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Sigmar Gabriel im Interview zum Klimaschutz: "Ökologisch unbelehrbare Länderfürsten"

Archivmeldung vom 22.05.2009

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 22.05.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Klimaschutz ist Chefsache -- zumindest für den mächtigsten Mann der Welt. Deshalb gewährte US-Präsident Barack Obama jüngst Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) eine Privataudienz. Als Wahlkämpfer hatte Obama Deutschland als vorbildlich gelobt, jetzt wurde er von Gabriel gedrängt, sich Deutschland als Vorbild zu nehmen.

"Von einer Führungsrolle sind die USA noch weit entfernt. Aber wir wollen eine Aufholjagd sehen." Für die Klimapolitik von Bundeskanzlerin Merkel findet Gabriel Lob. Fatal sei nur, dass die Unionsministerpräsidenten diese Politik konterkarierten. Gabriel erwartet auch in punkto Ökologie einen Richtungswahlkampf.

    Umweltschutz könne man sich in Zeiten der Krise nicht mehr leisten, meint die australische Regierung. Fürchten Sie Nachahmer?

    Sigmar Gabriel: Als Bundesumweltminister muss man immer fürchten, dass sich die Dinosauriertechnologien durchsetzen. In Australien ist es die Kohleindustrie, die Druck auf die Regierung ausgeübt hat. In Deutschland kommen derartige Bestrebungen weniger von den Unternehmen selbst, als vielmehr von Verbandsvertretern. Die meisten Unternehmer wissen längst, dass man mit einer ambitionierten Umweltschutzpolitik wirtschaftlichen Erfolg haben und Arbeitsplätze schaffen kann. Ein Beispiel: Die Mehrzahl der im Handwerk neu geschaffenen Jobs geht direkt auf das Gebäudesanierungsprogramm der Bundesregierung zurück. Und allein bei den erneuerbaren Energien sind es heute schon 280.000 neue Arbeitsplätze in Deutschland. Das wollen wir jetzt verdoppeln.

    Der Verbandsvertreter der deutschen chemischen Indust"rie meinte jüngst, man könne sich die teuren CO2-Emissionspreise in der Krise nicht mehr leisten. Bekämen solche Stimmen unter einer bürgerlichen Regierung mehr Gehör?

    Gabriel: Zunächst verwahre ich mich gegen den Begriff "bürgerliche Parteien". Sind Sozialdemokraten und ihre Wählerinnen und Wähler keine Bürger mehr? Dieser Kampfbegriff von CDU und FDP aus den 60er-Jahren wollte damals schon die Gesellschaft in "gut" und "böse" spalten und will es heute wieder. Zum Thema Chemieindustrie: Gerade diese Branche ist von den Kosten des CO2-Emissionshandels zu großen Teilen ausgenommen -- und zwar so lange, bis international gleiche Bedingungen herrschen. Und genau das wollen wir ja bei der Klimakonferenz Ende des Jahres in Kopenhagen schaffen. Trotz dieser Ausnahmen erreicht Deutschland seine Umweltschutzziele. Als einziges Land erfüllen wir die Kyoto-Vorgaben für 2012 bereits jetzt. Doch das ist uns nur gegen massive Widerstände gelungen: Wann immer die Bundeskanzlerin am Wochenende auf Klimagipfeln gute Umweltschutzpolitik machte, versuchten CDU/CSU und FDP dies zwischen Montag und Freitag zu unterlaufen. Nicht zuletzt kommt Widerstand aus den Ländern, ob von Herrn Wulff, Herrn Rüttgers oder Herrn Seehofer. Dahinter steckt ein großes Stück Unbelehrbarkeit. Hätten die Ministerpräsidenten in der Finanzkrise etwas gelernt, müssten sie wissen, dass der schnelle Euro, den wir heute machen, weil wir auf Klimaschutz verzichten, unsere Kinder und Enkel teuer zu stehen kommen wird. Und was noch schlimmer ist: Wulff und Co. verhindern ausgerechnet in der Wirtschaftskrise den Aufbau neuer Arbeitsplätze.

    China holt zwar bei Solarenergie auf, verweigert sich aber bei der Treibhausgasverringerung verbindlichen Zusagen. Wie kann der erwachende Gigant ins Boot geholt werden?

