Corona-Amnestie in Thüringen?
Der Ausschuss für Justiz, Migration und Verbraucherschutz des Thüringer Landtags hat ein schriftliches Anhörungsverfahren zum Entwurf eines Thüringer Coronamaßnahmen-Unrechtsbereinigungsgesetzes initiiert. Darüber berichten die Autoren des Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte (KRiStA).
Weiter berichten sie: "
Nach diesem Gesetzentwurf sollen Betroffene aus dem Landeshaushalt entschädigt werden, die aufgrund eines oder mehrerer Verstöße gegen Regelungen der einschlägigen Thüringer Verordnungen zur Bekämpfung des Corona-Virus Buß- bzw. Verwarngelder sowie in diesem Zusammenhang ggf. Anwalts- und Gerichtskosten nach dem gesetzlichen Kosten- und Gebührenrecht aufwenden mussten. So heißt es auf der Webseite zu dem Gesetzesvorhaben.
Angehört wurde in diesem Rahmen auch das Netzwerk KRiStA. Unsere Stellungnahme wird als Beitrag zur öffentlichen Diskussion der Aufarbeitung des Corona-Unrechts nachfolgend veröffentlicht.
An den
Thüringer Landtag
Jürgen-Fuchs-Straße 1
99096 Erfurt
Donnerstag, 17. April 2025
Anhörungsverfahren gemäß § 79 der Geschäftsordnung des Thüringer Landtags
Ihr Schreiben vom 28. Februar 2025 – Drs. 8/58
Sehr geehrte Damen und Herren,
das Netzwerk KRiStA dankt für die Gelegenheit zur Stellungnahme im Anhörungsverfahren zum Beratungsgegenstand
Thüringer Coronamaßnahmen-Unrechtsbereinigungsgesetz
Gesetzentwurf der Fraktion der AfD
– Drucksache 8/58 –
und nimmt zu einzelnen Fragen wie folgt Stellung:
Zum Gesetzentwurf/zu Frage 1
Wie bewerten Sie den vorliegenden Gesetzentwurf?
Auffassung zum Vorhaben/Allgemeines
a) Zweck und Mittel des Gesetzes
Anlässlich des Vorhabens eines „Coronamaßnahmen-Unrechtsbereinigungsgesetzes“, durch welches dem Namen nach und nicht zuletzt angesichts des Umfangs der Beteiligung von Anzuhörenden eine allgemeine Aufarbeitungsmaßnahme in Ansatz gebracht wird, sollte zunächst die Frage gestellt werden, was Gerechtigkeit ist, da es um die Bereinigung von Unrecht gehen soll.
Gerechtigkeit kann hier in Abgrenzung zu „Recht“ nur bedeuten, dass nicht nur finanzielles Unrecht derer „bereinigt“ wird, die sich unrechtmäßigen, da unverhältnismäßigen Maßnahmen widersetzten, sondern auch das erlittene Unrecht derjenigen, die sich unverhältnismäßigen Maßnahmen widerwillig beugten.
Die Begründung des Entwurfes thematisiert, dass vor allem nicht geimpfte Personen und Kritiker der staatlichen Maßnahmen ausgegrenzt und diffamiert wurden. Zu begrüßen ist, dass der Gesetzentwurf allerdings für die Entschädigung nicht an die Eigenschaft als Ungeimpfter oder Kritiker anknüpft. Weder ihr Impfstatus noch die Frage, ob sie Kritik nach außen getragen hat, sagt etwas darüber aus, inwieweit eine Person unter den Maßnahmen gelitten hat. So genossen beispielsweise geimpfte Personen zwar gesellschaftliche Vorteile unter den 2G- bzw. 3G-Regelungen, allerdings wurden ihre Körper mit einem relativ schlecht erforschten medizinischen Produkt belastet, was ihnen auch Sorgen bereitet haben kann. Die Spaltung der Gesellschaft würde weiter befeuert werden, wenn man Entschädigungen insbesondere an den Impfstatus knüpfen würde. Der Gesetzentwurf geht einen anderen Weg, indem er Entschädigungen für Buß- und Verwarngelder anordnet, die aufgrund von Verstößen gegen Coronamaßnahmen gezahlt werden mussten.
Der Kreis der nach dem Gesetz zu Entschädigenden umfasst daher nur Personen, die gegen eine Coronamaßnahme verstoßen haben. Allerdings haben auch diejenigen, die alle Vorschriften eingehalten haben oder bei denen zumindest kein Verstoß festgestellt wurde, unter den Maßnahmen gelitten. Zu denken ist bei ersteren etwa an Personen, die Weihnachten 2021 nicht im üblichen Familienkreis feiern konnten oder die sterbende Angehörige nicht begleiten konnten. Dem Unrecht im Sinne unverhältnismäßiger Maßnahmen waren alle unterworfen. Hingegen könnte jemand nachweislich gegen Vorschriften verstoßen haben, die ganz in der Anfangszeit der ausgerufenen Pandemie möglicherweise noch als rechtmäßig angesehen werden konnten, weil sie im Einzelfall noch vom Einschätzungsspielraum des Verordnungsgebers gedeckt gewesen sein könnten. Ob die (zufällige) Sanktionierung des Verhaltens einer Person gerade der angemessene Anknüpfungspunkt für die Wiedergutmachung von Unrecht ist, sollte bezweifelt werden.
Das Mittel der Entschädigung in Geld dürfte alternativlos sein. Zugleich wird eine Schadensberechnung in Bezug auf einen einzelnen Betroffenen nicht möglich sein, zum Beispiel unter Berücksichtigung von Mehraufwand in Zeit und Geld für die Absolvierung von Coronatests oder etwaigen Mehrkosten durch Erwerb von Produkten im Internet anstelle der Beschaffung im Einzelhandel, vor allem bei frischen und gekühlten Lebensmitteln. Die Anknüpfung an gezahlte Buß- oder Verwarngelder hat demgegenüber den Vorteil, dass ein konkreter Betrag feststellbar ist und nicht pauschaliert werden muss. Angesichts des weitgehenden gesetzgeberischen Beurteilungs- und Entscheidungsspielraums dürfte die Anknüpfung gerade daran auch nicht als sachwidrig ungleich oder unverhältnismäßig begünstigend anzusehen sein.
Formal könnten gegen den Gesetzentwurf verfassungsrechtlich der Gewaltenteilungsgrundsatz und das im Rechtsstaatsgebot enthaltene Prinzip der Rechtssicherheit sprechen.
Das Bundesverfassungsgericht hat bereits formuliert (wenn auch nicht entscheidungstragend), dass es, weil an dem Grundsatz der Gewaltenteilung rüttelnd, bedenklich sei, wenn ein Gesetz rückwirkend in die Rechtskraft von Entscheidungen eingreift. 1 In einer anderen Entscheidung führte es Ähnliches aus: Die Generalkassation formell bestehender Strafurteile durch den Gesetzgeber sei in einem Rechtsstaat besonders rechtfertigungsbedürftig. 2 Die letztgenannte Entscheidung betraf die Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile. Auch wenn mit dem vorgelegten Gesetzentwurf formal keine Urteile aufgehoben werden, sollte erwogen werden, ob die auf der Rechtsfolgenseite einer Aufhebung gleichkommende Entschädigungsregelung aufgrund abgeschlossener Bußgeldverfahren wirklich gegenüber anderen Entschädigungmöglichkeiten den Vorzug erhalten soll. Neben den genannten (politisch zu lösenden) Gerechtigkeitserwägungen könnten verfassungsrechtliche Risiken bestehen, soweit in der Entschädigung praktisch die Aufhebung von bestandskräftigen Bußgeldbescheiden und rechtskräftigen Urteilen gesehen würde. Immerhin sind gerade auch wegen rechtsstaatlicher Zweifel noch nicht einmal Rehabilitierungs- einschließlich Entschädigungsmaßnahmen betreffend das vergleichsweise weit zurückliegende, heute einhellig als solches aufgefasste Unrecht der strafrechtlichen Verurteilung Homosexueller abgeschlossen. 3 Auch wenn die Coronamaßnahmen zu den einschneidendsten mit den weitreichendsten Grundrechtseingriffen in der Geschichte der Bundesrepublik und einer besonderen sozialen Spaltung geführt haben, wäre doch zweifelhaft, ob ein amnestieartiges Gesetz, das an abgeschlossene Bußgeldverfahren und damit etwas Strafrechtsähnliches anknüpft, vor dem Hintergrund der noch nicht einmal erfolgten Wiedergutmachung von NS-Unrecht und Rehabilitierung von Homosexuellen gesellschaftliche und verfassungsgerichtliche Akzeptanz finden würde.
Ferner ist darauf hinzuweisen, dass der vorliegende Gesetzentwurf gegen das sog. Konnexitätsprinzip verstoßen dürfte. Der Grundsatz der Konnexität besagt, dass ein Gesetzgeber, der Kommunen oder anderen untergeordneten Gebietskörperschaften neue Aufgaben oder Pflichten auferlegt, die mit finanziellen Belastungen verbunden sind, zugleich sicherstellen muss, dass die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt werden. Konkret bedeutet dies: Wenn ein Gesetz Zahlungen oder Ausgaben vorsieht, muss es auch klar festlegen, aus welchen Mitteln diese Gelder stammen sollen. Ziel dieses Prinzips ist es, die finanzielle Autonomie und Leistungsfähigkeit der Kommunen zu schützen und zu verhindern, dass ihnen Aufgaben übertragen werden, für die sie keine ausreichende Finanzierung erhalten. Ohne diesen Grundsatz könnten Kommunen überlastet werden, was die Qualität öffentlicher Dienstleistungen beeinträchtigen würde. Der Grundsatz der Konnexität gilt auch in Thüringen. Er ist ein zentraler Bestandteil des Haushalts- und Finanzrechts und verankert in Art. 93 Abs. 1 der Thüringer Verfassung, § 3 Abs. 2, § 88 Abs. 2 ThürKO. Es müsste daher im Gesetz bestimmt werden, dass die Mittel für die Entschädigungen etwa im Landeshaushalt bereitzustellen sind.
b) Zu Regelungspunkten im Einzelnen (vor allem: Gesetzgebungstechnik)
Soll an dem Vorhaben festgehalten werden, sind in Bezug auf die einzelnen Vorschriften einige Anmerkungen angezeigt.
Zu § 1
Der Begriff des Auferlegtbekommens von Bußgeldern ist ungewöhnlich. Im Allgemeinen werden „Geldbußen“ „festgesetzt“, so jedenfalls im gerichtlichen Bußgeldverfahren (s. § 17, § 72 Abs. 3 OWiG).
