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Diplomatisches Über-Orakel Kissinger und Völkerrecht

Archivmeldung vom 30.04.2014

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 30.04.2014 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Henry Kissinger Bild: World Economic Forum / de.wikipedia.org
Henry Kissinger Bild: World Economic Forum / de.wikipedia.org

An der Universität Bonn soll ein Lehrstuhl zu Ehren des ehemaligen amerikanischen Außenministers Henry Kissinger errichtet werden. Die Gründung der Henry-Kissinger-Professur für internationale Beziehungen und Völkerrecht stößt in Deutschland allerdings auf starken Widerstand – weil Kissinger und das Völkerrecht angeblich nicht gut zusammenpassen.

In einem Beitrag von Irina Popova über die umstrittene politische Rolle Kissingers und die aktuelle Debatte über die Stiftungsprofessur in Bonn, heißt es bei Radio "Stimme Russlands" dazu: "Die ganze Debatte über die Kissinger-Professur begann bereits im letzten Jahr. Im Mai 2013 wurde vom Bundestverteidigungs- und vom Außenministerium das Vorhaben bekanntgegeben, die Stiftungsprofessur für Internationale Beziehungen und Völkerrecht an der Universität Bonn zu gründen. Dies sollte eine schöne Geste von der deutschen Seite anlässlich des 90. Geburtstags des prominenten amerikanischen Geopolitikers Henry Kissinger sein. Der damalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière bezeichnete Kissinger als einen „großartigen Staatsmann und brillianten Wissenschaftler“, den Deutschland zu seinem Jubiläum auf diese Weise würdigen wollte. Als seine Hauptverdienste sieht man Kissingers Bemühungen um Friedenspolitik, Entspannung, internationale Sicherheit und Abrüstung in der Zeit des Kalten Krieges an.

Tatsächlich ist Kissinger in der Politik nur acht Jahre lang tätig gewesen – von 1969 bis 1977 war er praktisch führend in der amerikanischen Außenpolitik. In der Amtszeit des Präsidenten Richard Nixon war Kissinger Nationaler Sicherheitsberater und parallel der Staatsekretär der USA. Das war übrigens das erste Mal, dass dieselbe Person beide Posten gleichzeitig innehatte. Unter Präsident Gerald Ford setzte Kissinger dann seine Karriere als Staatsekretär fort.

Nach 1977 bekleidete er dann zwar keinen Staatsposten mehr, er übte jedoch weiterhin einen erheblichen Einfluss auf die US-amerikanische Außenpolitik aus. Kissinger ist bis heute Mitglied im Council on Foreign relations und regelmäßiger Teilnehmer der Bilderberger-Konferenzen.

Kultfigur Kissinger überall gewürdigt

Derzeit ist Kissinger in politischen und diplomatischen Kreisen praktisch zu einer Kultfigur geworden. Wenn Henry Kissinger etwas sagt, dann hören alle zu. Kissinger erreichte beispielsweise Platz eins auf der Rangliste der einflussreichsten Intellektuellen der Welt, die 2001 von dem amerikanischen Richter und Rechtsgelehrten Richard A. Posner verfasst wurde. Kissinger war auch die erste Person, die 2009 von der Münchner Sicherheitskonferenz mit dem Ewald-von-Kleist-Preis ausgezeichnet wurde. Seit über 30 Jahren leitet Kissinger seine international anerkannte Beratungsfirma Kissinger Associates.

In Russland wird Henry Kissinger übrigens ebenfalls ziemlich gewürdigt und gilt auch dort als Klassiker der Geopolitik. So wurde er zum Beispiel 2013 zum Ehrendoktor der Diplomatischen Akademie des Außenministeriums der Russischen Föderation ernannt. Zur Verleihung dieses Titels gratulierte Präsident Putin Henry Kissinger persönlich. Kissinger sei praktisch sein ganzes Leben lang in der Weltpolitik und im diplomatischen Dienst gewesen, sagte Putin 2013 dem ehemaligen amerikanischen Nationalen Sicherheitsberater. Putin versicherte Kissinger, er habe viele Freunde in Russland – auch unter den Veteranen der russischen Außenpolitik –, die seine Einschätzung der politischen Lage in verschiedenen Weltregionen immer mit großer Aufmerksamkeit verfolgen. Kissinger sagte seinerseits, er besuche Russland bereits seit 50 Jahren. Die Zeiten ändern sich zwar, aber die Notwendigkeit einer ausgebauten Zusammenarbeit zwischen Russland und den USA wird mit der Zeit nur stärker.

