Kritische Richter und Staatsanwälte: Was Margaretha Sudhof zur Maskenbeschaffung wirklich geschrieben hat
Karl Lauterbach (SPD), der seit Dezember 2021 Bundesminister für Gesundheit (BMG) war, hatte Margaretha Sudhof (SPD) beauftragt, die Maskenbeschaffung durch seinen Vorgänger Jens Spahn (CDU) zu überprüfen. Markig verkündete er, man werde der Sache auf den Grund gehen und dabei keinen Stein auf dem anderen lassen. Seit Januar 2025 liegt der 168 Seiten starke Bericht fertiggestellt vor. Darüber berichtet Manfred Kölsch vom Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte (KRiStA).
Kölsch weiter: "Als der Bericht nicht fristgerecht kam, wurde darüber spekuliert, man wolle die Wahl von Jens Spahn zum Fraktionsvorsitzenden der CDU-Bundestagsfraktion nicht durch für ihn nachteilige Umstände bei der Maskenbeschaffung erschweren. Solche Überlegungen verstärkten sich, nachdem bekannt geworden war, dass der Bericht von Frau Sudhof der seit Mai 2025 amtierenden neuen Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) vorlag, diese jedoch zunächst nicht bereit war, ihn dem Bundeshaushaltsausschuss vorzulegen.
Dem öffentlichen Druck nachgebend behandelte Gesundheitsministerin Warken den Bericht nicht weiter als Verschlusssache. Sie legte dem Haushaltsausschuss jedoch nur eine in weiten Teilen geschwärzte Version vor. Statt den lesbaren Inhalt des Gutachtens zu diskutieren, wurde gefragt, ob die umfangreichen Schwärzungen zulässig seien, und spekuliert, welche Passagen denn geschwärzt worden sein könnten. Frau Warken hat ein Glaubwürdigkeitsproblem, weil sich ihre Begründung für die Schwärzungen (Schutz von Persönlichkeitsrechten) als haltlos erwiesen hat, nachdem eine ungeschwärzte Version jetzt veröffentlicht wurde.
Es wurde behauptet, Karl Lauterbach sei nicht befugt gewesen, Ermittlungen gegen seinen Amtsvorgänger einzuleiten. Jens Spahn selbst erklärt das Gutachten (bevor er seinen Inhalt zur Kenntnis nehmen konnte) zur unmaßgeblichen Meinung einer Einzelperson. Er übersieht, dass sich der Bundesrechnungshof (BRH) in zwei umfangreichen am Sachverhalt orientierten Berichten vom 16.06.2021 und 28.03.2024 und das Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte (KRiStA) in Beiträgen vom 04.08.2024, 15.01.2025 und 15.04.2025 (schwerpunktmäßig die Maskenbeschaffung tangierenden Rechtsfragen betreffend) damit befasst haben. Frau Sudhof widerspricht nicht den Erkenntnissen des BRH in dessen Berichten. Im Gegenteil – sie baut ihr Gutachten auf den Stellungnahmen des BRH auf.
Sie hat jedoch auch ergänzende Erkenntnisse zu Tage gefördert, die wegen geänderter Faktenlage erst nach der letzten Stellungnahme des BRH bekannt wurden (z. B. zu den Schiedsgerichtsverfahren, den geschlossenen Vergleichen, zu einzelnen mit Firmen geschlossenen Verträgen und den Regresserwägungen). In einem von der FAZ am 02.07.2025 mit der Überschrift „Auftragsgutachten zum Nachtreten“ gekennzeichneten Leserbrief heißt es: „Herr Lauterbach und Frau Sudhof (haben) dem öffentlichen Interesse nach unparteiischer Aufklärung (…) einen schlechten Dienst“ erwiesen. Bundeskanzler Merz meint, einer Verwertbarkeit des Gutachtens stehe entgegen, dass Jens Spahn nicht angehört worden sei. Hier ist anzumerken, dass Jens Spahn bereits in Presse und Fernsehen vielfach Gelegenheit gehabt hat, seine Sicht zur Maskenbeschaffung darzulegen. Sinngemäß lautet seine gebetsmühlenartig vorgebrachte Vorwärtsverteidigung: „Wir waren damals in einer äußersten pandemischen Notsituation. In einer solchen Katastrophe sind andere Maßstäbe anzulegen. Kleinere Fehler passieren. Ich würde jedoch im Großen und Ganzen alles wieder so machen. Wir müssen in die Zukunft schauen und für die nächste Pandemie Vorbereitungen treffen.“ Das ist auch der Tenor dessen, was Gesundheitsministerin Warken dem geschwärzten Gutachten als Lese- und Interpretationshilfe für den mündigen Bürger beigefügt hat.
