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Krebsmedikamente: Betrugssystem mit Medizinischen Versorgungszentren?

Archivmeldung vom 18.12.2019

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 18.12.2019 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott
Gift & Giftig (Symbolbild)
Gift & Giftig (Symbolbild)

Bild: C. Nöhren / pixelio.de

Nach Recherchen von "Panorama" und "Zeit-Online" soll das Hamburger Unternehmen Zytoservice mindestens 24,6 Millionen Euro durch eine neue Betrugsmethode vereinnahmt haben. Der Marktführer für Infusionen von Krebsarzneien nutzte dabei womöglich eine Gesetzeslücke.

Hinter dem am Dienstag, 17. Dezember, bekannt gewordenen Betrugsverdacht mit Krebsmedikamenten steckt außer der Bestechung von Ärzten offenbar ein Betrugssystem mit Medizinischen Versorgungszentren (MVZ). Aufgrund des Verdachtes durchsuchten am Dienstag nach einer neuen Mitteilung der Staatsanwaltschaft 480 Polizisten die Hamburger Firma Zytoservice und etliche Arztpraxen. Insgesamt 57 Objekte. Bisher ist bekannt, dass der Marktführer für die Herstellung von Infusionen für Krebstherapien Ärzte bestochen haben soll, damit er im Gegenzug die lukrativen Rezepte für die Medikamente erhält.

Nach Informationen des ARD-Magazins "Panorama" (NDR) und von "ZEIT Online" hat der Fall Zytoservice eine weitere und bislang unbekannte Dimension. Neben der klassischen Bestechung über versteckte Geldflüsse an selbständige Ärzte kaufte Zytoservice über ein verflochtenes Firmenkonstrukt bundesweit ganze Arztpraxen auf. Nach Recherchen von "Panorama" soll Zytoservice ein Vielfaches des üblichen Marktpreises gezahlt haben. Anschließend wurden die Praxen in sogenannte Medizinische Versorgungszentren (MVZ) umgewandelt. Die dann dort angestellten Ärzte sollen Rezepte für die Herstellung der Infusionen von Krebsarzneien exklusiv an Zytoservice weitergeleitet haben. Im Gegenzug sollen die angestellten MVZ-Ärzte eine Beteiligung am Umsatz als Boni für die Rezepte erhalten haben.

Durch diesen finanziellen Anreiz könnte Zytoservice ihre angestellten Ärzte dazu verleitet haben, möglichst viele Therapien oder besonders teure Medikamente zu verordnen.

"Es liegt natürlich die Gefahr auf der Hand, dass der Arzt, um den Gewinn des Konzerns zu steigern, auch teure Medikamente einsetzt, die gar nicht medizinisch geboten sind", sagt Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und selbst Onkologe. "Nur über die Menge der verordneten Zytostatika oder Antikörper wird dann Profit in diesem Konstrukt erzielt." Das sei nicht im Sinne der Patientensicherheit.

Aus diesem Grund ist es auch Apothekern und Herstellbetrieben wie Zytoservice verboten, sich an Arztpraxen zu beteiligen und damit die Nachfrage nach ihrem eigenen Produkt zu kontrollieren. Mit einer Regelung aus dem Jahr 2012, dem GKR-Versorgungsstrukturgesetz, will der Gesetzgeber sicherstellen, dass die Eigentümer der Praxen am Patientenwohl und an der Gesundheit der Bevölkerung interessiert sind und nicht vorrangig an wirtschaftlichen Interessen.

"Wenn Ärzte nicht wirtschaftlich unabhängig arbeiten können, dann kann es passieren, dass sie beispielsweise Medikamente, in diesem Fall Chemotherapien, verordnen, die vielleicht teurer sind als die Standardtherapie, die völlig ausreichend wäre. Es kann aber auch passieren, dass Patienten zu viele Medikamente verabreicht bekommen. Das wissen wir aber nicht genau, da warten wir jetzt auch die Ergebnisse der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen ab", sagt Jörg Bodanowitz von der DAK.

Nach Überzeugung der Krankenkassen DAK und TK hat Zytoservice gegen die Verbotsregelung von 2012 verstoßen und hätte deshalb die Medikamente bei den Krankenkassen nicht abrechnen dürfen. Die TK beziffert den Schaden durch zu Unrecht abgerechnete Rezepte auf 8,6 Millionen Euro, die DAK gar auf 16 Millionen Euro.

Unklar ist jedoch, ob Zytoservice nicht einfach eine Gesetzeslücke nutzte. Bei der Verbotsregelung gibt es Ausnahmen. Gemeinnützige Organisationen oder Krankenhäuser dürfen nämlich MVZs gründen oder besitzen. Und auf dem Papier ist Zytoservice selbst nicht Gründer und Besitzer der fraglichen MVZs, sondern die "Stadtteilklinik" in Hamburg-Mümmelmannsberg. Dieses sehr kleine Krankenhaus hat selbst keine onkologische Abteilung und verfügt lediglich über 15 Betten. Doch seit 2014 wurden über diese Klinik bundesweit 15 MVZs gegründet. Und Inhaber der Klinik ist auch nicht Zytoservice selbst, sondern der Mutterkonzern Alanta Health Group.

Sowohl die DAK als auch die Staatsanwaltschaft Hamburg erkennen deshalb nicht an, dass die "Stadtteilklinik" die Voraussetzung für eine Ausnahmeregelung erfüllt und MVZs gründen und besitzen darf. Aus der Sicht der Krankenkasse und der Staatsanwaltschaft handelt es sich um eine "Strohmann"-Klinik, um die Verbotsregelung zu unterlaufen.

"Der Gesetzgeber möchte finanzielle Interessen von Apothekern und Ärzten voneinander trennen. Und hat es deshalb Apothekern untersagt, Arztpraxen oder auch medizinische Versorgungszentren zu gründen", sagt die Hamburger Staatsanwältin Liddy Oechtering dem ARD-Magazin "Panorama". "Wir hoffen, dass durch dieses Ermittlungsverfahren auch grundlegende Fragen zur Korruption im Gesundheitswesen geklärt werden können." Zytoservice bzw. der Mutterkonzern Alanta Health Group hat auf die Bitte um Stellungnahme nicht reagiert.

Quelle: NDR / Das Erste (ots)


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