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VW Skandal - Warnung an Geschädigte: Sammelklage birgt Kostengefahren für die Geschädigten

Archivmeldung vom 28.07.2016

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 28.07.2016 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott
Bild: Thorben Wengert / pixelio.de
Bild: Thorben Wengert / pixelio.de

Nachdem im VW-Skandal Millionen von Kunden betroffen sind, kam auch in Deutschland die Diskussion auf, Sammelklagen zu ermöglichen.

 Es drängten sich unterschiedliche Institutionen in den Vordergrund, die mit einer Interessenbündelung werben. Die Geschädigten sollen ihre Ansprüche an einen Rechtsdienstleister abtreten, der dann ohne Kostenrisiko für die Geschädigten klagt. Nur im Erfolgsfall soll eine Provision fließen. Bei einem Misserfolg sollen auf die Geschädigten selbst keine Kosten zukommen.

Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, die mehr als zwanzigtausend Geschädigte des VW-Skandals vertritt und berät, hat ein solches Konstrukt ebenfalls in Erwägung gezogen. Nach eingehender rechtlicher Prüfung kommt die Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH jedoch zu dem Ergebnis, dass eine solche konstruierte Sammelklage in Deutschland äußerst kritisch zu betrachten ist und erhebliche Kostenrisiken für die VW-Geschädigten in sich birgt.

Keine Sammelklagen im deutschen Recht vorgesehen

So wünschenswert die Interessenbündelung rechtspolitisch ist, in der Zivilprozessordnung (ZPO) ist sie nicht geregelt. Lediglich geschädigte VW-Aktionäre können ein Musterverfahren nach dem Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten (KapMuG) wie beispielsweise in dem bekannten Telekom-Fall durchführen.

Eine Sammelklage für Autokäufer, die Schadensersatz verlangen, sieht das deutsche Prozessrecht hingegen (bisher) nicht vor. Wenn Autokäufer gebündelt Ansprüche geltend machen wollen, bedarf es dazu rechtlicher Konstruktionen, um die Regelungen der ZPO umgehen zu können. Solche Konstruktionen bringen jedoch massive Risiken mit sich, sowohl für die VW-Geschädigten selbst als auch für den Rechtsdienstleister.

Sammelklagen gesetzes- und sittenwidrig und damit unzulässig

Verschiedene Gerichte haben sich bereits mit konstruierten "Sammelklagen" in Deutschland befasst.

So hielt das Landgericht Düsseldorf in seinem Urteil vom 17.12.2013, 37 O 200/09 (Zementkartell) eine kartellrechtliche Sammelklage auf Schadensersatz für unzulässig. In diesem Verfahren hatten die geschädigten Abnehmer eines Preisbindungskartells ihre Ansprüche an eine Gesellschaft belgischen Rechts abgetreten, damit diese Gesellschaft die Ansprüche gegen die Zementhersteller gebündelt geltend machen kann.

Das Landgericht Düsseldorf hielt diese Abtretungen für unwirksam, weil sie gesetzes- und sittenwidrig seien. Zum einen liege ein Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz vor. Zum anderen sei die Gesellschaft, an die die Ansprüche abgetreten wurden und die dann geklagt hatte, nicht in der Lage gewesen, die sehr hohen Prozesskosten bei einem Prozessverlust zu bezahlen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf bestätigte in seinem Urteil vom 18.02.2015, VI-U (Kart) 3/14 das Urteil des Landgerichts Düsseldorf. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht ist vom Kartellsenat des BGH zurückgewiesen worden (BGH, Beschl. v. 07.04.2009, KZR 42/08).

Auch das Oberlandesgericht Köln beschäftigte sich in seinem Urteil vom 11.03.2015, 13 U 149/13 mit einer "Sammelklage" geschädigter Fondsanleger. In dem dortigen Fall hatten Anleger eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegründet, an die sie ihre Ansprüche abgetreten haben. Das Oberlandesgericht Köln sah in dem dortigen Fall die Sammelklage als zulässig an. Das Gericht setzte sich jedoch ausführlich mit der Zulässigkeit der Sammelklage auseinander und sah diese nur deshalb als zulässig an, weil die Ansprüche endgültig abgetreten wurden. In einem weiteren Urteil vom 29.11.201, 20 U 130/13 3 hielt das Oberlandesgericht Köln eine "Sammelklage" für unzulässig.

Ob eine Rechtsdienstleister in der Lage ist, die Prozesskosten bei einem Prozessverlust zu tragen, ist fraglich. Geht man davon aus, dass für 100.000 Geschädigte geklagt werden soll, müsste der Rechtsdienstleister in der Lage sein, mindestens EUR 1 Mio. aufzubringen. Die Gefahr der Prozesstrennung ist dabei noch nicht berücksichtigt. Sollte das Gericht die einzelnen Verfahren abtrennen und aus dem einen 100.000 Prozesse machen, müsste der Rechtsdienstleister in der Lage sein bei einem jeweils geltend gemachten Schaden von EUR 5.000, ca. EUR 300 Mio. an gegnerischen Rechtsanwaltskosten aufzubringen. Es darf bezweifelt werden, dass dieser Betrag aufgebracht werden kann.

Aus der Sicht der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf ist daher eine solche Abtretung der Ansprüche nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig und nichtig. Damit wäre aber auch die Sammelklage erfolglos.