Es gibt nach alledem öffentlichen Lärm, der von der Jens Spahn zuzuschreibenden Verschleuderung von Steuergeld in Milliardenhöhe ablenkt. Der Versuch, hier eine sachorientierte Besprechung nachzuholen, kann sich in dem vorgegebenen Rahmen nur auf ausgewählte Schwerpunkte des Gutachtens von Margaretha Sudhof beziehen.
Ausgaben in Höhe von mehreren Milliarden Euro ohne gesundheitspolitischen Wert
Es fragt sich, ob wirkliche, faktenorientierte Aufarbeitung der Maskenbeschaffung durch Abbrennen von Nebelkerzen ersetzt werden soll. Es ist nachvollziehbar, wenn bestimmte begründete Feststellungen von Frau Sudhof interessengerichtet unter der Decke gehalten werden sollen. Dazu könnte folgende Wertung zählen: „Die Maskenbeschaffung ist augenscheinlich ein Fall von Versagen aufgrund von Nichtrationalität des öffentlichen Auftraggebers“ (S. 131). Frau Sudhof meint mit dem öffentlichen Auftraggeber den damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn persönlich mit seinen sich selbst überschätzenden isolierten Entscheidungen. Mit der Entscheidung „des Bundesministers, dass das BMG ab dem 09.03.2020 über die Bemühungen der Beschaffungsämter des Bundes hinaus, selbst PSA (PSA = Persönliche Schutzausrüstung; Anm. d. Verf.) beschaffen werde, wurden ineffiziente und zum Teil auch ineffektive Maßnahmen in Gang gesetzt, die Mittel im Umfang von über 11. Mrd. Euro vertraglich gebunden haben“ (S. 33 f.).
Die 11 Milliarden Euro sind allerdings entgegen der Ansicht von Frau Sudhof nicht nur „vertraglich gebunden“ worden. Bei den 11 Milliarden Euro handelt es sich um Steuergelder, die durch „ineffiziente“ und „ineffektive Maßnahmen“ rechtswidrig von Jens Spahn größtenteils vernichtet worden sind. Frau Sudhof nimmt Bezug auf den Bericht des BRH vom 16.06.2021, S. 7, in dem es heißt: „Der Mittelansatz war hier nicht nur ineffizient, weil die PSA vielfach bis heute nicht zur Pandemiebekämpfung eingesetzt wurde.“ Auf S. 9 fährt Frau Sudhof dann wie folgt fort: „Weniger als ein Drittel (1,7 Milliarden; Anm. d. Verf.) der angeschafften Schutzmasken (…) wurden in Deutschland verteilt. (…) Damit wurde letztlich nur ein Bruchteil der Ausgaben für die PSA-Beschaffung wirksam für die Pandemiebekämpfung eingesetzt.“ Diese Ansicht teilt der BRH nicht. Dieser stellt fest, dass wegen des Verwaltungschaos im BMG nicht festgestellt werden könne, wie viele Masken genau in Deutschland verteilt, an wen sie gegangen und zu welchem Zweck sie von den Empfängern genutzt worden sind. Ein Großteil der verteilten Masken wurde von den Bundesländern wegen Mängeln zurückgegeben. Sie kamen schon deswegen nicht zum Einsatz. Die nicht verteilten Masken sind vernichtet worden oder stehen vor der Vernichtung, was Frau Sudhof nur eine beiläufige Bemerkung wert ist. Nach alledem stellt der BRH in seinem Bericht vom 28.03.2024, S. 46, zutreffend dezidiert fest: Die angeschafften Masken sind „ohne Nutzen für die Pandemiebekämpfung und damit ohne gesundheitspolitischen Wert“ gewesen.
Verwaltungschaos im BMG
Gleich zu Beginn ihrer Ausführungen startet Frau Sudhof mit einem für den die Zusammenhänge kennenden Betrachter auf den ersten Blick unverständlichen, überschwänglichen Lob: „Bei allen notwendigen Untersuchungen und Analysen muss jedoch eines zweifelsfrei attestiert werden, nämlich dass alle in der Pandemie involvierten Akteurinnen und Akteure der Bundesministerien, aber auch der nachgeordneten Dienststellen, jenseits der persönlichen Rücksichtnahme Unvorstellbares leisten mussten und geleistet haben. Diese Frauen und Männer sind dabei, teilweise auch während der Lockdowns mit entsprechenden Passierscheinen, tagtäglich, trotz Familien zuhause, in ihren Büros (ob zuhause oder in den Diensträumen) erschienen und haben dabei weit über jegliche Arbeits- und Ruhezeiten hinaus ihren Beitrag geleistet. Die hier unternommenen Recherchen und Gespräche haben dies immer wieder beeindruckend bestätigt“ (S. 4 f.).