Es sollte formuliert werden: „Behörden oder Gerichte“. Andernfalls bliebe Personen, die sich erfolglos gerichtlich gegen Geldbußen gewehrt haben, insoweit eine Entschädigung verwehrt. Gerichte dürften nicht unzweifelhaft als „Behörden“ im Sinne des § 1 angesehen werden. Dies ist ein Problem. Denn wer gegen einen behördlichen Bußgeldbescheid Einspruch erhebt, gegen den setzt ggf. das Gericht eine Geldbuße fest. Dies geschieht originär, der Betroffene wird durch das Gericht hierzu verurteilt. Eine (andere) Behörde setzt weder nachfolgend fest, noch wird eine behördlich erfolgte Festsetzung nur bestätigt.
Dass theoretisch auch andere als Thüringer Behörden zuständig gewesen sein könnten (vgl. §§ 37 ff. OWiG) oder auch andere Gerichte (für Jugendsachen, vgl. § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 42 JGG) und damit teilweise in Thüringen begründete, aber anderenorts verfolgte Handlungen entschädigungsfrei bleiben, müsste als wohl zahlenmäßig kleine und unvermeidbare Ungleichbehandlung hingenommen werden.
Bedenklich ist hingegen die Einschränkung „bis zum 7. April 2023“, da dadurch willkürlich Geldbußen ausgenommen werden, die erst nach diesem Termin festgesetzt wurden, etwa weil das Verfahren beispielsweise durch Unterbrechung der Verjährung lange gedauert hat, weil Verfahren länger gerichtsanhängig waren oder sogar weil rechtswidrig Verjährungsvorschriften nicht beachtet worden sind.
Zu § 2
Die Vorschrift macht nicht hinreichend deutlich, dass die in Absatz 1 genannten Gründe für Geldbußen nur solche sein sollen, die durch bestimmte Infektionsschutzverordnungen aus der Coronazeit bedingt sind. Dadurch wäre beispielsweise von Buchstabe h – „Durchführung einer Dienstleistung, deren Ausführung untersagt wurde“ – auch eine Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit (§ 35 GewO) aus einem beliebigen anderen Grund erfasst.
Absatz 1 Buchstabe c ist insoweit zu beanstanden, als durch die Herausnahme von vermeintlichen Verstößen innerhalb besonders vulnerabler Einrichtungen eine besondere Wirksamkeit des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes suggeriert wird, die nicht belegt ist.
Im Übrigen wäre es sprachlich präzise, bei Buchstabe c und d anstelle von besonders vulnerablen Einrichtungen von Einrichtungen für besonders vulnerable Personen zu sprechen: Nicht die Einrichtungen sind vulnerabel, sondern ihre Insassen.
Die Ausnahme für einen „Verstoß gegen die Ordnung und Sicherheit“ in Absatz 2 begegnet Bedenken im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz. Wenn die Formulierung durch „Verstoß gegen Straf- und Ordnungswidrigkeitenvorschriften“ ersetzt werden würde, bestünde das Problem, dass in vielen Fällen geprüft werden müsste, ob das Verhalten unter einem anderen straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlichen Aspekt sanktionierbar ist, und dass gegen die Entscheidung hierüber wiederum Rechtsschutz ermöglicht werden müsste. Die Behörde, die die Entschädigung leisten soll, müsste eine Art Ermittlungsverfahren führen, um die Prüfung durchführen zu können. Das ist weder praktikabel noch dient es dem Rechtsfrieden. Es könnte also allenfalls wie folgt eingeschränkt werden: „Ein Entschädigungsanspruch besteht nicht, wenn bei der Festsetzung der Geldbuße oder des Verwarngeldes festgestellt wurde, dass die maßnahmebedingte Zuwiderhandlung im Sinne des Absatzes 1 in Tateinheit mit der Verletzung einer weiteren, nicht unter Absatz 1 fallenden Ordnungswidrigkeiten- oder Strafvorschrift steht.“
Die Einschränkung „soweit diese vom Antragsteller bezahlt oder bei ihm zwangsvollstreckt wurden“ könnte so gemeint sein, dass der Anspruch nicht bestehen soll, wenn ein Dritter, z. B. ein wohlhabender Familienangehöriger oder ein Arbeitgeber, die Geldbuße für den Antragsteller entrichtet hat. Das wäre sachwidrig, denn es bleibt Unrecht, auch wenn ein anderer gezahlt hat. Wenn die Formulierung so auszulegen sein sollte, dass ein Entschädigungsanspruch bei noch nicht vollstreckten Entscheidungen ausgeschlossen ist, wäre das sinnwidrig, denn dann müsste erst gezahlt werden, damit im nächsten Schritt eine Entschädigung beantragt werden könnte. Wenn die Entscheidung noch nicht bestandskräftig bzw. rechtskräftig ist, kommt die Zahlung noch nicht in Betracht, und der Antragsteller riskiert, die Frist des § 3 Abs. 2 unverschuldet zu versäumen. Daher ist auf diese genannte Einschränkung zu verzichten.
Es fehlt vielmehr eine Vorschrift, die besagt: „Festgesetzte und noch nicht ausgeglichene Geldbußen werden nicht vollstreckt.“ Dies würde mehr Gerechtigkeit schaffen (Gleichbehandlung von Betroffenen), aber weitergehende verfassungsrechtliche Probleme eröffnen.
Zu § 3
Es ist nicht nachvollziehbar, warum den Antragstellern nur die kurze Frist bis zum 31. Dezember 2025 verbleiben soll. Es wäre sachgerecht, in Anlehnung an die regelmäßige Verjährungsfrist (§ 195 BGB) eine Frist von 3 Jahren vorzusehen.
Zu § 4
Die Voraussetzung des „beglichenen, angeordeten“ Buß- oder Verwarngeldes könnte klarer gefasst werden, indem etwa formuliert würde: „Die Entschädigung erfolgt in der Höhe, in der die angeordnete Geldbuße oder das Verwarngeld gezahlt oder vollstreckt wurde.“
Hinsichtlich der „notwendigen Rechtsanwaltskosten“ fragt sich, ob nicht – wie üblich – von „notwendigen Auslagen“ gesprochen werden sollte. Sonst sind Vertretungskosten, die nicht durch die Einschaltung von Rechtsanwälten angefallen sind, Porto-, Fahrtkosten usw. nicht umfasst. Warum eine Privilegierung von Betroffenen, die Rechtsanwälte beauftragt haben, stattfinden soll, ist weder ersichtlich noch plausibel. Hinsichtlich der Rechtsanwälte könnte angefügt werden: „Rechtsanwaltskosten nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz sind stets notwendige Auslagen in diesem Sinne.“
Vom Gesetzentwurf ebenfalls nicht umfasst sind Auslagen (insbesondere Rechtsanwaltskosten), die in einem Bußgeldverfahren angefallen sind, in dem aber keine Festsetzung bzw. Verurteilung erfolgt ist, weil das Verfahren z. B. eingestellt wurde. Sollen diese Betroffenen, soweit sie ihre Kosten bisher selbst zu tragen hatten, nicht entschädigt werden?
Unklar erscheint die Auszahlungsfrist nach Absatz 2: Soll eine Auszahlung danach ausgeschlossen sein? Welche Rechtsfolge soll bei Nichteinhaltung der Frist sonst eintreten? „Programmsätze“ sind in Rechtsvorschriften zu vermeiden. Als Anreiz zur Beschleunigung könnte alternativ formuliert werden: „Entschädigungsbeträge sind ab dem Zeitpunkt der Antragstellung (alternativ: der Zahlung oder Vollstreckung) in Höhe von vier Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 246 des Bürgerlichen Gesetzbuches zu verzinsen.“
Zu § 5
Sicherzustellen ist, dass alle Behörden, die Bußgeldbescheide erlassen haben, noch existieren. Ansonsten müsste eine Auffangzuständigkeit geregelt werden.
Zu Frage 3
Welche medizinischen unbeabsichtigten Folgen hatten die im Gesetzentwurf genannten Corona-Maßnahmen Ihrer Kenntnis nach?
Das Netzwerk KRiStA hat lediglich die Folgen des langanhaltenden Maskentragens im Frühjahr 2022 mit Hilfe von Fachleuten näher untersucht. Hierzu erschien am 8. April 2022 der Aufsatz „Körperverletzung durch Masken? – Zu Fragen von Remonstration und Strafbarkeit bei der Durchsetzung von Maskenpflichten“ von Wagner et al. 4 In Kapitel II – „Auswirkungen des Tragens von Masken auf die Gesundheit aus medizinischer Sicht“ – findet sich eine Auswertung der einschlägigen Fachliteratur. In seiner ebenfalls bei KRiStA veröffentlichten Verfassungsbeschwerde gegen seine Verurteilung wegen Verstoßes gegen die Maskenpflicht fasst Wagner die medizinischen Auswirkungen des langanhaltenden Maskentragens in Abschnitt C. I. 1. b) zusammen und weist nach, dass die Maskenpflicht einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit im Sinne der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung darstellt. 5
Zu Frage 6 und 7
Wie bewerten Sie die Verhältnismäßigkeit der vom Gesetzentwurf erfassten Corona-Maßnahmen unter Abwägung von deren intendiertem Regelungszweck und der von diesen direkt oder indirekt hervorgerufenen Folgen gesundheitlicher, sozialer, juristischer, ökonomischer und sonstiger Art?
Wie bewerten Sie die Rechtmäßigkeit der im vorliegenden Gesetzentwurf erfassten Corona-Maßnahmen?
Die Rechtmäßigkeit von Grundrechtseingriffen setzt nach der bundesrepublikanischen Verfassungsordnung die Verhältnismäßigkeit der Eingriffe voraus. Fehlende Verhältnismäßigkeit führt ausnahmslos zur Verfassungswidrigkeit und damit zur Rechtswidrigkeit.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass der Staat mit einer Maßnahme einen legitimen Zweck verfolgt, dass seine Maßnahme zur Erreichung dieses Zwecks geeignet und notwendig ist und dass die Belastung der Grundrechtsträger im Vergleich zum angestrebten Zweck nicht unverhältnismäßig groß ist; mithin muss der Eingriff angemessen sein (man nennt das auch verhältnismäßig im engeren Sinne).
Eine abschließende juristische Antwort auf die sehr allgemein formulierten Fragen 6 und 7 ist im Rahmen dieser Stellungnahme ohne lückenlose Sachverhaltsaufklärung, die das Netzwerk KRiStA nicht allein leisten kann, aus folgenden Gründen nicht möglich:
Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung erfordert stets die juristische Bewertung eines einzelnen Grundrechtseingriffs, hier also einer konkreten Coronamaßnahme. Diese Bewertung erfolgt durch Subsumtion von Tatsachen unter Rechtsvorschriften bzw. die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Verhältnismäßigkeit im Sinne des Grundgesetzes. Da es dabei auf Tatsachen ankommt, ist jede Maßnahme zu einem konkreten Zeitpunkt zu bewerten.
