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Nuklear-Experte Stephan Kurth: Atomkraftwerke sind nicht beliebig nachrüstbar

Archivmeldung vom 10.07.2009

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 10.07.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Der Nuklear-Experte Stephan Kurth sprach in einem Interview mit der Landeszeitung Lüneburg über die Pannen in Krümmel und zur Zukunft der Atomenergie.

Müssen Krümmel und die sieben anderen alten Kernkraftwerke, wie Umweltminister Gabriel fordert, abgeschaltet werden?

Stephan Kurth: Krümmel kann abgeschaltet werden, ohne dass es massive Auswirkungen auf die Stromversorgung in Deutschland hat. Sollten sich die Betreiber dafür entscheiden, können die Reststrommengen auf neuere Anlagen übertragen werden, um wirtschaftliche Einbußen zu vermeiden.

Sollte es denn abgeschaltet werden?

Kurth: Wenn die Aufsichtsbehörde zu der Ansicht kommt, dass eklatante Sicherheitsmängel vorliegen, muss sie den weiteren Betrieb untersagen. Die Anlage ist zurzeit ja auch außer Betrieb. Zunächst muss die Ursachensuche zum Ereignis abgeschlossen werden.

Selbst die Bundesregierung zählt neuesten Meldungen zufolge diesen Reaktortyp nicht mehr zu den sichersten, was sagen sie dazu?

Kurth: Selbst die neuesten deutschen Reaktoren haben bereits 20 Jahre auf dem Buckel. In Deutschland haben wir Druckwasser- und Siedewasserreaktoren. Krümmel gehört zu den Siedewasserreaktoren, ging 1983 ans Netz. Die neuesten und fortschrittlichsten deutschen Anlagen sind Druckwasserreaktoren. Wenn man über Deutschland hinausgeht, gibt es beispielsweise in den USA Weiterentwicklungen auch bei den Siedewasserreaktoren, die weitergehende Sicherheitsmerkmale haben. Die Technik bleibt eben nicht stehen. So gesehen haben wir in Deutschland nur alte Anlagen.

Also hinken wir hinterher?

Kurth: Alte Anlagen kann man zwar im Detail nachbessern, aber gewisse Grundmerkmale bleiben. Ein einfaches Beispiel ist die Dicke des Betonmantels, der vor Flugzeugabstürzen und anderen Einwirkungen schützen soll. Man kann bestehende Anlagen nicht beliebig nachrüsten. So bringt die Zeit es mit sich, dass ältere Anlagen immer stärker von dem Standard abweichen, den man erreichen könnte.

Dennoch behauptete Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger nach dem jüngsten Pannenfall in Krümmel: ,,Wir haben die sichersten Atomkraftwerke der Welt. Ist diese Aussage haltbar?

Kurth: Es ist richtig, den Anspruch zu erheben, die sichersten Atomkraftwerke der Welt zu haben. Die Frage nach den sichersten Kernkraftwerken lässt sich aber nicht so einfach beantworten, denn ein belastbarer Vergleich ist dazu bisher nicht geführt worden. Es wäre eine gefährliche Absicht, Kernkraftwerke länger laufen zu lassen, die lediglich den Stand der Technik erfüllen. Das wäre ein deutlicher Rückschritt in Sachen Sicherheit gegenüber dem heutigen Stand. Das Atomgesetz fordert eine weitergehende Schadensvorsorge, die dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen muss.

Kann der Störfall in Krümmel, wie die stellvertretende CDU-Vorsitzende Annette Schavan sagte, als Einzelfall abgetan werden?

Kurth: Jeder Störfall hat eine gewisse Einzigartigkeit, weil nicht immer alle Randbedingungen vergleichbar sind. Nichtsdestotrotz zeigt die Betriebserfahrung, dass gewisse sicherheitsrelevante Ereignisse und gleiche oder ähnliche Ursachen für Ereignisse immer wieder auftreten. Insofern ist die Tatsache, dass Kernkraftwerke eben nicht 100-prozentig sicher sind, kein Einzelfall.

Vattenfall hat nun, Tage nach dem Kurzschluss, Fehler beim Überprüfen des Transformators eingeräumt. Experten halten es nicht für ungewöhnlich, dass ein Transformator, der zwei Jahre außer Betrieb war, schlagartiger Belastung nicht standhält. Muss man hier von Dilettantismus oder Fahrlässigkeit sprechen?

Kurth: Es gibt genügend Beispiele, dass aus Erfahrungen nicht ausreichend gelernt wird. Fehler wiederholen sich zwar nicht immer in genau identischer Weise, aber doch auf vergleichbare Art. Das muss bei der Überprüfung immer ins Kalkül gezogen werden, um Wiederholungen zu vermeiden -- siehe Trafo-Schaden.

