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„Ein Meilenstein für das Ende des Pestizid-Zeitalters“ - Das Gift und wir

Archivmeldung vom 14.11.2020

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 14.11.2020 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Anja Schmitt
Verwendung von persönlicher Schutzausrüstung im Umgang mit Pestiziden: Ungefährlich für Tier, Mensch und Natur?
Verwendung von persönlicher Schutzausrüstung im Umgang mit Pestiziden: Ungefährlich für Tier, Mensch und Natur?

Lizenz: Public domain
Die Originaldatei ist hier zu finden.

Pestizide bedrohen Umwelt und Lebensräume – Nun ist erstmals ein Standardwerk zu dem Thema erschienen. Ein Interview mit Co-Herausgeber Mathias Forster, welches das russische online Magazin "Sputnik" berichtet.

Weiter heißt es hierzu in einem Interview von Bolle Selke auf deren deutschen Webseite:
"- Herr Forster, wie kam es zu der Idee für das Buch „Das Gift und wir“?

Dank dem Kronjuwel der schweizerischen Kulturentwicklung – wenn ich das mal so sagen darf – der direkten Demokratie, können wir regelmäßig Initiativen initiieren oder darüber abstimmen. Innerhalb der nächsten acht Monate wird über drei Initiativen abstimmen, die in Bezug auf die Pestizidproblematik einen wesentlichen Einfluss hätten, wenn sie denn vom Volksmehr angenommen würden.

Diese Tatsachen und die damit zusammenhängenden Chancen haben den Anstoß zum Entschluss geschaffen, dass wir unseren Beitrag im Prozess der Bewusstseinsbildung leisten wollen. Wir heißen „Bio-Stiftung“ und der Name ist bei uns auch Programm. Bei den Recherchen fanden wir bald heraus, dass es viele exzellente Forscher und Praktiker gibt, die hervorragende Arbeit leisten.

Doch es gab kein Buch, dass diese Forschung- und Erfahrungserkenntnisse zusammenfasste, und in einen größeren Zusammenhang stellte, so dass sich ein umfassendes Bild der Problematiken, die mit den synthetischen Pestiziden zusammenhängen, ergeben konnte. Das hat uns überrascht, also nahmen wir uns selber vor, dies zu tun. So ist dieses Buch entstanden. Wir finden das für den Bewusstseinsbildungsprozess vor den Abstimmungen, aber auch darüber hinaus, wichtig.

- In ihren Schlussabstimmungen vom 25. September 2020 haben beide Räte die Initiative „Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide“ Volk und Ständen mit der Empfehlung auf Ablehnung zur Abstimmung unterbreitet. Denken Sie, dass die Initiative eine realistische Chance hat?

Mein Gefühl sagt mir, dass es an der Zeit sein könnte. Die Sache ist noch nicht entschieden und hängt sicher noch von vielen Faktoren ab. Es ist eine Tatsache, dass bei uns jeden Tag neue Skandale im Zusammenhang mit Pestiziden an die Oberfläche kommen. Zum Beispiel in Bezug auf Chlorothalonil und auf kontaminiertes Trinkwasser, was eine Million Menschen in der Schweiz trinken müssen, und andere solche Sachen. Auch die Medien berichten immer mehr darüber.


Auf der anderen Seite sind natürlich die Gegenkräfte, die in und mit dem heutigen System ganz gut leben und auch sehr stark verdienen. Die entscheidende Frage wird aus meiner Sicht sein: Haben sich genügend Menschen eine eigene Meinung gebildet? Haben sie die Kraft, zu dieser selber erarbeiteten Meinung zu stehen – oder lassen sie sich von den zu erwartenden Angstkampagnen der Gegner dieser Initiativen, diese eigene Meinung wieder wegspülen?

Es wäre dringend notwendig, dass diese Initiative angenommen wird, denn die Erde und die Ökosysteme, die Biodiversität, die Gewässer und Böden, auch das Klima schreien uns ja von allen Seiten entgegen. Schließlich sind sie unsere Lebensgrundlage. Wir täten gut daran auf sie zu hören und sie ernst zu nehmen.

