Bamberg ist überall: Ein Blick in die Praxis der Strafjustiz von kritischen Staats- und Rechtsanwälten

Der Journalist Jan Fleischhauer spricht in seinem Podcast „Der Schwarze Kanal“ im April 2025 von der Sondergerichtszone Bamberg. Ziel der Anspielung ist klar: Gemeint sind die Staatsanwaltschaft Bamberg und das Amtsgericht Bamberg. Dies berichtet Holger Willanzheimer vom Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte (KRiStA).
Willanzheimer weiter: "Die Staatsanwaltschaft hatte gegen den Chefredakteur des rechten „Deutschland-Kuriers“, David Bendels, die öffentliche Klage (zunächst in Gestalt eines Strafbefehlsantrags) erhoben, weil er ein verfremdetes Bild der damaligen Bundesinnenministerin Nancy Faeser verbreitet hatte, auf dem sie ein Schild mit dem Text „Ich hasse Meinungsfreiheit“ in die Kamera gehalten hatte. Natürlich ganz offensichtlich eine satirisch gemeinte Fotomontage. Schon zuvor war die Bamberger Strafjustiz durch die vehemente Verfolgung (einschließlich Hausdurchsuchung) eines Rentners aufgefallen, der sich eine Haarpflegemittel-Werbung zunutze gemacht hatte, um Robert Habeck zu veralbern („Schwachkopf“-Meme).
Die Staatsanwaltschaft hatte im aktuellen Fall auf den entsprechenden Strafantrag der Ministerin mit einem Antrag an das Amtsgericht Bamberg auf Erlass eines Strafbefehls reagiert, der auf eine hohe Geldstrafe (210 Tagessätze, also sieben Monatsnettoeinkommen) gerichtet war. Ein Strafbefehl leitet ein schriftliches Verfahren ohne Verhandlung ein, wobei der Angeklagte aber stets das Recht hat, durch Einspruch eine Hauptverhandlung zu erzwingen. Die Strafprozessordnung wartet hier aber mit einer kleinen Tücke auf: Anders als bei den Rechtsmitteln der Berufung und der Revision riskiert der Angeklagte eine härtere Verurteilung, sofern er den Strafbefehl nicht zu akzeptieren bereit ist. 1
So auch hier geschehen: Das Amtsgericht Bamberg beantwortete den Einspruch als Ergebnis der Hauptverhandlung mit einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten, also einer härteren Bestrafung als zuvor. Dass die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde (zu noch Drastischerem zu greifen hat sich wohl nicht einmal das Amtsgericht Bamberg getraut), ändert daran nichts.
7 Monate 2 für eine (vermeintliche) Verleumdung? Für ein Delikt, welches die Justiz bei Normalbürgern, für die § 188 StGB (fälschlich 3 als „Majestätsbeleidigungspragraph“ bezeichnet) nicht gilt, nicht einmal eigeninitiativ verfolgt und, wenn überhaupt, dann mit niederen Geldstrafen ahndet?
Wenn Ricarda Lang diese Bestrafung unverhältnismäßig findet und selbst die taz sich zurückhaltend äußert, ist dieses Aufflammen rechtsstaatlichen Bewusstseins durchaus anerkennenswert. Die Empörung über die Höhe der Strafe geht aber am Kern der Sache vorbei. Es geht nämlich gar nicht in erster Linie um das Strafmaß, sondern darum, dass das Meme überhaupt keinen Straftatbestand erfüllt. Nicht den der Verleumdung und nicht einmal den der Beleidigung. Das Urteil ist juristisch schlicht falsch. Hierüber ist aber schon so viel geschrieben und gesprochen worden, dass es an dieser Stelle dabei bewenden soll, Wolfgang Kubicki mit den Worten zu zitieren: „Für einen freiheitlichen Rechtsstaat ist dies ein wahrhaft schandhaftes Urteil“.
Das einstweilen 4 letzte Wort in dieser Sache dürfte ohnehin das Bayerische Oberste Landesgericht zu sprechen haben, das kürzlich immerhin Hoffnung darauf geweckt hat, die bisherige ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Meinungsfreiheit noch nicht vergessen zu haben. 5
Zurück aber zum eigentlichen Thema: Ist Bamberg, wie Jan Fleischhauer meint, eine Sondergerichtszone? Liegt hier in Oberfranken ein Zentrum übelster juristischer Fehlleistungen? Oder haben wir es bloß mit dem Ausrutscher eines einzelnen Richters zu tun? 6
Zur Beantwortung dieser Frage ist ein Blick in die Abläufe der Strafjustiz nötig.
