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Warum wir an Fastnacht die Sau rauslassen

Archivmeldung vom 19.02.2009

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 19.02.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Oliver Randak

Für die einen ist die Fastnacht so unnötig wie ein Kropf, für die anderen ist es der reinste Genuss, mal so richtig aus sich herauszugehen. Auf jeden Fall bietet die närrische Zeit die Möglichkeit, sich in eine andere Rolle zu versetzen. Das kann etwas Befreiendes haben.

«Masken sind Erholung von der eigenen Person», sagte Hape Kerkeling einmal über den Reiz seines Alter Ego Horst Schlämmer. Komödianten und Schauspieler schlüpfen von Berufs wegen in verschiedene Rollen und leben damit eine kindliche Seite aus. Im Kindergarten waren wir alle einmal Vater, Mutter, Superman, Indianer oder Prinzessin. Der Kölner Psychologe und Karnevalsphilosoph Wolfgang Oelsner spricht von einem «Identitätswechsel im 20-Minuten-Rhythmus – ohne den Anspruch einer psychischen Störung».

Wer erwachsen werden will, muss diese Spielwiese allerdings verlassen. «In der realen Welt dürfen wir nicht mehr so tun als ob», sagt Oelsner. Schließlich müssten seriöses Ansehen, Titel und Einkommen gesichert werden. Auf Probe leben geht nicht mehr. Jedenfalls nicht ungestraft.

Anders in der verkehrten Welt, bei Fasching, Fastnacht, Karneval. «Da verwandeln wir uns schnell. Wie damals in der Kinderzeit. Ohne Konsequenzen, ohne Scham am nächsten Morgen», erklärt Oelsner. Ein Seriositätsverlust sei nicht zu befürchten, wenn Biene Maja mit Teddy flirtet. Auch gibt sich derjenige, der während der tollen Tage die Potenz eines Musketiers, Spidermans oder Cowboys herausstellt, nicht unbedingt der Lächerlichkeit preis.

Nach Ansicht des Psychologen muss das Spiel aber als solches erkennbar sein. Dazu braucht es Regeln – zum Beispiel die Vereinbarkeit über das Ende. Das Narrenfest erwächst dem christlichen Jahreskreis. Ohne Aschermittwoch gäbe es keine Fastnacht, keine «Nacht vor dem Fasten». Comedy, Entertainment und Klamauk seien ganzjährig. Fastnacht, Fasching, Karneval dagegen definierten sich geradezu durch das Spielende, auch in der säkularen Welt, sagt Oelsner. «Der Wikinger weiß, wann er wieder am Sparkassenschalter anzustehen hat. Prinz und Prinzessin werden kein Fall für die Psycho-Couch», formuliert es der Kölner, der sich seit Jahren mit dem Thema beschäftigt und zahlreiche Bücher über den Karneval verfasst hat.

Der Verkleidungsspaß hat übrigens eine reinigende Wirkung. Das Ausleben unterdrückter Bedürfnisse ist gut für die Psychohygiene und das seelische Gleichgewicht. Das wird in der echten Welt oft verdrängt. «Da darf der Katholik mal die Sau rauslassen», sagt der Mainzer Psychologe Peter Glanzmann, der es für keinen Zufall hält, dass sich der Karneval vor allem in katholischen Gegenden entwickelt hat und dort bis heute zu Hause ist. «Der Katholik muss das ganze Jahr über gut sein, im Fasching ist dieses Gebot aufgehoben.»
Neben der Auflehnung gegen die Regeln der Religion sei Karneval auch ein Protest gegen die politische Obrigkeit. In Mainz sei das Fest in der Zeit der französischen Besatzung geprägt worden. Aus dieser Zeit stamme bis heute die Vorliebe der Fastnachter für Uniformen. Damit seien die Herrscher parodiert worden - ein befreiender Akt für den Untergebenen, sagt Glanzmann.

Der heutige Karneval ist zudem eine christianisierte Form der heidnischen Winteraustreibung. Einen wesentlichen Bezug hat er aber auch zur christlichen Fastenzeit - daher auch die Bezeichnungen Fastnacht und Fasching, die mit dem Aschermittwoch beginnt und bis Ostern dauert. Von diesen Ursprüngen jedoch ist auf den Straßen der Karnevalshochburgen kaum noch etwas zu sehen. Dort ziehen viele Jecken vor allem mit einem wesentlichen Ziel umher: Sie wollen Spaß haben und sich amüsieren. Natürlich in Kostümen. Das fördert die Kommunikation.

«Die Maskerade mache es oft viel einfacher, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten», sagt Oelsner. Man kann sich denken, was ein Mann im Schottenrock den ganzen Abend gefragt wird, wobei der Gipfel des Kommunikationsangebotes die kühne Antwort «Schauen Sie doch selber» sein könnte. Ein Clown dagegen ist ein eher asexuelles Kostüm, meint der Psychologe, ähnlich wie Schornsteinfeger oder Koch.

Auf der anderen Seite gibt es Kostüme, die sagen: «Ich bin bereit» - für einen Flirt oder für mehr. Das ist bei Kätzchen der Fall, bei Meerjungfrauen oder Bauchtänzerinnen, zählt Oelsner auf. Auch unter Nonnengewändern versteckten sich gelegentlich sündhafte Damen. Bei den Männerkostümen sind es vor allem Musketiere und Eishockeyspieler.

Der Psychologe sieht hier die Gefahr eines Missbrauchs des Festes. Der Grat zwischen der Lust am Flirt und der Grabscherei, zwischen der Lust an Ausgelassenheit und Aggression sei schmal. Daher sei es umso wichtiger, dass es einen fest definierten Schlusspunkt gebe, an dem das Spiel ein endgültiges Ende habe. Spätestens am Aschermittwoch ist der ganze Spuk dann auch wieder vorbei, und Hexen, Mönche, Krankenschwestern und Clowns verschwinden wieder - bis zum nächsten Jahr.

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