- Nicht nur in der Schweiz ist das Thema Landwirtschaft aktuell, die deutsche Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner hat gerade mit dem EU-Agrarrat eine neue Gemeinsame Agrarpolitik, kurz Gap, vorgelegt. Umwelt- und Tierschützer sind mehr oder minder entgeistert über das, was Frau Klöckner und auch das EU-Parlament da vorgelegt haben. Wie sehen Sie die Gap der Europäischen Union?

Es zeigt einmal mehr, wie stark der Lobbyismus der Agrochemie-Industrie und der konventionell wirtschaftenden Bauern-Organisation ist und wirkt. Auch der gesunde Menschenverstand kann sich noch nicht in ausreichendem Maße gegen das Profitdenken durchsetzen, wie das für eine gedeihliche Entwicklung eigentlich vonnöten wäre. Ich kann eigentlich nur sagen: Sehr schade. Und eine große verpasste Chance auf Kosten des Planeten und der zukünftigen Generationen.

- Frau Klöckner betont bei ihren Ausführungen gerne die sogenannte Ernährungssicherung. Das Thema würde gerne vergessen. Kann die denn in einer pestizidfreien Schweiz gesichert werden?

Hinter dieser Frage steckt ja die Frage: Kann Bio die Welt ernähren? Es wird ja immer wieder behauptet, dass das nicht der Fall ist. Aber es ist hinlänglich bewiesen, dass auch Bio die Welt in ausreichendem Maße ernähren kann. Das Problem ist, dass wir viel zu viele Lebensmittel wegschmeißen. Lebensmittel werden zu wenig wertgeschätzt. Es gibt auch eine Verteilungsproblematik und gleichzeitig essen wir viel zu viel Fleisch und brauchen einen zu großen Anteil der Agrarfläche für Mais, oder den Anbau von anderen Futtermitteln, um das Fleisch, das in diesen großen, günstigen Mengen vorhanden ist ausreichend zu produzieren.

Wenn wir unseren Fleischkonsum ein bisschen reduzieren und schauen würden, dass wir weniger Lebensmittel wegschmeißen, dann könnte man auf jeden Fall die Schweiz und die ganze Welt damit ernähren.

Ich weiß auch nicht, ob es realistisch ist Ernährungssicherheit innerhalb von Landesgrenzen zu denken. Landesgrenzen wurden ja nicht aufgrund der in diesem Land zu ernährenden Menschen, oder der Ertragskraft der Böden herausgebildet, sondern durch Kriege, Geopolitik und allzu oft auf Reißbrettern gezeichnet.

Man müsste sich vielleicht auch auf eine etwas längere Perspektive fragen, ob Ernährungssicherheit auf eine nachhaltige, soziale und wirklichkeitsgemäße Art und Weise gedacht, sich nicht eher auf Regionen, Kontinente, oder vielleicht irgendwann sogar am besten auf den gesamten Planeten und alle Menschen beziehen sollte. Dann könnte nämlich das Streben nach Ernährungssouveränität aus dem machtpolitischen und egoistischen Streben nach der Befriedigung der jeweils eigenen Bedürfnisse – oder der Gesellschaftsbedürfnisse eines Landes – zu einer Befriedigung der Lebensgrundlage von allen Menschen werden. Daraus könnte dann auch ein starker Friedensimpuls entstehen. Aber davon sind wir natürlich noch Meilenweit entfernt. Denken und sagen darf man das ja trotzdem mal.

- Und um die Pestizid-Initiative zu unterstützen haben Sie dieses Buch herausgebracht. Kann man das so sagen?