Die Verhältnismäßigkeit einer Ausgangsbeschränkung zum Beispiel kann ebenso wenig gemeinsam mit derjenigen einer Maskenpflicht abschließend geprüft werden, wie die Verhältnismäßigkeit aller Maskenpflichten gemeinsam geprüft werden kann. Zum Beispiel gab es Maskenpflichten im Frühjahr 2020, an Weihnachten 2021 und teilweise sogar noch im Januar 2023. Eine Maskenpflicht in der Schule kann nicht mit einer Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln, Supermärkten oder Krankenhäusern gleichgesetzt werden. Für jede dieser Maßnahmen müsste eine gesonderte Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt werden. Es würde den Rahmen dieser Stellungnahme sprengen, zu allen erdenklichen Maßnahmen im Zuge jeder erfolgten Verlängerung ihrer Geltungsdauer einzeln auszuführen.
Daher werden im Folgenden Ausführungen zu Überlegungen gemacht, die bei jeder dieser Verhältnismäßigkeitsprüfungen anzustellen wären.
Unverhältnismäßigkeit wegen fehlender Dokumentation der Nutzung des Einschätzungsspielraums
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nicht ausdrücklich im Grundgesetz niedergeschrieben, sondern wurde vom Bundesverfassungsgericht aus der Verfassung abgeleitet. Jedermann muss, soweit der unantastbare Bereich privater Lebensgestaltung nicht beeinträchtigt ist, als gemeinschaftsbezogener und gemeinschaftsgebundener Bürger staatliche Maßnahmen hinnehmen, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebotes erfolgen. 6 Ist das Verhältnismäßigkeitsgebot nicht gewahrt, ist der Eingriff hingegen nicht hinzunehmen.
Hinsichtlich der Fragen der Geeignetheit, Notwendigkeit und Angemessenheit von Eingriffen kommt dem Gesetzgeber ein Einschätzungsspielraum zu. In der Bundesnotbremse-I-Entscheidung vom 19. November 2021 (1 BvR 781/21 u. a.) hat das Bundesverfassungsgericht konkretisiert, dass bei der Abwehr neuer Gesundheitsgefahren die verfassungsgerichtliche Überprüfung des Einschätzungsspielraums auf eine Vertretbarkeitskontrolle beschränkt ist. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht bei der Absegnung von Coronamaßnahmen angesichts der besonderen Situation, in der wir uns zu Beginn der Coronazeit befanden, ziemlich großzügig war, hat es doch den staatlichen Akteuren keinen Freibrief für beliebige Grundrechtseingriffe erteilt, sondern auf die Notwendigkeit der Vertretbarkeitsprüfung hingewiesen. Wie das Bundesverfassungsgericht bereits in seinem sog. Mitbestimmungsurteil, einer Entscheidung vom 1. März 1979 (1 BvR 532/77 u. a.), klargestellt hatte, setzt eine Überprüfung des Einschätzungsspielraums voraus, dass der Gesetzgeber die Grundlagen seiner Entscheidungsfindung, insbesondere seine Wahrscheinlichkeitsprognosen, ausweist. Daran hält das Gericht auch in der Bundesnotbremse-I-Entscheidung im Wesentlichen fest, wenn es sagt:
„Die Einschätzung und die Prognose der dem Einzelnen oder der Allgemeinheit drohenden Gefahren sind verfassungsrechtlich darauf zu überprüfen, ob sie auf einer hinreichend gesicherten Grundlage beruhen.“
(BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21 –, BVerfGE 159, 223-355, Rn. 171 – Bundesnotbremse I)
Es bedarf also einer gesicherten Tatsachengrundlage. Nur wenn der Verordnungsgeber dokumentiert, von welchen Umständen er ausgeht, für wie wahrscheinlich er sie hält und auf welche wissenschaftlichen Studien er sich stützt, kann eine Vertretbarkeitsprüfung stattfinden.
Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 1979 im Mitbestimmungsurteil ausgeführt:
„Ungewißheit über die Auswirkungen eines Gesetzes in einer ungewissen Zukunft kann nicht die Befugnis des Gesetzgebers ausschließen, ein Gesetz zu erlassen, auch wenn dieses von großer Tragweite ist. Umgekehrt kann Ungewißheit nicht schon als solche ausreichen, einen verfassungsgerichtlicher Kontrolle nicht zugänglichen Prognosespielraum des Gesetzgebers zu begründen. Prognosen enthalten stets ein Wahrscheinlichkeitsurteil, dessen Grundlagen ausgewiesen werden können und müssen; diese sind einer Beurteilung nicht entzogen.“
(BVerfG, Urteil vom 1. März 1979 – 1 BvR 532/77 –, BVerfGE 50, 290-381, Rn. 110 bei juris – Mitbestimmung)
Dabei hat das Gericht folgende Forderung an den Gesetzgeber gerichtet:
„Er muss die ihm zugänglichen Erkenntnisquellen ausgeschöpft haben, um die voraussichtlichen Auswirkungen seiner Regelung so zuverlässig wie möglich abschätzen zu können und einen Verstoß gegen Verfassungsrecht zu vermeiden.“
(BVerfG, Urteil vom 1. März 1979 – 1 BvR 532/77 –, BVerfGE 50, 290-381, Rn. 113 bei juris – Mitbestimmung)
Das Ausschöpfen der Erkenntnisquellen bedeutet insbesondere, dass einschlägige Fachliteratur zu sichten und auszuwerten ist und dass der Normgeber sich auch mit Gegenstimmen zu seiner Sichtweise befassen muss.
Der Verordnungsgeber war somit verpflichtet, die Verhältnismäßigkeit seiner Coronamaßnahmen selbst zu prüfen und im Hinblick auf eingeschränkte Grundrechtspositionen Abwägungen vorzunehmen. Diese Abwägung ist einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung zugänglich.
Insbesondere schließt die Vertretbarkeitskontrolle die Prüfung ein, ob die gesetzgeberische Prognose hinreichend verlässlich ist. 7 In diesem Zusammenhang verweist das Gericht in seiner Bundesnotbremse-I-Entscheidung auf „BVerfGE 152, 68 <119 Rn. 134>“, wo es an dieser Stelle heißt:
„Der Gesetzgeber muss der Wahl und Ausgestaltung seines Konzepts eine verfassungsrechtlich tragfähige Einschätzung zugrunde legen; soweit er sich auf Prognosen über tatsächliche Entwicklungen und insbesondere über die Wirkungen seiner Regelung stützt, müssen diese hinreichend verlässlich sein (vgl. BVerfGE 88, 203 <262>). Je länger eine Minderungsregel in Kraft ist und der Gesetzgeber damit in der Lage, fundierte Einschätzungen zu erlangen, umso weniger genügt es, sich auf plausible Annahmen zur Wirkung der Durchsetzungsmaßnahmen zu stützen. Umso tragfähigerer Erkenntnisse bedarf es dann, um die Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit dieser Sanktionen zu belegen (zur abnehmenden Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers: BVerfGE 143, 216 <245 Rn. 71>).“
(BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 –, BVerfGE 152, 68, Rn. 134 – Sanktionen im Sozialrecht)
Der Verordnungsgeber hat somit eine fortwährende Beobachtungs- und Überprüfungspflicht, d. h. er hat laufend zu kontrollieren, ob eine Verschärfung der Maßnahmen geboten ist oder ob bestehende Einschränkungen in Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ganz oder teilweise zurückgenommen werden müssen. 8
Ohne Dokumentation kann weder die ursprüngliche Prognose des Verordnungsgebers überprüft werden noch ob er seiner Pflicht nachgekommen ist, die Wirkung der Maßnahmen fortlaufend zu überprüfen und die Maßnahmen ggf. anzupassen oder aufzuheben.
Das Netzwerk KRiStA geht davon aus, dass der Thüringer Verordnungsgeber bei der Festlegung von Coronamaßnahmen den Pflichten der Dokumentation seines Abwägungsprozesses nicht nachgekommen ist. Wenn dem so wäre, wären alle vom Freistaat Thüringen verhängten Coronamaßnahmen verfassungswidrig und damit unrechtmäßig. Um allerdings aus diesem Grund zu diesem Ergebnis zu gelangen, müsste man die Verwaltungsvorgänge zu jeder einzelnen Coronamaßnahme einschließlich ihrer Verlängerungen auf das Vorhandensein einer Dokumentation von erhobenen Tatsachen, Erwägungen und Wahrscheinlichkeitsprognosen untersuchen.
Insbesondere fehlende Dokumentation im Hinblick auf Maskenpflichten
Zumindest kann das Netzwerk KRiStA aus eigener Anschauung zum Thema Maskenpflichten genauere Angaben machen. KRiStA-Mitglied Thomas Wagner hat am 31. August 2020 eine bei FragDenStaat veröffentlichte Anfrage „Verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung anlässlich der Verlängerung einer Pflicht zur Verwendung einer Mund-Nasen-Bedeckung („Maskenpflicht“) nach § 6 der Zweiten Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Grundverordnung“ 9 an das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie hinsichtlich der Dokumentation gerichtet, die im Rahmen der Verlängerung der Maskenpflichten erstellt wurde. Mit Ausnahme von Eingangsbestätigungen blieb diese Anfrage unbeantwortet. Am 31. Dezember 2022 übersandte Wagner an dieses Ministerium eine weitere ebenfalls dort veröffentlichte Anfrage „Verfassungsrechtliche Überprüfung der Verlängerung der Maskenpflicht in Thüringen“ 10. Diesmal antwortete das Ministerium zwar, allerdings unzureichend. Es übersandte die lediglich die amtlichen Begründungen jüngerer Infektionsschutzverordnungen. Darin werden wissenschaftliche Belege für die Wirksamkeit des Maskentragens zum Infektionsschutz nur behauptet, nicht aber benannt. Eine Auseinandersetzung mit den Gesundheitsgefährdungen, die mit dem Maskentragen einhergehen, findet sich in den Unterlagen nicht.
Wenn – wie hier – die Prüfung mangels einer Ausweisung von Wahrscheinlichkeitsprognosen in einer Verordnungsbegründung oder Behördenakte nicht möglich ist, geht dies zu Lasten des Verordnungsgebers. Unsicherheiten bei der Beurteilung eines Gefahrenverdachtes, welche auf Ermittlungsdefizite der Gesundheitsbehörde zurückzuführen sind, gehen zu deren Lasten. 11 Die Beweislast für die Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Infektionsschutzmaßnahme liegt folglich beim Staat.
Unverhältnismäßigkeit mangels zu bekämpfender Gefahren
Unabhängig vom Aspekt der fehlenden Dokumentation ist zu erwarten, dass eine nähere Prüfung einzelner Coronamaßnahmen auch aus anderen Gründen die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahmen ergeben wird.
