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Konsumkritiker rufen für heute den Kauf-Nix-Tag aus

Archivmeldung vom 29.11.2008

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 29.11.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Oliver Randak

Auch deutsche Konsumkritiker haben für den heutigen Samstag wieder zu einem Kauf-Nix-Tag aufgefordert, doch die Deutschen fühlen sich durch solche Demonstrationen bisher nicht angesprochen. Dieser konsumfreie Tag wurde erstmalig 1992 von Aktivisten in den Vereinigten Staaten ins Leben gerufen.

Gäbe es mehr Leute wie Kate Hudson, müssten sich wohl weniger Menschen Sorgen über die Folgen der Finanzkrise machen. Mehr als 400 Paar Schuhe besitzt die Schauspielerin. „Ich bin total shoppingsüchtig“, sagte sie in einem Interview. „Ich habe versucht, das zu beenden, aber ich liebe Kleidung und Mode zu sehr.“

Allerdings hat der Durchschnittsverbraucher weder das Geld noch den Kaufelan der 29-Jährigen. Angesichts der begonnenen Rezession ist er zudem sparsamer geworden. Und ausgerechnet heute soll er auch noch in einen bewussten Kaufstreik treten – denn es ist „Kauf-Nix-Tag“. Einen schlechteren Zeitpunkt hat es für die Aktion noch nie gegeben, seit Aktivisten den Tag 1992 in den USA erstmals organisierten.

Rund um den Globus planen die Regierungen derzeit Programme, um die Konjunktur zu stützen und die Verbraucher zum Kaufen zu animieren. Amerika will 700 Milliarden Dollar ausgeben, Großbritannien senkt die Mehrwertsteuer, und in Japan führt die Regierung sogar einen zusätzlichen freien Tag ein, damit die Leute Zeit haben, ihr Geld auszugeben. Denn wenn die Menschen Angst um ihren Arbeitsplatz haben, überlegen sie sich nicht nur größere Anschaffungen genauer. Auch bei Kleinigkeiten wie einer Kinokarte oder dem Restaurantbesuch fragen sie sich, ob sie sich das wirklich leisten wollen.

Für die Wirtschaft ist das Gift. Denn unsere Gesellschaft lebt vom Konsum, besser gesagt von dem Wunsch nach mehr. Schon Adam Smith, der Urvater der Nationalökonomie, sah im Konsum, „den einzigen Grund allen Wirtschaftens“. Wenn die Menschen nur das kaufen würden, was sie zum Überleben brauchen, würde das Wirtschaftssystem zusammenbrechen. Das würde zwar nicht zwangsläufig bedeuten, dass wir uns von rohen Feldfrüchten und Wasser ernähren müssten. Aber ein Produkt wie Smoothies, für das zwei Trauben, ein halber Apfel und ein Viertel Mango zu einem mehrere Tage haltbaren Getränk zusammengemischt und in einem Plastikbecher über Hunderte Kilometer transportiert werden, bräuchte man dann sicher nicht.

Wie wichtig der Konsum möglichst vieler Menschen für die Wirtschaft ist, zeigt sich auch in dem negativen Klang, den Worte wie „Kaufzurückhaltung“ oder „Konsumschwäche“ für Ökonomen haben. Regelmäßig ermitteln die Experten der Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) den Konsumklimaindex. Er gibt an, wie gut oder schlecht die Verbraucher gelaunt sind, ob sie ihr Geld ohne groß nachzudenken ausgeben oder eher zurückhaltend sind. Bricht der Index ein, sieht es schlecht aus für die Konjunktur. Wegen der unsicheren Zukunftsaussichten in Folge der Finanzkrise hat sich der Wert zuletzt im Vergleich zum Vorjahr auf 1,9 mehr als halbiert.

In Deutschland ist die Idee der Konsumgesellschaft vor allem in den Jahren des Wirtschaftswunders nach Ende des Zweiten Weltkriegs entstanden. Der damalige Wirtschaftsminister Ludwig Erhard (CDU) versprach „Wohlstand für alle“ und traf damit den allgemeinen Wunsch nach materieller Sicherheit im Nachkriegsdeutschland. Sinnbild dafür war der Käfer. Mit ihm hat Volkswagen ein Auto geschaffen, das sich fast jeder leisten konnte. Und glaubt man der Werbung aus der Zeit, bestand das höchste Glück von Frauen damals in einem elektrischen Staubsauger oder Handmixer.

