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Rennsport: Geschwindigkeits-Rausch mit Vergangenheit

Archivmeldung vom 17.11.2012

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 17.11.2012 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Nachgestelltes antikes Wagenrennen in einem Themenpark
Nachgestelltes antikes Wagenrennen in einem Themenpark

Lizenz: Public domain
Die Originaldatei ist hier zu finden.

USA und Brasilien – noch zwei Rennen: Die Formel-1-Saison 2012 steuert ihrem Finale entgegen. Am 25. November wird der Kampf um den Weltmeistertitel auf der brasilianischen Rennstrecke von Interlagos entschieden. Dem Sieger wird der Pokal überreicht – ganz nach alter Tradition. Die Wurzeln des Rennsports reichen tiefer in unsere Kultur, als das moderne Medienspektakel vielleicht vermuten lässt. Professor Wolfgang Behringer, der an der Saar-Universität Geschichte der Frühen Neuzeit lehrt, hat die Kulturgeschichte des Sports erforscht. Er zeigt auf: Die Mischung aus Geschwindigkeit, Gefahr, Wettkampf und Geld hat die Menschen zu allen Zeiten fasziniert.

Welcher Sport hat gemessen an der Zahl der Zuschauerplätze weltweit die größten Stadien? Die Antwort ist überraschend eindeutig. „Acht Autorennbahnen und zwei Pferderennbahnen belegen heute die Spitzenplätze der Rangliste. Mit 250.000 Plätzen das weltweit größte Stadion ist der Rennkurs von Indianapolis, der Indianapolis Motor Speedway“, sagt Prof. Wolfgang Behringer. Der Saarbrücker Historiker hat die Kulturgeschichte des Sports von der Antike bis heute erforscht, darunter auch den Rennsport. „Der Motorsport ist keine olympische Disziplin, weil er zu groß ist für Olympia“, sagt er.

Diese enorme Beliebtheit erreichte der Rennsport schon im Altertum. Bereits um 4000 vor Christus traten im Vorderen Orient Wagenlenker in Streitwagen gegeneinander an. Im alten Griechenland waren Pferde- und Wagenrennen olympische Disziplin. In der Antike und der Spätantike gab es in griechischen, römischen und oströmischen Städten zahlreiche Rennbahnen. Auf der bekanntesten, dem Circus Maximus in Rom, konnten zu Cäsars Zeiten rund 150.000 Zuschauer die Wagen- und Pferderennen verfolgen: Das macht diese Stätte zu einer der größten Sportstätten aller Zeiten. Noch heute läge der Circus Maximus an zehnter Stelle.

Der Circus Maximus befand sich in unmittelbarer Nähe des kaiserlichen Palasts – ebenso wie das Hippodrom im antiken Konstantinopel: Kaiser Konstantin ließ die Rennbahn für rund 100.000 Zuschauer ausbauen. „Diese Zahlen und die Nachbarschaft zum Palast, die dem Kaiser wichtig war, sprechen für sich: Sie belegen den außerordentlichen Stellenwert des Rennsports. Der Kaiser wollte den Rennen jederzeit beiwohnen können“, sagt Behringer. „Die Mischung aus Gefahr, Geschwindigkeit und Geld zog schon damals die Menschen in ihren Bann. Der Rennsport war teuer. Eine Quadriga kostete so viel wie ein Formel 1-Wagen heute, nur die Reichsten konnten sich solch ein Hobby leisten. Zwei Wagen im Rennen hatte nur der römische Kaiser“, erklärt der Sporthistoriker. Auch gewettet wurde im großen Ausmaß und mit hohen Einsätzen. „Das gilt übrigens für alle Sportarten zu allen Zeiten“, sagt Behringer.

Der Rennsport versammelte so viele Menschen an einem Ort wie kaum ein anderes Ereignis. Entsprechend wuchs sein politischer Einfluss. Es bildeten sich rivalisierende Stadionparteien, Rennställe, die politische Macht hatten. Sie konnten die Massen mobilisieren. In Konstantinopel standen der Zirkuspartei des Kaisers andere Zirkusparteien seiner Gegner gegenüber. Aus den Schlachtenrufen beim Rennen im Hippodrom entwickelten sich blutige Aufstände, bei denen Zehntausende Menschen starben.

Was die Chancengleichheit angeht, scheint der Rennzirkus der damaligen Zeit sogar fortschrittlicher als die heutige Formel 1: Bei den Spielen im antiken Olympia sind in Inschriften auf Siegerstelen Frauen überliefert. „Dabei ist es nicht ausgeschlossen, dass Frauen selbst als Wagenlenkerinnen bei den Rennen angetreten sind. Es ist aber auch möglich, dass ihnen der siegreiche Wagen gehörte“, erläutert Behringer.

In der Renaissance erlebte auch der Sport nach antikem Vorbild eine Wiedergeburt. Er wandelte sich vom Kampf auf Leben und Tod zum Spiel. „Die Renaissance knüpfte an die Sportbegeisterung der Antike an. Auch Wagenrennen wurden wieder veranstaltet, zum Beispiel von Päpsten wie Pius II. oder Leo X. aus dem Hause Medici“, sagt Behringer. Pferderennen waren beliebt – auch außerhalb von Rennbahnen: Wie der Palio, das weltberühmte Rennen, das bereits seit dem Mittelalter in Siena ausgetragen wird, oder in Florenz: Hier mussten die Reiter ihre Geschicklichkeit beim Rennen durch die Straßenschluchten beweisen. „Englische Reisende berichteten dass es sich um ein großartiges Spektakel handelte, bemängelten aber, dass die Sicht so schlecht war“, berichtet er.

Auch im übrigen Europa waren Pferderennen weitverbreitet. In Deutschland wurden sie vor allem bei Volks- und Dorffesten ausgetragen. Wagenrennen dagegen waren hierzulande weniger populär.

Die Tradition des Siegerpokals reicht 500 Jahre zurück und stammt vielleicht aus Deutschland: Pokale waren damals echte Wertgegenstände, ein Preisgeld für den Sieger. „Pokale aus den Augsburger Silberschmieden waren in der damaligen Welt berühmt. Einige davon stehen zum Beispiel im Topkapi-Palast in Istanbul“, erklärt Professor Behringer.

Zur Sportgeschichte hat Wolfgang Behringer ein Buch veröffentlicht:

Kulturgeschichte des Sports. Vom antiken Olympia bis ins 21.Jahrhundert“ erschienen bei C.H. Beck, 2012, ISBN 978-3-406-63205-1

Prof. Dr. Wolfgang Behringer lehrt Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität des Saarlandes. Sein Arbeitsschwerpunkt ist die Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit. Zu den inhaltlichen Schwerpunkten seiner Forschung zählen europäische Frühe Neuzeit in vergleichender Perspektive, Klima und Umwelt, Verarbeitung von Krisenerfahrungen, Hexenforschung, Herausbildung der Nationalstaaten, Radikale Reformation, Städteforschung, Hofkultur, Kommunikations- und Mediengeschichte.

Quelle: Universität des Saarlandes (idw)

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