ROG: Aserbaidschanische Justiz muss Anschuldigungen gegen Fotojournalist fallenlassen
Archivmeldung vom 12.01.2017
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittReporter ohne Grenzen ist besorgt über die jüngsten Schikanen gegen den aserbaidschanischen Fotojournalist und Blogger Mehman Huseynow. Unbekannte verschleppten ihn am Montag in der Hauptstadt Baku und hielten ihn über Nacht in Gewahrsam. Zwar wurde er am Folgetag freigelassen, ein Gericht verurteilte ihn jedoch zu einer Geldstrafe, weil er sich der Polizei widersetzt haben soll. Huseynow hat sich mit Recherchen über Korruption einen Namen gemacht und in den vergangenen Wochen Fotos von Villen veröffentlicht, die Regierungsmitgliedern gehören sollen (http://t1p.de/73nk).
"Die unverhohlenen Repressalien gegen unabhängige Journalisten wie Mehman Huseynow zeigen, dass Präsident Ilcham Alijew keine Kritik an seinem autoritären Führungsstil duldet. Medienschaffende werden unter einem konstruierten Vorwand festgehalten und zu einer absurden Strafe verurteilt, um sie einzuschüchtern", sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Wir fordern die Justiz auf, die Anschuldigungen gegen Mehman Huseynow fallenzulassen."
Am Montagabend hatten Unbekannte in Zivilkleidung Huseynow im Stadtzentrum von Baku in ein Auto gezerrt. Mit verbundenen Augen wurde er zunächst vier Stunden im Auto festgehalten, wie die Nichtregierungsorganisation (NGO) Institute for Reporters' Freedom and Safety (IRFS) bekannt gab (http://t1p.de/1hl8). Seine Entführer verpassten ihm Stromstöße, schlugen ihn bis seine Nase blutete und beleidigten ihn (http://t1p.de/73nk). Sie brachten Huseynow zu einer Polizeistation, wo er das Bewusstsein verlor und zusammenbrach. Nachdem ein Krankenwagen gerufen wurde, bekam der Journalist Schmerztabletten und Schlafmittel.
Laut IRFS wurde er insgesamt 19 Stunden ohne Zugang zu einem Anwalt oder seiner Familie festgehalten. Am Dienstagnachmittag wurde Huseynow zu einem Gericht in Baku gebracht. Weil er sich der Polizei widersetzt haben soll, verurteilte ihn das Gericht zu einer Geldstrafe von umgerechnet 105 Euro. Der Blogger gab an, dass sich vor seiner Festnahme ein arbeitsloser Mann beschwert haben soll, Huseynow habe ihn angerempelt und beleidigt. Als die Polizei gerufen wurde, soll Huseynow ihre Anweisungen nicht befolgt haben.
RECHERCHEN ÜBER KORRUPTION
Huseynow, der Aserbaidschan wegen eines Reiseverbots nicht verlassen darf (http://t1p.de/iy1x), ist bekannt für seine Berichterstattung über politische Gewalt und seinen Einsatz für Informationsfreiheit. Er ist zudem sehr aktiv auf sozialen Netzwerken (http://t1p.de/qr9z). Seine Videos haben Korruption unter hochrangigen Politikern aufgedeckt. In den vergangenen Wochen hat Huseynow Fotos von Villen gepostet, die Regierungsmitgliedern und Parlamentariern gehören sollen. Zudem interviewte er Bauarbeiter, die diese Villen gebaut haben (http://t1p.de/73nk).
Vergangene Woche verbreitete Huseynow laut IRFS einen Brief an die Parlamentarische Versammlung des Europarates mit dem Aufruf von IRFS, der aserbaidschanischen Delegation wegen des Vorwurfs der Bestechung durch zwei Mitglieder das Stimmrecht zu entziehen. Im Dezember hatte die European Stability Initiative einen Bericht über systematische Korruption und Bestechung im Europarat veröffentlicht (http://t1p.de/jimr). Zwei aserbaidschanische Mitglieder der Versammlung sollen laut dem Bericht den ehemaligen Vizepräsidenten der Versammlung bestochen haben.
Im Mittelpunkt des Berichts steht eine Resolution aus dem Jahr 2013, die die Freilassung politischer Gefangener in Aserbaidschan forderte. Die Parlamentarische Versammlung des Europarats hatte sie mit breiter Mehrheit abgelehnt und lediglich eine allgemeine Erklärung zur Menschenrechtslage dort verabschiedet. Der damalige deutsche Berichterstatter Christoph Strässer führte dies auf die massive Lobbyarbeit von aserbaidschanischer Seite zurück (http://t1p.de/j9f2).