Unverständlich auf den ersten Blick, weil der BRH 2024, S. 25 ff., für die Arbeit im BMG feststellte, dass keine fortlaufenden Akten geführt und Schreiben ohne Aktenzeichen erstellt und abgelegt wurden, ohne den Zusammenhang festzuhalten, aus dem sie entstanden waren. Welche Stellen und Ebenen im BMG bzw. welche Dritte daran beteiligt waren, sei nicht ersichtlich. Die regelmäßig vorkommenden Besprechungen mit externen Dienstleistern seien nicht dokumentiert, Ergebnisse mündlicher Absprachen nicht in Vermerken niedergelegt worden. Eine nachvollziehbare Vergabedokumentation für PSA-Beschaffungen fehle. Alle Beschaffungen seien wortgleich und ausnahmslos als dringlich bezeichnet worden. Sie führten alle an, dass der jeweilige Anbieter als einziger die Waren zu diesem Zeitpunkt und in dieser Menge habe liefern können. Diese unzutreffenden, formularmäßigen Vergabebegründungen seien anonym verfasst und ließen deshalb nicht erkennen, dass sie von Dritten, an dem Beschaffungsvorgang überhaupt nicht Beteiligten, stammten. Fehlende laufende Seitenzahlen böten die Gelegenheit, jederzeit Unterlagen hinzuzufügen oder zu entnehmen. Sämtliche Dokumente seien nachträglich mit dem unbegründeten Vermerk: „VS-Nur für den Dienstgebrauch“ versehen und damit den sich aus dem Informationsfreiheitsgesetz ergebenden Auskunftsansprüchen entzogen worden. Hier liege ein gravierender Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG vor. Danach und auch nach § 12 Abs. 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien hätten die Mitarbeiter des BMG die Pflicht zur objektiven Dokumentation des wesentlichen Ablaufs verwaltungsinterner Maßnahmen, damit verwaltungsintern und auch durch Dritte eine Überprüfung sachgerecht durchgeführt werden könne.
Der BRH beschreibt die chaotischen Verwaltungszustände im BMG ungeschminkt. Frau Sudhof umschreibt die Verstöße gegen die Dokumentationspflicht vorsichtig wie folgt: „Die einschlägigen Verwaltungsvorgänge des BMG befinden sich derzeit in einem nicht der Aktenführung einer Obersten Bundesbehörde entsprechenden Zustand“ und relativiert zugleich ihre Ausführungen: „Im Lichte dessen muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Inhalte, Sachverhaltsrekonstruktionen und Schlussfolgerungen dieses Berichts auf den zur Verfügung gestellten Unterlagen basieren (…). Von vergleichbaren Erfahrungen hatte bereits der Bundesrechnungshof berichtet“ (S. 2 f.). Einwände gegen ihr Gutachten sollen ins Leere laufen, wenn sie schreibt: Der Bericht „basiert auf den bis dahin vorliegenden Erkenntnissen und Unterlagen. Aufgrund der Lücken in den Unterlagen und auch der Chronologie können spätere Erkenntnisse nicht ausgeschlossen werden. Alle Feststellungen dieses Berichts stehen unter diesem Vorbehalt“ (S. 5).
Es gibt angesichts der chaotischen Verwaltungszustände im BMG Zweifel, ob das Lob von Frau Sudhof derart überschwänglich ausfallen musste. Entlastet werden die Mitarbeiter des BMG von einer alleinigen Verantwortung für den herrschenden chaotischen Verwaltungszustand auf jeden Fall, wenn der persönliche Beitrag des damaligen Bundesgesundheitsministers Jens Spahn in den Blick genommen wird.
Jens Spahn hintergeht die mit den Beschaffungsämtern verabredete Logistik
Unter Verstoß gegen Verfassungsgrundsätze und zwingende Gesetzesregeln hat Jens Spahn in drei verschiedenen Verfahren – Open-House-Verfahren (OHV) (S. 73 ff.), Tender-Verfahren (S. 96 ff.) und Logistic-Sourcing (S. 69 ff.) – den Einkauf von Masken ohne öffentliche Ausschreibung organisiert. Von diesen wird hier nur das OHV besprochen.
