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ROG-Bericht über Veracruz und Mexiko: Journalismus im Staat der Angst

Archivmeldung vom 07.02.2017

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 07.02.2017 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Logo - Reporter ohne Grenzen e.V.
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Donald Trumps Angriffe gegen die Medien und seine Abschottungspolitik bedrohen nicht nur die Freiheit in den USA. Gefährlich werden seine Äußerungen auch für Journalisten in Mexiko, die aus Angst um ihr Leben oft auch in das nördliche Nachbarland fliehen. Gefangen zwischen einem repressiven Staat, gewalttätigen Drogenhändlern und einem korrupten Justizsystem, bleiben sie vor allem in der ostmexikanischen Provinz Veracruz auf sich allein gestellt. Staatliche Schutzprogramme für Journalisten funktionieren kaum, oft arbeiten Behörden und organisierte Kriminalität zusammen. Wenige Wochen nach dem Amtsantritt von Gouverneur Miguel Ángel Yunes in Veracruz zeigt ein ausführlicher Länderbericht von Reporter ohne Grenzen (ROG) das Ausmaß von Gewalt und Repression gegen Journalisten (http://t1p.de/4xeq).

"Veracruz ist für Journalisten der gefährlichste Ort in der westlichen Hemisphäre. In den vergangenen sechs Jahren wurden dort mindestens 17 Journalisten wegen ihrer Arbeit getötet", sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Wir fordern die mexikanische Regierung und den neuen Gouverneur von Veracruz auf, Journalisten umfassend und wirksam zu schützen. Bestehende Schutzprogramme müssen personell und finanziell aufgestockt und die Verbindungen zwischen den Behörden und dem organisierten Verbrechen offengelegt werden."

Der Bundesstaat Veracruz verfügt auf Grund seiner geografischen Lage - zwischen der Hauptstadt Mexiko-Stadt und dem Golf von Mexiko - über den wichtigsten Hafen des Landes und ist dadurch ein bedeutender Umschlageplatz für das organisierte Verbrechen, insbesondere den Drogenhandel. Das Drogenkartell Los Zetas, das ROG zu den größten Feinden der Pressefreiheit weltweit zählt, kämpft mit dem Kartell Jalisco Nueva Generación aggressiv um den Zugang zu Schmuggelrouten. Dabei geraten Journalisten und Menschenrechtsaktivisten immer wieder ins Kreuzfeuer.

GRÖSSTE BEDROHUNG IST DER STAAT

Gouverneur Javier Duarte bedrohte Journalisten jahrelang offen und hinterlässt seinem Amtsnachfolger eine traumatisierte Medienlandschaft. Er selbst trat im Oktober 2016 zwei Monate vor dem offiziellen Ende seiner Amtszeit zurück, als Vorwürfe wegen Geldwäsche und illegaler Bereicherung im Amt gegen ihn öffentlich wurden. Sein Nachfolger Miguel Ángel Yunes von der christdemokratisch-konservativen PAN-Partei, der das Amt am 1. Dezember 2016 antrat, beendet die 88-jährige Herrschaft der übermächtigen zentralistischen PRI-Partei. In seiner Antrittsrede setzte er sich für die Presse- und Meinungsfreiheit ein und weckte damit Hoffnungen bei Journalisten und Menschenrechtsaktivisten. Allerdings sind die kriminellen Strukturen in Veracruz so verwurzelt, dass ein Systemwandel nahezu unmöglich scheint.

Keiner der während der Amtszeit Duartes begangenen Morde an Journalisten wurde bisher aufgeklärt. Die Verbindung zwischen Kartellen und Lokalbehörden ist so eng, dass oft unklar ist, wer die Verbrechen tatsächlich verübt. Fast die Hälfte der Drohungen und Angriffe auf Journalisten gehen von Polizisten aus. Zudem kreierte Duarte ein verzweigtes System der Überwachung mit Hilfe semi-offizieller Spione ("orejas"), die oft selbst als Journalisten auftraten.

Die omnipräsenten Drogenkartelle werden in Veracruz als "bewaffneter Arm der Politiker" betrachtet. Sie bedrohen Journalisten jedoch auch aus eigenem Antrieb, wenn diese zu intensiv über ihre Geschäfte recherchieren.

JOURNALISTEN KALTBLÜTIG ERMORDET

Medienschaffende, die über das organisierte Verbrechen und seine Verbindungen zur Politik berichten, werden häufig kaltblütig ermordet. Zwischen Januar 2000 und September 2016 wurden in Veracruz mindestens 19 Journalisten in direktem Zusammenhang mit ihrer Arbeit getötet, der weitaus größte Teil (17 Tote) während der Amtszeit Duartes von 2010 bis 2016. ROG zählte 40 Prozent aller insgesamt in Mexiko getöteten oder verschwundenen Journalisten in diesem Zeitraum in Veracruz.

Am 8. Februar 2016 wurde die Journalistin Anabel Flores Salazar von bewaffneten Männern in Polizeiuniform aus ihrer Wohnung entführt. Am nächsten Morgen fanden Zivilisten ihre halbnackte Leiche in einem Straßengraben. Flores Salazar hatte unter anderem für die lokale Zeitung El Sol de Orizaba über das organisierte Verbrechen berichtet. (http://t1p.de/1pmb, http://t1p.de/5bcz).

