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Freilerner-Urgestein: „Jedes Kind will etwas lernen – das liegt in unserer Natur“

Archivmeldung vom 09.06.2021

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 09.06.2021 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Sanjo Babić
Joya Marschnig, Symbolbild Kinder Pixabay / Privat / WB / Eigenes Werk
Joya Marschnig, Symbolbild Kinder Pixabay / Privat / WB / Eigenes Werk

Alternative Lernmöglichkeiten werden immer gefragter. Häuslicher Unterricht ist eine Sache, aber da gibt es auch noch „Freilerner.at – Verein zur Förderung freier und selbstbestimmter Bildung“. Eine ganz andere Möglichkeit, die im Mainstream noch wenig Beachtung findet. Joya Marschnig, eines der „Urgesteine“ der Freilerner, hat dem Wochenblick ein Interview gegeben.

Wochenblick: Frau Marschnig, wie alt ist Ihr Kind und was hat Sie dazu bewogen, alternative Lernmethoden zu suchen?

Joya Marschnig: Meine Tochter ist mittlerweile 23 Jahre alt. Mit 6 Jahren hat sie eine Musik-Volksschule besucht. Bereits nach 2 Monaten hat uns ihre damalige Lehrerin gesagt, dass ihre Arbeitshaltung nicht passt. Das erste Schuljahr haben wir aber trotzdem mehr schlecht als recht an einer Schule absolviert. Meine Tochter war dann bereits völlig entmutigt und ich musste was ändern. Deshalb habe ich sie gleich nach der ersten Klasse Volksschule zum häuslichen Unterricht abgemeldet. Bereits 2006 machte ich mich österreichweit auf die Suche nach gleichgesinnten Eltern. So ist überhaupt die Idee entstanden, eine Alternative zum starren Schulsystem zu finden und sich dafür stark zu machen. Meine Tochter wäre im Schulsystem zerbrochen. Ich wollte sie bestmöglich unterstützen.

  • Präsentation der schönsten Werke

Wochenblick: Wie lief das in weiterer Folge ab?

Joya Marschnig: Wir haben die gesamte Volksschulzeit im häuslichen Unterricht verbracht. Die Schulbücher bekommt man dazu von der Regelschule. Wir machten die vorgeschriebenen Externistenprüfungen an einer Volksschule mit Montessori-Schulversuch. Meine Tochter lernte nach freier Zeiteinteilung und brauchte für das Erlernen des Schulstoffs nur etwa ein Drittel der Zeit.

Sie hatte somit viel freie Zeit, konnte sich mit ihren Interessen beschäftigen und vieles selbst entdecken und erforschen. Meine Tochter hatte zuhause nicht nur Schulstoff gelernt, sondern auch viele Werke, zeichnerisch und handwerklich, gefertigt. Die Prüfung war somit eigentlich ein Präsentieren ihrer schönsten Werke. Das bleibt mir bis heute in sehr positiver Erinnerung!

  • Wichtiges Positionspapier – 3 Säulen des Freilernens

Wochenblick: Wann ist dann der Verein entstanden? Was sind die Grundsätze des Vereins „Freilerner.at“?

Joya Marschnig: 2010 entstand der Verein „Freilerner“ zur Unterstützung von Familien im Häuslichen Unterricht. 2015 erfolgte dann die eindeutige Abgrenzung zum häuslichen Unterricht und die klare Positionierung zum selbstbestimmten Lernen der jungen Menschen.Diese folgen dabei ihren ganz eigenen Interessensgebieten, Begabungen und ihrer Begeisterung. Von uns Erwachsenen werden sie begleitet und unterstützt, wir geben ihnen aber nichts vor.

Im November 2019 entstand als Gemeinschaftsentscheidung unser enorm wichtiges Positionspapier. Es geht vor allem darum, informelle Bildungswege schnellstmöglich zu legalisieren! Bereits seit Jahrzehnten ist wissenschaftlich erwiesen, wie Lernen funktioniert. Intrinsische Motivation, individuelle Begleitung, Begeisterung und das Lernen im eigenen Tempo stehen dabei im Mittelpunkt.

Die Ablegung einer jährlichen Externistenprüfung nach dem staatlichen Lehrplan steht dazu im Widerspruch. Freilernen bedeutet „Unschooling – freies selbstbestimmtes Lernen“. Die drei Säulen sind Intrinsische Motivation, Informelles Lernen und Individuelle Entwicklung. Mehr dazu auf unserer Website bzw. in dem Positionspapier.

  • Nach Geldstrafe folgte Ersatzfreiheitsstrafe

Wochenblick: Wie war dann Ihr Plan nach der Volksschulzeit? Wieder ab in die Schule?

Joya Marschnig: Nein, ich war mir zu diesem Zeitpunkt schon sicher, meine Tochter soll sich frei entfalten. So gab es für uns nur eine Möglichkeit, nämlich den Weg der selbstbestimmten Bildung weiterzugehen. Wir mussten allerdings dennoch die jährlichen Externistenprüfungen ablegen. Wir hatten eine Partnerschule (Privatschule mit Öffentlichkeitsrecht) in Tirol gefunden, an der wir die Prüfung ablegen hätten können. Diese wurde aber von den Behörden leider dann im Endeffekt nicht akzeptiert. Mit der 8. Schulstufe, im Jahr 2012 hätte meine Tochter die Prüfung für den Hauptschulabschluss machen müssen.

