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Bundesarbeitsgericht: Crowdworker war Arbeitnehmer

Archivmeldung vom 01.12.2020

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 01.12.2020 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott
Bundesarbeitsgericht
Bundesarbeitsgericht

Foto: Christoph Hoffmann
Lizenz: CC-BY-SA-2.0-de
Die Originaldatei ist hier zu finden.

Wer über eine Internetplattform angebotene, oft kleinteilige Arbeitsaufträge erledigt, wird als sogenannter Crowdworker beschäftigt. Nach einer Studie der Europäischen Kommission sollen bereits rund 5 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland auf diese Weise nebenberuflich tätig sein und sich so einen Zuverdienst sichern. Das Bundesarbeitsgericht hat nunmehr entschieden, dass Crowdworker Arbeitnehmer sein können und damit den Schutz des Arbeitsrechts genießen.

Prof. Dr. Michael Fuhlrott, Arbeitsrechtler und Professor an der Hochschule Fresenius, erläutert die Entscheidung. Das moderne Pendant zu dem klassischen Solo-Selbständigen, der als Subunternehmer ohne eigene Mitarbeiter Pakete ausliefert, ist in Zeiten moderner Arbeitsformen der sogenannte Crowdworker, der über eine Internetplattform vermittelte Aufgaben und Projekte bearbeitet.

Oftmals handelt es sich dabei um Aufgaben von geringer Komplexität wie zum Beispiel Preisvergleiche, Adressrecherchen oder Testen von Apps. "Der Crowdworker ist dabei regelmäßig über eine Rahmenvereinbarung mit einer Internetplattform vertraglich verbunden. Dort kann er sich mittels App um Einzelaufträge bewerben. Bekommt er einen Auftrag auf seine Bewerbung hin zugeteilt, muss dieser binnen kurzer Zeit erledigt werden. Nach erfolgreicher Bearbeitung wird eine Vergütung auf dem Nutzerkonto gutgeschrieben, die später ausgezahlt werden kann", erläutert Prof. Dr. Michael Fuhlrott die Ausgestaltung derartiger Regelungen.

Kein Urlaub, kein Kündigungsschutz, keine Lohnfortzahlung

Eigene vertragliche Bindungen mit den eigentlichen Auftraggebern, also den Kunden der Vermittlungsplattform, hat der Crowdworker dabei zumeist nicht. Es besteht weiterhin keine Pflicht, in einem bestimmten Umfang tätig zu werden. Der Crowdworker kann daher auswählen, wann und ob er Aufträge annimmt. Danach soll der Crowdworker als Selbständiger tätig sein. "Der Schutz des Arbeitsrechts, insbesondere Kündigungsschutz, bezahlter Urlaub oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall standen dem Crowdworker bislang damit nicht zu", so Fuhlrott. Damit der Schutz des Arbeitsrechts greift, muss das Beschäftigungsverhältnis als Arbeitsverhältnis qualifiziert werden. "Für Arbeitnehmer prägend ist insbesondere die persönliche Abhängigkeit, die sich durch eine Weisungsgebundenheit und Eingliederung in die betrieblichen Abläufe und Organisation kennzeichnet", erklärt der Arbeitsrechtler.

Bundesarbeitsgericht: Ausreichende persönliche Abhängigkeit

Eine solche Eingliederung sah das Bundesarbeitsgericht in seiner heutigen Entscheidung (Urt. v. 1.12.2020, Az.: 9 AZR 102/20) im Ergebnis in der Vergangenheit als gegeben an. Damit bejahte es letztinstanzlich den Arbeitnehmerstatus eines Crowdworkers. Dieser hatte sich auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses berufen und sich gegen eine Kündigung des Rahmenvertrags durch die Internetplattform mittels Kündigungsschutzklage zur Wehr gesetzt. Er berief sich dabei auf die faktische Eingliederung und den Druck zum Tätigwerden, der durch die Einbindung in das Netzwerk entstehe.

Mit dieser Argumentation war der Crowdworker indes noch vor den Vorinstanzen (ArbG München, Urt. v. 20.2.2019 - 19 Ca 6915/18 und LAG München, Urt. v. 4.12.2019 - 8 Sa 146/19) erfolglos, die dessen Kündigungsschutzklage abgewiesen hatten. Das Bundesarbeitsgericht machte heute deutlich, dass die notwendige Betrachtung der persönlichen Abhängigkeit unter Vornahme einer Gesamtbetrachtung erfolgen müsse. Diese streite im konkreten Fall für eine persönliche Abhängigkeit - und damit für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses. "Crowdworking-Plattformen werden damit ihr bisheriges Geschäftsmodell so nicht fortsetzen können", denkt Fuhlrott. Ganz erfolgreich war der Crowdworker im Ergebnis nur deswegen nicht, da das Arbeitsverhältnis durch eine spätere vorsorgliche Kündigung der Vermittlungsplattform geendet hatte.

Änderungen der bestehenden Gesetzeslage wahrscheinlich

Auch wenn der konkrete Fall damit höchstrichterlich geklärt ist, scheint das letzte Wort in dieser Sache noch nicht gesprochen, meint Fuhlrott. "Insbesondere Gewerkschaften war der fehlende arbeitsrechtliche Schutz von Crowdworkern ein Dorn im Auge. Durch die aktuelle Entscheidung dürfte der Druck auf den Gesetzgeber zum Tätigwerden aber geringer werden", so der Hamburger Arbeitsrechtler. Die Entscheidung zeige zudem, dass das über 100 Jahre alte Bürgerliche Gesetzbuch und die in jahrzehntealte durch die Rechtsprechung entwickelte Definition des Arbeitnehmerbegriffs weiterhin aktuell sei. Sie sei in der Lage, selbst moderne Arbeitsformen adäquat zu erfassen.

Bundesarbeitsministerium plant gesetzlichen Schutz

Das Bundesarbeitsministerium hat zudem am 27.11.2020 - noch vor dem aktuellen Urteil - ein neues Eckpunktepapier zu "Fairer Arbeit in der Plattformökonomie" veröffentlicht, das den Schutz von Crowdworkern stärken soll. Hiernach sollen diese unter anderem in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden, Zugang zur Unfallversicherung haben, bestimmte Mindestkündigungsfristen geschaffen werden oder eine Beweisverlagerung bei Prozessen zur Klärung des Arbeitnehmerstatus eingeführt werden. "Die Sache ist also bereits auf der politischen Agenda", glaubt Fuhlrott. Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Professor für Arbeitsrecht an der Hochschule Fresenius in Hamburg sowie Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei FHM Rechtsanwälte.

Quelle: Hochschule Fresenius (ots)

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