    Gabriel: Peking macht in der Tat sehr viel, will sich aber auf seine Aktivitäten nicht international verpflichten lassen. Eine Haltung, die viele Entwicklungs- und Schwellenländer teilen. Das ist wie bei kommunizierenden Röhren: Je mehr die Industrieländer bereit sind zu tun, desto mehr Zugeständnisse gibt es von den Ländern, die jetzt beim Wohlstand aufholen wollen. Und auf Anstrengungen dieser Länder sind wir angewiesen. Denn so viel ist klar: Selbst wenn wir die Emissionen der Industrieländer auf null bringen würden, könnten wir den Klimawandel nicht bremsen. Dazu bedarf es erheblicher Beiträge der Entwicklungsländer. Dabei müssen wir sie natürlich unterstützen. Deutschland setzt bereits jetzt Einnahmen aus dem Emissionshandel für Klimaschutzprojekte etwa zum Schutz der Regenwälder oder bei der Energieeffizienz in ärmeren Ländern ein. Es wird in Kopenhagen auch darum gehen, dass hier andere Industrieländer nachziehen.

    China sitzt wie Australien auf großen Kohlevorräten. Unterliegt globales Verantwortungsbewusstsein zwangsläufig nationalen Interessen?

    Gabriel: Solange es keinen internationalen Vertrag gibt -- mit Sicherheit. Deswegen streben wir echte Sanktionen für vertragsbrüchige Staaten an. Aber weil es diese riesigen Kohlevorräte gibt, sind sich die Klimaforscher einig, dass wir die CO2-Abscheide- und -Abspeichertechnik brauchen, wenn wir im Klimaschutz international vorankommen wollen. Noch lässt diese Technologie einige Fragen offen. Doch es ist richtig, dass sich die EU entschlossen hat, diese zu beantworten. In typisch deutscher Mentalität zu sagen, wir möchten gerne jedes Risiko ausschließen und deshalb verzichten wir auf diese Technologie, ist keine Lösung. Wir brauchen ein Höchstmaß an Sicherheit. Wer aber die noch offenen Fragen bei CO2 mit den Problemen beim Atommüll vergleicht, verniedlicht die Atomenergie. In anderen Ländern wird die CO2-Speichertechnologie längst beherrscht. So sind in Norwegen sogar die Grünen dafür, dass CO2 in alten Erdgasspeichern abgelagert wird.

    Gelingt im Dezember in Kopenhagen ein Weltklima"abkommen?

    Gabriel: Ich bin optimistisch. Auch, weil sich das Verhandlungsklima mit der US-Administration verändert hat. Künftig können sich China, Russland, Australien oder Kanada nicht mehr hinter dem Klimasünder USA verstecken. Noch sind die USA zwar weit davon entfernt, die EU als Vorreiter abzulösen, aber sie ziehen immerhin am gleichen Strang wie wir.

    Union und FDP progagieren den "Klimaretter Atomstrom". Nun hat der aber teure Nebenwirkungen, wie man in der Asse gesehen hat. Ist es gerecht, dass der Steuerzahler für die Entsorgung aufkommt, die Profite aber bei den Konzernen verbleiben?

    Gabriel: Nein. Durch die Billig-Entsorgung in der Asse und in Morsleben ist die Gesundheit vieler Menschen aufs Spiel gesetzt worden. Ich halte es für undenkbar, zuzulassen, dass jetzt für die Sanierung der Steuerzahler aufkommen soll. Wir werden nach der Bundestagswahl ein Gesetz zur Besteuerung von Kernbrennstoffen auflegen, damit sich die Atomindustrie stärker beteiligt. Der Vorteil ist, dass diese Steuer echte Gewinne abschöpft und nicht den Strompreis steigen lässt. Ich kann nicht nachvollziehen, wie sich CDU und FDP in Niedersachsen zu Helfershelfern der Atomindustrie machen. Denn die sind nicht mal ansatzweise bereit, diese Herren in die Pflicht zu nehmen.

    In welcher Koalitionskonstellation wollen Sie dann die Kernbrennstoffsteuer durchsetzen?