Ausgangspunkt ist, dass ein Strafgericht niemals von Amts wegen, also ohne Antrag von außen, urteilen kann. Es bedarf stets 7 einer Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft, § 152 Abs. 1 StPO.
Werfen wir also einen Blick in deren bescheidene Amtsstuben. Im Alltagsgeschäft sitzt der Staatsanwalt hinter seinem Schreibtisch und verrichtet seine Arbeit, bei der er im Allgemeinen, obwohl weisungsgebundener Beamter, nur in geringem Umfang einer Kontrolle durch seine Vorgesetzten unterliegt. 8, 9 Er wird bezahlt wie ein Richter und soll auch ähnlich selbständig arbeiten dürfen. Hat er es mit Diebstahl, Körperverletzung oder Betrug, also Alltagsdelikten, zu tun, sieht gewöhnlich kein Vorgesetzter das Ergebnis seiner Tätigkeit. Hätte es sich also hier nicht um Frau Faeser, sondern um irgendjemanden Beliebigen gehandelt, wäre der Strafbefehlsantrag ohne Aufhebens direkt ans Amtsgericht gegangen. Es hätte allenfalls passieren können, dass das Gericht den Erlass des Strafbefehls abgelehnt hätte, weil es eine andere Vorstellung von Meinungsfreiheit hatte. Vielleicht sogar eine entgegengesetzt extreme: Das ebenfalls im Freistaat Bayern ansässige Amtsgericht Ansbach zum Beispiel hat durch Beschluss vom 18.12.2021 die auf Facebook getätigte Äußerung „Ich hätte jeden Impfverweigerer ins Gas geschickt oder in ne Genickschussanlage gesteckt…Ah und in ein KZ davor um die Verweigerer dann erstmal auszubeuten, zu foltern etc.“ im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft Ansbach mangels Vorsatzes für straflos erachtet. 10
Wieder zurück in die Amtsstube des Staatsanwalts: Dessen Freiheit, ohne Behelligung durch irgendwelche Aufsicht seine Arbeit verrichten zu können, endet bei sogenannten Berichtssachen.
Berichtssachen sind (unter anderem) Verfahren, von denen zu erwarten ist, dass sie eine gewisse Öffentlichkeitswirksamkeit entfalten werden. Was sicherlich in einem Verfahren der Fall ist, in dem die Bundesinnenministerin Strafantrag gestellt hat und die Sache bereits ihren Weg in die Medien gefunden hat. Der Staatsanwalt hat dann auf dem Dienstweg über seine übergeordnete Generalstaatsanwaltschaft (hier ebenfalls in Bamberg ansässig) an das Landesjustizministerium zu berichten.
Praktisch sieht das in der Regel so aus, dass in einem solchen Bericht der Verfahrensstand zusammengefasst wird und ggf. beabsichtigte Maßnahmen (Anklageerhebung, Einstellung, Durchsuchung) mitgeteilt werden. Das Ministerium möchte verständlicherweise über spektakuläre Vorfälle, die sich in seinem Geschäftsbereich abspielen, informiert sein und hiervon nicht erst aus der Zeitung erfahren.
Geregelt ist das für Bayern in der Anordnung Berichtspflichten in Strafsachen vom 07.12.2005 (BeStra). 11
Dort heißt es unter Nr. 1:
„Die Staatsanwaltschaften berichten dem Staatsministerium der Justiz in allen Strafsachen, die wegen der Persönlichkeit oder der Stellung eines Beteiligten, wegen der Art oder des Umfangs der Beschuldigung oder aus anderen Gründen weitere Kreise beschäftigen oder voraussichtlich beschäftigen werden…“
Die weiteren dort geregelten Einzelheiten sollen hier nicht wiedergegeben werden.
