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Schweiz: Gerichtsurteile stehen im Spannungsverhältnis zur HIV-Prävention

Archivmeldung vom 26.09.2009

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 26.09.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Laut Strafrecht macht sich ein HIV-positiver Mensch strafbar, der durch ungeschützte sexuelle Kontakte die Verbreitung von Aids riskiert - auch wenn die andere Person freiwillig mitmacht und von der Erkrankung weiß. Damit bürden die Gerichte die Verantwortung für die Aids-Prävention oft einseitig den HIV-positiven Menschen auf. Zu diesen Ergebnissen kommt eine vom Schweizerischen Nationalfonds geförderte Studie.

Ein HIV-positiver Mensch, der über ungeschützte sexuelle Kontakte die Übertragung des Virus auf einen anderen Menschen riskiert und so dessen Erkrankung an Aids in Kauf nimmt, macht sich aufgrund der Strafgesetzbuch-Artikel 122 ff. (Körperverletzung) und 231 (Verbreitung gefährlicher Krankheiten) strafbar. Im letzten Jahrzehnt haben die gerichtlichen Verurteilungen solcher Fälle zugenommen; hinsichtlich ihrer Anzahl steht die Schweiz zusammen mit Schweden und Österreich im europäischen Vergleich an der Spitze.

Die beiden Juristen Kurt Pärli (Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften) und Peter Mösch Payot (Hochschule Luzern) haben nun - unterstützt vom Schweizerischen Nationalfonds und in Kooperation mit der Aids-Hilfe Schweiz - die im Zusammenhang mit HIV und Aids von kantonalen Gerichten und vom Bundesgericht gefällten Strafurteile ausgewertet. Von 1990 bis heute kam es in insgesamt 39 Fällen zu 51 Strafurteilen. 36 Fälle betrafen die Übertragung von HIV durch ungeschützte sexuelle Kontakte, die fast alle freiwillig erfolgten. Auffällig ist, dass 31 der untersuchten Fälle heterosexuelle und nur fünf homosexuelle Kontakte betrafen.

Gerichte machen HIV-Positive einseitig verantwortlich

Bei insgesamt 21 der 39 untersuchten Fälle kam jeweils Art. 231 StGB (Verbreitung gefährlicher Krankheiten) zum Tragen. Diese Verurteilungen erfolgen - anders als bei den Körperverletzungsdelikten - auch dann, wenn die ungeschützten sexuellen Kontakte von beiden Personen freiwillig und im Wissen um den HIV-positiven Status des einen Sexualpartners stattfinden.

Kurt Pärli und Peter Mösch Payot stellen fest, dass die Gerichte bis vor kurzem die zum Teil sehr geringe Wahrscheinlichkeit, sich über einmalige ungeschützte sexuelle Kontakte anzustecken, bei der Urteilsfindung nur beschränkt berücksichtigten. Bemerkenswert ist aber, dass die neuen medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten, die eine HIV-Infektion unter bestimmten Voraussetzungen höchst unwahrscheinlich machen, in ersten Urteilen zu Freisprüchen geführt haben, so etwa im Kanton Genf.

Autoren empfehlen Streichung des StGB-Artikels 231

Die heutige Rechtspraxis führt aus Sicht der Autoren zur Diskriminierung HIV-positiver Menschen, weil diese auch in Fällen, in denen beide Sexualpartner um den positiven HIV-Status des einen Partners wissen, einseitig für eine mögliche Ansteckung verantwortlich gemacht werden. Damit widerspricht die Rechtspraxis der schweizerischen Aids-Präventionspolitik und deren Botschaft, dass beide Sexualpartner gleichermassen verantwortlich sind. Sie ermuntert HIV-positive Menschen nicht, mit ihrem Gesundheitszustand offen umzugehen, sondern verleitet sie dazu, diesen zu verbergen.

Bei den Fällen, in denen Art. 231 StGB zum Tragen kam, betrug das Strafmass je nach Kanton zwischen zwei und vier Jahren Freiheitsstrafe. Kurt Pärli und Peter Mösch Payot stufen dieses Mass als zu hoch ein; zudem würden die föderalistisch bedingten Unterschiede der Strafen dem Grundsatz der Gleichbehandlung widersprechen. Sie empfehlen, Art. 231 StGB - international gesehen eine Besonderheit des schweizerischen Strafrechts - zu streichen. Sie gehen damit einen Schritt weiter als die Massnahmen, die im Rahmen der gegenwärtigen Revision des Epidemiegesetzes diskutiert werden. Diese sehen nur eine Abschwächung des besagten Artikels vor.

Quelle: Schweizerischer Nationalfonds SNF

 

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