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Dringender Reformbedarf im Vatikan

Archivmeldung vom 15.02.2013

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 15.02.2013 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Vatikan: Blick vom Petersplatz über die Piazza Retta auf die Fassade des Petersdomes
Vatikan: Blick vom Petersplatz über die Piazza Retta auf die Fassade des Petersdomes

Foto: Lora Beebe
Lizenz: GFDL
Die Originaldatei ist hier zu finden.

Derartig viel Zuspruch wie für die Ankündigung seines Rücktritts wegen nicht mehr reichender Kräfte erntete der Papst in seinem Pontifikat selten. Der Münsteraner katholische Theologe und Sozialethiker Prof. Karl Gabriel erwartet keinen kirchenpolitischen Kurswechsel. Reformbedarf bestehe aber bei der Organisation des Heiligen Stuhls, bei der Priesterweihe für Frauen und beim Pflichtzölibat, so Prof. Gabriel.

Ist der Rücktritt die größte Reform, die Benedikt XVI. der Kirche hinterlässt? Sein Schritt könnte Nachfolgern die Tür für ein ähnliches Verhalten öffnen...

Prof. Karl Gabriel: Ich denke, dass dies ein wichtiger Aspekt dieses Rücktritts ist. Das ist eine sehr mutige Tat. 800 Jahre hat es gedauert, bis wieder ein Papst freiwillig aus dem Amt scheidet. In der Gegenwart wird dieses Problem aber immer drängender. Die medizinischen Möglichkeiten der Lebensverlängerung zum Beispiel sind so gravierend, dass es der faktischen Rücktrittsmöglichkeit eines Papstes unbedingt bedurfte.

Angekündigt hatte der Papst einen möglichen Rücktritt aus Gesundheitsgründen zwar schon in seinem jüngsten Buch, dennoch bleibt er eine Überraschung. Musste Benedikt Widerstände überwinden?

Prof. Gabriel: Das glaube ich eigentlich nicht. Es ist ihm gelungen, diese Entscheidung in einer Weise zu vollziehen, dass er seine Umgebung überrascht hat. Es ist ihm während seines Pontifikats im Management vieles missglückt, aber dieser Rücktritt ist ihm geglückt - hat damit, wenn man so will, viele Pannen wiedergutgemacht.

War der Papst nach den Skandalen um vertuschte Missbrauchsfälle und Vatileaks zermürbt?

Prof. Gabriel: Ich denke schon, dass das eine Rolle gespielt hat. Es wird zwar kein unmittelbarer Anlass gewesen sein, aber doch die Last des Amtes noch verstärkt haben. Bemerkenswert ist, dass Benedikt eine deutlich andere Lösung gewählt hat als sein Vorgänger Johannes Paul II, der sein Leiden in der letzten Phase seines Amtes noch als öffentliches Glaubenszeugnis genutzt hat. Hier geht Benedikt einen anderen Weg, weil er eben auch nicht der Charismatiker ist wie sein Vorgänger.

Ein Rücktritt angesichts schwindender Kräfte wirkt auf eine weltliche Art rational. Ist mit so viel Rationalität auch beim Blick auf die päpstliche Unfehlbarkeit zu rechnen?

Prof. Gabriel: Nun, das ist ein weites Feld. Für mich gehört zu den positiven Merkmalen des Pontifikats Benedikts XVI., dass er als Theologe und Intellektueller zwei Dinge ins Zentrum gerückt hat: Zum einen, dass Glaube und Vernunft nicht auseinanderfallen dürfen, sondern sich wechselseitig befruchten und kontrollieren müssen. In diesem Sinne bilden sie eine Einheit. Und zum zweiten der Gedanke, dass der Gott des Christentums ein Gott der Liebe ist. In beiden Punkten wollte Benedikt das Christentum im Vergleich zu den anderen Weltreligionen profilieren. In einem nicht geringen Maße ist ihm dies auch gelungen.

Bleibt der Papst ein Machtfaktor etwa bei der Wahl seines Nachfolgers?

Prof. Gabriel: In einem formellen Sinne kann er kein Machtfaktor sein, weil er als über 80-Jähriger nicht mehr in das Konklave einzieht, das den neuen Papst wählt. Es ist aber nicht auszuschließen, dass er im informellen Bereich die Papstwahl in seinem Sinne zu beeinflussen sucht. Ich wünsche es ihm nicht.

Wie groß ist nach fast 30 Jahren Johannes Paul II. und sieben Jahren Benedikt XVI. und der entsprechenden Ausrichtung des Konklave die Chancen auf einen "Reformpapst"?

Prof. Gabriel: Nach dem tiefgreifenden Umbruch des Zweiten Vatikanischen Konzils Anfang der 60er-Jahre saßen in der Tat sehr lange zwei "Bewahrer" auf dem Heiligen Stuhl. Man muss also in der Tat eher damit rechnen, dass sich auch die von ihnen ernannten Kardinäle eher als Bewahrer denn als Erneuerer sehen. Andererseits haben wir bereits die Erfahrung gemacht, dass auch ein Papst, der unter ganz anderen Vorzeichen gewählt wurde, neue, den Erwartungen zuwiderlaufende Wege einschlug - wie das etwa für Johannes XXIII. galt. Man kann also nicht ausschließen, dass ein Papst, der als konservativ gilt, im Amt entdeckt, dass die Katholische Kirche zentraler Neuerungen bedarf.