Deutschland hat bereits eine Tradition in der Würdigung von Kissinger entwickelt. 1998 wurde er zum Ehrenbürger von Fürth, der Stadt in Bayern, in der er geboren wurde. 2006 erhielt Kissinger den Bayerischen Verdienstorden, 2007 die Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg. Was die Bundesregierung und die Universität Bonn mit ihrer Initiative jetzt erreichen wollen, ist, wie es offiziell heißt, die sicherheits- und verteidigungspolitische Debatte in Deutschland dauerhaft zu beflügeln. „Die außerordentlichen Leistungen Henry Kissingers auf den Gebieten der Diplomatie, Strategie und der transatlantischen internationalen Beziehungen“ sollten eben zu dieser Debatte und zur generellen Forschung beitragen.

Weltstaatsmann oder Kriegsverbrecher?

Das Projekt der zu Ehren Kissingers derart benannten Stiftungsprofessur in Bonn hat jedoch eine andere Debatte beflügelt: die Debatte um die Person Kissinger selbst. Die Initiative ist in Deutschland auf deutlichen Widerstand gestoßen. Kissinger und das Völkerrecht passen nicht zusammen, erklären zahlreiche Kritiker. Dem ehemaligen US-Außenminister werden Verbrechen gegen die Menschheit konkret vorgeworfen.

Die nach dem Ende des Kalten Krieges veröffentlichten Dokumente warfen ein neues Licht auf Kissingers Rolle in vielen internationalen Konflikten. Während des Vietnam-Kriegs spielte Kissinger beispielsweise eine Schlüsselrolle bei der Bombardierung des neutralen Kambodscha in 1969-1970 – Operation MENU. Das Ziel dieser Operation war es, die auf kambodschanischem Gebiet vorhandenen Stützpunkte der Nationalen Front für die Befreiung Südvietnams (Vietkong) und die Stellungen der Vietnamesischen Volksarmee zu zerstören und auf diese Weise Truppentransporte nach Nordvietnam zu unterbinden. Als Folge waren etwa 40000 Menschen ums Leben gekommen. Der danach erfolgte Eingriff der USA in den kambodschanischen Bürgerkrieg hat dann zusammen mit der Bombardierung nicht zuletzt zur Machtübernahme der maoistisch-nationalistischen Guerillabewegung Rote Khmer geführt, die einen beispiellosen Massenmord in Kambodscha begangen hat. Auch die Unterstützung der völkerrechtswidrigen Invasion und Besetzung Osttimors durch das indonesische Militär 1975 lässt die Figur Kissingers in einem eher negativen Licht erscheinen.

Die zweite Region, in der die Rolle Kissingers höchst umstritten ist, ist Lateinamerika. Kissinger wird vorgeworfen, an den Verbrechen der Militärjunta in Chile und Argentinien beteiligt gewesen zu sein. Besonders umstritten ist seine Rolle beim Putsch in Chile 1973, als Washington den künftigen chilenischen Diktator Augusto Pinochet unterstützt hat. Ein weiteres Problemthema ist der „schmutzige Krieg“ in Argentinien und die Operation „Condor“. Es kam in diesem Zusammenhang bereits zu mehreren gerichtlichen Vorladungen in verschiedenen Ländern, denen Kissinger jedoch nie gefolgt ist.

Starker öffentlicher Widerstand und Debatte über Völkerrecht

Aufgrund dieser zweideutigen und manchmal eindeutig negativen Rolle Kissingers wurden bereits einige öffentliche Initiativen gestartet, um die Errichtung der Kissinger-Stiftungs-Professur zu verhindern. Die „Initiative Zivile Uni Bonn“ ist beispielsweise mit einer Online-Petition aufgetreten, die bisher etwa 1000 Unterzeichner gegen die Kissinger-Professur bekommen hat. Neben der moralischen Fragwürdigkeit der Person Henry Kissinger erweckt die Tatsache weitere Bedenken, dass der Lehrstuhl hauptsächlich vom Bundesverteidigungsministerium finanziert wird. Dies geschieht zum ersten Mal in der deutschen Geschichte. Vorher wurden nur Forschungsprojekte und die zwei Bundeswehruniversitäten in München und Hamburg direkt vom Verteidigungsministerium finanziert. Auch mehr als hundert Wissenschaftler sind mit einem offenen Brief gegen die Professur aufgetreten, weil sie eine Professur für Völkerrecht unter dem Namen Kissinger für nicht tragbar halten. Somit hat diese Debatte eine bundesweite Ebene erreicht und könnte sehr positiv zu einer größeren Debatte um die Rolle des Völkerrechts in der heutigen Welt beitragen."

Quelle: Text Irina Popova - „Stimme Russlands"

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