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100.000 Wirecardmails zeigen neue Dimension des Skandals

Archivmeldung vom 28.01.2021

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 28.01.2021 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott
Sitz der Wirecard AG in Aschheim (bei München), 2019
Sitz der Wirecard AG in Aschheim (bei München), 2019

Foto: Kaethe17
Lizenz: CC BY-SA 4.0
Die Originaldatei ist hier zu finden.

Mehr als einhunderttausend Emails aus der Wirecard-Führungsebene enthüllen brisante Details aus dem Inneren des inzwischen insolventen Zahlungsdienstleisters. Reporter von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung haben mehr als 200 Gigabyte Mails und weitere Dokumente ausgewertet.

Es bietet den bisher tiefsten Blick in das Herz jenes Konzerns, hinter dessen Türen sich einer der größten Wirtschaftsskandale der deutschen Geschichte abgespielt hat. Den Reportern wurden die Daten zugespielt - sie haben bei der Auswertung Spuren zu russischen Oligarchen gefunden, Unterlagen zu Konten und Kreditkarten für Ermittlungen des Bundeskriminalamtes, mit dem diese mutmaßliche Kriminelle überführen wollten sowie viele dubiose Geldflüsse. Nicht zuletzt enthüllen die Wirecard-Mails die Arbeit einer Vielzahl hochbezahlter Berater, die dazu beitrugen, dass sich der Konzern etwa über Jahre hinweg als Opfer von Leerverkäufern und einer orchestrierten Kampagne darstellen konnte. Allein 2019 veranschlagte Wirecard mehr als 40 Millionen Euro für diese wirtschaftlichen, juristischen und politischen Berater. So zeigt es zumindest ein Dokument, das Ende Juni 2020 alle bewilligten Ausgaben des Konzerns für das Geschäftsjahr 2019 auflistet, von gut 15.000 Euro für eine Aufsichtsratstagung im österreichischen Luxus-Spa ist da die Rede bis zu 20.000 Euro, die an den CDU Wirtschaftsrat überwiesen worden sein sollen - offenbar ein Mitgliedsbeitrag.

Die Unterlagen liefern auch einen Einblick in den "Freundeskreis" rund um den flüchtigen Wirecard-Vorstand Jan Marsalek, der von Krediten und Bürgschaften mithilfe der hauseigenen Wirecard-Bank mutmaßlich profitiert hat. Marsalek soll diese Geschäfte federführend eingefädelt haben. So stellen es jedenfalls zwei vertrauliche Prüfberichte heraus, die darauf hindeuten, dass vor allem Marsalek mit Partnerfirmen und langjährigen Geschäftsfreunden eine Art Geldkarussell organisiert hatte. Einer der geheimen Berichte stammt von der hauseigenen Revision der Bank. Das Manager-Magazin hatte zuerst über ihn berichtet. Der andere stammt von einer Kanzlei aus dem September 2020. Darin sollen sich auch bereits bestehende Vorwürfe gegen die Bankenaufsicht (Bafin) verdichten. Sie hätte demnach früher mitbekommen müssen, dass offenbar über Jahre hinweg fragwürdige Kredite und Bürgschaften vergeben worden waren. Jan Marsalek und weitere Verdächtige sollen die Wirecard Bank gezielt instrumentalisiert haben, um mutmaßlich Geld aus dem Konzern zu schleusen und auch die Umsätze auf Gruppenebene zu manipulieren. Geld aus Darlehen der Wirecard Bank ist dabei mutmaßlich wieder zurück in andere Konzerngesellschaften geflossen.

Das Kontaktnetzwerk der Wirecard-Manager spannt einen weiten Bogen zwischen Kunden, die unter Geldwäscheverdacht stehen und wirtschaftlichen und politischen Eliten, die sie selbst oder ihre Berater zum Wohle Wirecards laufen ließen. Die Wirecard-Welt spielt in edlen Hotels am Tegernsee, in Berlin, auf den Seychellen oder Mauritius und zeigt, wie die Wirecard-Manager Teil eines Wirtschafts-Jetsets waren, der von Yachten, aus Flugzeugsesseln und in Hotel-Lobbys internationale Geschäfte anbahnte, abschloss und offenbar leichthändig Millionensummen freigab.