Die Verhältnismäßigkeit setzt die Verfolgung eines legitimen Zwecks voraus, z. B. die Bekämpfung einer Pandemie oder die Vermeidung der Ansteckung mit bedrohlichen Krankheiten. Dies dient der Erhaltung der Gesundheit und somit der Verwirklichung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit. Infektionsschutzmaßnahmen dienen also einem legitimen Zweck.
Ein weiterer legitimer Zweck ist die Vermeidung der Überlastung der Gesundheitseinrichtungen, denn dadurch soll die medizinische Versorgung sichergestellt und letztlich auch die körperliche Unversehrtheit geschützt werden. Auch die Vermeidung einer Übersterblichkeit im Sinne des Lebensschutzes ist ein legitimes Ziel.
Die Coronamaßnahmen müssen weiterhin geeignet sein, die Erreichung des legitimen Zwecks zu fördern. Dies setzt objektiv voraus, dass überhaupt eine Pandemie und eine dadurch bedingte ernsthafte Gefahr für die öffentliche Gesundheit in der gesamten Bundesrepublik Deutschland vorlag. Wenn die angenommene Gefahr in Wahrheit gar nicht vorlag, konnte sie nämlich objektiv nicht bekämpft werden, und deshalb kann eine Maßnahme nicht zur Bekämpfung einer Gefahr geeignet sein, wenn es die Gefahr nicht gibt. Das ist, was die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Vertretbarkeitskontrolle erfordert. Es kann in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht ausreichen, wenn Grundrechtseingriffe von den staatlichen Akteuren zwar subjektiv zum Schutz der Bevölkerung, also mit gutem Willen, vorgenommen werden, aber objektiv ein Schutz durch Grundrechtseingriffe nichts bewirken kann, weil die angenommene Gefahr nicht in einem relevanten Ausmaß besteht.
Demzufolge ist nicht nur erforderlich, dass eine gemeingefährliche Pandemie tatsächlich vorlag, sondern auch, dass die Gefahr der Überlastung des Gesundheitssystems bzw. eine Übersterblichkeit bestand. Anderenfalls lassen sich die angestrebten legitimen Ziele mit den Maßnahmen nicht erreichen.
Pandemie und Gefahr für die öffentliche Gesundheit
Soweit die Coronamaßnahmen auf eine gemeingefährliche Pandemie gestützt sind, setzt die objektive Erreichbarkeit eines legitimen Zwecks also das Vorliegen einer solchen Pandemie voraus.
Die Entscheidung, ob eine Pandemie vorliegt, liegt faktisch einzig beim Generaldirektor der WHO:
„Eine epidemische Lage von nationaler Tragweite liegt vor, wenn eine ernsthafte Gefahr für die öffentliche Gesundheit in der gesamten Bundesrepublik Deutschland besteht, weil
1. die Weltgesundheitsorganisation eine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite ausgerufen hat und die Einschleppung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit in die Bundesrepublik Deutschland droht oder
2. eine dynamische Ausbreitung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit über mehrere Länder in der Bundesrepublik Deutschland droht oder stattfindet.“
(§ 5 Abs. 1 Satz 6 IfSG in der seit 19. November 2020 gültigen Fassung 12 – damals Satz 4; ab 31. März 2021 Satz 6 13).
Die alleinige Kompetenz des Generaldirektors der WHO ergibt sich aus Art. 12 Ziffer 1 IGV (in der seit 2005 unveränderten Fassung):
„Der Generaldirektor stellt auf der Grundlage der erhaltenen Informationen – insbesondere derjenigen des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet ein Ereignis eingetreten ist – fest, ob ein Ereignis eine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite nach den in diesen Vorschriften enthaltenen Kriterien und Verfahren darstellt.“ 14
Auch wenn die WHO im Jahre 2009 die Definition des Pandemiebegriffes einseitig dahin geändert hat, dass eine hohe Mortalität und Morbidität nicht mehr Voraussetzung sind, 15 liegt die Definition einer Pandemie nicht in der Beurteilung der Vertragsstaaten, welche die Internationalen Gesundheitsvorschriften ratifiziert und im nationalen Recht implementiert haben.
Der nationalen Beurteilung unterliegt dagegen die Feststellung, ob die möglicherweise grenzüberschreitende Krankheit bedrohlich und übertragbar ist, sowie ob dadurch eine ernsthafte Gefahr für die öffentliche Gesundheit in der gesamten Bundesrepublik Deutschland besteht. Auch in den früheren Fassungen des IfSG bildeten bedrohliche übertragbare Krankheiten die Grundlage für „epidemisch bedeutsame Fälle“ (so vor dem 28. März 2020) bzw. für eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ (so ab dem 28. März 2020). 16
Maßgebend für die Beurteilung ist daher zunächst das Vorliegen einer Krankheit. Eine bloße Infektion bedeutet noch keine solche.
Einzig der als „Goldstandard“ definierte PCR-Test diente als Grundlage zur Einschätzung der Gefahrenlage für die öffentliche Gesundheit. Gerade dazu war er indessen nicht geeignet, weil er für sich alleine keine Krankheit und auch keine Übertragbarkeit nachweisen konnte und zusätzlich einer anamnestischen Differenzialdiagnose bedurfte. Dies war an sich unbestritten:
So wies zunächst insbesondere die WHO im Januar 2021 erneut darauf hin, dass ein PCR-Testergebnis für sich allein betrachtet wertlos sei, da er lediglich als Hilfestellung bei der Diagnose im Zusammenhang mit klinischen Beobachtungen (= Symptomen) diene:
“Most PCR assays are indicated as an aid for diagnosis, therefore, health care providers must consider any result in combination with timing of sampling, specimen type, assay specifics, clinical observations, patient history, confirmed status of any contacts, and epidemiological information.” 17
Die Tauglichkeit des PCR-Tests zur Diagnose einer Erkrankung infolge Infektion mit SARS-CoV-2 wurde im September 2020 auch vom RKI verneint:
Der Nachweis des SARS-CoV-2-Genoms stellt allerdings keinen unmittelbaren Beleg der Ansteckungsfähigkeit eines Patienten dar“, 18
ebenso bis Ende des Jahres in zahlreichen weiteren wissenschaftlichen Artikeln. 19 In einem dieser Artikel wird darauf hingewiesen, dass das von Drosten et al. publizierte Protokoll des RT-PCR-Tests mit zehn schwerwiegenden Fehlern behaftet und der verwendete PCR-Test außerdem nicht korrekt validiert ist. 20
Dementsprechend erkannte auch das Schweizerische Bundesgericht in einem Urteil vom 23. November 2023 21:
„Indessen ist es gar nicht umstritten und übrigens allgemeinnotorisch, dass ein positiver PCR-Test keine Krankheitsdiagnose und für sich allein wenig aussagekräftig ist […].“
Der PCR-Test besaß damit keine hinreichende Aussagekraft, um allein gestützt darauf eine bedrohliche und übertragbare Krankheit im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 6 Ziff. 1 IfSG anzunehmen.
Feststellung einer epidemischen Lage mittels Inzidenzzahlen
Eine wesentliche Grundlage zur Bestimmung des Ausmaßes der Verbreitung der Epidemie war die sogenannte Inzidenz. Sie diente für Landkreise, Bundesländer oder für die Bundesrepublik als Steuergröße für Coronamaßnahmen. Sie ist definiert als Anzahl der positiven SARS-CoV-2-PCR-Tests pro 100.000 Einwohner und pro 7 Tage.
Die Inzidenz als zentrale Steuergröße für Coronamaßnahmen ist im Wesentlichen ungeeignet:
Die Aussagekraft dieser Maßzahl war durch vier bedeutende Konstruktionsfehler bzw. Durchführungsfehler stark eingeschränkt und grundsätzlich fragwürdig (Basis für diese Einschätzung sind allgemein anerkannte Qualitätsmanagement-Regeln, wie z. B. in den Normen ISO 9001 und ISO 17025 festgeschrieben und international anerkannt):
Fehler 1: Die Anzahl positiver Tests ist bei gegebenem Infektionsgeschehen um so höher, je mehr getestet wird. Die Anzahl der durchgeführten Tests war den Gesundheitsämtern auf kommunaler Ebene nicht bekannt. Da es sich bei den in einem Zeitraum von 7 Tagen durchgeführten Tests um eine Stichprobe bezüglich der Gesamtbevölkerung handelte, ist eine Normierung auf die Stichprobengröße zwingend erforderlich, um ein belastbares Resultat zu erhalten.
Fehler 2: Bei jeder Messung, die auf einer Stichprobe beruht, muss eine genaue Vorschrift, wie die Stichprobe zu erheben ist, existieren und strikt eingehalten werden (Beispiel: repräsentative Befragung von Wählern zur Sonntagsfrage). In der Realität gab es keine solche Vorschrift, z. B. ob anlasslos getestet werden sollte, oder nur bei relevanten Symptomen oder nach anderen Kriterien, z. B. bei vermuteten Hotspots in Institutionen.
Fehler 3: Es ist in der Technik und Medizin allgemein üblich, dass Messvorschriften genormt werden, so dass jedem Labor identische Parameter für die Durchführung und Bewertung als positiv anhand des sogenannten Ct-Wertes (= Anzahl der Verdopplungszyklen bis zu einem detektierbaren Signal) vorliegen. Das Gegenteil war der Fall: Jedes Labor und jedes Gesundheitsamt war völlig frei, die Durchführung so zu gestalten, wie es für am sinnvollsten gehalten wurde.
Fehler 4: Tests wie der Corona-PCR-Test werden regelmäßig durch sogenannte Ringversuche auf Validität geprüft, organisiert vom Robert-Koch-Institut. Der erste Ringversuch mit durchwachsenen Ergebnissen, der auf eine viel zu hohe Falsch-positiv-Rate hinwies, wurde zwar mehrmals wiederholt, aber die weiteren Ergebnisse wurden trotz Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz geheim gehalten, was nur auf weitere zweifelhafte Ergebnisse hinweist.
Mit anderen Worten: Die zentrale Steuergröße für den Einsatz von Coronamaßnahmen war so fehlerhaft, dass sie bestenfalls als mangelhaft bezeichnet werden konnte.
Als Konsequenz folgt, dass alle aus der Inzidenz abgeleiteten Maßnahmen, insbesondere die, welche die Grundrechtseinschränkungen betreffen, keine belastbare Grundlage hatten.
Ähnliche Mängel wurden in dem Bericht des Sachverständigenausschusses nach § 5 Abs. 9 IfSG 22 für viele andere Größen, die das RKI erhoben hatte, konstatiert.
Erhöhte Intensivbettenbelegung – Überlastung der Gesundheitseinrichtungen?