Kein Zweifel wird daran bestehen können, dass es sich bei dem fraglichen Verfahren um eine solche Berichtssache handelt. Ein Verfahren also, das der zuständige Staatsanwalt eben nicht im stillen Kämmerlein bearbeiten und abschließen konnte, sondern über das – und zwar mit Sicherheit in sehr frühem Stadium – sein Abteilungsleiter, der Behördenleiter und sodann, wie dargestellt im Berichtsweg, der Generalstaatsanwalt sowie das Staatsministerium der Justiz sehr gut informiert gewesen sein dürften. Jeder der genannten Vorgesetzten in dieser Hierarchie hätte den Staatsanwalt zurückpfeifen können, falls dieser nicht ohnehin zur Anklageerhebung angewiesen wurde. Aus dem Umstand, dass dies nicht geschehen ist, lässt sich nur folgern, dass dieser Verfolgungsfuror bis hinauf ins Ministerium Billigung gefunden hat. Was sicherlich ebenso für das „Schwachkopf“-Meme gilt, das Robert Habeck zur Stellung eines Strafantrags veranlasst hatte.
Womit die Titelfrage beantwortet wäre. Dem Journalisten Jan Fleischhauer ist bei seiner vernichtenden Bewertung des Urteils des Amtsgerichts Bamberg zuzustimmen. Er irrt aber, wenn er Bamberg als „Sondergerichtszone“ betrachtet. Für das Verfahren trägt der gesamte hierarchische Überbau der Staatsanwaltschaft Bamberg bis hin zum Staatsministerium der Justiz des Freistaats Bayern Verantwortung.
Verfehlt wäre es jedoch, nunmehr stattdessen von einer „Sondergerichtszone Bayern“ zu sprechen. Die Erosion der Meinungsfreiheit hat sich vielmehr längst in der ganzen Republik verbreitet und jüngst sogar den Bundesgerichtshof erfasst. 12
Bamberg ist keine Sondergerichtszone. Man findet Bamberg inzwischen überall."
Endnoten
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1
Eine Extrakarte im Ärmel der Strafjustiz, geeignet, Angeklagte von Einsprüchen abzuhalten bzw. zu deren Rücknahme zu „motivieren“. -
2
Hiergegen hat die Staatsanwaltschaft, die in ihrem Plädoyer 8 Monate für angemessen gehalten hatte, sogar noch Strafmaßberufung eingelegt, die aber nicht ernst gemeint, sondern taktisch begründet sein dürfte, um eine mögliche direkte Revision des Angeklagten zu blockieren, vgl. § 335 Abs. 3 StPO; sogenannte „Sperrberufung“. -
3
Korrekt: Politikerbeleidigung. Der „Majestätsbeleidigungs-Paragraph“ war hingegen § 103 StGB, der die Beleidigung von Staatsoberhäuptern unter Strafe gestellt hatte. Er wurde im Jahr 2017 abgeschafft, nachdem der ZDF-„Satiriker“ Jan Böhmermann ein Schmähgedicht auf Recep Tayyip Erdogan verfasst und daher Strafverfolgung zu befürchten hatte („Lex Böhmermann“). -
4
Unbeschadet der Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde. -
5
Urteil vom 06.03.2025 – 206 StRR 433/24, Randnummer 10: „Der Schutz der Meinungsfreiheit ist gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen und findet darin unverändert seine Bedeutung“. -
6
Es waren sogar zwei Richter mit dem Fall befasst, die beide eine Strafbarkeit bejaht haben, taz vom 09.04.25. -
7
Ausnahme: Privatklagedelikte, § 374 StPO, sofern die Staatsanwaltschaft nicht mitwirkt. -
8
Vgl. Nr. 12 Abs. 1 der Anordnung über Organisation und Dienstbetrieb der Staatsanwaltschaften Bayern (OrgStA): „Innerhalb des ihm zugewiesenen Geschäftsbereichs erledigt der Sachbearbeiter seine Aufgaben grundsätzlich in eigener Verantwortung“. Daher zeichnen Staatsanwälte in der Regel auch nicht, wie andere Beamte, „Im Auftrag“, Nr. 18 Abs. 1 OrgStA. -
9
Dabei mögen regionale Unterschiede bestehen. -
10
Aktenzeichen 5 Js 1012 Js 7310/21 – Die Staatsanwaltschaft Ansbach hatte zunächst den Erlass eines Strafbefehls wegen Volksverhetzung beantragt, hat aber die Ablehnung des Antrags durch das Amtsgericht Ansbach widerstandslos hingenommen. -
11
Bay. JMBl. 2006, S. 2. -
12
Nachzulesen in dem gleichzeitig veröffentlichten Beitrag von Matthias Guericke auf dieser Website."
Quelle: Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte (KRiStA)