    Gabriel: In jeder. In Koalitionsverhandlungen -- das haben die zur großen Koalition gezeigt -- wird es sowohl Union als auch FDP schwer fallen, eine Regierungsbildung an dieser Frage scheitern zu lassen. Einerseits machen sie Steuersenkungsversprechen, von denen niemand weiß, wie sie zu bezahlen sind. Andererseits verweigern sie die Mitarbeit in einem Punkt, der die Steuerzahler direkt entlasten würde.

    Niedersachsens Grünen-Fraktionschef Wenzel glaubt, dass der Landtags-Untersuchungsausschuss zu Asse das Aus für ein Endlager in Gorleben einläuten wird. Ist Wenzel zu optimistisch?

    Gabriel: Jedenfalls ist der sogenannte Wissenschaftler, der die Asse für sicher erklärt hat, der gleiche, der erklärt hat, Gorleben sei sicher. Angeblich sollte die Asse Forschungsvorhaben voranbringen, die letztlich für Gorleben aussagekräftig sind. So gesehen könnte man Gorleben also gleich vergessen. Der Untersuchungsausschuss dürfte sich mit der Frage befassen, ob in der Asse überhaupt geforscht oder doch nur billig entsorgt wurde. Auch wenn das in dieser Region nicht gerne gehört wird: Prinzipiell muss man sagen, dass die Asse nicht per se ein Beispiel dafür ist, dass Salz ungeeignet als Lagerstätte ist. Die Asse ist ein altes Bergwerk -- ausgehöhlt wie ein Schweizer Käse -- in dem in unverantwortlicher Weise Billig"entsorgung stattfand. Wie wir heute wissen, nicht nur von 126.000 Fässern Atommüll, sondern auch von Tierkadavern. Gorleben ist ein völlig anderer Salzstock. Trotzdem müssen sich diejenigen, die stets gesagt haben, in der Asse werde für Gorleben geforscht, an ihren Äußerungen messen lassen.

    Wärmedämmung findet bisher vorwiegend bei Neubauten statt. Reichen die KfW-Modernisierungsprogramme, um den Sanierungsstau bei Altbauten abzubauen?

    Gabriel: Da muss ich Sie korrigieren: Die Mehrzahl der Zuschüsse geht in die Altbausanierung und dort vor allem in die Sanierung von Ein- und Zweifamilienhäusern. Wir müssen aber stärker an die Sanierung von großen Mietshäusern ran. Da gibt es aber folgendes Problem: Wenn sie Eigentümer eines Einfamilienhauses sind und dieses sanieren, sparen sie auch die Heizkosten. Wenn sie Eigentümer eines Mehrfamilienhauses sind und sanieren, tragen sie die Kosten, ihre Mieter profitieren aber davon -- denn die zahlen ja die Nebenkosten. Das ist nicht attraktiv. Das Mietrecht sollte so geändert werden, dass die eingesparten Kosten fair geteilt werden zwischen Mieter und Vermieter. Dafür treten wir im Umweltministerium schon seit Beginn der Legislaturperiode ein, aber es ist sehr schwierig, Mieterbund und Vermieter auf die gleiche Linie zu bringen.

    2011 will Bosch ein Mini-Blockheizkraftwerk für Einfamilienhäuser auf den Markt bringen. Gibt es dann noch die derzeit hohen Investitionszuschüsse?

    Gabriel: Wir haben gerade dafür ein Förderprogramm aufgelegt, das zeitlich nicht befristet ist. Dazu gibt es sogar ein Gesetz: das Erneuerbare-Wärme-Gesetz.

    Ist die Abkehr von einer zentralen Stromversorgung mit ihren hohen Leitungsverlusten nicht sinnvoll, wenn immer mehr Haushalte Strom produzieren?