Frau Sudhof konnte nicht feststellen, warum die Entscheidung für ein Open-House-Verfahren (OHV) zur Maskenbeschaffung im März 2020 überhaupt getroffen wurde (S. 73). Sie hat aber erkannt, dass selbst die Mitarbeiter des BMG überrascht waren, dass Jens Spahn entgegen den mit dem BMI bzw. dessen Beschaffungsamt getroffenen Absprachen hinter deren Rücken im Alleingang tätig wurde. So besprach Spahn z. B. in Telefonaten vom 07. und 08.03.2020 (S. 58) mit dem ihm persönlich bekannten Logistikunternehmer Fiege Rahmenbedingungen für Maskenlieferungen und forderte ihn zur Abgabe von Angeboten auf. (Jens Spahn in einem Spiegel-Interview vom 26.03.2021, zitiert nach Sudhof, S. 64).
Jens Spahn begründete sein Unterlaufen der erst wenige Tage zuvor entschiedenen Übertragung der logistischen Abwicklung der Maskenbeschaffung auf die Beschaffungsämter des Bundes „mit dem fehlenden Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Beschaffungsämter des Bundes“ (S. 37). Dabei übergeht er, dass er auch behauptet hat, die Firma Fiege werde beauftragt, weil sie ein fertiges Logistikkonzept habe. Das ist eine interessengerichtete Falschbehauptung. Erst jetzt, nach der Veröffentlichung einer ungeschwärzten Variante von Frau Sudhofs Arbeit, wurde erkennbar, dass die beratend beigezogene Firma EY das Transportunternehmen DHL zur „Bewältigung der Logistikanforderungen“ hinzuzog, weil die Firma Fiege die angebotenen Anlieferungen „logistisch nicht bewältigen“ konnte. Die jetzt ungeschwärzt vorliegenden Seiten des Gutachtens zeigen auch mit aller Deutlichkeit, dass nicht nur das Beschaffungsamt vor der Vergabe an die Firma Fiege gewarnt hat. Aus dem eigenen Haus wurde Jens Spahn vergeblich ersucht, eine Vergabe an die Firma Fiege zu unterlassen. Aus der zuständigen Abteilung 1 des BMG wurde darauf hingewiesen, dass im BMG die Expertise und die notwendigen Kapazitäten für die erforderlichen Logistikaufgaben fehlten. Es wurde ergänzend erfolglos empfohlen, die Erfahrung der Beschaffungsbehörden des Bundes in Anspruch zu nehmen (S. 40).
Auf Dauer ließ sich nicht verheimlichen, dass Jens Spahn hinter dem Rücken der anderen Beteiligten des Corona-Krisenstabes eigenmächtig der logistischen Aufgabe eine von der getroffenen Vereinbarung abweichende Richtung gegeben hatte. Um die von Jens Spahn ausgelöste Vertrauenskrise zu bereinigen, einigten sich BMI und BMG nach zahlreichen Verhandlungen wie folgt: Für 85 % der anzuschaffenden Masken sollten die von Jens Spahn ausgewählten Logistiker zuständig sein, für die restlichen 15 % soll die vereinbarte Logistikabwicklung über das Beschaffungsamt gelten. Das Beschaffungsamt blieb, offensichtlich das Chaos im BMG voraussehend, dennoch bei seiner Ablehnung der von Jens Spahn ausgewählten Logistiker. Es wurde deswegen vom BMI angewiesen: „Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass es sich bei diesem Vorgehen insgesamt um eine politische Entscheidung handelt, die ich Sie hiermit bitte umzusetzen.“ Margaretha Sudhof schätzt, dass für die von Jens Spahn vorgenommene Beauftragung der Firma Fiege die Lagerung und Verteilung der bis zum Beginn des OHV angeschafften Masken „vielleicht noch handhabbar“ (S. 66) gewesen wäre. Sie ergänzt: „Jedoch löste die Entscheidung des damaligen Bundesministers, zusätzlich noch das sog. Open-House-Verfahren durchzuführen, eine Lieferflut aus, die nicht mehr handhabbar war. (…) All das führte zum vollständigen Kollaps der Logistikketten und löste diverse Folgeprobleme aus, die teilweise bis heute anhalten“ (S. 66).
