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ROG verurteilt konzertierte Repressalien gegen Fernsehsender Al-Dschasira

Archivmeldung vom 09.06.2017

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 09.06.2017 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott
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Bild: Al-Dschasira

Reporter ohne Grenzen (ROG) verurteilt die Repressalien mehrerer arabischer Staaten gegen den Fernsehsender Al-Dschasira im Zusammenhang mit der diplomatischen Krise um das Golf-Emirat Katar. Saudi-Arabien hat das Büro des katarischen Auslandssenders geschlossen und ihm die Lizenz entzogen, Jordanien kündigte dieselben Schritte an. Schon vor zwei Wochen sperrten Saudi-Arabien, Ägypten, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) die Webseite des Senders. Bahrain und die VAE haben Medien beziehungsweise Nutzern sozialer Netzwerke Strafen für Äußerungen der Sympathie gegenüber Katar angedroht. Am Donnerstagabend meldete Al-Dschasira einen groß angelegten Hackerangriff.

"Was Al-Dschasira in diesen Tagen erlebt, ist eine offensichtlich international abgestimmte Kampagne unverhohlener politischer Zensur", sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Mit dieser massiven Repressionswelle gegen einen Nachrichtensender von internationaler Bedeutung demonstrieren Saudi-Arabien und seine Verbündeten ihre völlige Geringschätzung der Medienfreiheit. Bundeskanzlerin Angela Merkel sollte dieses Vorgehen bei Gesprächen wie kommende Woche mit dem ägyptischen Präsidenten Abdelfattah al-Sisi in Berlin in aller Deutlichkeit kritisieren. Al-Dschasira und seine Journalisten müssen sofort ungehindert ihre Arbeit fortsetzen können."

Wenige Stunden nach der Ankündigung, die diplomatischen Beziehungen zu Katar abzubrechen, hatte Saudi-Arabien am vergangenen Sonntag das Al-Dschasira-Büro in der Hauptstadt Riad geschlossen und dem Sender die Lizenz entzogen. Die staatliche Nachrichtenagentur Saudi Press Agency beschuldigte den Sender, er verbreite die Propaganda von Terrorgruppen, unterstütze die Huthi-Rebellen im Jemen und versuche, Uneinigkeit in Saudi-Arabien zu säen (http://ogy.de/wv1d). Inwieweit die Al-Dschasira-Mitarbeiter in Riad von der Anordnung betroffen sind, dass katarische Staatsbürger das Land innerhalb 14 Tagen verlassen müssen, war zunächst unklar.

Schon in der Vergangenheit ist Saudi-Arabien verschiedentlich gegen Al-Dschasira vorgegangen. Ohnehin beschneidet das Königreich die Pressefreiheit in vielfältiger Weise: Zensur ist tägliche Praxis. Verboten sind etwa Kritik an Religionsführern, ungenehmigte Berichte über Gerichtsverfahren oder Berichte über die Proteste der schiitischen Minderheit. Lange Haftstrafen, Veröffentlichungs- und Reiseverbote sind häufig.

Am 17. Juni wird der Blogger Raif Badawi seit fünf Jahren im Gefängnis sitzen; seine Bestrafung zu 1000 Stockschlägen war Anfang 2015 erst nach massiven internationalen Protesten ausgesetzt worden (http://ogy.de/c2ln). Er verbüßt weiterhin eine zehnjährige Haftstrafe. Badawi werden unter anderem kritische Online-Kommentare über die saudische Religionspolizei zur Last gelegt, mit denen er gegen das Gesetz gegen Internetverbrechen verstoßen habe.

Die Regierung Jordaniens schloss sich dem saudischen Vorgehen gegen Al-Dschasira am Dienstag an und kündigte ebenfalls an, das Studio des Senders in der Hauptstadt Amman zu schließen sowie ihm die Lizenz zu entziehen (http://ogy.de/1qeb).

BAHRAIN UND VAE WARNEN VOR "SYMPATHIEBEKUNDUNGEN" FÜR KATAR

Die Repressionswelle gegen die Medienfreiheit im Zuge der Katar-Krise zieht inzwischen weitere Kreise. Bahrains Informationsministerium forderte die Medien des Emirats am Donnerstag auf, nichts zu veröffentlichen, das Katars Handlungen in irgendeiner Weise billige oder rechtfertige. Wer solches Material veröffentliche, werde "zur Rechenschaft gezogen", warnte das Ministerium, ohne konkrete Sanktionen zu nennen (http://ogy.de/nx6d).