    Gabriel: Ich glaube, dass die Zukunft der Stromversorgung dezentral ist. Sie wird aber dennoch zentrale Regelkraftwerke brauchen. Früher hat die Energieversorgung im Süden und im Westen gestanden. Die Elektrizitätsnetze waren wie ein Baum, unten der dicke Stamm, nach Norden hin wurden die Äste immer feiner. Heute beginnen wir an der Nordseeküste mit dem Aufbau der Offshore-Windenergie, müssen aber den Strom an die Lastschwerpunkte im Süden und Westen bringen. Das geht nur mit einem zentralen Stromnetz. Aber wir können die Leitungsverluste dadurch reduzieren, dass wir Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungstechnik nutzen zum Beispiel für eine 500 Kilometer lange Leitung vom Windpark bis nach Freiburg. Nutzt man dann noch ein Erdkabel, wird der Konflikt um den Freileitungsausbau vermieden. Die Technik hat also auch im Netzbetrieb deutliche Fortschritte gemacht.

    Welches Potenzial hat die Geothermie?

    Gabriel: Diese Art der Energiegewinnung ist in Deutschland noch nicht ausreichend ausgeschöpft. Zwar sind die Bedingungen in anderen Ländern zum Teil wesentlich besser und effektiver als in Deutschland, aber auch hier gibt es ein großes Potenzial. Deshalb sind die Förderbedingungen für Geothermie Anfang dieses Jahres deutlich verbessert worden. Dadurch sind im vergangenen Jahr rund 20 Projektplanungen mit einem Investitionsvolumen von rund 200 Millionen Euro neu initiiert worden

    Zu welcher Art von Strom- und Wärmeerzeugung bzw. Versorgung würden Sie Hausbauern raten?

    Gabriel: Das hängt natürlich auch vom Standort des Hauses ab. Sie können aber ein Null-Emissions-Haus bauen oder sogar Energieproduzent werden. Die Frage, welche Kombination etwa aus Erneuerbarer Wärmetechnik, Photovoltaik und Wärmedämmung am besten passt, wird ein guter Architekt heute für jeden Standort vorschlagen können. Je höher die Effizienz, desto höher ist auch die staatliche Förderung. Die Investitionen in klimafreundliche Häuser rechnen sich schnell, weil man von Energiepreissprüngen deutlich unabhängiger ist. Im Übrigen müssen wir keine Angst mehr davor haben, dass die Russen uns kein Gas mehr liefern, sondern davor, dass sie Kapitalismus dauerhaft verstanden haben. Wenn die Russen eine Pipeline nach China bauen, werden wir uns noch über die künftigen Gaspreise wundern.

    Vor einiger Zeit gab es erneut eine CO2-Dienstwagendebatte, von der auch Sie betroffen waren. Dabei steuern Autos 12 Prozent an den CO2-Emissionen bei, Haushalte hingegen rund 40. Wäre da eine Energiepass-Debatte nicht angebrachter?

    Gabriel: Zunächst muss ich noch etwas zum Dienstwagen sagen: Ich habe damals den Fehler gemacht, das Auto meines grünen Amtsvorgängers zu übernehmen, weil ich dachte, der sei ein vernünftiges Auto gefahren. Das war aber leider nicht der Fall. Heute nutze ich ein Hybrid-Fahrzeug, das demnächst auf den Markt kommt. Mit diesem Auto liegen wir bei den CO2-Emissionen in dieser Fahrzeugklasse vergleichsweise gut. Für Gebäude haben wir einen Energiepass. Die Union hat allerdings verhindert, dass ein wirklich aussagekräftiger Energiepass für alle Pflicht wird. Stattdessen kann man wählen zwischen zwei Formen des Energiepasses, wobei der verbrauchsorientierte nicht besonders aussagekräftig ist. Wenn Sie zum Beispiel den Energieverbrauch meiner Wohnung nehmen, müsste man den Eindruck gewinnen, die Wohnung sei besonders gut gedämmt. Dabei bin ich nur selten zuhause. Bei der Wohnung meiner Mutter müsste man denken: Um Himmels willen, was ist das für eine Katastrophe. Das liegt aber daran, dass meine Mutter 86 Jahre alt ist und sich unterhalb von Saunatemperaturen in arktischer Kälte wähnt. Mit anderen Worten: Wir brauchen einen für alle Wohnungen verpflichtenden Energiepass, der den tatsächlichen Bedarf anhand von Dämmung, Heizung und Verbrauch in Relation zur Größe des Hauses berechnet.

    Wer in der Autofahrernation Deutschland der Autoin"dus"trie hilft, kann Wahlen gewinnen. Folgt die Regierung auch im Fall Opel dieser Logik?

