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Kernkraftwerk Brunsbüttel: Das zweite Forsmark?

Archivmeldung vom 18.08.2006

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 18.08.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Jens Brehl

Am 25. Juli 2006 ereignete sich im schwedischen Atomkraftwerk Forsmark ein Störfall. Eine genaue Aufklärung der Ursachen gibt es bis heute nicht. Laut unabhängigen Experten geht vom deutschen Kernkraftwerk in Brunsbüttel seit Jahren eine ähnliche Gefahr aus.

Am 3. August 2006 wurde der Störfall im schwedischen Atomkraftwerk Forsmark in Deutschland bekannt und bereits einen Tag später ließ das Deutsche Atomforum e.V. verlauten, daß dieser Störfall in deutschen Kraftwerken ausgeschlossen sei.

Wie kam es zu dem Vorfall in Forsmark? Die elektrischen Sicherheitsysteme von Block 1 des Siedewasserreaktors waren teilweise kollabiert. Erst nach einer Verzögerung von 22 Minuten konnten zwei Notstromdiesel manuell gestartet werden. In diesem gesamten Zeitraum fielen Teile der Reaktorüberwachung wie Messfühler, Bildschirme und Lautsprecher aus und somit fuhr der Reaktor 22 Minuten lang im Blindflug. Erste Untersuchungen ergaben, daß zwei Wechselrichter beschädigt waren, die für den Start der Dieselaggregate zuständig waren. Zu den Beschädigungen soll es bei Reparaturarbeiten gekommen sein, die einen Kurzschluß ausgelöst haben. Durch die Tatache, daß der Reaktor 22 Minuten blind gefahren wurde, ist eine komplette Aufklärung des Vorfalls eher fraglich.

Es ist leicht zu behaupten, daß dieser Vorfall nicht auf deutsche Kernkraftwerke übertragbar sei, denn jedes kommerzielle Kernkraftwerk auf der Welt unterscheidet sich in der Anlagen- und in der Sicherheitsleittechnik, es gibt keine komplett baugleichen Kraftwerke. Daher werden Zwischen- und Störfälle auch nie gleich ablaufen.

Wenn es um die Diskussion über Mängel in der Sicherheit geht, steht das Kernkraftwerk Brunsbüttel an erster Stelle, denn seit den achtziger Jahren bemängeln Experten die vergleichsweise zu anderen deutschen Kraftwerken defizitäre Sicherheitstechnik. Über Jahre hinweg konnten die Betreiber (heute gehört das Kraftwerk zu zwei Dritteln Vattenfall Europe und zu einem Drittel E.on) die Politik beschwichtigen.

Im Jahr 2002 jedoch sah es so aus, als käme Bewegung in die Angelegenheit und der Druck für eine grundsätzliche Revision und Neugestaltung der gesamten Sicherheitstechnik sei hoch genug. Auslöser war ein in Kanada in Betrieb genommener Simulator, an dem Reaktormannschaften geschult werden. Auch Personal aus Brunsbüttel nahm an Testläufen teil. Am 10. Mai 2002 teilten die kanadischen Techniker per Fax mit, daß "ein paar Kleinigkeiten und Überraschungen ans Licht gekommen seien", im ironischen Sinne sprach man von "Kleinigkeiten". Fakt ist, daß u.a. genau jene Komponenten bemängelt wurden, die in Formark nicht den Anforderungen genügten und es so zum Störfall kommen konnte, obwohl Experten vor dem Störfall dem elektrischen Sicherheitssystem der Anlage in Forsmark bescheinigt hätten besser gegen Störfälle gefeit zu sein als Brunsbüttel. Nimmt man es ganz genau, hat Brunsbüttel die Anforderungen selber seit Inbetriebnahme im Jahr 1976 nie erfüllt. Bisher seien die Fehler weder dem Betreiber, dem Hersteller und den Aufsichtsbehörden aufgefallen und auch bei den vorgeschriebenen Betriebsprüfungen (wiederkehrende Prüfungen, WKP) blieben die Mängel dem Anschein nach unentdeckt. Bei der Überprüfung der durch den kanadischen Simulator aufgedeckten Fehler vor Ort stellte sich zudem heraus, daß diese schon "bei der Umsetzung des Konzepts zur Störfallbeherrschung in die Planungsunterlagen entstanden" waren. Genauer gesagt decken sich wichtige Details des Reaktors nicht mit jener Auflage, der die Betriebserlaubnis erteilt wurde.

