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Hamed Abdel-Samad: "Die Mafia der Religionen ist gefährlicher als die Cosa Nostra"

Archivmeldung vom 08.10.2021

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 08.10.2021 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Sanjo Babić
Bild: Giordano Bruno Stiftung Fotograf: Evelin Frerk
Bild: Giordano Bruno Stiftung Fotograf: Evelin Frerk

Als Vorgeschmack auf die neue Ausgabe des "bruno."-Jahresmagazins, die in der kommenden Woche erscheinen wird, hat die Giordano-Bruno-Stiftung heute ein ausführliches Interview mit ihrem Beirat Hamed Abdel-Samad veröffentlicht. Sehr offen spricht "Deutschlands bekanntester Islamexperte" darin über sein Leben unter Polizeischutz und seine Konversion vom streng gläubigen Moslem zum freigeistigen Humanisten.

bruno.: Du bist in einer sehr religiösen Familie in Ägypten aufgewachsen. Wie stark hat die Religion deine Kindheit und Jugendzeit geprägt?

Hamed Abdel-Samad: Da ich in einem religiösen Haushalt aufgewachsen bin, habe ich den Koran buchstäblich mit der Muttermilch aufgesaugt. Die Beschäftigung mit dem Koran hat eine lange Familientradition. Mein Vater, Großvater und Urgroßvater waren allesamt Imame, und von mir wurde erwartet, dass ich in ihre Fußstapfen trete. Bereits im Alter von drei Jahren habe ich daher begonnen, Koransuren auswendig zu lernen. Ich habe vieles davon einfach gedankenlos nachgeplappert. So lernte mein Gehirn den Wortlaut und die Melodie des Korans, ohne überhaupt die Bedeutung dahinter zu verstehen. (...)

Du hast dich später von deiner religiösen Erziehung losgesagt und dem Islam abgeschworen. Gab es eine konkrete Zäsur in deinem Leben oder war es ein längerer Prozess, der dazu geführt hat?

Es war ganz und gar nicht leicht, mich von der Religion loszusagen. Mein Verhältnis zum Islam war wie eine sehr intime Beziehung - vergleichbar mit einer Ehe, in der man Geborgenheit, Verständnis und Orientierung findet. Aber irgendwann fängt man möglicherweise an, seinen Ehepartner anzuzweifeln. Es schleicht sich langsam das Gefühl ein, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist. Ich stand damit vor einer schwierigen Entscheidung: Ignoriere ich weiterhin die roten Lampen, die vielen Fragezeichen in meinem Kopf, um den scheinbaren Frieden zu wahren, oder vergewissere ich mich, ob diese Beziehung tatsächlich so perfekt ist, wie ich es mir lange Zeit eingeredet habe? Ich musste mich fragen, ob die Beziehung zur Religion wirklich auf echter Liebe basiert oder auf meiner Feigheit und meinem Unvermögen, kritisch zu denken und die Wahrheit anzuerkennen. Irgendwann habe ich den Mut gefasst, diesen Fragen ehrlich nachzugehen. Mir wurde klar, dass es keine echte Liebe war, die auf Gegenseitigkeit beruhte. Es war eine Zwangsbeziehung, eine große Illusion.

Um bei dem Bild der Ehe zu bleiben: Hattest du einen Trennungsschmerz, nachdem du die Scheidung von der Religion hinter dich gebracht hast?

Ja, ich hatte Entzugserscheinungen wie ein Drogenabhängiger. Es war über mehrere Jahre ein Hin und Her, bis ich verstanden habe, dass ich inneren Frieden auch ohne den Islam finden kann. Dieser Schritt war nicht einfach. Denn die Religion hatte von Geburt an meinen Körper manipuliert, meine Beziehung zu mir selbst und zu anderen Menschen. Als Kind wird man ungefragt beschnitten und darf als Jugendlicher nicht mit der eigenen Sexualität experimentieren. Die Religion konfisziert den Körper in jedem Bereich: Was ich auf der Toilette tue, wie ich dusche, wann ich bete, was ich esse und nicht esse. Ich darf mich selbst nicht töten, aber Menschen für die Sache Gottes in die Luft jagen. Es ist ein Gott, der mir einen Körper schenkt, ihn aber für seine eigenen Bedürfnisse instrumentalisiert. Ein totalitärer Diktator, der Menschen kontrollieren will, hätte sich so etwas nicht besser ausdenken können. (...)

Man kann sagen, dass du deine Freiheit sehr teuer erkauft hast. Wegen deiner religionskritischen Bücher wirst du von Islamisten bedroht und stehst seit einigen Jahren unter Polizeischutz. Wie ist Freiheit überhaupt möglich unter diesen Umständen?

Tatsächlich war der Preis extrem hoch, den ich für meine Freiheit zahlen musste. Die psychischen, sozialen und sicherheitstechnischen Konsequenzen sind enorm. Als Mensch bin ich jedoch viel ruhiger geworden, selbst, nachdem ich Morddrohungen erhalten habe. Denn ich wusste, dass mein innerer Frieden von mir selbst abhängt und ihn mir niemand nehmen kann. Ich kann meine Überzeugungen morgen wieder ändern, ohne psychisch zusammenzubrechen. Fundamentalisten hängen dagegen zwanghaft an ihrem Glauben und sind von ihren Gedanken besessen.

Natürlich ist es traurig, dass ich unter diesen Umständen leben muss - aber nur meine physische Freiheit leidet, nicht meine geistige. Ich bin im Kopf viel, viel freier als diejenigen, die mich bedrohen. Was ich physisch an Freiheit verloren habe, versuche ich in Gedanken geistig auszugleichen, indem ich schreibe, mich für die Wahrheit einsetze und kontroverse Diskussionen anstoße. So gesehen haben nicht die Fanatiker gewonnen, sondern ich. Das ist am Ende des Tages auch ein Trost für mich. (...)

Quelle: Giordano Bruno Stiftung (ots)


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