Als erheblicher Faktor zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit unter dem Aspekt einer ernsthaften Gefahr für die öffentliche Gesundheit ist sodann eine allfällige Überlastung der Gesundheitseinrichtungen durch übermäßige Auslastung der Intensivstationen in den Kliniken zu berücksichtigen, und zwar auf dem gesamten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (so § 5 Abs. 1 Satz 6 Ziff. 1 IfSG).
Das Gesundheitssystem war zu keiner Zeit flächendeckend – das ist entscheidend – überlastet: Dies zeigen die statistischen Zahlen des DIVI, auf welches sich auch das RKI gemäß den veröffentlichten RKI-Protokollen wiederholt bezog, z. B. etwa
am 29. April 2020: „DIVI-Intensivkapazitäten: Weiterhin Kapazitäten auf hohem Niveau vorhanden. Die Prognose zeigt, dass selbst im schlimmsten Szenario (5 % und 21 Tage Liegedauer) die Kurve unter der kritischen Grenze bleibt“
oder
am 22. Dezember 2021: „Deutschland hat viele Krankenhausbetten und viele Intensivbetten…“
Gleiches lässt sich dem Bericht des Bundesrechnungshofes (BRH) an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages vom 9. Juni 2021 entnehmen (Gz.: IX 1 – 2021 – 0572): 23
Danach waren Intensivstationen im Jahr 2020 zu 68,6 % und im Vorjahr zu 69,6 % ausgelastet. Patientinnen und Patienten, die am neuartigen Coronavirus erkrankt waren, hätten im Jahr 2020 durchschnittlich 2 % der Krankenhausbetten und 4 % der Intensivbetten belegt. 24 Eine Analyse der vom DIVI‐Intensivregister erhobenen Daten zeige, dass die bundesdurchschnittliche Anzahl gemeldeter intensivmedizinisch behandelter COVID‐19‐Fälle in Krankenhäusern deutlich schwanke. Während im August 2020 der Anteil der intensivmedizinisch behandelten COVID‐19‐Fälle an den gesamt belegten Intensivbetten rund 1 % betragen habe, seien im Januar 2021 rund 25 % der belegten Intensivbetten für COVID‐19‐Fälle benötigt worden 25 (vgl. nachfolgende Abbildung).
Abbildung 1
Bundesdurchschnittliche Intensivbettenbelegung und freie Intensivbettenkapazitäten von Mai 2020 bis April 2021
Die Anzahl der gemeldeten intensivmedizinisch behandelten COVID‐19‐Fälle schwankte im Zeitablauf deutlich.

Grafik: Bundesrechnungshof
Quelle: DIVI‐Intensivregister
26
Bemerkenswert erscheint sodann die Feststellung des BRH, mit den Ausgleichszahlungen des Bundes, die allein im Jahr 2020 10,2 Mrd. Euro betrugen, habe der Bund nicht überwiegend Zahlungen zur Aufrechterhaltung freier Krankenhauskapazitäten für COVID‐19‐Patientinnen und ‐Patienten geleistet, sondern vielmehr das betriebswirtschaftliche Risiko einer nicht ausreichenden Belegung der Krankenhäuser mitgetragen. 27
In der Schweiz mit vergleichbarem Gesundheitssystem wurde in der Vergangenheit eine Auslastung der Intensivstationen von 80 % als unrentabel betrachtet, während eine ausgelastete Intensivstation mit einer Freiquote von höchstens 20 % auf einen eigentlichen Normalbetrieb hindeutet. Zudem waren in den dem Pandemiejahr 2020 vorausgehenden Jahren Auslastungen der Intensivstationen von rund 90% an universitären Kliniken als durchaus normal betrachtet worden. 28
Es ist anzunehmen, dass das in Deutschland nicht grundlegend anders ist, was auch die oben dargestellten Zahlen indizieren.
Übersterblichkeit – Lebensgefährliche Erkrankung?
Ebenfalls als erheblicher Faktor bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist ein gegenüber der statistischen Erwartung und gegenüber anderen Krankheiten erhöhtes Sterbegeschehen (Übersterblichkeit) als Folge einer lebensgefährlichen Krankheit zu berücksichtigen.
Bereits anhand der durch das Statistische Bundesamt veröffentlichten wöchentlichen Sterbefallzahlen in Deutschland konnte man im Laufe des Sommers und Herbsts 2020 feststellen, dass in Deutschland keine signifikante Übersterblichkeit gegeben war, die auf eine Pandemie als Ursache hindeutet. Beispielhaft sei hier nachgewiesen, was das Statistische Bundesamt hierzu am 2. Dezember 2020 auf seiner Website stehen hatte:
Abbildung 2
Wöchentliche Sterbefallzahlen in Deutschland im Jahr 2020
Die Zahlen bewegten sich im Allgemeinen im Rahmen der üblichen Schwankungen.
Grafik: Statistisches Bundesamt
29
Das Statistische Bundesamt führte zu dieser Grafik a. a. O. aus:
„Bei der Betrachtung des Jahresverlaufes in der Sterbefallstatistik sind die typischen Schwankungen während der Grippezeit von ungefähr Mitte Dezember bis Mitte April zu beachten. Dies wird beim Blick auf die Zahlen aus den Vorjahren deutlich: Im März 2019 starben beispielsweise etwa 86 700 Menschen. Im März 2018, also in einem Jahr, als die Grippewelle besonders heftig ausfiel, waren es 107 100. Auch ohne Corona-Pandemie können die Sterbefallzahlen demnach insbesondere in der typischen Grippezeit stark schwanken.
Betrachtet man die Entwicklung im Jahr 2020 nach Kalenderwochen, dann haben sich von der 13. bis zur 18. Kalenderwoche (23. März bis 3. Mai) durchgehend und deutlich erhöhte Sterbefallzahlen im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2019 gezeigt. In der 15. Kalenderwoche (6. bis 12. April) war die Abweichung mit 14 % über dem vierjährigen Durchschnitt am größten. Auch die Zahl der COVID-19-Todesfälle, die beim Robert Koch-Institut (RKI) gemeldet werden, erreichte in dieser Woche ihren Höchststand. Im gesamten April lag die Zahl der Gestorbenen mit derzeit etwa 83 800 gemeldeten Fällen deutlich über dem Durchschnitt der Vorjahre (+10 %).
Seit der 19. Kalenderwoche (4. bis 10. Mai) lagen die Sterbefallzahlen nach der vorläufigen Auszählung zunächst wieder im Bereich des Durchschnitts der Vorjahre oder schwankten darum. Mitte Juli hatten die Sterbefallzahlen ein Minimum erreicht. Im August waren die Sterbefallzahlen allerdings im Zuge der Hitzewelle wieder erhöht. Ein deutliches Maximum gab es in der 33. Kalenderwoche (10. bis zum 16. August). Hier lagen die Sterbefallzahlen 20 % über dem Durchschnitt. Dieser ist von zeitlich unterschiedlich verlaufenden Hitzeperioden der Vorjahre beeinflusst. Auch die Sterbefallzahlen im September sind mit 6 % etwas höher als der Durchschnitt der Vorjahre. Eine Zunahme im September gab es jeweils auch in den einzelnen Vorjahren.“ 30
Die Datenlage in Deutschland gab also keine Übersterblichkeit her.
Auch gemäß einer am 21. Oktober 2021 im Deutschen Ärzteblatt erschienen Analyse der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen (UDE) gab es 2020 in Deutschland keine oder nur eine geringe Übersterblichkeit, auch wenn es etwa 34.000 Todesfälle (so das RKI) gab, die mit COVID-19 assoziiert wurden. 31
Im Wesentlichen zum gleichen Ergebnis gelangte eine von der Ärztekammer Nordrhein am 25. Juni 2021 publizierte Studie, wonach eine Auswertung der Sterbedaten aus Dortmund, Bochum und Essen zeigte, dass es dort im Jahr 2020 eine geringe Untersterblichkeit gegeben hatte, trotz der Pandemie mit zahlreichen Sterbefällen mit oder an COVID-19. Das Mortalitätsgeschehen sei im Ruhrgebiet 2020 nicht ungünstiger als im gesamten Bundesgebiet gewesen. Die Ergebnisse bedeuteten nicht, dass es keine nennenswerte Zahl an COVID-19-Toten gegeben habe oder dass das Virus nicht ernst zu nehmen sei. Sie seien jedoch ein Anlass, jegliche dramatisierende Darstellung zu versachlichen. Vergleiche von SARS-CoV-2 mit der Pest oder täglichen Flugzeugabstürzen (Markus Söder 32) erwiesen sich vor dem Hintergrund einer Untersterblichkeit als stark überzogen. 33
In einem am 19. Februar 2021 in der WELT erschienenen Interview erklärte der renommierte Statistiker Göran Kauermann (seit 2019 Dekan an der Ludwig-Maximilians-Universität in München), die Zahl der Toten habe sich im Vergleich zu den Vorjahren zwar erhöht, „sollte aber nicht leichtfertig als Übersterblichkeit interpretiert werden.“ 34
Bereits in einer der Öffentlichkeit zugänglichen Studie vom Oktober 2020 war eine globale Letalität von gerade einmal 0,15 % bis 0,20 % festgestellt worden, für Personen unter 70 Jahren gar nur von 0,03 bis 0,04 %. 35
Im März 2021 lagen sodann Studiendaten vor, wonach die beste Schätzung der globalen Infektionstodesrate (IFR) für die Bevölkerung insgesamt 0,15 % und für unter 70-Jährige weniger als 0,05 % betrug. 36
Es wurden also demnach nicht nur die Ergebnisse vom Oktober 2020 bestätigt, sondern gar noch eine etwas niedrigere Letalität errechnet.
Auch die amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) gingen in neueren Szenarien vom März 2021 von stark reduzierten Werten aus. 37
Aus all diesen Untersuchungen ergibt sich mit aller Deutlichkeit, dass von einer lebensbedrohenden gefährlichen Krankheit, welche die gravierenden Grundrechtseinschränkungen durch rigorose Maßnahmen zu rechtfertigen vermocht hätten, für den Großteil der Bevölkerung keine Rede sein konnte. Dies stand jedenfalls zum Beginn des Herbsts 2020 fest. Spätestens ab diesem Zeitpunkt wäre jede verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Maßnahmen, die auf den Aspekt einer drohenden Übersterblichkeit gestützt ist, entfallen.
Dies wird noch deutlicher, wenn man berücksichtigt, dass Todesfälle als Folge erheblicher Vorerkrankungen bei einem positiven PCR-Test statistisch als „COVID-19-Todesfälle“ erfasst wurden.
