Augen auf im Großstadtdschungel: Zu unseren Füßen nisten Wildbienen und Wespen
Wer in der warmen Jahreszeit durch die Stadt läuft und dabei seinen Blick aufmerksam nach unten richtet, kann oft Überraschendes entdecken: kleine Löcher oder winzige Sandhügel in den Fugen zwischen Pflastersteinen oder Gehwegplatten, in denen dann und wann geflügelte Insekten verschwinden. Denn sie sind Eingänge zu verborgenen Kinderstuben - den Niströhren von bodennistenden Wildbienen- und Wespenarten.
Mitten in der Stadt, unter Asphalt und Stein, finden sie wertvollen Lebensraum. Wie bedeutend diese Fugen, die leicht übersehen werden, für die Stadtnatur sind, zeigt eine Untersuchung der Berliner Biologin Sophie Lokatis. Die Artenschützerin der Deutschen Wildtier Stiftung hat mit ihrem Team für ein Projekt der Freien Universität Berlin die Gehwege in Berliner Wohnvierteln genauer unter die Lupe genommen - und dabei die enorme Vielfalt bodennistender Arten erfasst.
"Oft nisten gleich mehrere Wildbienenarten an einem Ort, und im Laufe des Sommers kommen verschiedene Grab- und Wegwespen hinzu", sagt Lokatis. Wenn Ende März an warmen Tagen die ersten Sandhäufchen zwischen den Gehwegplatten auftauchen, sind dies Zeichen für frühfliegende Arten wie die Frühlingssandbiene oder die Fuchsrote Sandbiene. Etwas später erscheint die imposante Hosenbiene mit ihren aufgeplusterten, gelben Hosenbeinen, in denen sie Pollen von Ferkelkräutern und Wegwarten sammelt. Jetzt im Juni wird der Bienenwolf aktiv: Seine Nester erkennt man an den elliptisch geformten Aushub-Hügelchen. Und manchmal liegen um das Nest herum tote Honigbienen. Denn die räuberische Grabwespenart hat sich auf Honigbienen als Beute spezialisiert, die sie durch die beliebte Stadtimkerei im Überfluss findet. Knotenwespen dagegen haben es auf Rüsselkäfer abgesehen, die sie an Pflanzen jagen und dann in ihre Nester tragen.
Über den Eingängen der verschiedenen Nester ziehen weitere Gehwegbewohner ihre Kreise: parasitierende Kuckucksbienen, Goldwespen und Satellitenfliegen. Sie alle versuchen ihre eigenen Eier in ein Nest eines Gehwegbewohners zu schmuggeln. Die Blutbienen etwa parasitieren bei ihren nesterbauenden Verwandten. Die in schönsten Farben glänzenden Goldwespen versuchen ihre Eier in die Nester von Knotenwespen zu schmuggeln. Aber auch Ameisen gehören zum kleinen Ökosystem unter den Trottoirs. Sie sind die fleißige Müllabfuhr, verspeisen Essensreste und Aas.
Entscheidend für eine dichte Besiedelung der Sandfugen ist nicht, dass in der Umgebung besonders viele oder große Grünflächen liegen. "Die Qualität einer Fläche ist wichtig", sagt Lokatis. Befinden sich in der Nähe eines gepflasterten Gehwegs artenreiche Blühflächen oder insektenfreundliche Gärten mit unterschiedlichen Strukturen und einem großen Blühangebot, nisten viele Insekten in den Fugen. Auch mit Wildpflanzen und Moosen bewachsene Gehwege bieten für die Insektenvielfalt eine Chance.
Quelle: Deutsche Wildtier Stiftung (ots)