Wirecard war auch ein Honigtopf für viele Berater. Vor allem viele Ehemalige: Ein Ex-Geheimdienstkoordinator stand offenbar auf der Payroll von Wirecard, mit Karl-Theodor zu Guttenberg ein Ex-Bundesminister, ein Ex-Polizeichef aus Bayern und über eine PR-Agentur wurde mit Kai Diekmann offenbar auch ein ehemaliger Bildzeitungs-Chefredakteur für Wirecard tätig. Sie alle haben ihre lebenslang geknüpften, auch politischen Kontakte, für Wirecard genutzt. Und offenbar glaubten viele bereitwillig das Narrativ von Wirecard als Opfer übler Machenschaften von Leerverkäufern und Verleumdungen unseriöser Journalisten. Dies jedenfalls geht aus zahlreichen Emails hervor, die WDR, NDR und SZ vorliegen. Tatsächlich überdeckte dieses Narrativ bis zuletzt, bis zum vergangenen Juni, den Milliardenbetrug bei dem Zahlungsdienstleister, von dem so viele Strippenzieher und Berater über Jahre hinweg mit Gagen zum Teil in Millionenhöhe profitiert hatten.

Auch Karl-Theodor zu Guttenberg hat Wirecard mit seiner Firma Spitzberg Partners vier Jahre lang geholfen, selbst der Bundeskanzlerin Angela Merkel teilte er bei einem Treffen im Kanzleramt mit, dass der Dax-Konzern aus Aschheim den Markteintritt in China plane, was das Kanzleramt und die Botschaft in Peking durchaus wohlwollend unterstützten. Der Ex-Verteidigungsminister hatte sich über Jahre für Wirecard bei seinen Kontakten verwendet. Über seine Beratung hatte Guttenberg bereits Mitte Dezember vor dem Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestages ausgesagt. Auf die Frage eines Abgeordneten, ob er sich mit Kai Diekmann über Wirecard ausgetauscht habe, sagte er, er könne sich nicht erinnern. Er wisse es nicht, könne es nicht ausschließen, könne durchaus sein. "Ich weiß es nicht." Tatsächlich legen Mails und Terminpläne nahe, dass die beiden Mitte Januar an mindestens einer Besprechung gemeinsam teilnahmen. Der Ex-Bildchef Diekmann hatte im Zusammenhang mit der Wirecard-Leerverkaufsverbots-Initiative offenbar auch zwei Staatssekretäre im Wirtschafts- und Finanzministerium kontaktiert. Dem Wirecard-Chef Braun hatte Diekmann nach einer ersten Besprechung per Mail noch einmal ausdrücklich seine Hilfe angeboten: Der Austausch habe ihm großen Spaß gemacht.

Auch die beiden gut vernetzten ehemaligen Ministerpräsidenten Ole von Beust und Peter Harry Carstensen (beide CDU) wurden den Unterlagen zufolge im Interesse Wirecards aktiv. Dabei ging es um das Geschäftsfeld des Online-Glücksspielmarktes.

So tief der Einblick in die Wirecard-Welt ist, so unvollständig bleibt er: Neben dem üblichen Mailverkehr schuf sich das Unternehmen noch einen verschlüsselten Kommunikations-Kanal. Dabei griff man auf den von Russen gegründeten Messengerdienst Telegram zurück, von dem WDR, NDR und SZ auch Nachrichten vorliegen. Offenbar war die App gar auf den Firmenhandys vorinstalliert. Bei brisanteren Themen wechselte man Mails zufolge auf den Messengerdienst. So nutzten Marsalek und eine enge Vertraute den Kanal offenbar auch, um über die heiklen Kreditvergaben zu sprechen. Kurz vor Marsaleks Flucht, als sich die Schlinge immer mehr zuzog, Ermittler mehrerer Wirtschaftsprüfer verschwundene Milliarden in den Philippinen und einen Riesenbluff zutage geführt hatten, vertröstet Jan Marsalek via Telegram eine enge Vertraute: Wie immer sei alles nicht so einfach. Die Navy Seals würden schließlich auch sagen, dass der einzig einfache Tag gestern war.

Quelle: WDR Westdeutscher Rundfunk (ots)

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