In den WHO-Vorgaben lässt sich nicht nur eine eindeutige Tendenz zugunsten der Einordnung „Im Zweifel als COVID-19-Todesfall“ feststellen. Es ist auch so, dass Vorerkrankungen als Todesursachen nun plötzlich durch „COVID-19“ „verdrängt“ werden. 38
Die WHO macht dazu sogar noch ein besonders fragwürdiges Beispiel, wo seit 8 Jahren eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) bestand (nebst 5-jähriger koronarer Herzkrankheit und 14-jährigem Diabetes Typ-2) und danach eine Lungenentzündung auftrat, die schließlich zum Tod führte. In diesem Beispiel sollen gemäß WHO die markanten Vorerkrankungen einfach ignoriert und eine bloß vermutete (!) COVID-19-Erkrankung als Todesursache deklariert werden (S. 10 der WHO-Guidelines).
Abbildung 3
Beispiel der WHO zur Erfassung von Todesursachen
Eine bloß vermutete, nicht nachgewiesene Erkrankung an COVID-19 soll als initiale Todesursache erfasst werden.
Quelle: WHO-Guidelines 39
Zu Frage 9
Welchen Kenntnisstand hatte Ihrer Einschätzung nach die Thüringer Landesregierung über die Wirksamkeit, über die beabsichtigten und unbeabsichtigten Folgen und über die Verhältnismäßigkeit der im Gesetzentwurf erfassten Corona-Maßnahmen zum jeweiligen Zeitpunkt des Beschlusses und während der Geltung der jeweiligen Maßnahme?
Einsichtnahme in die Verwaltungsvorgänge nötig
Dem Netzwerk KRiStA sind keine dokumentierten Erkenntnisse der Thüringer Landesregierung über die Wirksamkeit und Nebenwirkungen der Coronamaßnahmen bekannt. Die Frage lässt sich nur durch Einsicht in die entsprechenden Verwaltungsvorgänge, soweit überhaupt vorhanden, erschöpfend beantworten.
Es ist davon auszugehen, dass das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie, welches die Infektionsschutzverordnungen erlassen hat, über Juristen verfügt, die den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die wesentliche Bundesverfassungsgerichts-Rechtsprechung kennen. Diese Inhalte sind Pflichtstoff in der juristischen Ausbildung. Daher darf unterstellt werden, dass man im Ministerium wusste, dass man verpflichtet ist, die grundrechtsbezogene Abwägung beim Erlass einer solchen Verordnung sorgfältig zu dokumentieren (siehe Ausführungen zu Frage 6 und 7). Somit musste dem Ministerium klar sein, dass ein Unterlassen einer solchen Abwägung, aber auch das Fehlen der Dokumentation ohne Weiteres die Verfassungswidrigkeit solcher Maßnahmen nach sich zieht. Fehlt die Abwägung, nimmt man schließlich sehenden Auges die Unverhältnismäßigkeit von Folgen der Maßnahmen in Kauf.
Die Thüringer Landesregierung hätte sich als Verordnungsgeber eigene Erkenntnisse verschaffen müssen. Dazu hätte auch die Auswertung von belastbaren Studien gehört. Man hätte auch Gutachten in Auftrag geben können.
Erkenntnisse zur Verhältnismäßigkeit der Maskenpflicht
Schon zu Beginn der Coronakrise war beispielsweise bekannt, dass das Tragen von Masken Kopfschmerzen auslösen kann, wie u. a. die Studien von Lim et al. (2006) 40, Jacobs et al. (2009) 41 und Rebmann et al. (2013) 42 belegen. Die Inhalte der drei Studien werden kurz skizziert in der durch das Netzwerk KRiStA veröffentlichten Verfassungsbeschwerde von Wagner im Abschnitt C. II. 2. b) dd). 43
Da Studien wie diese schon vor dem Ausbruch von SARS-CoV-2 vorlagen, musste man zu Beginn der Coronakrise schon zu dem Ergebnis kommen, dass die Verpflichtung zum stundenlangen Tragen von Masken, wie es etwa im Schulunterricht oder auf Bahnfahrten im Fern- und Regionalverkehr erforderlich sein sollte, einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit darstellt, der verfassungsrechtlich nur gerechtfertigt werden kann, wenn er verhältnismäßig ist, was näherer Prüfung durch den Normgeber bedurft hätte. Insbesondere hätte sich der Verordnungsgeber mit Studien wie den beispielhaft genannten auseinandersetzen und dann abwägen müssen, warum man trotz dieser Erkenntnisse der Gesamtbevölkerung das Tragen von Masken zumutet.
Ebenso zu Beginn der Coronakrise war bekannt, dass das allgemeine Tragen einer Gesichtsmaske keine signifikante Wirkung zur Eindämmung einer Atemwegsinfektion hat; insbesondere war dies zunächst und noch bis zum Frühjahr 2020 die Auffassung der WHO. Sie war noch im Jahre 2019 in einer großen Metaanalyse zum Nutzen von Masken (Stoff oder chirurgisch) zur Verhütung von grippalen Infekten zum Schluss gekommen, dass sie keinen wesentlichen Schutz bieten. 44
Zu zahlreichen weiteren Studien mit gleichem Resultat sei auf die Webseite der Wissenschaftlichen Initiative Gesundheit für Österreich 45 verwiesen.
Zum Thema Maskenpflicht sind zudem im Beschluss des Amtsgerichts Weimar vom 8. April 2021 (9 F 148/21) drei umfangreiche Gutachten vorhanden, welche den fehlenden Nutzen und die Schädlichkeit von Masken belegen. 46 Auch wenn der genannte Beschluss durch das Thüringer Oberlandesgericht später aus formalen Gründen aufgehoben wurde, wären die darin enthaltenen Gutachten weiter verwertbar gewesen, und es hätte nahegelegen, sich damit zu befassen, bevor eine Maskenpflicht weiter verlängert wird. Eine inhaltliche Auseinandersetzung der Landesregierung mit diesen Gutachten ist nicht bekannt.
Unabhängig davon wäre auch im Hinblick auf den Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit (Maskenpflicht unter dem Aspekt einer kostenverursachenden Bekleidungsvorschrift 47) die Vornahme einer Verhältnismäßigkeitsprüfung und ihre Dokumentation erforderlich gewesen.
Sichere Kenntnis der Schädlichkeit der Maskenpflicht ab Mai 2022
Es lässt sich zumindest mit Sicherheit sagen, dass das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie ab einem gewissen Zeitpunkt sichere Kenntnis von der Gesundheitsschädlichkeit des langanhaltenden Tragens von Masken hatte.
Am 6. Mai 2022 übersandte das KRiStA-Mitglied Thomas Wagner dem Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie per E-Mail an die Poststelle den Aufsatz „Körperverletzung durch Masken? – Zu Fragen von Remonstration und Strafbarkeit bei der Durchsetzung von Maskenpflichten“ 48, den er gemeinsam mit anderen Fachleuten geschrieben hatte. In der E-Mail schrieb er (Hervorhebung in Fettschrift und Hyperlinks im Original):
„Sehr geehrte Frau Ministerin,
sehr geehrte Damen und Herren,
nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft ist eine Maskenpflicht, wie sie die Thüringer Verordnung zur Regelung infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus SARS-CoV-2 vom 29. April 2022 in § 6 Abs. 3 und 4 vorsieht, nicht mehr begründbar. Die durch wiederholtes und langanhaltendes Tragen von Masken drohenden Gesundheitsschäden sind hinreichend erforscht, so zahlreich und gewichtig, dass die Anordnung einer Maskenpflicht jedenfalls nach heutigem Kenntnisstand nicht nur verfassungswidrig ist, sondern für Sie sogar strafbar sein kann.
Ich habe u. a. zusammen mit Naturwissenschaftlern die Sach- und Rechtslage im Zusammenhang mit der Anordnung und Durchsetzung von Maskenpflichten geprüft und in einem Aufsatz festgehalten, den ich zu Ihrer Kenntnis diesem Schreiben beifüge. Nicht nur ist ein Nutzen des Tragens medizinischer und FFP2-Masken im Alltag weder theoretisch noch praktisch gegeben; hierzu verweise ich auf Kapitel III unseres Aufsatzes.
Vielmehr ergibt sich nach der Studienlage, dass das langanhaltende Tragen von Masken nicht nur häufig Kopfschmerzen auslöst und Erschöpfungszustände zur Folge haben kann. Die in der Fachliteratur beschriebenen mannigfaltigen Auswirkungen des Maskentragens finden Sie in Kapitel II unseres Aufsatzes zusammengefasst. Diese unerwünschten Wirkungen reichen in beinahe alle medizinischen Fachbereiche. Es werden internistische Auswirkungen, neurologische, psychiatrische und psychische, dermatologische, sportmedizinische, HNO-, zahnmedizinische und gynäkologische Nebenwirkungen durch das Tragen von Masken beschrieben.
Teilweise und gerade bei vorerkrankten Menschen kann es infolge einer Veränderung der Blutgase durch erhöhte Rückatmung von Kohlenstoffdioxid zu pathologischen Langzeitfolgen kommen. Es steht zu befürchten, dass dies bei Schwangeren sogar zu Fehlgeburten und Fehlbildungen des Neugeborenen führen kann, wie dies in Tierversuchen mit Säugetieren gezeigt werden konnte. Da sich die von Ihnen angeordneten Maskenpflichten, z. B. bei Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, und Maskentrageempfehlungen nicht in hygienischer Weise umsetzen lassen und sich Krankheitserreger in Masken vermehren und durch alle Schichten einer OP-Maske dringen, auch wenn sie nicht getragen wird, wird durch das Maskentragen die Viruslast, der die Bevölkerung ausgesetzt ist, sogar erhöht. Vereinzelte Krankheitserreger, mit denen der Maskenträger in Kontakt kommt, werden nicht einfach abgeatmet, sondern werden nach ihrer Vermehrung immer wieder eingeatmet. Die Quellen zu all diesen Erkenntnissen sind unserem Aufsatz zu entnehmen.
Wir haben die Situation auch strafrechtlich bewertet. Danach stellt die Maskenpflicht eine Körperverletzung und eine Nötigung dar, wie wir in Kapitel IV unseres Aufsatzes herausarbeiten. Damit ist die von Ihnen angeordnete Maskenpflicht schon deshalb rechtswidrig und unwirksam, weil sie gegen das Strafgesetzbuch als höherrangiges Recht verstößt.
Des Weiteren ist sie von der Ermächtigungsgrundlage des § 28a Abs. 8 Satz 1 IfSG nicht gedeckt. Unter bestimmten dort genannten Voraussetzungen können Maßnahmen wie die Maskenpflicht notwendige Schutzmaßnahmen sein. Auch die Notwendigkeit der Maßnahmen muss aber gesondert festgestellt werden, weil sie nicht gesetzlich fingiert wird. Eine Notwendigkeit der Maskenpflicht scheitert bereits an der fehlenden Eignung der Maskenpflicht zur Eindämmung des Infektionsgeschehens (siehe hierzu Kapitel III unseres Aufsatzes). Was nicht geeignet ist, kann nicht notwendig sein.