Unsinnige Standards bei der Preisgestaltung
Mit dem OHV wurden von Jens Spahn wirtschaftlich unsinnige Standards zum Lieferanreiz gesetzt. Nach dem OHV muss allen Bietern der Zuschlag erteilt werden, die die formalen Voraussetzungen erfüllen. Ohne Hinweis auf eine maximale Stückzahl konnte folglich der Bieter die Menge der von ihm zu liefernden Masken bestimmen. Es gab nicht nur keine Mengenbegrenzung, sondern die Zuschlagserteilung war auch nicht von zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln abhängig gemacht worden. Eine Qualitätskontrolle der zu liefernden Masken war zunächst nicht vorgesehen, was zu massiven Abwicklungsproblemen führte. Der Bieter musste die FFP2-Masken nur bis zum 30.04.2020 zu dem von Jens Spahn festgelegten Preis von 4,50 € netto = 5,35 € brutto liefern.
Für einen am 21.04.2020 von Jens Spahn persönlich (S. 43, Anm. 51) der Firma EMIX Trading GmbH erteilten Auftrag über 100 Mio. Stück FFP2-Masken wurde von ihm ein Stückpreis von sogar 5,40 € zugestanden (S. 45 f.). In einer nachträglich im März 2021 gefertigten Vorlage des BMG an den Haushaltsausschuss wird unzutreffend (näher dazu im Folgenden) behauptet, dieser Preis sei noch marktgerecht gewesen. Vorweg ist zu bemerken, dass Jens Spahn diesen Auftrag erteilt hat in Kenntnis der Überschwemmung mit Masken aus dem OHV. Für diese 100 Mio. Masken bestand überhaupt kein Bedarf, weil aus dem OHV bis zum 10.04.2020 Maskenverträge in Höhe von ca. 6,4 Milliarden Euro abgeschlossen worden waren. Spätestens Ende März 2020 stand die Logistik des BMG wegen des nicht mehr beherrschbaren Maskeneingangs vor dem Kollaps.
Die im BMG zuständige Fachebene hatte einen durchschnittlichen Marktpreis für FFP2-Masken von 2,83 € netto ermittelt und deshalb einen Nettopreis von 2,90 € für attraktiv gehalten. Frau Sudhof hält ex post Erklärungen von Jens Spahn, wonach der von ihm persönlich im OHV festgelegte Preis marktgerecht gewesen sei, für nicht überzeugend. Die Fachabteilung im BMG habe die Marktpreise zum maßgeblichen Zeitpunkt sorgfältig und abgestimmt ermittelt. Das ist ihre und auch die Auffassung des BRH. In diesem Zusammenhang weist Frau Sudhof nachvollziehbar darauf hin, dass in den am 15.04.2020 im Tender-Projekt abgeschlossenen Rahmenverträgen für eine FFP2- oder vergleichbare Masken nur 0,91 € bezahlt werden musste (S. 99). Nicht nur dieser Vergleich, sondern auch die Marktreaktion spricht für die zutreffende Preisermittlung durch die Fachebene des BMG. Wegen des weit über dem Marktpreis von Jens Spahn im Alleingang bestimmten Maskenpreises von 5,35 € brutto wurde die Generalzolldirektion (GZD) von der Anzahl der Angebote geradezu erdrückt. Am 31.03.2020 (sechs Tage nach dem Beginn des OHV) empfahl deshalb die GZD die Beendigung des OHV. Wie berechtigt die Empfehlung war, belegen die 873 der GZD an diesem Tag vorliegenden Anträge. Die GZD ergänzte gegenüber dem BMG, dass am 01.04.2020 bereits zuschlagspflichtige Angebote in Höhe von ca. 800 Mio. Euro vorlägen. Nach einer mehrere Tage dauernden Prüfung der Rechtslage durch die eingeschaltete Anwaltskanzlei wurde die Angebotsfrist in einer Art Notbremse auf den 10.04.2020 (ursprünglich 30.04.2020) verkürzt. Bis zum 10.04.2020 waren die Angebote auf über 1000 angewachsen. Zum 10.04.2020 wurden nach Auskunft der GZD 738 Verträge aus dem OHV mit einem Volumen von 6.430.048.060,49 € abgeschlossen (S. 87).
Externe Unternehmen sollen es richten
Die Masse der allein im OHV georderten Masken führte für sich schon zu einem nicht mehr beherrschbaren Arbeitsanfall. Verstärkt wurde der Arbeitsdruck noch durch die eigenmächtige, absprachewidrige Initiative von Jens Spahn, die Logistik durch das BMG betreiben zu lassen.