Ich würde es ein bisschen anders ausdrücken. Diese Initiative war der Auslöser, dass wir uns an dem Bewusstseinsbildungsprozess in der Öffentlichkeit engagieren wollten. Wenn das dieser Initiative und anderen hilft – umso besser. Aber wir verstehen unser Engagement nicht so sehr als eine politische, sondern vielmehr als bewusstseinsbildende Aktivität. Wir haben das als Ausganspunkt genommen, aber es geht darüber hinaus.

- Stellen Sie uns „Das Gift und wir“ doch einmal kurz vor. Sie haben da die unterschiedlichsten Autoren zusammengebracht.

Das Buch heißt: „Das Gift und wir, wie der Tod über die Äcker kam und wie wir das Leben zurückbringen können“. Es geht darin um unser Verhältnis zu synthetischen Pestiziden. Das Buch ist im Westend-Verlag in Frankfurt erschienen, hat ungefähr 450 Seiten und besteht aus drei Teilen.

In Teil Eins geht es um Herkunft und Geschichte dieser synthetischen Pestizide, also wie kam man überhaupt auf die Idee, dass Gifte auf die Böden eine gute Idee sein könnte und wie konnte das zu einem so großen Geschäft werden.

Im zweiten Teil geht es dann um ein Panorama über die Problematiken und Herausforderungen, die diese synthetischen Pestizide und ihre Wirkungen mit sich bringen und im dritten Teil um ein Zukunftsbild, wo die Bäuerinnen und Bauern – die Praktiker – hauptsächlich zu Wort kommen, wo es um „Best-Practice“-Beispiele geht, aber auch um Transformationsstrategien und Zukunftsvisionen – eine Landwirtschaft ohne synthetische Pestizide und auch das Thema Vollkosten-Rechnung. Das heißt, wenn man jetzt die Kosten, die die Landwirtschaft verursacht, auch in den Produktpreis einrechnen würde, dann wäre Bio nicht zu teuer, sondern Konventionell zu billig. Eigentlich können wir uns das nicht mehr leisten.


Das ist so ungefähr der große Bogen des Buches. Über 30 renommierte Autorinnen und Autoren haben mitgearbeitet – zum Beispiel Hans Rudolf Herren, über Felix Prinz zu Löwenstein, Prof. Christopher Portier, Vandana Shiva, Tanja Buße und viele andere. Uns war von Anfang an auch klar, dass das Buch schön sein sollte, um einen Ausgleich zu der ganzen Tragik, die mit dieser Problematik zusammenhängt, zu schaffen. Deswegen finden sich darin auch etwa zwölf Verlustanzeigen von Tieren: Vögeln wie die Feldlerche, oder Fischen wie das Felchen, oder die Bachforelle. Oder eben auch Schmetterlinge und Bienen, die unter diesem Einsatz massiv leiden, oder teilweise schon fast ganz, oder ganz verschwunden sind. So sieht man auch um wen es hier eigentlich geht.

Es bildet den aktuellen Forschungsstand und das Wissen ab – inklusive Quellenangaben und Literaturhinweisen. Man kann sich also durch das Lesen dieses Buches mindestens etwa hundert andere Bücher sparen, weil diese Essenz darin wie zusammengefasst ist. Somit kann es auch ein Arbeitsbuch sein, für Menschen die in diesem Bereich tätig sind, oder sich einfach urteilsfähig über dieses Thema machen wollen. Renate Künast hat die Patenschaft dieses Buches übernommen und hat dazu gesagt: „Dieses Buch hat die Sprengkraft von Rachel Carsons ‚Stummer Frühling‘ und ist ein Meilenstein für das Ende des Pestizidzeitalters.“

Mathias Forster ist Stiftungsrat und Geschäftsführer der Bio-Stiftung Schweiz.

Das Buch „Das Gift und wir – wie der Tod über die Äcker kam und wie wir das Leben zurückbringen können“ von Mathias Forster und Christopher Schümann (Hrsg.) ist im Westend-Verlag erschienen."

* Die in diesem Artikel vorgebrachten Ansichten müssen nicht denen der Sputnik-Redaktion entsprechen.

Quelle: Sputnik (Deutschland)

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