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Gerichtshof erteilt Stammzellpatenten eine Absage

Archivmeldung vom 18.10.2011

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 18.10.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Bild: Gerd Altmann/Shapes:AllSilhouettes.com  / pixelio.de
Bild: Gerd Altmann/Shapes:AllSilhouettes.com / pixelio.de

Nach dem heutigen Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) sind auf embryonaler Stammzelllinien aufbauende Erfindungen auch dann von der Patentierbarkeit auszuschließen, wenn die Gewinnung der Zelllinien viele Jahre vorher stattgefunden hat und nicht Bestandteil des erfindungsgemäßen Verfahrens ist. Dahinter steht die Überlegung, dass ES-Zelllinien ursprünglich aus befruchteten Eizellen gewonnen wurden. Der renommierte Stammzellforscher Prof. Dr. Oliver Brüstle von der Universität Bonn zeigte sich von der Entscheidung enttäuscht.

Auf Antrag des Bundesgerichtshofes (BGH) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) heute eine Grundsatzentscheidung zur Patentierbarkeit von Erfindungen auf Grundlage embryonaler Stammzelllinien (ES-Zellen) gefällt. Ausgangspunkt des Rechtsstreits war die Frage, ob allein die ursprüngliche Gewinnung dieser Zelllinien aus befruchteten Eizellen ausreicht, um auf diesen Zellen aufbauende Patente zu verbieten. Um diese Frage zu entscheiden, hatte der BGH in Karlsruhe den EuGH um eine diesbezügliche Auslegung der europäischen Biopatentrichtlinie gebeten.

Der Rektor und der Kanzler der Universität Bonn bedauerten das Luxemburger Urteil, weil es die europäische Wissenschaft in diesem Bereich der Stammzellforschung faktisch auf die Grundlagenforschung festlege. "Translationale Forschung, die die Früchte grundlegender Forschungsarbeiten in konkrete Verfahren und Therapien umsetzt, wird in Zukunft wohl anderenorts stattfinden", sagt Rektor Prof. Dr. Jürgen Fohrmann. Das Urteil schränke damit auch die Entwicklungsperspektiven von Nachwuchswissenschaftlern in Europa ein.

Prof. Dr. Oliver Brüstle, Direktor des Instituts für Rekonstruktive Neurobiologie der Universität Bonn, äußerte sich unzufrieden zu dem Urteil. "Mit dieser unglücklichen Entscheidung werden die Früchte jahrelanger translationaler Forschung europäischer Wissenschaftler in einem Handstreich weggewischt und dem außereuropäischen Ausland überlassen. Europäische Forscher dürfen Grundlagenforschung betreiben, die dann andernorts in medizinische Verfahren umgesetzt wird, welche letztendlich wieder nach Europa importiert werden. Wie soll ich das meinen Doktoranden erklären?", so Brüstle.

Tatsächlich werden solche ES-Zellen in zahlreichen europäischen Staaten aus überzähligen befruchteten Eizellen gewonnen, die im Rahmen der künstlichen Befruchtung in großen Mengen entstehen. Mittlerweile stehen weltweit mehrere Hundert solcher Zelllinien zur Verfügung. Da sie, einmal gewonnen, uneingeschränkt vermehrbar sind und im Labor in alle Körperzelltypen umgewandelt werden können, haben ES-Zellen enormes Potential für Krankheitsforschung und Zelltherapien.

Der heutigen Entscheidung war ein jahrelanger Rechtsstreit zwischen Brüstle und der Umweltschutzorganisation Greenpeace vorausgegangen. Im Jahr 2004 hatte Greenpeace Klage gegen dieses im Jahr 1999 erteilte Patent eingereicht. Kernpunkt der Argumentation: Da humane ES-Zelllinien ursprünglich aus befruchteten Eizellen gewonnen werden, stelle dies eine untersagte Verwendung menschlicher Embryonen und damit einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung dar. Brüstle hingegen betonte, das patentierte Verfahren selbst beinhalte weder eine Verwendung von Embryonen noch die Gewinnung von ES-Zellen, sondern gehe von bereits etablierten ES-Zelllinien aus, die international erhältlich sind und an denen in Deutschland legal gearbeitet werden darf.

Brüstle kritisierte die Entscheidung des EuGH: "Der EuGH nimmt damit eine restriktivere Haltung ein als die europäische Kommission und sämtliche von den Mitgliedsstaaten eingegangenen Stellungnahmen". Selbst in diesem Gebiet bekanntermaßen konservative Staaten wie Portugal und Irland hatten in ihren Äußerungen dafür plädiert, Stammzell-Erfindungen nicht von der Patentierbarkeit auszuschließen, wenn sie auf der Verwendung bereits existierender ES-Zelllinien aufbauen. Mit dem Urteil wird der EuGH laut Brüstle's Anwälten Dr. Martin Grund und Clara Sattler de Sousa e Brito auch nicht seinem Mandat einer harmonisierenden Rechtsauslegung in Europa gerecht. "Niemand würde in Großbritannien oder Schweden auf die Idee kommen, Patente für entsprechende Verfahren in Frage zu stellen." Da die Entscheidung auch für diese Staaten bindend ist, würden die inzwischen über 100 ES-Zell-Patente in Großbritannien und Schweden ebenso angreifbar wie Brüstle's Patent und damit praktisch unwirksam, so Frau Sattler de Sousa e Brito.

Angesichts der aktuellen Entwicklungen sei die Entscheidung des EuGH nicht nachvollziehbar, so Brüstle. "Vor wenigen Wochen haben in Großbritannien die ersten klinischen Studien zur Transplantation ES-Zell-abgeleiteter Netzhautzellen begonnen, und nun stigmatisiert der EuGH die Patentierung solcher Technologien als unmoralisch". Brüstle gab sich dennoch gelassen und vertrat die Auffassung, dass die Stammzelltechnologie auf internationaler Ebene nicht aufzuhalten sei. Allerdings berge die heutige Entscheidung eine traurige Wahrheit für die vielen jungen europäischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die begeistert an der Entwicklung biomedizinischer Verfahren auf Grundlage humaner Stammzellen forschen. "Ihnen kann man es nicht verdenken, wenn sie Europa den Rücken kehren."

Quelle: University of Bonn (ots)

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