Schon vor dem Abbruch der Beziehungen hatten Bahrains Behörden vergangenes Wochenende überraschend die einzige unabhängige Zeitung des Landes, Al-Wasat, verboten. Mit ihrer Berichterstattung gefährde die Zeitung die Beziehungen Bahrains zu anderen Staaten, hieß es zur Begründung (http://ogy.de/hcn9). (Mehr zu den jüngsten Entwicklungen der Pressefreiheit in Bahrain unter http://ogy.de/ot1d)

Die Justiz der Vereinigten Arabischen Emirate kündigte am Mittwoch an, "Sympathiebekundungen" für Katar in den sozialen Medien scharf zu verfolgen. Auf entsprechende Äußerungen stünden drei bis 15 Jahre Haft sowie Geldstrafen von mindestens 500.000 Dirham (120.000 Euro), hieß es in einer Erklärung von Generalstaatsanwalt Hamad al-Schamsi (http://ogy.de/1hqe).

Am Donnerstagabend berichtete Al-Dschasira, seine Webseite und seine digitalen Plattformen seien "systematischen und fortlaufenden" Hackerangriffen ausgesetzt, deren Intensität zunehme. Bislang seien die Systeme aber nicht beeinträchtigt worden (http://ogy.de/9e5v).

In Ost-Jerusalem stürmten am Dienstagabend israelische Ultra-Nationalisten unter der Führung des bekannten Aktivisten Baruch Marzel das Gebäude, in dem Al-Dschasira sein örtliches Studio betreibt. Sie beschuldigten den Sender, er sei mit der Dschihadisten-Miliz "Islamischer Staat" verbündet, und verlangten seine Schließung (http://ogy.de/s47m).

ÄGYPTEN UND GOLFSTAATEN ZENSIEREN ONLINE-MEDIEN

Ägypten, das ebenfalls seine diplomatischen Beziehungen zu Katar abgebrochen hat, hatte Al-Dschasira schon 2013 aus dem Land gedrängt und die Produktions- und Sendetechnik des Senders beschlagnahmt. Regierung und Justiz erhalten den Verfolgungsdruck auf Al-Dschasira-Journalisten bis heute aufrecht. So halten sie seit dem 23. Dezember 2016 den ägyptischen Al-Dschasira-Producer Mahmud Hussein fest, der in der Zentrale des Senders in Katar arbeitet und sich nach eigenen Angaben zum Urlaub in seiner Heimat aufhielt. Bis 2013 hatte er für das Al-Dschasira-Büro Kairo gearbeitet (http://ogy.de/4lmb).

Vor zwei Wochen blockierte die Regierung fast zeitgleich mit Saudi-Arabien, Bahrain und den VAE die Webseite von Al-Dschasira. Zugleich sperrte Ägypten auch die Webseiten weiterer 20 Online-Medien. Den meisten von ihnen wirft die Regierung eine Berichterstattung zugunsten der verbotenen Muslimbruderschaft vor. Unter den zensierten Webseiten ist jedoch auch das unabhängige Nachrichtenportal Mada Masr, das als eine der verlässlichsten Nachrichtenquellen Ägyptens gilt und sich mit soliden Investigativberichten einen Namen gemacht hat (http://ogy.de/sui6).

Auslöser dieser Welle der Online-Zensur waren offenbar vermeintliche Iran-freundliche Äußerungen der katarischen Führung, die das Emirat umgehend als gefälscht und als Folge eines Hackerangriffs auf die staatliche Nachrichtenagentur Qatar News Agency zurückwies. US-Ermittler vermuten Hacker aus Russland hinter diesem Hacker-Angriff (http://ogy.de/b7gu).

AL-DSCHASIRA REVOLUTIONIERTE EINST DIE ARABISCHEN MEDIEN

Der Nachrichtensender Al-Dschasira revolutionierte bei seiner Gründung 1996 die arabische Medienlandschaft, indem er einem breiten Spektrum von Meinungen von den moderatesten bis zu den radikalsten Stimmen eine Bühne gab. Er berichtete ausführlich über die Protestbewegungen während des Arabischen Frühlings um 2011. Seitdem hat er bei vielen Zuschauern an Glaubwürdigkeit verloren, weil seine Berichterstattung weithin als einseitig zugunsten der Muslimbruderschaft und anderer Islamisten- oder Rebellengruppen gefärbt wahrgenommen wurde. Vielen arabischen Regierungen gilt der Sender als verlängerter Arm der katarischen Außenpolitik.

Saudi-Arabien steht auf der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 168 von 180 Ländern, Bahrain auf Platz 164 und die VAE auf Platz 119. Jordanien nimmt Platz 138 der Rangliste ein, Ägypten Platz 161, Israel Platz 91 und Katar Platz 123. Weitere Informationen über die Lage der Medienschaffenden in diesen Ländern finden Sie auf den jeweiligen Länderseiten auf www.reporter-ohne-grenzen.de.

Quelle: Reporter ohne Grenzen e.V. (ots)

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