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Fusionskraft: Kilos mit Wasserstoff statt Züge voll Kohle

Archivmeldung vom 25.05.2021

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 25.05.2021 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Anja Schmitt
Kernkraftwerk Tihange
Kernkraftwerk Tihange

Foto: Hullie
Lizenz: CC BY-SA 3.0
Die Originaldatei ist hier zu finden.

Beim internationalen Riesenprojekt Iter soll demnächst zum ersten Mal mehr Energie durch Kernfusion freigesetzt werden, als reingesteckt wird. Aber was geschieht eigentlich in einem Fusionskraftwerk? Was ist aktuell schon möglich? Und was muss noch optimiert werden? SNA hat den Plasmaforscher Hartmut Zohm gefragt.

Weiter ist auf deren deutschen Webseite dazu folgendes zu lesen: "Im Süden Frankreichs entsteht seit Jahren mit Iter das weltgrößte Versuchskraftwerk zur Kernfusion. Iter steht für „International Thermonuclear Experimental Reactor“, an seiner Entstehung sind mehrere EU-Staaten, Russland, China, Indien, die USA, Großbritannien und viele weitere Länder beteiligt. In Fusionskraftwerken werden Prozesse nachgeahmt, die im Inneren der Sonne ablaufen: Die Wasserstoff-Isotope Deuterium und Tritium verschmelzen bei extrem hoher Temperatur zum schwereren Element Helium, wobei eine große Menge Energie frei wird.

>> Was sind Isotope und wo spielen sie eine Rolle?

Isotope sind verschiedene Atomarten, die zum selben Element gehören und sich nur in der Zahl der Neutronen im Atomkern voneinander unterscheiden. So besteht Wasserstoff etwa nur aus einem positiv geladenen Proton im Atomkern und einem negativ geladenen Elektron in der Atomhülle. Das Wasserstoff-Isotop Deuterium dagegen verfügt zusätzlich zum Proton noch über ein ladungsloses Neutron im Kern. Das noch schwerere Tritium hat zwei Neutronen zusätzlich im Kern. Bei der Kernfusion verschmelzen Deuterium und Tritium zu einem Helium-Atom, das aus zwei Neutronen und zwei Protonen im Kern und zwei Elektronen in der Hülle besteht. Ebenfalls bekannt ist das radioaktive Kohlenstoff-Isotop C14, das zwei Neutronen mehr im Kern enthält als gewöhnlicher Kohlenstoff und mit der Zeit langsam zerfällt. Sein langsamer Zerfall ermöglicht es, das Alter von Fossilien zu bestimmen. Berühmt ist ebenso das Uran-Isotop U-235, das eine wichtige Rolle bei der Kernspaltungs-Kettenreaktion in Kernkraftwerken spielt. <<

Im Iter-Kraftwerk, das planmäßig 2025 fertiggestellt wird, soll zum ersten Mal gezeigt werden, dass bei diesem Prozess mehr Energie gewonnen werden kann, als vorher reingesteckt wird. SNA hat mit dem Fusionsforscher Hartmut Zohm vom Max-Planck-Institut für Plasmaforschung über dieses Projekt und den Stand der Fusionskraft gesprochen.

Herr Zohm, seit den 60er-Jahren ist Kernfusion als Energiequelle der Zukunft ein Thema und Kraftwerke in der Entwicklung. Sie selbst arbeiten an einer der beiden größten deutschen Versuchsanlagen, Asdex Upgrade. Was ist der aktuelle Stand der Kernfusionsforschung und was sind die größten Herausforderungen?

Der aktuelle Stand ist: Das Iter-Experiment geht Mitte des Jahrzehnts in Betrieb. Da wird versucht, ein sehr heißes Plasma mit mehreren hundert Millionen Grad Celsius in einem Magnetfeld einzuschließen. Dazu muss die Wärme-Isolation sehr gut gemacht werden, damit man mit einer endlichen Heizleistung auf die Temperaturen kommen kann. Daran scheiterte es bislang in vielen Versuchen. Mit einer großen Anlage wie das Iter-Experiment reicht die Wärmeisolation, dass man mit ausreichend geringer Heizleistung die hohen Temperaturen erreichen kann. Wir mussten lernen, wie das geht, weil Turbulenz den Transport der Wärme aus dem Plasma bestimmt. Aber das haben wir in den letzten 20, 30 Jahren so verstanden, dass wir Iter designen und jetzt auch bauen konnten. Der soll zeigen, dass mehr Fusionsenergie rauskommt, als zum Heizen deponiert wird im Plasma.

Wird im Iter ein kontinuierlicher Betrieb stattfinden, bei dem auch Energie gewonnen wird?

Iter ist nicht dafür ausgelegt, am Schluss Elektrizität zu erzeugen. Iter wird auch Pulse von ungefähr zehn Minuten machen, über die es dann stationär läuft. Die Anlage ist groß genug, um zu zeigen, dass das Prinzip funktioniert, aber nicht groß genug, um auf längere Sicht Elektrizität ans Netz zu bringen. Das Ziel von Iter ist es, zu zeigen, dass die Energiebilanz positiv aufgehen kann. Danach oder parallel dazu würde man eine Anlage bauen, die Elektrizität ans Netz bringt.