Je besser es den Menschen ging, desto mehr wurden sie aber auch für ihren Lebensstil kritisiert. Dabei hat sich das Urteil der Konsumkritiker bis heute nicht wesentlich verändert. In ihren Augen verführt Konsum die Menschen, Dinge zu kaufen, die sie nicht brauchen, ist oberflächlich und verschafft nur ein kurzfristiges Glücksgefühl. Wo die Ware herkommt, sehen die Menschen vielleicht noch an dem Etikett im T-Shirt. Aber unter welchen Umständen die Näherinnen in Bangladesch das T-Shirt hergestellt haben, das in Deutschland für zwölf Euro verkauft werden kann, wollen die wenigsten wissen.

Dazu kommt, dass vor allem die Industrieländer beim Rohstoffverbrauch über ihren Verhältnissen leben. Schätzungen zufolge konsumiert ein Fünftel der Bevölkerung mehr als vier Fünftel der weltweiten Ressourcen. Die Organisation „Global Footprint Network“ hat ausgerechnet, dass drei Planeten notwendig wären, wenn alle Menschen so leben wollen wie die Europäer. Und fünf, wenn sie die Amerikaner zum Vorbild nähmen. Daran stört sich allerdings kaum jemand. Dass Öl irgendwann ausgeht, merkt man allenfalls am langfristig steigenden Benzinpreis. Dass auch sauberes Wasser und Energie nur in einem begrenzten Umfang zur Verfügung stehen, verdrängen die meisten. Sie beschweren sich über die hohen Stromkosten.

Die Konsumkritik blieb nicht nur ein akademisches Phänomen. Bei einer wachsenden Zahl von Menschen entwickelte sich Unbehagen – sie bekamen ihr Glücksgefühl nicht beim Kauf, sondern beim bewussten Verzicht auf einen Gegenstand. Der Soziologe Gerhard Schulze beklagt daher: „Wie viel kollektiver Lernfortschritt sich möglicherweise hinter der Stagnation ökonomischer Pauschalgrößen versteckt, ist eine Frage, die am Denkhorizont der gegenwärtigen Wirtschaftswissenschaften noch nicht einmal aufgetaucht ist.“

 

Das könnte sich im Zuge der Finanzkrise geändert haben. Schließlich waren es gerade der übermäßige Konsum und der Glaube, sich alles leisten zu können, die die Krise in Amerika auslösten. Auch einfache Arbeiter waren überzeugt, sich mit einem Jahresgehalt von vielleicht 30000 Dollar ein großes Haus mit zwei Garagen und Pool leisten zu können. Den nötigen Kredit bekamen sie von der Bank. Ihren Lebensstil schränkten sie nicht ein. Während die meisten Deutschen neben ihrer EC-Karte eine oder zwei Kreditkarten im Portemonnaie haben, sind es in den USA durchschnittlich sechs Karten. GfK-Experte Wolfgang Twardawa erklärt die unterschiedlichen Mentalitäten: „Im Glauben, dass es immer aufwärts geht, verschulden sich die Amerikaner, während die Deutschen aus Sorge um die Zukunft eher zum Sparen neigen.“ So würden sogar die meisten Autos in Deutschland noch immer bar bezahlt oder geleast.

Die Kauf-Nix-Anhänger wollen andere bewegen, „innezuhalten und darüber nachzudenken, wie unser Konsum den Planeten und andere, die darauf leben, zerstört“. Ursprünglich kommt der Tag aus den USA, wo er „Buy-Nothing-day“ heißt. In den Vereinigten Staaten fällt er auf den letzten Freitag im November und folgt damit unmittelbar aufs Thanksgiving-Fest. Da die Händler an dem Tag mehr Umsatz machen als an jedem anderen Tag, haben ihn die Aktivisten gewählt, um ein Zeichen gegen den Konsum zu setzen.

 

Nicht einmal eine Milchtüte würden sie in diesen 24 Stunden kaufen. In Europa ist der Samstag darauf der Aktionstag. „Große Aktionen sind allerdings in Deutschland nicht geplant“, sagt Malte Klar vom Attac-Konsumnetz. Der Tag konnte sich hier nie richtig durchsetzen. Für die Wirtschaft wäre es gut, wenn das so bliebe.

 

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