Schon Ende März/Anfang April 2020 war erkennbar, dass – wie vom Beschaffungsamt vorausgesagt und den Mitarbeitern des BMG Jens Spahn gegenüber vergeblich verdeutlicht – die Abteilung 1 im BMG mangels administrativer Ausstattung und operativer Vorerfahrung von der Situation gänzlich überrollt wurde. Wegen dieser völligen Überforderung des im BMG zuständigen Teams wurde zu dessen Unterstützung die Beratungsgesellschaft EY mit der Aufarbeitung und Dokumentation der „Altprozesse“ beauftragt. Am 09.04.2020 übersandte EY eine Änderungsvereinbarung, auf deren Grundlage ab dem 07.04.2020 „alle operativen Aspekte der Beschaffungsaktivitäten des BMG an einen Berater ‘outgesourced’“ wurden (S. 105). Der Vertrag konnte als Dringlichkeitsvergabe nur bis zum 17.11.2020 laufen und wurde für die Zeit danach im Wettbewerb neu ausgeschrieben und anschließend erneut vergeben. Stand Juli 2024 sind für die schon 5 Jahre dauernde externe Betriebsführung Kosten in Höhe von ca. 119 Mio. Euro angefallen (S. 109). Frau Sudhof empfiehlt, die nun schon 5 Jahre laufende externe Beauftragung mit Kernaufgaben der öffentlichen Verwaltung (Aktenführung, Rechnungslegung, Haushaltsanmeldung, Steuer- und Zollangelegenheiten etc.) sofort zu beenden und die Aufgaben in das BMG zurückzuverlegen. Die Ursache für diese Kosten hat Jens Spahn gesetzt. Sie wären jedenfalls nicht in der angefallenen Höhe entstanden, wenn, wie ursprünglich vereinbart, das Beschaffungsamt die die Maskenbeschaffung betreffende Logistik übernommen hätte. Ohne dass Frau Sudhof darauf eingeht, wäre im Rahmen der Maskenbeschaffung auch zu prüfen, ob nicht der von Dezember 2021 bis Mai 2025 als Gesundheitsminister amtierende Karl Lauterbach gegen seine Pflicht zur sparsamen Haushaltsführung verstoßen hat.
Die umfangreiche Problematik der gesetzwidrig ohne Bedarf durch Jens Spahn erfolgten Überbeschaffung bleibt im Gutachten Sudhof ausgeblendet. Die Kosten allein für diese Lagerhaltung haben sich bis Ende 2024 auf mehr als 517 Millionen Euro summiert (Bericht des BRH an den Bundeshaushaltsausschuss; zitiert nach FAZ vom 08.07.2025, S. 1). Weil Frau Sudhof die Problematik der Lagerhaltung ausblendet, vermeidet sie auch eine Bewertung der Mitverantwortung Karl Lauterbachs für die bereits entstandene und weiter entstehende Belastung des Bundeshaushalts.
Eine Erfolgskontrolle der einen dreistelligen Millionenbetrag kostenden Arbeiten der Beratungsfirma hat offensichtlich nicht stattgefunden. Anlass zu dieser Annahme gibt die Tatsache, dass sowohl der BRH 2024 als auch Frau Sudhof trotz der Ausgabe von 119 Mio. Euro an Beratungskosten während der Erstellung ihres Gutachtens einen weiter bestehenden chaotischen Zustand der Verwaltung im BMG beklagt haben.
Kein Bedarf an Masken und fehlende Dringlichkeit für deren Anschaffung
Schon am 05.03.2020 wurde das BMG aufgefordert, einen Verteilmechanismus für die beschafften Masken festzulegen und dabei anzugeben, welche Stellen Masken erhalten sollten, welche bei der Verteilung priorisiert werden müssten und mit welchen Mengen. Zahlreiche weitere von Frau Sudhof vermerkte Aufforderungen (S. 56–68) an das BMG, mitzuteilen, wer, wo und in welcher Menge Masken benötigte – auch mit dem ergänzenden Hinweis, dass ansonsten eine praktische Umsetzung des Logistikkonzepts unmöglich sei –, blieben unbeantwortet. Der BRH folgert aus dem Verhalten des BMG, dass es keine Abnehmer kannte, die dringend Masken benötigten. Die Annahme einer Dringlichkeit für die Maskenbeschaffung scheidet deshalb für den BRH aus. Mangels Dringlichkeit stellt die Beschaffung der Masken im OHV, dem Tender-Verfahren und dem Logistic-Sourcing ohne vorherige Ausschreibung einen groben Verstoß gegen das Vergaberecht dar. Die für eine Vergabe ohne Wettbewerb erforderlichen Voraussetzungen (unvorhergesehene Ereignisse oder äußerst dringliche und zwingende Gründe) lagen zu keinem Zeitpunkt vor.