Kann eine autoritäre, und unter Benedikt noch stärker zentralisierte Kirche den Dialog mit dem Zeitgeist führen?

Prof. Gabriel: Nach außen ist das eher kein Problem, nach innen ist dies in Bezug auf den Spielraum und die Vielfalt für derartig hoch zentralisierte Organisationen schon wesentlich schwieriger. Unter den beiden letzten Päpsten nahm der Zentralismus tatsächlich erheblich zu. Das hat Johannes Paul II. aber nicht daran gehindert, zentrale Weichenstellungen der Weltpolitik mitzugestalten. Nicht zuletzt, weil er zur Kommunikation mit der Außenwelt befähigt war wie kaum ein Zweiter.

Offenbart der Umgang katholischer Würdenträger beispielsweise mit Missbrauchsopfern eine gefährliche Distanz zur Lebenswirklichkeit der Gläubigen?

Prof. Gabriel: Es gibt eine erhebliche Distanz zur Lebenswirklichkeit der Gegenwart. Auch, weil Bischöfe in der Regel sehr abgeschottet leben; weil deren Gemeinden beim Besuch des Bischofs oft ein geschöntes Bild ohne die problematischen Facetten zeigen. Dazu kommt ein Kirchenverständnis, das sehr stark auf die institutionelle Sicherheit und den Schutz der Kirche konzentriert ist. Der skandalöse Umgang mit den Missbrauchsopfern war eine Folge der defensiv-beschränkten Denkweise, wonach die Kirche nicht befleckt werden dürfe.

Derart defensives Denken prägt auch andere Positionen: Würde die katholische Kirche ihre Glaubwürdigkeit verlieren, wenn sie etwa die Position räumt, das Priesterverbot für Frauen leite sich aus urchristlichen Traditionen her?

Prof. Gabriel: Aus meiner Sicht nicht. Ein solcher Schritt würde aber die Schwierigkeit der katholischen Kirche als einer Organisation aufzeigen, die sich sehr stark auf Traditionen beruft. Es wäre also notwendig, eine theologische Brücke zu finden, die die Priesterweihe als quasi schon immer im Christentum angelegtes Phänomen beschreiben könnte.

Würde eine mehr historische Betrachtung helfen? Indem man zwar konstatiert, dass Frauen zu Jesu Zeiten in religiösen Dingen keine Rolle spielen durften, dies aber nicht als Handlungsanweisung für alle Zeiten zu verstehen...

Prof. Gabriel: Ich fürchte, das Verständnis der Zeitbedingtheit biblischer Aussagen allein reicht nicht. Denkt man etwa daran, auf welchem Wege die katholische Kirche den Durchbruch zur Religionsfreiheit geschafft hat, zeigt sich, dass sie der theologischen Brücke bedarf. Vor 150 Jahren hatte der Vatikan zu dieser Frage eine direkt entgegengesetzte Haltung als auf dem Zweiten Vatikanum. Der Positionswechsel gelang ihr, weil man nachweisen konnte, dass die Päpste die Religionsfreiheit an sich nie abgelehnt hatten, sondern lediglich den Säkularismus - die europäische Form der Ablehnung jeglicher Religion. So etwas ähnliches bedarf es auch in den Fragen der Ordination von Frauen und der Abschaffung des Pflichtzölibates. Letzteres wäre sicherlich das deutlich leichtere Vorhaben für die katholische Kirche.

Knapp die Hälfte aller katholischen Gläubigen lebt in Lateinamerika. Ist die Zeit reif für einen Papst aus Südamerika oder auch aus Afrika?

Prof. Gabriel: Ich vermute, dass sich das Konklave nach zwei nicht-italienischen Päpsten entweder auf einen Italiener oder einen profilierten Kardinal aus Lateinamerika oder Afrika einigt. Letzteres wäre sicher ein Fortschritt für die katholische Kirche. Für die Frage, was er schafft oder nicht schafft, sind die Nationalität oder Hautfarbe des Papstes allerdings unerheblich.

Was hat Benedikt XVI. geschafft und nicht geschafft?

Prof. Gabriel: Ein negativer Punkt ist, dass es ihm nicht gelungen ist, in die schwierige, undurchsichtige Organisation des Vatikans Ordnung hineinzubekommen. Es wäre dringend nötig, im Vatikan ein normales Regierungsgeschäft zu installieren - etwa über ein regelmäßig tagendes Kabinett, das durchschaubare Entscheidungen fällt. An der Spitze der katholischen Kirche besteht dringender Reformbedarf. Für die Deutschen ist sicher enttäuschend, dass der deutsche Papst keine Fortschritte bei der Ökumene geschafft hat - in der zweiten Hälfte seines Pontifikats auch nicht schaffen wollte. Hier hat er eine historische Chance nicht genutzt. Zur Negativbilanz zählt auch die Verdunkelung des Verhältnisses zur Moderne insgesamt, die durch die Annäherung des Papstes an die Pius-Brüder eintrat. Es war unbegreiflich, dass diese hartnäckigen Leugner des Zweiten Vatikanischen Konzils und seiner Öffnung zur Welt ihm so am Herzen lagen. Das hat Zweifel daran aufkommen lassen, wie er es mit dieser Wende des zweiten Vatikanums wirklich hält.

Das Interview führte Joachim Zießler

Quelle: Landeszeitung Lüneburg (ots)

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