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Trauriger Rekord: Bundeswehr meldet neuen Höchststand an Traumatisierten

Archivmeldung vom 20.01.2012

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 20.01.2012 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
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Der Sanitätsdienst der Bundeswehr meldet für das Jahr 2011 einen erheblichen Anstieg an traumatisierten Soldatinnen und Soldaten: Demnach haben sich letztes Jahr 922 Betroffene wegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) nach einem Auslandseinsatz in einem Bundeswehrkrankenhaus behandeln lassen, 26% mehr als noch ein Jahr zuvor. Davon seien 759 PTBS-Erkrankte in Afghanistan im Einsatz gewesen, so die Meldung aus dem Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr.

Die Deutsche Kriegsopferfürsorge (DKOF), die seit mehr als zwei Jahren eine Vielzahl an PTBS-Erkrankten betreut, kritisiert die offiziellen Zahlen des Sanitätsdienstes, weil diese nachweislich nicht das tatsächliche Aufkommen an PTBS-Betroffenen widerspiegeln und zum Teil seit Jahren widersprüchlich sind.

PTBS-Zahlen der Bundeswehr widersprechen sich

Wie viele PTBS Fälle gab es in der Zeit von 1996 bis 2003?

Wie viele PTBS Fälle gab es im Jahr 2004?

Wie viele PTBS Fälle gab es im Jahr 2005?

Wie viele PTBS-Fälle gab es die letzten Jahre aus den Einsatzländern, wie z.B. Sudan (UNMIS), Horn von Afrika (OEF), Georgien (UNOMIG), Äthiopien (UNMEE) oder Kuwait (OEF)?

  • Antwort der Bundeswehr: 52 (offizielle Statistik 1996 bis 2005)
  • Antwort der Bundeswehr: keine (offizielle Statistik 1996 bis 2009)
  • Antwort der Bundeswehr: 129 Fälle im Jahr 2010, 112 Fälle im Jahr 2011 (neueste Version)

Entgegen der ersten Meldungen der Bundeswehr wurden jahrelang nur noch für die Einsätze KFOR, EUFOR und ISAF die PTBS-Zahlen veröffentlicht, alle anderen Einsatzländer fielen unter den Tisch. Erst für die letzten beiden Jahre sind die sogenannten „sonstigen Einsatzgebiete“ wieder erfasst. Die o.a. Widersprüche sind aber bislang nicht geklärt.

PTBS-Betroffene, die sich hilfesuchend an die DKOF gewandt hatten, tauchen in diesen Zahlenspielen nicht auf, weil ihr jeweiliger Einsatz in der Statistik gar nicht aufgeführt wird.

Diese Missstand wurde erstmals im Herbst 2010 von Andreas Timmermann-Levanas in einer Veröffentlichung aufgedeckt und mit Dokumenten belegt (Vgl.: „Die reden – Wir sterben“, Campus Verlag), mit denen die Bundeswehr gegenüber dem Deutschen Bundestag diese widersprüchlichen Meldungen verkündet hat.

Die „Dunkelzifferstudie“ bringt kein Licht ins Dunkle

Auch die erste wissenschaftliche Untersuchung über die PTBS-Fälle in der Bundeswehr kann nicht alle Widersprüche erklären:

Die Anzahl der PTBS-Erkrankungen erreicht nicht das Ausmaß, wie es gelegentlich in der Öffentlichkeit vermutet wurde, so die Aussage der sogenannten „Dunkelzifferstudie“ der Technischen Universität Dresden in Zusammenarbeit mit dem Trauma-Zentrum der Bundeswehr aus dem Jahr 2011. Vertreter der Bundeswehr betonten bei der Vorstellung dieser ersten wissenschaftlichen Arbeit über PTBS-Fälle in der Truppe, dass zwar jeder einzelne Fall ernst zu nehmen sei, aber die Anzahl der Betroffenen nicht das Ausmaß erreichen würde, wie in den Medien öfters behauptet.
Lediglich zwei Prozent aller Einsatz-Soldaten würden an einer PTBS erkranken (eine „klinisch bedeutsame“ PTBS – untersucht bei Afghanistan-Veteranen aus dem Jahr 2009), davon würde jeder Zweite professionelle Hilfe aufsuchen, also lediglich ein Prozent würden wegen einer PTBS zum Arzt gehen.
Die Deutsche Kriegsopferfürsorge maßt sich nicht an, den wissenschaftlichen Wert der Studie zu bewerten, wir erkennen aber auch hier Widersprüche und rechnen nach:

Die Anzahl der Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz schwankt. Derzeit (Stand 11. Januar 2012) sind 7.173 Kameraden im Einsatz. Durchschnittlich ist also für 2011 davon auszugehen, dass etwa 7000 Frauen und Männer pro Kontingent im Einsatz waren, ein Kontingent dauert ca. vier Monate. Aktuell sind demnach pro Jahr ca. 21.000 Soldatinnen und Soldaten im Einsatz.
Wenn davon lediglich ein Prozent an einer PTBS erkranken würden, die sich bei einem Bundeswehrarzt melden, wären das ca. 210 PTBS-Fälle.
Wenn zusätzlich berücksichtig würde, dass viele Kameraden nicht nur vier sondern regelmäßig sechs Monate und länger im Einsatz sind, müsste sich diese Zahl sogar verringern, weil in der Realität wahrscheinlich gar nicht 21.000 Frauen und Männer im Jahresdurchschnitt im Einsatz sind.
Warum gemäß Studie also nicht mehr als 210 Veteranen jährlich an PTBS erkranken, die Bundeswehr für das Jahr 2011 aber 922 PTBS-Fälle meldet, widerspricht der Dunkelzifferstudie deutlich. Selbst wenn im Jahr 2011 Kameraden erfasst worden wären, deren Einsätze Jahre zuvor stattgefunden hätten, erklärt sich dieser Widerspruch nicht hinreichend.
Dies bestätigt die Kritik, die die DKOF bereits bei der Vorstellung der Studie geäußert hat: Es ist eine Kurzzeit-, keine Langzeitstudie. Da lediglich betroffene Veteranen unmittelbar nach ihren Einsätzen untersucht wurden, ist das Ergebnis nicht generell übertragbar: Eine PTBS entwickelt sich in der Regel erst Jahre nach dem traumatischen Ereignis. Ein Psychologe des Sanitätsamtes der Bundeswehr hat bestätigt, dass durchschnittlich 4,5 Jahre bis zum „Outing“ des Betroffenen vergehen (Quelle: bmvg.de/portal).

Die tatsächliche Anzahl von PTBS-Betroffenen bleibt weiterhin im Dunkeln

Bis zu diesem „Outing“ ist der Einsatzsoldat aber bereits aus dem Dienst bei der Bundeswehr entlassen und taucht daher gar nicht in der offiziellen Statistik auf. Die meisten der Soldatinnen und Soldaten im Einsatz sind eben nicht Berufssoldaten, sondern Soldaten auf Zeit, deren Arbeitsvertrag mit dem Arbeitgeber Bundeswehr nach einigen Jahren endet. Für diese Veteranen sind die Bundeswehrkrankenhäuser nicht mehr zuständig, ehemalige Soldatinnen und Soldaten werden dort bislang nicht behandelt. Die offiziellen Zahlen der Bundeswehr erfassen also nur die noch aktiven Soldatinnen und Soldaten und bilden daher kein reales Bild der PTBS-Fälle ab.
Ebenso verhält es sich mit der schlimmsten Folge einer Einsatztraumatisierung – dem Selbstmord. Hier erfasst die Bundeswehr ebenso nur die Suizide der noch aktiven Soldatinnen und Soldaten, nicht aber die Suizide der bereits Entlassenen. Wie viele davon haben wohl in den vergangenen Jahren auf Grund einer PTBS diesen tragischen Weg gewählt?

Die Wahrnehmung der PTBS-Zahlen in den Medien

Zu Beginn jeden Jahres meldet die Bundeswehr die offiziellen PTBS-Zahlen, die Medien übernehmen regelmäßig die Ticker-Meldungen: „Bundeswehr verkündet Anstieg von PTBS-Fällen“, im Vergleich zu den Jahren davor sind sie um „so und so viel Prozent“ gestiegen. Einen Tag später ist die Zeitung von heute bereits wieder Altpapier.
Selbst angesehene Medien fragen nicht nach, erkennen nicht die Widersprüche in der offiziellen Statistik. Immerhin verkündet die Bundeswehr gegenüber dem Deutschen Bundestag und der Öffentlichkeit Zahlen, die sich selbst widersprechen!
Kaum ein Journalist schreibt darüber, dass hinter jeder statistischen Zahl ein Schicksal steht, ein Mensch. Kaum jemand interessiert sich für die Auswirkungen einer PTBS bei den betroffenen Familien, der gesellschaftlichen Frage, wie viele Kinder und Lebenspartner wohl davon betroffen sind?
Statistische Zahlen sind trocken und stehen nur auf dem Papier. Aber diese Zahlen sind die Grundlage für Maßnahmen:

  • Wie viele Krankenhausbetten müssten vorgehalten werden, wie hoch ist der Bedarf?
  • Reichen die Maßnahmen aus? Wie viele Truppenpsychologen müssen eingestellt werden?
  • Wie viele Gutachter benötigt die Bundeswehr, um eine PTBS zügig anzuerkennen, wie viel Personal in den Wehrbereichsverwaltungen?
  • Wenn seit Jahren die Anzahl der Betroffenen erheblich steigt, hat dieser Anstieg auch zur Aufstockung des Fachpersonals geführt?
  • Wie lange müssen Betroffene auf einen Therapieplatz warten, und wer behandelt die bereits entlassenen Soldatinnen und Soldaten?
  • Wer ist überhaupt ein Zählfall für die Bundeswehr und wieso sind über Jahre die "sonstigen Einsätze" in der Statistik nicht aufgeführt?
  • Was bedeutet „wegen PTBS in einem Bundeswehrkrankenhaus behandelt“ und was ist mit den sonstigen psychischen Störungen nach einem Einsatz, die keine PTBS sind?
  • Müsste für Versorgung, Betreuung und Fürsorge für PTBS-Betroffene und deren Familien mehr getan werden?
  • Wie hoch ist der tatsächliche Preis, den die gesamte Gesellschaft bezahlen muss, damit deutsche Sicherheitsinteressen im Ausland durch eine Parlamentsarmee durchgesetzt werden?

Die Deutsche Kriegsopferfürsorge wird sich weiterhin als Hilfsorganisation für die Betroffenen einsetzen. Gleichzeitig stellen wir aber diese Fragen, weil wir die Antworten bisher nicht finden konnten. Die Verantwortlichen in Politik und Bundeswehr sollten ebenso wie die Medien nach diesen Antworten suchen. Bislang ist dies weitgehend unterblieben.

Quelle: Deutsche Kriegsopferfürsorge

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