Zurück zur Trafo-Belastung. Die Atomaufsichtsbehörde hatte die Messung von Restladungen sogar vorgeschrieben. Das wurde versäumt. Darf das passieren?

Kurth: Auf gar keinen Fall. Sofern es dazu eine verbindliche Vereinbarung gab, wäre dieses Versäumnis quasi ein weiteres Ereignis auf der Mängelliste. Unabhängig davon ist die besondere Belastung beim Hochfahren eigentlich ein Punkt, den man im Auge haben müsste. Schon aus dem Eigeninteresse des Betreibers.

Die Transformatoren, die jetzt ersetzt werden sollen, sind Baujahr 75 und 82. Hätte Ersatz für die Mega-Umwandler von rund 400 Tonnen angesichts der etwa ein- bis zweijährigen Bauzeit nicht längst in Auftrag gegeben werden müssen?

Kurth: Hinterher ist man immer schlauer. Es ist schwer zu beurteilen, ob man bei der Fehleranalyse zu dem Vorfall von 2007 darauf hätte kommen müssen, dass auch dieser Transformator ausgetauscht werden muss. Durch den Brand war die Ursachensuche zudem erschwert.

Die Transformatoren haben nichts mit dem Reaktor direkt zu tun, sondern nur mit der Übertragung der erzeugten Energie. Welchen Rang hat dieser Bereich der Stromerzeugung in der Störfallbewertung?

Kurth: Ein Ausfall des Trafos ohne weitere Folgen ist noch kein nuklearer Störfall. Meldepflichtig wurde der Vorfall durch die automatische Schnellabschaltung, mit der in die Abläufe im Reaktor eingegriffen wurde. Das Auffällige bei diesem Fall ist, dass man eine Störung außerhalb des Reaktors hat, und man es nicht schafft, eine Rückwirkung auf den Reaktor auszuschließen.

In Hamburg hatte die Krümmel-Abschaltung Stromausfälle und Wasserrohrbrüche zur Folge. Wie kann das sein bzw. vermieden werden?

Kurth: Die Schnellabschaltung war erforderlich, um Schäden am Reaktor zu vermeiden. Hier sieht man deutlich die Verknüpfung von nicht-nuklearem und nuklearem Bereich. Die Systeme sind räumlich getrennt, die Funktionen greifen aber ineinander. Dass nun außerhalb, also bei Kunden, Schäden aufgetreten sind, ist ein Problem der Netzstabilität.

Wir haben doch in Deutschland ein Verbundnetz, wie kann es da zu solchen Versorgungslücken kommen?

Kurth: Offensichtlich waren die Reserven nicht verfügbar oder die Umschaltung hat nicht schnell genug geklappt. Das liegt allerdings nicht in der Verantwortung des Kraftwerks, sondern bei der Netz-Zentrale.

Der fortschreitende Klimawandel beflügelt die Befürworter der Atomenergie. Gleichzeitig wird sie als ,,Brückentechnologie" auf dem Weg zu erneuerbaren Energien bezeichnet. Ist das nur eine Beschwichtigung sorgenvoller Bürger oder eine ernsthafte Strategie auf dem Weg zur Energie-Wende?

Kurth: Der ,,Brücken-Charakter" ergibt sich schon allein daraus, dass die Uranvorräte begrenzt sind. Und zum anderen daraus, dass die Kernenergie aufgrund ihrer Risiken in der Diskussion steht und nicht dauerhaft akzeptiert wird. Von daher ergibt sich auch die Erfordernis einer Energie-Wende.

Egal, ob es beim Ausstieg bleibt oder nicht, was bleibt ist der Atommüll. Gibt es Hoffnung für ein sicheres Endlager?

Kurth: Es besteht der Anspruch, ein Endlager zu finden, das bestmögliche Sicherheit gewährleistet. Ein vollständig risikofreies Endlager ist Utopie. Wie lange und wo man den Atommüll sicher unterbringen kann, muss wissenschaftlich geklärt werden. Darüber hinaus sind Entscheidungen in der Politik notwendig. Das Thema darf nicht vernachlässigt werden. Atommüll ist bereits vorhanden und weiterer kommt dazu.

Das Endlager im ehemaligen Salzbergwerk Asse erweist sich als Flop. Ist es vor diesem Hintergrund ratsam, weiterhin auf Gorleben, ebenfalls ein Salzstock, als Endlager zu setzen?

Kurth: Eine Grundanforderung ist, dass das Auswahlverfahren transparent sein muss. Ergebnisse und, ganz wichtig, auch die Risiken müssen offen kommuniziert werden. Die Eignung der möglichen Alternativen ist noch zu sehr in der wissenschaftlichen Diskussion, als dass man sich heute schon festlegen kann.

Quelle: Landeszeitung Lüneburg (Das Gespräch führte Dietlinde Terjung)

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