Sind die Nachfolge-Projekte wie Demo und Proto bereits jetzt in Planung, damit weitere Experimente stattfinden können?

Forscher gehen davon aus, dass, wenn Iter Mitte der 30er-Jahre erfolgreich ist, statt dem Experiment ein Demonstrationskraftwerk gebaut wird, das dann wirklich stationär Elektrizität erzeugt und die ins Netz speist. Und weil die Zeitskalen so lang sind, will man zum Zeitpunkt des Nachweises durch Iter so weit sein, dass das Demonstrationskraftwerk gleich gebaut werden kann.

Sie hatten die Wärme-Isolation erwähnt oder das Problem von Wärmeverlusten. Wie geht man das an?

Iter unterscheidet sich in der Größe und durch stärkere Magnetfelder von den meisten der jetzigen Experimente. Das Magnetfeld zwingt ja die geladenen heißen Teilchen auf eine Kreisbahn, sodass sie nicht aus dem Plasma an die Gefäßwand entweichen können. Je stärker das Magnetfeld, umso größer die Kraft, mit der das zusammengehalten wird. Iter hat ein fünf Tesla Magnetfeld, unser Asdex Upgrade zweieinhalb Tesla. Das Magnetfeld ist doppelt so groß, die Kraft quadratisch erhöht, also viermal so groß im Iter. Und weil man es größer baut, ist die Schicht zur Wärmeisolation auch größer. Das ist wie bei Dämmmaterial. Je dicker die Hauswände, umso besser ist die Wärmeisolation, umso weniger muss man heizen. Dazu gibt es Tricks, wie die Turbulenz zum Teil unterdrückt werden kann, indem man zum Beispiel das Plasma rotieren lässt, sodass unterschiedliche Teile des Plasmas unterschiedlich schnell rotieren und turbulente Wirbel dann auseinandergerissen werden. Deshalb haben sie eine kleinere Größe und einen geringeren Transport.

Worin unterscheidet sich denn die Kernfusion von der Kernspaltung, vor allem mit Blick auf das Atommüll-Problem, das die Debatte um die Kernspaltung prägt?

Der Unterschied ist, dass Kernspaltungskraftwerke schwere Kerne spalten und Fusionskraftwerke leichte Kerne fusionieren. Der Hauptunterschied ist aber: Beim Spaltungskraftwerk handelt es sich um eine Kettenreaktion, die geregelt werden muss und die das Potential hat, unkontrolliert durchzugehen. Bei der Kernfusion ist das nicht der Fall. Dauernd muss Brennstoff nachgefüllt werden, und sobald etwas schiefgeht, schaltet es sich von selbst ab. Eine Selbstzerstörung der Anlage aufgrund eines Störfalls ist nicht möglich vom physikalischen Prinzip her.

Ein zweiter Unterschied ist, dass die Isotope, die verwendet werden, zunächst die Brennstoffe, nur relativ kurze Halbwertszeiten haben. Es entsteht zwar auch Radioaktivität, so wie bei der Kernspaltung. Aber das Problem, dass Mengen an Abfall mit sehr langen Halbwertszeiten anfallen, die endgelagert werden müssen, sehen wir bei der Fusion nicht. Wir sind der Meinung, man kann Materialien entwickeln, die dafür sorgen, dass das Ganze vielleicht hundert Jahre gelagert werden muss. Aber danach ist es ungefährlich.

Bei der Kernspaltung versuchen Forscher ja auch durch nachgeschaltete Anlagen den Müll drastisch zu reduzieren und kurzlebiger zu machen. Ist das ein realistisches Vorhaben oder ferne Zukunftsmusik?

Die Verbrennung von Atommüll ist im Prinzip eine tolle Idee, aber im Augenblick mindestens so weit entfernt wie die Kernfusion und wahrscheinlich noch weiter. Mit viel Investition in die Kerntechnologie könnte man Dinge tun. Die Spaltungstechnologie steht in vielen Ländern nicht mehr in einem positiven Licht, und deshalb wird daran nicht so viel weitergeforscht.

In der Kernfusion gab es im Jahr 2018 eine Erfolgsmeldung aus China. Da wurde über zehn Sekunden lang Plasma erreicht, bei einer Temperatur von 100 Millionen Grad Celsius. Was bedeutete dieses Ereignis für die Fusionsforschung?