KONSTRUIERTE VORWÜRFE GEGEN JOURNALISTEN
Unabhängige Journalisten in Aserbaidschan sind den willkürlichen Repressalien der Behörden ausgesetzt. Ende November 2016 war der Journalist Afgan Sadykhow in der südöstlichen Stadt Jalilabad verhaftet und wegen angeblich schwerer Körperverletzung beschuldigt worden (http://t1p.de/bf6m). Kurz vor seiner Verhaftung wurde er von lokalen Behörden vorgeladen. Nach seiner Ankunft wurde Sadykhow von einer Frau angegriffen und geschlagen, die danach gegen ihn Anzeige erstattete. Sadykhow Mutter sagte, die Polizei habe ihren Sohn gefoltert und ihre Bitte, ihn besuchen zu können, ignoriert. Sadykhow sitzt weiterhin in Haft. Er ist Redakteur für die Webseite Azel.tv, die über Infrastruktur-Themen berichtet.
Unter einem ähnlichen Vorwand ging die Polizei Ende November auch gegen Teymur Kerimow vor, einen Journalisten für die Webseite Kanal 13. Er recherchierte gerade über Probleme bei der Wasserversorgung in einem Dorf für Flüchtlinge aus der Region Bergkarabach, als ein Unbekannter begann, seine Interviewpartner zu bedrängen. Der Mann forderte sie auf, weder mit oppositionellen Journalisten zu sprechen noch die Regierung zu kritisieren, und beleidigte Kerimow. Der Journalist wurde zu einer Polizeistation gebracht, wo der Unbekannte Kerimow beschuldigte, ihn beleidigt und geschlagen zu haben. Die Polizei ließ Kerimow nach 10 Stunden in Gewahrsam frei, behielt jedoch seine Interviewaufzeichnungen und ermittelt laut Kerimow wegen Körperverletzung.
Ebenfalls Ende November wurde Zamin Gadji , oppositioneller Journalist der Zeitung Yeni Musavat zu einer Polizeistation in Baku vorgeladen. In einem Facebook-Eintrag hatte er verurteilt, dass vier prominente Mordfälle nicht aufgeklärt wurden, darunter auch der Mord an dem Journalisten Elmar Huseynov im Jahr 2005. Gadji weigerte sich, den Beitrag zu löschen. Die Polizei warf ihm vor, die "soziale und politische Stabilität des Landes in Frage zu stellen", ließ ihn aber nach ein paar Stunden gehen.
LANGJÄHRIGER FEIND DER PRESSEFREIHEIT
Auch Exil-Medien stehen unter Druck. Im April 2016 ermittelten die Behörden gegen den in Berlin ansässigen Exil-Sender Meydan TV wegen angeblicher Steuerhinterziehung (http://t1p.de/w9wa). Sie durchsuchten Wohnungen von Mitarbeitern und einige Journalisten durften das Land nicht verlassen (http://t1p.de/xiey). Der vom aserbaidschanischen Blogger Emin Milli 2013 gegründete Sender gehört zu den wenigen Quellen für unabhängige Informationen aus dem Land.
Im September 2015 war der in Aserbaidschan für Meydan TV arbeitende 19-jährige Schirin Abbasow auf dem Weg zur Universität spurlos verschwunden (http://t1p.de/9qm2). Erst am folgenden Tag hatte seine Familie erfahren, dass ihn die berüchtigte Polizeieinheit zum Kampf gegen organisierte Kriminalität festhielt. Ein Gericht verurteilte ihn wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt zu dreißig Tagen Gewahrsam. Im Februar 2014 wurde die gläserne Eingangstür und ein Fenster der Redaktionsräume in Berlin mit einem Stein eingeschlagen (http://t1p.de/0awq).
Reporter ohne Grenzen zählt den aserbaidschanischen Präsidenten Ilcham Alijew seit Jahren zu den größten Feinden der Pressefreiheit weltweit (http://t1p.de/kd9g). Derzeit sitzen in Aserbaidschan mindestens acht Medienschaffende wegen ihrer Arbeit in Haft (http://t1p.de/l6tu). Auf der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit steht Aserbaidschan auf Platz 163 von 180 Staaten (http://t1p.de/ro6x). Weitere Informationen über die Lage der Journalisten im Land finden sie unter www.reporter-ohne-grenzen.de/aserbaidschan.
Quelle: Reporter ohne Grenzen e.V. (ots)