Ferner verletzt § 6 Abs. 3 und 4 Ihrer Verordnung den Grundsatz der Folgerichtigkeit. Hat sich der Gesetzgeber aufgrund des ihm zukommenden Spielraums zu einer bestimmten Einschätzung des Gefahrenpotenzials entschlossen, auf dieser Grundlage die betroffenen Interessen bewertet und ein Regelungskonzept gewählt, so muss er diese Entscheidung auch folgerichtig weiterverfolgen (Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 30. Juli 2008 – 1 BvR 3262/07, Rn. 135). Gefahreinschätzungen sind nicht schlüssig, wenn identischen Gefährdungen in demselben Gesetz unterschiedliches Gewicht beigemessen wird (BVerfG, ebenda). Es lässt sich nicht begründen, inwieweit alle in § 6 Abs. 3 und 4 der Verordnung genannten Bereiche aus epidemiologischer Sicht gefährlicher sein sollen als andere Lebensbereiche, in denen keine Maskenpflicht gilt. Beispielsweise unterstellen Sie, dass die Fahrt in einem öffentlichen Verkehrsmittel – und sei die Zahl der Mitfahrgäste noch so gering – gefährlicher sei (außer es handelt sich um ein Taxi) als etwa ein Besuch eines gut ausgelasteten Kinos oder Theaters oder der Gang in eine Behörde oder zu Gericht, der für den Bürger oftmals verpflichtend ist, während die Nutzung von Bussen, Bahnen, Kinos und Theatern immerhin freiwillig ist. Diese Logikwidersprüche können Sie nicht erklären, verhalten sich deshalb willkürlich, verstoßen dadurch gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes und müssen die Maskenpflicht aufheben.
Auch von Empfehlungen des Maskentragens sollten Sie aufgrund der zahlreichen gesundheitlichen Nebenwirkungen schon aus Gründen der Staatshaftung absehen. Ohnehin ist eine Rechtsverordnung kein geeigneter Ort für unverbindliche Empfehlungen.
Ich habe Sie daher aufzufordern, die Maskenpflicht, die Sie mittels der eingangs genannten Verordnung angeordnet haben, umgehend wieder aufzuheben. Anderenfalls kommt eine Strafbarkeit durch Unterlassen aufgrund pflichtwidrigen Vorverhaltens in Betracht. Jedenfalls die Verlängerung der Verordnung über das bisherige Gültigkeitsdatum, den 28. Mai 2022, hinaus, würde, nachdem Ihnen nun unser Aufsatz vorliegt, einen Anfangsverdacht gegen Sie wegen verfolgbarer Straftaten begründen.
Bitte beachten Sie, dass die Rechtmäßigkeit der anderen Regelungen Ihrer Verordnung nicht Gegenstand meiner Prüfung war, Sie diesen Hinweis aber zum Anlass nehmen sollten, deren Rechtmäßigkeit, insbesondere deren Geeignetheit und Erforderlichkeit, ebenfalls zu überprüfen.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Wagner
Staatsanwalt“
Wagner hat nie eine Antwort auf dieses Schreiben bekommen. Dass diese E-Mail angekommen sein muss, belegt allerdings ein gegen ihn geführter Disziplinarvorgang bei seiner Personalakte, in dem geprüft wurde, ob es zulässig war, eine solche E-Mail mit der Bezeichnung „Staatsanwalt“ zu unterzeichnen, obwohl es eine nicht-dienstliche Äußerung war.
Mithin lagen dem Ministerium spätestens ab dem 6. Mai 2022 alle Erkenntnisse über die medizinischen Folgen der Maskenpflicht, aber auch eine mögliche rechtliche Bewertung mit Schwerpunkt auf das Strafrecht, vor. Gleichwohl blieb in Thüringen aufgrund von Landesverordnungen weiterhin eine Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln bis 1. Februar 2023 in Kraft 49 – und zwar willkürlich, denn wenn man nunmehr die Gesundheitsschädlichkeit erkannt hätte und deshalb in der Landesregierung oder im Ministerium den Beschluss zur Aufhebung der Maskenpflicht endlich im Januar 2023 gefasst hat, hätte man sie sofort aufheben können und nicht bis zum Ablauf des 1. Februar warten dürfen. Dies deutet auf ein vorsätzliches strafbares Verhalten zum Nachteil der betroffenen Nutzer der öffentlichen Verkehrsmittel hin.
Welche Kenntnisse die Thüringer Landesregierung über Wirkungen anderer Coronamaßnahmen hatte, ist dem Netzwerk KRiStA nicht bekannt.
Zu Frage 10
Welche Maßnahmen hat die Thüringer Landesregierung Ihrer Kenntnis nach unternommen, um die Wirksamkeit, Folgen und Verhältnismäßigkeit der im Gesetzentwurf erfassten Normen laufend zu überprüfen und welcher Maßnahmen hätte es Ihrer Einschätzung nach zu diesem Zweck benötigt 50?
Unserer Kenntnis nach hat die Thüringer Landesregierung sich keine eigenen Erkenntnisse verschafft (siehe Frage 9) und diese folglich auch nicht überprüft.
Dazu wäre die Thüringer Landesregierung zu befragen und Einsicht in den entsprechenden Verwaltungsvorgang zu nehmen.
Zu Frage 13
Sehen Sie mit dem vorliegenden Gesetzentwurf alle Möglichkeiten ausgeschöpft, die nach Ihrer Ansicht möglicherweise nicht erforderlich, nicht geeignet oder nicht verhältnismäßig gewesenen Corona-Maßnahmen zu bereinigen und wenn nicht, welche anderen Vorschläge haben Sie?
Der Gesetzentwurf kann nur ein erster Schritt sein. Hinsichtlich der Schwächen des Entwurfs verweisen wir auf unsere Antwort zu Frage 1.
Zu einer erforderlichen Aufarbeitung des Corona-Unrechts gehört zwingend auch die Einrichtung eines parlamentarischen oder außerparlamentarischen Untersuchungsausschusses.
Es müsste in weitergehenden Schritten dafür gesorgt werden, dass alle, die durch die Coronamaßnahmen berufliche Nachteile im weitesten Sinn erlitten haben, angemessen entschädigt werden.
Ebenso müsste sich der Freistaat Thüringen darüber hinaus zusammen mit anderen Bundesländern dafür einsetzen, dass Opfer der sog. Coronaimpfung endlich als Geschädigte anerkannt und angemessen entschädigt werden.
Zu Frage 15
Inwiefern und warum war die Einhaltung der Schutzmaßnahmen gegen das Corona-Virus mit Blick auf die medizinische bzw. pandemische Gefahrenlage und den Schutz der Menschen bzw. der Bevölkerung vor akuten und chronischen gesundheitlichen Beeinträchtigung[en] und Schäden medizinisch und ethisch geboten und rechtlich zulässig bzw. geboten (bitte (auch) aus der damaligen Gefahrenprognose-Lage heraus darstellen)? Inwiefern war die rechtliche Sanktionierung der (Nicht-)Einhaltung der Schutzmaßnahmen zulässig bzw. geboten, um die Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen zu gewährleisten?
Soweit die Frage das Rechtliche betrifft, nämlich inwiefern und warum die Einhaltung der Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus rechtlich zulässig bzw. geboten war, so ist zu antworten, dass es im Rahmen der allgemeinen Handlungsfreiheit jedermann grundsätzlich zustand, Schutzmaßnahmen zu ergreifen (soweit er dabei nicht in Rechte anderer eingegriffen hätte), auch wenn eine Verpflichtung hierzu formal nicht bestand, weil die jeweilige verpflichtende Rechtsverordnung verfassungswidrig und damit gerichtlich angreifbar war.
Der Erlass verfassungswidriger Infektionsschutzmaßnahmen kann in einem Rechtsstaat niemals rechtlich geboten sein.
Eine Sanktionierung von Verstößen gegen verfassungswidrige Vorschriften in Rechtsverordnungen ist rechtlich nicht zulässig, weil die Vorschriften unwirksam sind und keine taugliche Eingriffsgrundlage darstellen.
Zu Frage 18
Wie bewerten Sie den vorliegenden Gesetzentwurf zur Rückzahlung der Bußgelder aus rechtlicher und praktischer Sicht?
In rechtlicher Hinsicht wird auf die Ausführungen zu Frage 1 verwiesen. Praktisch dürfte ein solches Vorhaben für die einzelne Behörde leicht umsetzbar sein, da die benötigten Daten über eigene Bußgeldbescheide dort vorliegen. Es ist dort bekannt, welche Bußgelder von wem gezahlt wurden. Dementsprechend dürfte eine Bearbeitung der Anträge leicht möglich sein, zumindest wenn man sich hierfür angemessener Softwareunterstützung bedient.
Zu Frage 20
Welche Lehren könnten aus den Erfahrungen mit den Corona-bedingten Bußgeldverfahren für zukünftige Krisensituationen gezogen werden?
Die Politik müsste sich künftig aus der wissenschaftlichen Kontroverse heraus beraten lassen, nicht nur einseitig von ganz bestimmten Beratern. Überdies hätte sie Vorgaben an ihr unterstellte und damit weisungsgebundene Institutionen (RKI, PEI) tunlichst zu unterlassen (vgl. RKI-Protokolle).
Das dazu notwendige Klima der wissenschaftlichen und allgemeinen Meinungsfreiheit müsste die Thüringer Landesregierung ebenso wie alle anderen Akteure intensiv fördern.
Diese Stellungnahme des Netzwerks KRiStA darf interessierten Dritten zugänglich gemacht werden.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Wagner
Vorstand
KRiStA – Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte n.e.V.