Frau Sudhof widerspricht dem BRH nicht, ergänzt jedoch dessen Bericht auf den Seiten 41, 54 und 69 f. ihres Gutachtens gemäß den nachfolgenden zusammenfassenden Ausführungen.
Das OHV wurde am 08.04.2020 beendet, weil die Logistikbemühungen des BMG mangels Expertise und wegen der Lieferflut von Masken durch die Anschaffung des 20- bis 22-fachen der allein für dringlich angesehenen Anzahl von Masken vor dem „völligen Kollaps“ stand. Das BMG war durch tägliche Mitteilungen der GZD über die Entwicklung des OHV genauestens informiert. Im BMG war deshalb auch bekannt, dass nach Beendigung des OHV am 08.04.2020 für die am 10.04.2020 und 24.04.2020 dennoch geschlossenen Verträge im Volumen von 537 Mio. Euro überhaupt kein Bedarf mehr, geschweige denn Dringlichkeit, vorlag. Selbstverständlich gilt dies auch für die Beschaffung am 04.06.2020 im Volumen von 1,43 Mio. Euro. Gleiches gilt für das oben besprochene Maskengeschäft mit EMIX vom 21.04.2020 über 100 Millionen Masken. Frau Sudhof erklärt dazu vorsichtig: „Ein konkreter noch zu bedienender Bedarf an PSA kann jedoch nur als schwierig bewertet werden …“ (S. 41). Im Rahmen der Beschaffung des sog. Logistik-Sourcing wurden nach dem 05.05.2020 mit vier Unternehmen noch Verträge im Wert von über 43 Mio. Euro abgeschlossen, „deren Bedarfe und Grundlage angesichts der vorliegenden Unterlagen fraglich bleiben“ (S. 69).
Ausgaben des mehr als 20-fachen der bewilligter Masken
Einem anderen Aspekt der Maskenbeschaffung und dem Agieren von Jens Spahn in diesem Zusammenhang ist Frau Sudhof nicht mit der erforderlichen Konsequenz nachgegangen:
Gemäß einer Bund-Länder-Vereinbarung vom 29.3.2020 und des Corona-Kabinetts vom 30.03.2020 wurde unter Beteiligung von Jens Spahn dem Bund entgegen der föderalen Struktur des Grundgesetzes erlaubt, zur Unterstützung der Länder, Krankenhäuser und Arztpraxen 75 Millionen PfH-Masken (FFP2, KN95, N95) und 200 Millionen Mund-Nasen-Schutzmasken (MNS-Masken) anzuschaffen. An diese Vereinbarung hat sich Jens Spahn nicht gehalten. Er hat, wie auch Frau Sudhof feststellt, das 20- bis 22-fache dieser genehmigten Masken angeschafft. Er hat die Vertreter von Bund und Ländern sowie die Mitglieder des Corona-Kabinetts nicht darüber aufgeklärt, dass er im Zeitpunkt der Vereinbarung (29./30.03.2020), ohne dafür nach dem Grundgesetz zuständig zu sein, schon seit dem 09.03.2020 das Vielfache der erst zeitlich danach bewilligten Menge Masken eingekauft hatte. Schon Ende März 2020 war absehbar, dass das OHV wegen der Masse der Angebote aus dem Ruder lief.
In der Bund-Länder-Vereinbarung vom 29.03.2020 wurde zusätzlich vereinbart, dass die Länder von der festgelegten Maskenmenge 85 % und der Bund 15 % der entstehenden Kosten tragen sollten. Von Einhaltung dieser sich ausschließlich auf die bewilligten 75 Millionen PfH- und die 200 Millionen MNS-Masken beziehenden Kostenverteilung gingen nicht nur alle Beteiligten, sondern auch das BMF in seinem Schreiben vom 20.04.2020 und der Haushaltsausschuss in einem Schreiben vom 21.04.2020 aus. Deshalb gingen sie von einer nur geringen Belastung des Bundeshaushalts aus. Dieser Irrglaube wurde durch Schweigen des BMG gefördert. Das BMG verschwieg, dass es schon bis 21.04.2020 (Ende des OHV) das 22-fache an PfH- und das 20-fache an MNS-Masken (S. 9) eingekauft hatte mit einem von Frau Sudhof ermittelten Verpflichtungsvolumen von ca. 11 Milliarden Euro (allein aus dem OHV bis zu dessen Ende am 10.04.2020 über 6,4 Milliarden Euro).
