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Historiker erforschen systematisch Evakuierungen in Kriegszeiten

Archivmeldung vom 18.11.2014

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 18.11.2014 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Der sowjetische Kreuzer Kirov, in schützendem Rauch gehüllt, bei der Evakuierung von Tallinn
Der sowjetische Kreuzer Kirov, in schützendem Rauch gehüllt, bei der Evakuierung von Tallinn

Lizenz: Public domain
Die Originaldatei ist hier zu finden.

Evakuierungen im deutsch-französischen Grenzgebiet blieben lange Zeit von Historikern unerforscht. Geändert hat sich das ab dem Jahr 2011. Seitdem untersuchen saarländische und französische Forscher gemeinsam die Evakuierungen auf beiden Seiten, vor allem während des Zweiten Weltkrieges, gehen aber sowohl zeitlich wie auch geographisch darüber hinaus. Nun legen die Historiker einen ersten Forschungsband vor. Das Buch wird am 21. November vorgestellt.

Viele kennen Evakuierungen aus Erzählungen der Eltern und Großeltern: Vor und im Krieg wurde die Zivilbevölkerung ganzer Landstriche im Grenzgebiet ins Landesinnere umgesiedelt, nicht zuletzt, um der Armee ein Aufmarschgebiet bereitzustellen. So sind im Saarland und im benachbarten Frankreich zu Beginn des Zweiten Weltkrieges Hunderttausende Menschen umgesiedelt worden. Systematisch untersucht hat diese geplante Bevölkerungsbewegung bisher allerdings niemand.

Das haben Historiker aus Saarbrücken, Bochum, Tübingen und der Sorbonne in Paris nun geändert. Im Rahmen des Forschungsprojektes „Eine vergleichende Geschichte der Evakuierungen im deutsch-französischen Grenzgebiet während des Zweiten Weltkrieges“ legen sie nun einen ersten Forschungsband vor. Das Buch mit dem Titel „Evakuierungen im Europa der Weltkriege“ versammelt auf knapp 300 Seiten Beiträge französischer, polnischer, weißrussischer, kanadischer, britischer und deutscher Historiker, die sich schwerpunktmäßig mit dem deutsch-französischen Grenzgebiet während des Ersten Weltkriegs, der Zwischenkriegszeit und dem Zweiten Weltkrieg befassen. Hinzu kam auf französischer Seite noch die als „Exode“ bekannte Flucht der französischen Zivilbevölkerung 1940 vor den heranrückenden deutschen Truppen.

„Eine der Leitfragestellungen war dabei: Gehen totalitäre Regime wie das Dritte Reich anders mit der Bevölkerung um als republikanische Regime bzw. Demokratien wie die Dritte Französische Republik“, erläutert Professor Rainer Hudemann, der als Leiter des Forschungsprojekts an der Universität des Saarlandes und einer der fünf Herausgeber für den Band mitverantwortlich ist. Sein Mitarbeiter und Doktorand Nicholas Williams hat mehrere Aufsätze über die Evakuierungen an der Saar und in Lothringen verfasst und kommt zu dem Ergebnis: „Es gibt durchaus Unterschiede. Das Deutsche Reich plant zum Beispiel erst sehr viel später als Frankreich die zivile Evakuierung. Frankreich hat bereits im Ersten Weltkrieg einschlägige Erfahrungen auf seinem Gebiet und mit Evakuierungen gemacht. Deutschland hingegen hatte seit dem Einmarsch Napoleons bis auf kleinere, lokal begrenzte Ausnahmen keine Kriege mehr auf eigenem Territorium.“ Aus diesem Grund sorgt die nationalsozialistische Regierung anders als die französische zuallererst für die Sicherung der militärischen und wirtschaftlichen Ressourcen, bevor sie sich um die Zivilbevölkerung kümmert. Später setzt eine „Schubumkehr“ ein, wie Nicholas Williams es nennt: beide Seiten bringen zuerst die eigene Bevölkerung und dann die wirtschaftlich wichtigen Güter in Sicherheit. „Die Regierungen haben erkannt, dass es sinnvoll ist, erst einmal Platz zu schaffen, um dann geordnet die Ressourcen zu sichern. Alles andere war logistisch nicht machbar“, so Fabian Lemmes, ehemaliger Mitarbeiter von Rainer Hudemann, der nun als Juniorprofessor in Bochum – wie Johannes Großmann als Juniorprofessor in Tübingen – ebenfalls Projektleiter ist.

Die Forschungsbeiträge befassen sich aber nicht nur mit Evakuierungen im deutsch-französischen Grenzgebiet. Da das mehrjährige, internationale Forschungsprojekt erstmals systematisch Evakuierungen als eigenständige Form der Bevölkerungsverschiebung in Kriegszeiten untersucht, nimmt der Sammelband auch Evakuierungen in der Sowjetunion, in Bulgarien und auf dem Balkan genauer in Augenschein, um die Perspektive zu erweitern.

Bei dem Band handele es sich um eine erste Bestandsaufnahme des Themas, erläutert Rainer Hudemann. Das Projekt, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der französischen Agence Nationale de la Recherche unterstützt wird, läuft noch bis Ende 2015. Als Ergebnis sollen ein weitere Gemeinschaftsband sowie mehrere Monographien und Aufsätze erscheinen, die eine Vielzahl von Einzelthemen wie Kommunikationsströme während der Evakuierung oder auch ihrer wirtschaftliche Dimension in den Fokus nehmen, also zum Beispiel die Fragen, welcher Arbeit die Evakuierten nachgingen oder was mit Unternehmen passierte, die in evakuiertem Gebiet lagen.

Quelle: Universität des Saarlandes (idw)

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