Wir erhielten die Vorschrift vom Bezirksschulinspektor, die Prüfung an einer öffentlichen Schule abzulegen, andernfalls hätte meine Tochter ihre 8. Schulstufe nochmals in der Schule absolvieren müssen. Da ich mir das aber nicht gefallen ließ, ging die Beschwerde weiter bis zum Verwaltungsgerichtshof. Ich erhielt eine Strafe über 100 Euro, wogegen ich ebenfalls einen Einspruch einlegte. Die Entscheidung darüber zog sich über eineinhalb Jahre, bis zum Jänner 2014, hin. Da war dann die Schulpflicht meiner Tochter längst vorüber.

Mir wurde dann zugestellt, dass der Verwaltungsgerichtshof über die Schulwahl nicht zu entscheiden hätte und dem Einspruch gegen die Verwaltungsstrafe nicht stattgegeben werde. Somit erhielt ich die Androhung zur Ersatzfreiheitsstrafe, sollte ich den Betrag von mittlerweile 110,- Euro nicht bezahlen. Über Spenden kam dann eine Summe von 90,- Euro zusammen. Für den Rest wurde ich zur Ersatzfreiheitsstrafe von 1 Stunde und 40 Minuten ins Polizeianhaltezentrum in Graz verbracht.

  • Informelles Lernen

Wochenblick: Wie funktioniert diese Art zu lernen?

Joya Marschnig: Zuerst einmal muss man sich selbst als Elternteil die Frage stellen: „Ist mein Leben kindertauglich?“ Der Alltag muss so gestaltet werden, dass Kinder nicht daneben „herlaufen und funktionieren“ müssen, sondern als vollwertiges Mitglied in der Familie angesehen werden. Ich habe mein Kind in Entscheidungen mit einbezogen. Die Kinder bekommen auf diese Art ein gutes Gespür für sich selbst und lernen, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen.

Der andauernde Vergleich mit anderen fällt weg – jeder ist gut, so wie er ist, und trägt seinen Teil zum Ganzen bei. Das ist eine der wichtigsten Botschaften, die man Kindern mit auf den Weg geben kann. Dadurch verändert sich auch das eigene Leben komplett – bei uns jedenfalls war es so. Wir haben als Familie viel mehr intensive Zeit zusammen erlebt und auch viele neue Freunde gefunden.

Wochenblick: Wie haben Sie es mit Ihrer Tochter gemacht?

Joya Marschnig: Mit meiner Tochter habe ich das Lernen größtenteils in den Alltag eingebaut. Ich habe sie bald beispielsweise die Haushaltskassa verwalten lassen. Sie hat über Einnahmen, Ausgaben etc. Buch geführt. Rechnen und Schreiben waren somit an der Tagesordnung. Sie hat immer schon gerne gelesen, da habe ich mir Geschichten von ihr vorlesen lassen. Aber auch selbst hat sie gerne Geschichten geschrieben, diese sogar gemalt oder illustriert.

Für Englisch beispielsweise haben wir auch mit diversen Lern-CD’s gearbeitet. Zusätzlich habe ich sie seit Kindertagen in die Haushaltsführung eingebunden. Sie half mir oft beim Kochen und Backen und begleitete mich auch, als ich eine Zeitlang in einem Seminarhaus als Köchin arbeitete. Was aber nicht zu unterschätzen ist, ist das „freie Spiel“. Dafür soll genügend Zeit sein. Dadurch lernen Kinder, sich mit sich selbst und mit vorhandenen Dingen zu beschäftigen.

Jedes Kind hat das Interesse, etwas zu lernen – das liegt in unserer Natur. Aber statt „ich muss“ soll es „ich will“ heißen. Meine Tochter hat sich z.B. bereits mit 10 Jahren für Schildkröten interessiert, wollte auch selbst welche halten. Sie recherchierte selbständig alles darüber und kümmerte sich fleißig. Nun mit ihren 23 Jahren arbeitet sie u.a. als Tierpflegerin bei den Schildkröten, ist aber auch eine begabte Künstlerin und Sängerin.

  • Hürden, Bürokratie, angedrohte Strafen

Wochenblick: Gab und gibt es viele Hürden, mit denen „Freilerner“ zu kämpfen haben?

Joya Marschnig: Jedes Schuljahr muss nach den gesetzlichen Regelungen in Österreich eine Externistenprüfung abgelegt werden. Der Lehrplan ist demnach auch im häuslichen Unterricht einzuhalten, da eine Externistenprüfung an einer öffentlichen (Regel-)Schule abgelegt werden muss. Da gibt es oft Schwierigkeiten mit den Behörden, wie den Bildungsdirektionen, da bestimmte Schulen vorgeschrieben werden können. Privatschulen mit Öffentlichkeitsrecht, die eine dem Freilernen am nächsten kommende pädagogische Ausrichtung vertreten, könnten laut Schulpflichtgesetz ebenso diese Prüfungen abnehmen. Das wird diesen Schulen aber derzeit nicht erlaubt.

Ein Beispiel für behördliche Willkür ist eben diese Auslegung des Gesetzes. Das Recht des jungen Menschen, die eigene Bildung selbst zu gestalten, wird von den Behörden nicht respektiert. Wenn Externistenprüfungen nicht abgelegt werden, werden die Eltern aufgefordert dafür zu sorgen, dass das Kind in die Schule geht. Andernfalls werden Verwaltungsstrafen verhängt und auch das Jugendamt eingeschaltet.

  • Eltern ermutigen

Joya Marschnig: Ich möchte alle Eltern ermutigen, sich für ihre Kinder einzusetzen. Man darf sich durch die Behörden und deren Androhungen nicht einschüchtern lassen. Sie haben nicht das Recht, über uns und unsere Kinder zu bestimmen! Indem wir selbst Verantwortung übernehmen, lernen die jungen Menschen durch unser Vorbild auch für sich und ihr Leben in die Eigenverantwortung zu gehen.

Quelle: Wochenblick


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