Ausgaben aus einem nie existierenden Haushaltstitel
Im Rahmen des sog. Tenderverfahrens (S. 96–102) erörtert Frau Sudhof auch die Bemühungen um die „Nationale Reserve Gesundheitsschutz“ (NRGS). Hintergrund war dabei der Vorsorgegedanke. Man ging davon aus, dass im Falle einer neuen Epidemie kurzfristig der Bedarf an medizinischer Schutzausrüstung steigen würde. Vorausschauend wurde deshalb mit der Bereinigungsvorlage vom 22.11.2020 im Kapitel 1503 des Bundeshaushalts vorsorglich ein neuer Titel 684 06 mit einem Haushaltsansatz von 750 Millionen Euro vorgemerkt.
Zur Verwirklichung der NRGS kam es jedoch bis jetzt nicht. Für die Verabschiedung des erforderlichen „Gesundheitssicherstellungs- und Vorsorgegesetzes“ bedarf es unstreitig einer Grundgesetzänderung. Die dafür erforderliche Mehrheit kam nicht zustande. Dass deshalb der angedachte Haushaltstitel nicht existierte, war dem BMG bekannt. Daran kann auch deswegen kein Zweifel bestehen, weil das BMF alle von dem BMG gestellten Anträge auf Freigabe der 750 Millionen Euro aus dem Kapitel 1503 Titel 683 06 wegen des dazu fehlenden Ausführungsgesetzes abgelehnt hat. Anfang Februar 2021 drängte das BMG die gebildete interministerielle Steuerungsgruppe zur Verwirklichung der NRGS zur Festlegung des Zeitpunkts, wann die projektierten 750 Millionen Euro verwendet werden könnten. Dabei wurde seitens des BMG darüber getäuscht, dass es zu diesem Zeitpunkt bereits über den gesamten Betrag von 750 Millionen Euro verfügt hatte. Frau Sudhof zitiert nach dem BRH 2024, S. 34, aus einem Schreiben des BMG vom 21.01.2021 an das Beschaffungsamt, in dem es heißt: „Die Zahlungen sind zuerst aus dem Titel 684 06 (dem NRGS-Titel, Anm. d. Verf.) zu leisten, sollte dieser ausgeschöpft sein, so leisten Sie bitte weitere Zahlungen aus Titel 684 03 (dem Corona-Titel, Anm. d. Verf.)“ (S. 100). Entsprechend dieser Anweisung wurde über 99,9 % der 750 Millionen Euro verfügt.
Die mit einem weiteren Täuschungsmanöver verbundene Ausgabe von 750 Millionen Euro stellt einen verfassungswidrigen Eingriff in die föderale Struktur des Grundgesetzes und eine Verletzung des Budgetrechts des Parlaments dar. Jens Spahn hat es zu verantworten, wenn seitens des von ihm geleiteten Ministeriums ohne gesetzliche Grundlage vorgegangen worden ist unter zusätzlichem Verstoß gegen §§ 3 und 45 Bundeshaushaltsordnung (BHO).
Zahlreiche von dem jetzigen Fraktionsvorsitzenden der CDU-Bundestagsfraktion zu verantwortende Verfassungs- und Gesetzesverstöße anlässlich der Maskenbeschaffung werden von Frau Sudhof in ihrem Gutachten herausgearbeitet. Insofern bestätigt das Gutachten Sudhof den BRH und die Veröffentlichungen bei KRiStA. Täuschungsmanöver von Jens Spahn an entscheidenden Stellen der Entwicklung werden von Frau Sudhof bestätigt. Es ist schwer erträglich, wenn ein Politiker weiterhin eine herausgehobene Stellung im politischen Geschehen bekleidet, der nicht vor den geschilderten Täuschungsmanövern zurückschreckt, zugleich uneinsichtig ist gegenüber dem von ihm verursachten Schaden in Milliardenhöhe und vor allem offensichtlich kein Gespür dafür entwickelt, dass er, statt das Vertrauen in den Rechtsstaat zu stärken, dieses unterhöhlt."
Quelle: Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte (KRiStA)