Endnoten
- 1
BVerfG, Beschluss vom 12. Juni 1986 – 2 BvL 5/80 u. a. – NJW 1986, 2817, 2819 unter Nr. 4 a. E. - 2
BVerfG, Beschluss vom 8. März 2006 – 2 BvR 486/05 – unter II. 3. b. - 3
Vgl. Burgi/Wolff: Rehabilitierung der nach § 175 StGB verurteilten homosexuellen Männer: Auftrag, Optionen und verfassungsrechtlicher Rahmen. Rechtsgutachten im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Mai 2016, Teil 3: Verfassungsrechtliche Grenzen gegenüber Maßnahmen der kollektiven Rehabilitierung, Seite 76 ff., verfügbar unter: https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/Rechtsgutachten/rechtsgutachten_burgi_rehabilitierung_175.pdf. - 4
Abrufbar unter https://netzwerkkrista.de/2022/04/08/koerperverletzung-durch-masken/. - 5
Abrufbar unter https://netzwerkkrista.de/2023/01/17/verfassungsbeschwerde-gegen-maskenpflicht/#b_Gesundheitsgefahren_des_Maskentragens_und_Subsumtion_unter_die_verfassungsgerichtliche_Rechtsprechung. Das Bundesverfassungsgericht hat über diese Verfassungsbeschwerde bis heute nicht entschieden. - 6
BVerfG, Beschluss vom 23. Mai 1980 – 2 BvR 854/79 –, BVerfGE 54, 143-148, Rn. 8 bei juris – Taubenfütterungsverbot. - 7
BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21 –, BVerfGE 159, 223-355, Rn. 187 – Bundesnotbremse I. - 8
Thüringer Oberverwaltungsgericht, Beschlüsse vom 10. April 2020 – 3 EN 248/20, vom 9. April 2020 – 3 EN 238/20; so auch Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 6. April 2020 – 13 B 398/20.NE. - 9
Abrufbar unter https://fragdenstaat.de/a/196359. - 10
Abrufbar unter https://fragdenstaat.de/a/266649. - 11
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 26. Juli 2022 – 20 B 22.29, 20 B 22.30, Rn. 79. - 12
Änderung § 5 IfSG vom 19.11.2020, abrufbar unter https://www.buzer.de/gesetz/2148/al115550-0.htm. - 13
Änderung § 5 IfSG vom 31.03.2021, abrufbar unter https://www.buzer.de/gesetz/2148/al144036-0.htm. - 14
Übersetzung laut Fedlex, abrufbar unter https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2007/343/de. - 15
WHO: „Pandemic preparedness“, https://web.archive.org/web/20030202145905/http://www.who.int/csr/disease/influenza/pandemic/en/, abgerufen am 2. Februar 2003; https://web.archive.org/web/20090506005107/http://www.who.int/csr/disease/influenza/pandemic/en/, abgerufen am 6. Mai 2009. - 16
Änderung § 5 IfSG vom 28.03.2020, abrufbar unter https://www.buzer.de/gesetz/2148/al88111-0.htm. - 17
Evidenzreport zur Strafanzeige gegen Swissmedic, Rn. 1647, abrufbar unter https://coronaanzeige.ch/strafanzeige/, mit Fn. 772; WHO, WHO Information Notice for Users 2020/05 Nucleic acid testing (NAT) technologies that use polymerase chain reaction (PCR) for detection of SARS-CoV-2, 20.01.2021, https://www.who.int/news/item/20-01-2021-who-information-notice-for-ivd-users-2020-05 ; ferner a. a. O. Rn. 1648 mit Verweis auf Arbeiten eines Forscherteams aus Südkorea, Fn. 773: Min-Chul et al., Duration of Culturable SARS-CoV-2 in Hospitalized Patients with COVID-19, 27.01.2021, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7934323/ sowie des renommierten Epidemiologen Prof. em. Dr. Pietro Vernazza, Fn. 774: VERNAZZA, „Infektiosität und PCR-Positivität – Nicht das Gleiche“, 28.01.2021, https://infekt.ch/2021/01/infektiositaet-und-pcr-positivitaet-nicht-das-gleiche/. - 18
Evidenzreport zur Strafanzeige gegen Swissmedic, Rn. 1540 mit Fn. 718: RKI, „Epidemiologisches Bulletin 39/2020“, 24.09.2020, S. 8, https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/39_20.html. - 19
A. a. O. Fn. 719: Borger et al., Review report Corman-Drosten et al. Eurosurveillance 2020 – External peer review of the RTPCR test to detect SARS-CoV-2 reveals 10 major scientific flaws at the molecular and methodological level: consequences for false positive results, 27.11.2020, https://cormandrostenreview.com/report/ undweitere Literaturhinweise. - 20
A. a. O., Fn. 720: Borger et al. (vgl. vorstehend Fn. 19). - 21
A. a. O., Rn. 1681 mit Fn. 782: Urteil 2C_228/2021 des BGer vom 23. November 2021, E. 5.2, abrufbar unter https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=1&from_date=&to_date=&sort=relevance&insertion_date=&top_subcollection_aza=all&query_words=2C_228%2F2021&rank=1&azaclir=aza&highlight_docid=aza%3A%2F%2F23-11-2021-2C_228-2021&number_of_ranks=257. - 22
Abrufbar unter https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/s/sachverstaendigenausschuss-infektionsschutzgesetz.html. - 23
Bericht des Bundesrechnungshofes (BRH) vom 9. Juni 2021, abrufbar unter https://www.bundesrechnungshof.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Berichtssuche/Berichtssuche_Formular.html?resourceId=20970&input_=30042&pageLocale=de&berichtsQueryString=Gz.%3A+IX+1+–+2021+–+0572&startDateBS=2021-06-09&endDateBS=2021-06-09. - 24
A. a. O. S. 31/32 und 26/27 mit Fn. 65: Augurzky/Busse (2021), Analysen zum Leistungsgeschehen der Krankenhäuser und zur Ausgleichspauschale in der Corona‐Krise, Seite 8. - 25
A. a. O. S. 27. - 26
A. a. O. S. 28 mit Fn. 70: DIVI‐Intensivregister, online unter https://www.intensivregister.de/#/aktuelle-lage/zeitreihen, Zugriff vom 25. Mai 2021, und Erklärungen zur Betreibbarkeit von Betten. - 27
A. a. O. S. 34. - 28
Evidenzreport zur Strafanzeige gegen Swissmedic, abrufbar unter https://coronaanzeige.ch/strafanzeige/, Rn. 1638 mit Fn. 764 bis 767. - 29
Statistisches Bundesamt, Website abgerufen am 02.12.2020, archiviert unter https://web.archive.org/web/20201202085149/https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Sterbefaelle-Lebenserwartung/sterbefallzahlen.html. - 30
Statistisches Bundesamt, a. a. O. - 31
Analyse: 2020 keine oder nur geringe Übersterblichkeit in Deutschland, Deutsches Ärzteblatt, 21.10.2021, abrufbar unter https://www.aerzteblatt.de/news/analyse-2020-keine-oder-nur-geringe-uebersterblichkeit-in-deutschland-4863ee64-5ea2-41be-b5ec-dde019c23bce. - 32
Söder zu Corona: Todeszahlen so hoch, „als würde jeden Tag eine Flugzeug abstürzen“: The European vom 29.11.2020, abrufbar unter https://www.theeuropean.de/gesellschaft-kultur/soeder-zu-corona-todeszahlen-so-hoch-als-wuerde-jeden-tag-eine-flugzeug-abstuerzen. - 33
Keine Übersterblichkeit im Ruhrgebiet im Jahr 2020, Rheinisches Ärzteblatt vom 25.06.2021, Heft 7/2021, Seite 23, abrufbar unter https://www.aekno.de/aerzte/rheinisches-aerzteblatt/ausgabe/artikel/2021/juli-2021/keine-uebersterblichkeit-im-ruhrgebiet-im-jahr-2020. - 34
Statistiker holt zur RKI-Schelte aus: Daten „eine einzige Katastrophe“ – FOCUS online, Focus online, 31.01.2021, abrufbar unter https://m.focus.de/gesundheit/news/statistiker-holt-zur-rki-schelte-aus-corona-daten-eine-einzige-katastrophe_id_12927819.html. - 35
Evidenzreport zur Strafanzeige gegen Swissmedic, Rn. 1548 mit Fn. 723: Ioannidis, Global perspective of COVID-19 epidemiology for a full-cycle pandemic, 06.10.2020, https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1111/eci.13423. - 36
A. a. O., Rn. 1651 mit Fn. 775: Ioannidis, Reconciling estimates of global spread and infection fatality rates of COVID-19: An overview of systematic evaluations, 14.03.2021, https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1111/eci.13554; Oke et al., Global COVID-19 Case Fatality Rates, 17.03.2020, https://www.cebm.net/COVID-19/global-COVID-19-case-fatality-rates/. - 37
A. a. O., Rn. 1653 mit FN 776: CDC, „COVID-19 Pandemic Planning Scenarios“, Update vom 19.03.2021, https://www.cdc.gov/coronavirus/2019-ncov/hcp/planning-scenarios.html. - 38
A. a. O., Rn. 1624. - 39
WHO, International guidelines for certification and classification (coding) of COVID-19 ascause of death, 20.04.2020, Seite 10, abrufbar unter https://www.who.int/publications/m/item/international-guidelines-for-certification-and-classification-(coding)-of-covid-19-as-cause-of-death. - 40
Lim/Seet/Lee/Wilder-Smith/Chuah/Ong (2006), Headaches and the N95 face-mask amongst healthcare providers, Acta Neurologica Scandinavica, volume 113, pages 199-202, https://doi.org/10.1111/j.1600-0404.2005.00560.x. - 41
Jacobs/Ohde/Takahashi/Tokuda/Omata/Fukui (2009), Use of surgical face masks to reduce the incidence of the common cold among health care workers in Japan: A randomized controlled trial, American Journal of Infection Control, volume 37, issue 5, June, pages 417-419, https://doi.org/10.1016/j.ajic.2008.11.002. - 42
Rebmann/Carrico/Wang (2013), Physiologic and other effects and compliance with long-term respirator use among medical intensive care unit nurses, American Journal of Infection Control, volume 41, issue 12, pages 1218-1223, December 1, 2013, https://doi.org/10.1016/j.ajic.2013.02.017. - 43
Abrufbar unter https://netzwerkkrista.de/2023/01/17/verfassungsbeschwerde-gegen-maskenpflicht/#dd_Angemessenheit. - 44
World Health Organization (2019), Non-pharmaceutical public health measures for mitigating the risk and impact of epidemic and pandemic influenza: annex: report of systematic literature reviews. World Health Organization, https://apps.who.int/iris/handle/10665/329439. License: CC BY-NC-SA 3.0 IGO. - 45
https://www.gesundheit-oesterreich.at/evidenz/masken. - 46
Abrufbar unter https://openjur.de/u/2334639.html, Rn. 207 ff. bei openJur. - 47
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 26. Januar 2021 – 20 NE 21.171, Rn. 23 f., abrufbar unter https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2021-N-796. - 48
Abrufbar unter https://netzwerkkrista.de/2022/04/08/koerperverletzung-durch-masken/. - 49
Vgl. Pressemitteilung des TMASGFF: „Neue Thüringer Corona-Schutzverordnung tritt am 2. Februar in Kraft vom 30. Januar 2023“, abrufbar unter https://www.tmasgff.de/medienservice/artikel/neue-thueringer-corona-schutzverordnung-tritt-am-2-februar-in-kraft. Aufgrund einer bundesrechtlichen Regelung blieb auch in Thüringen eine Maskenpflicht in medizinischen Einrichtungen und Pflegeeinrichtungen darüber hinaus bis zum 7. April 2023 bestehen. - 50
Richtig wohl: bedurft."
Quelle: Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte (KRiStA)