    Gabriel: Erstens: Ich habe als Umweltminister generell ein großes Interesse daran, dass es der deutschen Industrie gut geht. Wir werden die Probleme der Industriegesellschaft nur mit den Instrumenten der Indus"triegesellschaft bewältigen können, also mit technischem Fortschritt, der die Rohstoffe effizienter nutzt und wo immer möglich auf erneuerbare Rohstoffe umsteigt. Außerdem kann Deutschland anderen Ländern nur helfen, wenn wir wirtschaftlich erfolgreich sind. Ich konnte die Klimaschutzausgaben im Bundeshaushalt von 875 Millionen Euro im Jahr 2005 nur deshalb auf 3,4 Milliarden Euro steigern, weil viele Menschen Arbeit hatten und Steuern gezahlt haben. Zweitens: Die deutsche Autoindustrie ist in punkto Umweltfreundlichkeit wirklich spät gekommen. Drittens: Wer in Deutschland Milliardenbeträge zur Verfügung stellt, um die Finanz- und Wirtschaftskrise in den Griff zu bekommen, die eine Mischung aus Ignoranten und Gangstern an den Finanzmärkten verursacht hat, kann nicht in der gleichen Situation sagen, wir lassen 30.000 Mitarbeiter eines angeschlagenen Automobilunternehmens im Stich. Das wird in Deutschland zu abstrakt diskutiert. Die Leute gewinnen den Eindruck, dass der Staat anonymen Systemen wie der Finanzbranche schnell hilft, sich aber schwer tut, wenn es konkret um Menschen geht. Diesen Eindruck dürfen wir nicht verstärken, indem wir solche Kollateralschäden mit einem Schulterzucken hinnehmen nach dem Motto: So ist es eben in der Globalisierung.

    Auch das VW-Gesetz ist ein Politikum. Wird das Gesetz überflüssig, wenn VW und Porsche einen integrierten Konzern bilden?

    Gabriel: Nein. Diese Machtrangelei der Eignerfamilien hat ja damit begonnen, dass Chris"tian Wulff Ferdinand Piëch abschießen wollte. Um das zu verhindern, hatte Herr Piëch über die Porsche Familie begonnen, mehr Aktien zu kaufen, als Niedersachsen besitzt. Und nun wird in der Familie Porsche-Piëch "Dallas" gespielt. Die aktuelle Situation zeigt, wie wichtig es ist, dass das VW-Gesetz Bestand hat, um dieses Unternehmen vor Hedgefonds oder streitenden Familien zu schützen.

    Wie geht Ihrer Einschätzung nach der Machtkampf zwischen Wolfsburg und Stuttgart aus?

    Gabriel: Der ist schon ausgegangen. Ich habe immer gewusst, dass es von Wulff ein Fehler war, Piëch anzugreifen. Der Mann ist unbestechlich. Er hat ein Ziel: VW soll der erfolgreichste Autokonzern der Welt werden. Und er will, dass das mit den Familiennamen Porsche und Piëch verbunden ist. Ich habe Piëch damals zum VW-Aufsichtsratschef gewählt, als Ford schon die Fühler nach VW ausgestreckt hatte. Denn Piëch hatte die nötige Härte, dies zu verhindern.

    Erwarten Sie bis zur Bundestagswahl im September eine Verschärfung des sich abzeichnenden Lagerwahlkampfes?

    Gabriel: Die CDU wird das sicher versuchen. Ich glaube aber, dass es keine Lager gibt. Die Leute wählen nicht nach Lagern, sondern entscheiden nach der Frage, wer die Kompetenz hat, Deutschland aus der Krise herauszuführen und künftig krisenfester zu machen. Dazu wird es eine Richtungsentscheidung geben: Soll das Motto "Privat vor Staat" weiter gelten, das Frau Merkel und Herr Westerwelle vor der letzten Bundestagswahl propagiert haben und das nichts anderes bedeutet als Eigennutz vor Gemeinwohl. Oder hat der Staat auch die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass der Markt einen Rahmen bekommt, damit das Gemeinwohl nicht untergepflügt wird? Ich glaube, dass CDU und FDP einen gigantischen Wahlbetrug vorbereiten: Sie möchten gerne verschweigen, dass sie die ideologischen Wegbereiter für diese Krise sind. Dieses Manöver wird die SPD zu verhindern wissen. Es wird also einen Richtungswahlkampf geben und keinen Lagerwahlkampf.