Seit Februar 2002 stand der Reaktor still. Kurz vor Weihnachten 2001 hatte eine Radiolysegasexplosion ein Rohr in der unmittelbaren Nachbarschaft des Reaktordruckbehälters zerfetzt. Jedoch wurde der Reaktor bis zum 18. Februar im Leistungsbetrieb gefahren, als wäre nichts geschehen. Erst unter Druck der Kieler Atomaufsicht bemüsigte man sich den Schaden zu begutachten. Wäre die Explosion nur wenige Meter verschoben geschehen, hätte sie ein nicht absperrbares Leck in den Reaktorkühlkreislauf gerissen. Man hatte mehr Glück als Verstand.

Im Sommer und Herbst 2002 meldeten die Betreiber des Kraftwerks insgesamt 11 Planungsfehler und Abweichungen. Von den Atombehörden von Bund und Ländern beauftragte unabhängige Spezialisten begannen mit der genauen Untersuchung des Kraftwerks und die Hauptsorge faßte damals ein in führender Position Beteiligter in vier Worten zusammen: "Gibt es weitere Fehler?"

Der Vorsitzende der Reaktorsicherheitskommission der Bundesregierung (RSK), Klaus-Dieter Brandholz, bestätigt, daß es während der gesamten Betriebsdauer vom Kernkraftwerk Brunsbüttel keine ausreichende Notstromversorgung der Not- und Nachkühlsysteme zur Verfügung standen. Selbst bei Erfüllung der sicherheitstechnischen Anforderungen entspräche das Kernkraftwerk Brunsbüttel nicht dem Stand der Technik und Wissenschaft von heute.

Trotzdem ist Brunsbüttel in Betrieb. In einem Bericht der Kieler Atomaufsicht an den Umweltausschuß des schleswig-holsteinischen Landtags vom 18. Februar 2003 heißt es lapidar, daß die Prüfungen der Sachverständigen noch nicht abgeschlossen seien. Am 21. März 2003 tarf sich die Reaktorsicherheitskommission. Einzigstes Thema waren die Sicherheistdefizite des Siedewasserreaktors an der Elbe. Auch die Kommisson kam zu dem Ergebnis, daß Brunsbüttel in allen Anlagenmerkmalen nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik entspricht und dies sofort anzugleichen sei. Jedoch könnte auch das Modernisieren der Anlage die Defizite im Anlagenkonzept hinsichtlich des Aufbaus der Notstromversorgung nicht ausgleichen. Vier Tage nach der Sitzung verkündete Vattenfall die gebilligte Wiederinbetriebnahme des Reaktors. Man versprach zwar sich um die Defizite zu kümmern, aber laut Insidern ist seither wenig geschehen.

Bis 2009 hat der Reaktor noch die Betriebserlaubnis und der Betreiber scheint die erkannten Mängel als Druckmittel zu nutzen, um die Betriebsdauer noch weiter zu verlängern. Denn im Falle einer Verlängerung würde sich eine Modernisierung erst wirtschaftlich rechnen.

Interne Quellen bestätigen uns, daß bei es bei Störfällen in Brunsbüttel oft zu menschlichem Versagen kommt. Bei einem größeren Störfall in vergangener Zeit sei es sogar so weit gekommen, daß Verantwortliche auf der Warte (Kontrollzentrum des Reaktors) in Panik ausbrach und daher nicht in der Lage war, sich  um die Beherrschung des Störfalls zu kümmern. Zum Glück erwies sich ein Mitarbeiter als geistesgegenwärtig und konnte Schlimmeres verhindern. Der Vorfall wurde öffentlich zugegeben, jedoch wurden die Ereignisse auf der Warte verschwiegen. Weiterhin wurde uns bestätigt, daß sich der Betreiber vor kostenintensiven Reparaturen scheut und daß Mängel eher notdürftig ausgeflickt werden. Auf die Angestellten wird Druck ausgeübt und ständig wird versucht eine Uneinigkeit in die Belegschaft zu bringen. Die internen Quellen sagen aus, daß die Wirtschaftlichkeit des Kraftwerks vor die Sicherheit gestellt und die Öffentlichkeit nicht wahrheitsgemäß unterrichtet wird.

Daher sind die immer lauter werdenden Stimmen, die das Stillegen des Reaktors fordern, berechtigt. Ob sie von der Politik gehört werden, ist wünschenswert. Es muß weiterhin ernsthaft darüber nachgedacht werden, ob ein kompletter Austieg aus der Atomenergie für Deutschland unter diesen Umständen sinnvoll ist.


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