http://ogy.de/ulv0) und gewarnt, dass ein solches Gesetz in weniger demokratischen Ländern zur Zensur missbraucht werden kann (http://ogy.de/dl17). Tatsächlich hat Russland das deutsche NetzDG umgehend kopiert (http://ogy.de/tyf2). Dass die Bundesregierung auf internationaler Bühne nun auf Empfehlungen von China und Iran offiziell mit dem NetzDG als Lösung reagiert, ist angesichts der Kritik im Inland zynisch. Sie nutzt in ihrer Antwort sogar den Begriff der "Fake News", mit dem Autokraten weltweit gegen Journalistinnen und Journalisten vorgehen (http://ogy.de/76dr). ROG hatte die Kritik am NetzDG im Schattenbericht genannt, was die UN in einer Übersicht verschiedener Stellungnahmen aufgenommen hatte (http://ogy.de/rd6r).

DEUTSCHLAND VERSCHWEIGT NEGATIVENTWICKLUNGEN

Im eigenen Staatenbericht zeichnet die Bundesregierung ein positives Bild von der Menschenrechtssituation im Land. Die Meinungs- und Pressefreiheit nimmt in dem Bericht allerdings nur einen geringen Stellenwert ein und wesentliche Negativentwicklungen lässt er unerwähnt. Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit fördert die Bundesregierung laut dem Bericht Maßnahmen für digitale Sicherheit, um die Meinungs- und Pressefreiheit für Journalisten und Menschenrechtsaktivisten zu schützen.

Dies ist zwar begrüßenswert, wird jedoch durch Maßnahmen im Inland konterkariert. So wurde etwa ein neues Gesetz für den Bundesnachrichtendienst (BND) erlassen, mit dem der deutsche Auslandsgeheimdienst das Recht erhalten hat, ausländische Journalisten im Ausland praktisch schrankenlos zu überwachen. Ende 2017 zogen deswegen international renommierte Journalistinnen und Journalisten vor das Bundesverfassungsgericht, um sich gegen diese BND-Überwachung zu wehren. ROG unterstützte sie dabei maßgeblich (http://ogy.de/eoes). Die BND-Reform steht auch im Gegensatz zu einer UN-Resolution zum Recht auf Privatsphäre im digitalen Zeitalter, die von Deutschland und Brasilien eingebracht wurde und im UPR-Staatenbericht als Beleg dafür angeführt wird, dass sich die Bundesregierung für die Menschenrechte eingesetzt habe. Die BND-Novelle erwähnt sie hingegen nicht.

Die digitale Sicherheit der Medien ist im Inland zudem dadurch eingeschränkt worden, dass der sogenannte Staatstrojaner im Strafverfahren eingeführt wurde - und auch gegen Journalistinnen und Journalisten eingesetzt werden kann. Strafverfolger dürfen damit Smartphones hacken und verschlüsselte Kommunikation mitschneiden, etwa bei sensiblen Gesprächen zwischen Medien und ihren Quellen (http://ogy.de/mrue). Unerwähnt lässt der Bericht ferner, dass es in Deutschland kein Whistleblower-Schutzgesetz gibt und sich kaum Fortschritte bei der Informationsfreiheit ergeben haben (http://ogy.de/4uyr).

INTERNATIONAL FÜR UN-SONDERBEAUFTRAGTEN WERBEN

Die Bundesregierung sollte das internationale Parkett zudem nutzen, um für politische Initiativen zu werben, die für die globale Entwicklung der Pressefreiheit bedeutend sind. So hat etwa der Bundestag als erstes Parlament weltweit die Bundesregierung in einem Entschließungsantrag aufgefordert, sich für einen Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen für den Schutz von Journalistinnen und Journalisten einzusetzen (http://ogy.de/wowm). Außerdem hat das Europäische Parlament die Weichen gestellt, um den globalen Handel mit Überwachungstechnologie besser zu kontrollieren (http://ogy.de/deft). Mit europäischer Technologie werden auf der gesamten Welt Journalistinnen und Journalisten bei ihrer Arbeit unrechtmäßig überwacht. Die Bundesregierung muss sich hierzu zeitnah in Brüssel positionieren - und sollte sich bereits jetzt für eine restriktive Exportkontrolle aussprechen, um die Meinungs- und Pressefreiheit nicht den Geschäftsinteressen einiger Unternehmen unterzuordnen.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Deutschland auf Platz 15 von 180 Staaten. Weitere Informationen über die Lage der Journalisten vor Ort finden Sie unter www.reporter-ohne-grenzen.de/deutschland.

Quelle: Reporter ohne Grenzen e.V. (ots)

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