    Sie als Bundesumweltminister tragen Mitverantwortung dabei, das Land aus der Krise herauszuführen. Auch Bundeskanzlerin Merkel war Umweltministerin. Ist dieser Posten ein Sprungbrett, sich für höhere Aufgaben zu qualifizieren?

    Gabriel: Das ist eine bösartige Frage. Ich will aber zunächst etwas zu Frau Merkel sagen: Sie macht eine gute Umweltpolitik. Es gibt zwischen uns keine Differenzen. Das Prob"lem ist nur, dass ihre eigene Partei das Gegenteil macht. Das beste Beispiel ist die Verhinderung des Umweltgesetzbuches von CSU und CDU. Insofern sage ich Frau Merkel immer: Das Beste, was wir tun können, um unsere Umweltpolitik durchzusetzen, ist: SPD wählen. Die Unions-Landesfürsten sind erklärte Gegner der Umwelt- und Klimapolitik der eigenen Bundeskanzlerin. Wir haben nur deshalb eine erfolgreiche Legislaturperiode hinter uns, weil wir Sozialdemokraten dafür gesorgt haben, dass sich Wulff, Rüttgers und Co. nicht durchgesetzt haben.

    Sie sagen, dass es keinen Lagerwahlkampf geben wird. In Niedersachsens SPD gibt es aber eine Lagerbildung. Warum lehnen Sie eine Neuordnung der Parteistruktur rigoros ab?

    Gabriel: In den wirklich wichtigen Fragen wie der Umwelt-, Bildungs- und Energiepolitik sind wir uns schon einig. Es gibt nur unterschiedliche Auffassungen, wie die Zukunft unserer Partei aussehen soll. Meine Auffassung ist: Der Zentralismus war noch nie ein Heilsbringer. Politisches Engagement hat etwas mit Heimatnähe zu tun. Zentrale Strukturen scheinen zwar effzient zu sein, führen aber dazu, dass ehrenamtliches Engagement immer weniger eine Rolle spielt und es immer mehr Berufspolitiker gibt. Die CDU hat in Niedersachsen mehr Bezirksverbände als die SPD -- und regiert.

    SPD-Landeschef Garrelt Duin hat Sie indirekt als beleidigte Leberwurst bezeichnet, weil Sie sich auf Platz 24 der Landesliste zur Bundestagswahl haben setzen lassen. Sind Sie noch beleidigt?

    Gabriel: Ich glaube nicht, dass ich diesen Eindruck mache. Leider ist es manchmal so, dass politische Meinungsverschiedenheiten dadurch verschleiert werden sollen, dass man persönlich wird. Ich halte davon nichts. In der Sache gibt es eine unterschiedliche Einschätzung darüber, wie ein Bundestagswahlkampf geführt werden muss: Sollen die Kandidaten der vorderen Listenplätze, Zugpferde für den Wahlkampf sein oder sollen diese Plätze nur innerparteilich dazu dienen, das eigene Prestige und die eigenen Führungsansprüche zu stabilisieren? Für Letzteres war ich nicht. Als ausgerechnet diejenigen, die in Niedersachsen ansonsten für die Abschaffung der Bezirksverbände plädieren, dann am härtesten den Proporz der Bezirke auf der Liste verteidigt haben, habe ich mich entschlossen, diesen unwürdigen Streit bereits im Januar dieses Jahres zu beenden. Denn in diesem Streit wurde vom Braunschweiger SPD-Bezirksverband gefordert, eine nun wirklich exzellente SPD-Bundestagsabgeordnete auf einen deutlich schlechteren Listenplatz zu setzen, weil nun zufällig die beiden bekanntesten niedersächsischen Sozialdemokraten aus Braunschweig kommen. Ich fand das alles unterirdisch und habe deshalb auf einem vorderen Platz verzichtet. Und nun sind alle glücklich und machen wieder für die Sache Wahlkampf. Ich auch.

Quelle: Landeszeitung Lüneburg

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