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"Wie das Fernsehen die Unterschichten vorführt" - OBS-Diskussionspapier analysiert Zerrbilder und identifiziert Klischees in der Armutsberichterstattung

Archivmeldung vom 07.04.2020

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 07.04.2020 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott
Lügenpresse /Lügenmedien (Symbolbild)
Lügenpresse /Lügenmedien (Symbolbild)

Bild: Eigenes Werk /OTT

Angehörige der Unterschichten bekommen im "Unterschichtenfernsehen" ein Zerrbild von sich selbst präsentiert - und die übrige Gesellschaft ignoriert das weitgehend: sowohl die Armut selbst, die mitten im reichen Deutschland existiert, als auch die medialen Klischees, die über die Betroffenen verbreitet werden.

Dieses kritische Resümee zieht Autor Bernd Gäbler in "Armutszeugnis", einer neuen OBS-Publikation über Fernsehberichterstattung. Der in Bielefeld lehrende Medienwissenschaftler Bernd Gäbler hat mehr als hundert Stunden RTL II geschaut und dann insbesondere Sendungen wie "Hartz und herzlich" und "Armes Deutschland - Stempeln oder abrackern?" unter die Lupe genommen. "Im Tarnkleid des Mitgefühls", so Gäbler, "pflegt der Sender einen Extremismus des Elends und lockt besonders krasse Charaktere vor die Kamera." Aber auch Formate von RTL wie "Zahltag! Ein Koffer voller Chancen" und zahlreiche Berichte von ARD und ZDF, in denen Armut thematisiert wird, werden beschrieben und bewertet.

In den öffentlich-rechtlichen Sendern, so ein weiterer Befund, werde zwar qualitativ besser, aber zu stark saisonal und wenig nachhaltig über Armut berichtet. Insbesondere in fiktionalen Produktionen werde zu oft ausschließlich aus der Perspektive einer wohlhabenden Mittelschicht auf die Gesellschaft geblickt. Anders als in Nachbarländern - Ken Loach in Großbritannien, die Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne in Belgien oder Ladj Ly in Frankreich - gebe es in Deutschland keine Schule des sozial-realistischen Films. Interessante Interviews mit Senderverantwortlichen (Marcus Niehaves, ZDF), Reportern (Holger Baars, Radio Bremen) und der Regisseurin Aelrun Goette ergänzen die Analysen. Besonders aufschlussreich ist, was die 25-jährige Jacqueline Paetzel aus Bremerhaven über die Dreharbeiten preisgibt ("Ich bereue das total"). Sie hat als Protagonistin "Jacky P." in "Armes Deutschland - Stempeln oder abrackern?", ein auch von Gäbler untersuchtes Format, mitgemacht.

Jupp Legrand, OBS-Geschäftsführer, stellt im Vorwort fest: "Unser Diskussionspapier zeigt: Die gesellschaftliche Polarisierung findet ihre Fortsetzung in einer medialen Spaltung. Auch im Fernsehen gibt es fragmentierte Parallelwelten, die sich kaum berühren".

Autor und Stiftung rufen Journalisten- und Sozialverbände auf, gemeinsam mit den Betroffenen einen "Leitfaden zur respektvollen Armutsberichterstattung" zu erstellen, wie ihn die nationale Armutskonferenz in Österreich schon erarbeitet hat.

Zu der Publikation und dem Aufruf erklärt der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands Dr. Ulrich Schneider: "Eine kritische Sicht auf die Armutsberichterstattung im Fernsehen begrüße ich ausdrücklich. Menschen mit Armutserfahrung brauchen Empathie und Unterstützung. Sie dürfen nicht bloßgestellt und diffamiert werden, wie dies in einigen Sendungen des Privatfernsehens geschieht. Wenn auch in Deutschland Journalisten und Betroffene gemeinsam einen Leitfaden für eine respektvolle Armutsberichterstattung erarbeiten wollen, ist der Paritätische mit seiner Expertise gerne mit dabei."

Das Diskussionspapier will einen Anstoß geben, Armut konsequent im Blickfeld der Medien zu halten, über adäquate Formen der medialen Repräsentation der Betroffenen nachzudenken und zu einer ergebnisoffenen Debatte über Unzulänglichkeiten der journalistischen Praxis ermuntern. Der "untere Rand", so das Fazit von Autor und Stiftung, "gehört in die Mitte unserer Wahrnehmung".

Bernd Gäbler: Armutszeugnis. Wie das Fernsehen die Unterschichten vorführt; OBS-Arbeitspapier 40; Frankfurt/Main, April 2020

Quelle: Otto Brenner Stiftung (ots)

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