Es waren 100 Sekunden. Die Plasmaparameter, die das East-Experiment in China erreicht hat, sind so ähnlich wie die, die wir an unserem Asdex Upgrade auch erreichen. Es ist nicht so, dass das jetzt ein Rekord an Temperatur oder Druck oder anderem gewesen wäre. Aber das Experiment ist supraleitend, verfügt über supraleitende Spulen und ist deshalb für Dauerbetrieb ausgelegt. Es war toll zu zeigen, dass man das stationär und stabil über diese langen Zeiträume hinweg halten kann. Unser Asdex Upgrade hat zum Beispiel Kupferspulen, und die werden sehr heiß, während der große Strom durchfließt, um das Magnetfeld zu erzeugen. Wir müssen nach zehn Sekunden unsere Experimente beenden, dann eine Viertelstunde lang abkühlen und wieder aufladen lassen, bevor wir das nächste Experiment machen können. Die Kollegen in China können das stationär machen und haben das für mehr als 100 Sekunden gezeigt.

Um einmal das Gefühl für das Potential dieser Energiequelle zu bekommen: Gibt es da auch eine Beispielrechnung, wie viele Wasserstoff-Isotope wie viele Haushalte versorgen können oder Ähnliches?

Wenn man es mit einem Kohlekraftwerk vergleicht, dann fahren in ein großes Kohlekraftwerk ein bis zwei Güterzüge mit Kohle pro Tag rein. Das Gleiche lässt sich mit einigen wenigen Kilogramm Deuterium-Tritium-Brennstoff bewerkstelligen.

Woher bezieht man eigentlich die Wasserstoff-Isotope?

Das Deuterium kann aus dem Meerwasser gewonnen werden, das ist da zu einem kleinen Anteil vorhanden. Das ist eigentlich kein Problem. Das radioaktive Wasserstoff-Isotop Tritium hat eine kurze Halbwertszeit von zwölf Jahren, deshalb gibt es das natürlich nicht. Man würde das deswegen direkt im Reaktor herstellen, im innersten Kern. Das wird aus Lithium gewonnen. Dieses Lithium ist in der Wand des Reaktorgefäßes, und da wird genauso viel Tritium erzeugt, wie wieder verbrannt wird. Es ist ein in sich geschlossener Kreislauf. Die Rohstoffe sind: das Deuterium aus dem Meerwasser und das Lithium aus Gestein.

Wenn wir jetzt auf den Strommix der Zukunft blicken: Bei den erneuerbaren Energien ist die Grundlast das große Problem, das man mit unzähligen Speichern versucht zu lösen. Wäre Kernfusion analog zu Kernkraftwerken imstande, eine Grundlast zu erzeugen?

Das wäre eine der vorstellbaren Anwendungen. Nach meinem Dafürhalten wird man nicht auf 100 Prozent regenerativ gehen können und man wird immer eine Art Grundlast und Ausregellast runterfahren zu haben, von der man auch weiß, dass sie auch zur Verfügung steht, wenn man sie abrufen will. Und da sind von der Netzstabilität bei der Fusion ähnliche Eigenschaften wie bei einem Kohlekraftwerk oder großen Gasturbinen-Kraftwerken oder einem Spaltungskraftwerk. Es wäre sicher eine große Einheit. Man würde sicher keine kleinen Fusionskraftwerke bauen, die dann mit wenig Leistung laufen. Aber es wären große, die zentral dazu da sind, eine Grundversorgung zu gewährleisten.

Wenn wir von Größe reden: Bei Kernkraftwerken sind kleine Anlagen gerade sehr modisch. Ursprünglich sollten ja auch Fusionskraftwerke kleiner ausfallen. Meinen Sie, solche Miniaturisierungen werden irgendwann bei Fusionskraftwerken Einzug halten, oder werden das große Maschinen bleiben?

Nach der jetzigen Technologie müssen das große Maschinen sein von der Größenordnung eines großen Spaltungskraftwerks oder eines großen mehrblockigen Kohlekraftwerks. Man kann sich allerdings vorstellen, dass durch neue Magnetfeldtechnologien, an denen gerade geforscht wird, kompaktere Anlagen gebaut werden können. Wenn man das Magnetfeld noch einmal um einen Faktor Zwei erhöhen könnte, was diese Technologien versprechen, könnte man die Maschine nochmal deutlich kompakter bauen.

Es gab Anfang Mai ja auch eine Konferenz der Internationalen Atomenergie-Organisation zu den Fortschritten in der Kernfusion. Können Sie dazu noch etwas sagen?

Das ist eine wissenschaftliche Konferenz, die alle zwei Jahre stattfindet, mit allen Ländern, in denen Fusionsforschung betrieben wird. Ein Highlight war sicher der Fortschritt beim Zusammenbau des Iter. Es mussten ja bislang die Teile gebaut, die Technologien entwickelt werden. Inzwischen sind viele Teile vor Ort und werden zusammengebaut, und man sieht richtig auf der Iter-Baustelle, dass es vorangeht. Wissenschaftlich gibt es viele Einzelheiten, die für den Plasmaphysiker interessant sind. Außerdem versucht man neue Technologien einzubinden, etwa höhere Magnetfelder mit Hochtemperatursupraleitung. Dazu gibt es einige Projekte, und da schaut man relativ gespannt drauf. Das könnte uns nochmal deutlich helfen in unserem Bestreben, auch kleinere, kompaktere Maschinen zu bauen. "

Quelle: SNA News (Deutschland)

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