Gefahr der Prozesstrennung

Eine weitere Gefahr für den Sammelkläger ist, dass das Gericht eine Prozesstrennung vornimmt. Nach § 145 ZPO kann das Gericht anordnen, dass mehrere in einer Klage zusammengefasste Ansprüche getrennt verhandelt werden, wenn dies aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist. Im VW-Skandal muss für jedes einzelne Fahrzeug der Schadensersatzbetrag gesondert festgestellt werden. Einen pauschalen Schadensersatz zu begründen dürfte nahezu unmöglich sein.

So wird sich beispielsweise für ein Fahrzeug von Audi mit einem Wert von EUR 60.000.- ein anderer Schadensersatzbetrag ergeben als für ein viel gefahrenes gebrauchtes Fahrzeug von Skoda mit einem Wert von EUR 5.000. Wenn sich das Gericht dafür entscheidet, eine Prozesstrennung vorzunehmen, kann sich der Sammelkläger dagegen nicht zur Wehr setzen. Rechtsmittel dagegen gibt es in der ZPO nicht. Dadurch wird das Kostenrisiko exorbitant erhöht.

Die Anwalts- und Gerichtskosten werden dann für jede einzelne Klage in das Unermessliche steigen. Es darf bezweifelt werden, dass der Sammelkläger in der Lage ist, dieses Kostenrisiko aufzufangen.

Gefahr der Widerklage durch VW und damit Kosten für die Geschädigten selbst

Den VW-Geschädigten wird versprochen, dass keine Kosten auf sie zukommen durch den Prozess. Dies mag für die aktive Klage richtig sein, nicht bedacht wird aber offensichtlich die Gefahr einer sogenannten Drittwiderklage. VW hat in dem Prozess durch einen geschickten Schachzug die Möglichkeit, eine Gegenklage (Drittwiderklage) gegen die Geschädigten selbst zu erheben, die eigentlich gar nicht Teil des Prozesses sein sollten.

Das OLG München, 23 U 2275/15 hat entschieden, dass eine solche Drittwiderklage zulässig ist. Das OLG München begründet seine Entscheidung damit, dass der Schädiger nicht sicher sein kann, dass die Abtretung auch wirksam erfolgt ist. In einem solchen Fall könnte sich der Schädiger eines weiteren Prozesses (durch den VW-Kunden selbst) ausgesetzt sehen, wenn die Klage verloren geht.

Im VW Skandal bedeutet dies, dass VW auf die Klage des Sammelklägers dadurch reagieren könnte, dass sie jeden einzelnen Geschädigten VW Autokäufer mit einer Drittwiderklage überzieht. Selbst wenn der Sammelkläger dann gegen VW gewinnt, würde VW umgekehrt die Widerklage gewinnen. In diesem Fall müssten die Geschädigten selbst für die Kosten aufkommen, die sich schnell auf mehrere 1.000 EUR belaufen. Selbst wenn die Geschädigten dann Schadensersatz erhalten, würde dieser Betrag wieder durch die zu zahlenden Prozesskosten aufgefressen werden. Außerdem würden viele Geschädigte in ein Verfahren hineingezogen, mit welchen sie eigentlich gar nichts zu tun haben sollten.

Weitere Risiken

Es bestehen außerdem weitere praktische Risiken, die zur Folge haben können, dass ein solcher Mammutprozess kaum durchführbar ist oder sich zumindest jahrelang hinzieht. Bestreitet VW bereits die Abtretungen an den Dienstleister, muss das Gericht möglicherweise alle Geschädigten, die ihre Ansprüche abgetreten haben, laden und anhören.

Wenn beispielsweise für 100.000 Geschädigte eine Anhörung vor Gericht durchgeführt werden muss und das Gericht an einem Prozesstag in der Lage ist, 30 Anhörungen durchzuführen, bedürfte es mehr als 3.000 Prozesstage. Selbst wenn solche Anhörungen täglich durchgeführt werden würden, wäre dafür alleine ein Zeitaufwand von 10 Jahren notwendig. Bereits daran wird die praktische Durchführungen einer "Sammelklage" mit so vielen Beteiligten scheitern.

Ob ein Gericht außerdem für jedes Fahrzeug pauschal einen gewissen Betrag als Schadensersatz festsetzt, ist ebenfalls sehr unwahrscheinlich. Das Gericht müsste für jedes Fahrzeug eine eigene Schätzung vornehmen, was bereits aus zeitlichen Gründen sehr schwierig sein wird. Ob das Gericht den Schadensersatzbetrag überhaupt schätzen kann, ist prozessrechtlich ebenfalls nicht einfach zu beantworten. Hierzu bedürfte es aufwändiger Beweisaufnahmen, die sich ebenfalls mehrere Jahre hinziehen können.

Fazit

Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH hält es daher nicht für sinnvoll, sich derartiger Sammelklagen anzuschließen. Gerade im Hinblick auf die Gefahr der Drittwiderklage und des damit verbundenen Kostenrisikos für jeden einzelnen Geschädigten ist davor zu warnen, sich blind einer solchen Klage anzuschließen, ohne sich zuvor abgesichert zu haben. Solange es in Deutschland keine Sammelklage gibt, ist der einzig sinnvolle Weg, die Ansprüche in Einzelklagen, wie es das deutsche Prozessrecht vorsieht, durchzusetzen. Geschädigte, die das Kostenrisiko scheuen, müssen dann auf eine Klage verzichten und sich damit abfinden.

Quelle: Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (ots)

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