Internationale Aufmerksamkeit weckte die Ermordung des freien Fotojournalisten Rubén Espinosa Becerril. Seine Leiche wurde am 31. Juli 2015 zusammen mit den Leichen von vier Frauen - darunter die Menschenrechtsaktivistin Nadie Vera - in einer Wohnung in Mexiko Stadt gefunden. Espinosa Becerril, der unter anderem für die liberale Zeitung Proceso arbeitete, war kurz zuvor gemeinsam mit Vera aus Veracruz in die mexikanische Hauptstadt geflüchtet. Wegen seiner Berichte über soziale Proteste und seines Einsatzes für Rede- und Pressefreiheit war er immer wieder mit dem Tode bedroht worden. (http://t1p.de/48ek).

Miguel Ángel López Velasco (Milo Vela), prominenter Polizeireporter und Kolumnist für die kritische Zeitung Notiver sowie Autor eines Buches über den Drogenhandel in Veracruz, wurde am 20. Juni 2011 gemeinsam mit seiner Ehefrau und seinem Sohn in seinem Haus im Schlaf ermordet (http://t1p.de/0ars).

STAATLICHE SCHUTZPROGRAMME SIND INEFFIZIENT

Um den zunehmenden Angriffen und Drohungen gegen Medienschaffende in Veracruz zu begegnen, wurde 2012 ein lokales Schutzprogramm für Journalisten (CEAPP) ins Leben gerufen. Beobachter kritisieren die Arbeit der Institution jedoch als mangelhaft und intransparent - genau wie die der vier landesweiten Programme zum Schutz von Journalisten und Menschenrechtsaktivsten. So seien die Zuständigkeiten der verschiedenen Programme unklar, die mexikanische Gesetzgebung widersprüchlich und die finanziellen Möglichkeiten begrenzt. Die nationalen Programme sollen zudem oft von lokalen Behörden umgesetzt werden, die häufig selbst in die Verbrechen verwickelt sind, die sie bekämpfen sollen.

Fälle wie die Ermordung des Journalisten Pedro Tomaya Rosas am 20. Juli 2016 in Veracruz offenbaren die Ineffizienz der Schutzmechanismen. Der Reporter wurde vor den Augen seiner Frau und seiner zwei Kinder in der Auffahrt seines Hauses von zwei Unbekannten erschossen, während er sich unter dem offiziellen Schutz der Regierung befand. Dieser bestand hauptsächlich darin, dass ein Streifenwagen in unregelmäßigen Abständen vor dem Haus vorbeifuhr. Zum Zeitpunkt des Mordes befand sich laut Aussagen der Familie ein Polizeiauto in weniger als 10 Meter Entfernung zum Tatort. Dennoch konnten die Täter unbehelligt entkommen. Statt die Verantwortlichen zu verfolgen, verzögerten die Polizisten die Rettungsmaßnahmen offenbar, indem sie dem Krankenwagen zweimal eine falsche Adresse nannten (http://t1p.de/8ze5).

Viele Journalisten vertrauen den staatlichen Schutzprogrammen daher kaum. Sie befürchten, die Personenschützer selbst könnten sie überwachen oder ihren Aufenthaltsort an potenzielle Angreifer weitergeben (http://t1p.de/h1e2). Da Journalisten zudem selbst für ihren Schutz zahlen müssen, verzichten viele auf die staatlichen Leibwächter (http://t1p.de/rhwo).

GEFÄHRLICHSTES LAND FÜR JOURNALISTEN IN LATEINAMERIKA

In Mexiko wurden in den vergangenen 16 Jahren mindestens 99 Journalisten wegen ihrer Arbeit getötet. Damit war Mexiko bis auf das Jahr 2013 stets das gefährlichste Land für Journalisten in Lateinamerika. Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (IACHR) betont, dass zwischen 2010 und 2015 mindestens 150 Journalisten in der westlichen Hemisphäre ermordet wurden - ein Drittel davon in Mexiko (http://t1p.de/c847).

Bei Protesten gegen erhöhte Gaspreise wurden im Januar 2017 mindestens 20 Journalisten zum Teil schwer verletzt (http://t1p.de/wigm). Eine Anfang 2016 veröffentlichte Studie belegt, dass die psychologischen Belastungen für Medienschaffende in Mexiko vergleichbar mit denen in Kriegsgebieten sind (http://t1p.de/p43b).

Von dem hohen Niveau der Gewalt gegen Journalisten ist dabei nicht nur Veracruz betroffen. So gibt es im Nachbarstaat Tamaulipas fast keine Journalisten mehr und Presseberichte beziehen sich fast ausschließlich auf offizielle Statements der Regierung. In den Staaten Chihuahua, Guerrero, Michoacan und Oaxaca ist die Situation der Pressefreiheit kaum besser.

Auf der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit steht Mexiko auf Platz 149 von 180 Ländern. Reporter ohne Grenzen zählt das auch in Veracruz tätige Drogenkartell Los Zetas zu den größten Feinden der Pressefreiheit weltweit (http://t1p.de/kd9g).Mehr zur Lage der Pressefreiheit in Mexiko gibt es unter https://www.reporter-ohne-grenzen.de/mexiko/.

Quelle: Reporter ohne Grenzen e.V. (ots)

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