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Doping: Der Wettlauf wird weitergehen! Perspektiven aus der Sicht der Sportwissenschaft

Archivmeldung vom 10.08.2006

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 10.08.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Unter der Federführung Ihres Vizepräsidenten Leistungssport, Prof. Dr. Martin Lames (Universität Augsburg), erarbeitet die Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs) in diesen Tagen eine Erklärung zum Thema Doping. Diese Erklärung droht weder mit dem moralischen Zeigefinger noch schwingt sie den Knüppel des Strafrechts. Sie möchte aus der Sicht einer Wissenschaftsvereinigung das Thema sachgerecht darstellen.

Lames erläutert die Absicht: "Wir möchten beispielsweise klar aussprechen, was ohnehin jeder Fachmann weiß: nämlich, dass die Verwendung von Dopingmitteln in vielen Sportarten als regulärer Bestandteil der Leistungsstruktur anzusehen ist. Es greift aber viel zu kurz, wenn man die Schuldigen nur bei den Athleten, Trainern und den Helfershelfern sucht und nicht die systembedingten Ursachen anerkennt, die im Verhältnis des Sports zur Politik, zu den Medien und zur Kommerzialisierung liegen."

Es bestehen Missverständnisse darüber, was eine negative Dopingprobe eigentlich aussagt. Ein Athlet ist positiv, wenn die Konzentration einer Substanz auf der Dopingliste im Körper einen Grenzwert übersteigt. In diesem Sinne ist beispielsweise Jan Ullrich bisher nicht des Dopings überführt. Eine negative Dopingprobe bedeutet aber keinesfalls, dass der Athlet keine Dopingmittel verwendet hat, sondern lediglich, dass diese Grenze nicht überschritten wurde. Dabei ist zu bedenken, dass diese Grenzen für körpereigene Substanzen jeweils so angesetzt sind, dass kein Athlet falsch positiv getestet wird, es also völlig ausgeschlossen ist, die Grenzen auf natürlichem Weg, also ohne den Einsatz von Dopingmitteln, zu überschreiten.

Zwar werden die Ergebnisse bei negativen Proben nicht veröffentlicht, es ist jedoch davon auszugehen, dass die "Kunst" heute vor allem darin besteht, so knapp wie möglich unter dem Schwellenwert zu bleiben. So werden die zweiwöchigen, so genannten Schutzsperren ab einem Hämatokrit (Anteil der Blutzellen am Blutvolumen, Maß für die Sauerstofftransportfähigkeit, entscheidend für die Leistungsfähigkeit in Ausdauersportarten) von 52% (Radfahren) bis 54% (Skilanglauf) verhängt. Man gilt aber bereits mit einem Hämatokrit von 45% als hervorragend ausdauertrainiert!

Negative Dopingproben resultieren auch dann, wenn die Doping-Fraktion des Doping Wettlaufes gerade wieder einmal über einen Vorsprung gegenüber der Dopinganalytik-Fraktion verfügt. Da die Doping-Rechtsprechung nur solche Mittel sanktioniert, die auf der offiziellen Dopingliste stehen, wird nach neu entwickelten Mitteln schlicht nicht gesucht. Weiter erlauben neue Verabreichungsformen (z.B. Testosteron-Salbe), neue Medikamente zur Verschleierung von Dopingsubstanzen oder die Verwendung von "Cocktails" aus Dopingmitteln die formale Einhaltung der Doping-Grenzwerte.

Betrachtet man beispielsweise die Entwicklung der leichtathletischen Disziplinen, so lässt sich diese sehr gut mit der Verbreitung von Dopingmitteln synchronisieren. In den Kraftsportarten setzt Mitte der 60er Jahre ein enormer Leistungsschub bei den Männern ein, der etwas später, aber noch wesentlich deutlicher bei den Frauendisziplinen zu beobachten ist. Dies kann man mit dem Bekannt werden und der Ausbreitung anaboler Stereoide erklären. 1988 wurden nach dem Ben-Johnson-Skandal Trainingskontrollen eingeführt, die sich in vielen Disziplinen in einem deutlichen Leistungsrückgang widerspiegeln. Viele Weltrekorde stammen noch aus der Zeit vor den Trainingskontrollen. Anfang der 90er Jahre setzt eine Leistungssteigerung in den Ausdauerdisziplinen gleichzeitig mit der gentechnischen Verfügbarkeit von EPO ein. Die Leistung steigt umso mehr, je mehr die Sauerstofftransportfähigkeit für die Laufzeit verantwortlich ist. "Es liegt zwar kein Nachweis der Verwendung von Dopingsubstanzen im Einzelfall vor, aber man muss schon reichlich naiv sein, wenn man die Auffassung vertritt, dass sich diese Entwicklungen ohne den Einsatz von Dopingmitteln abgespielt haben", zieht Lames Bilanz. "Jeder Experte ist genau darüber im Bilde, dass die Verwendung von Dopingmitteln in vielen Sportarten zur regulären Leistungsstruktur dazu gehört!"

Was ist aber nun von den Rufen nach einem Doping-Gesetz zu halten? Aus juristischer Sicht bieten der Betrugstatbestand und das Arzneimittelgesetz ausreichend Handhabe zum Vorgehen gegen Doping. Man könnte lediglich Doping explizit als Betrugstatbestand in den Gesetzestext aufnehmen, um unsere Strafverfolgungsbehörden mehr zu sensibilisieren. Spektakuläre Razzien wie in Italien, Frankreich und Spanien sind in Deutschland völlig unbekannt. Man greift jedoch zu kurz, wenn man durch Strafandrohung versuche, der "Geißel des Sports" Herr zu werden.

Vielmehr ist eine Einsicht in die systembedingten Ursachen erforderlich. Der Darmstädter Sportsoziologe Prof. Dr. Karl-Heinrich Bette hat die Situation von Sportlern und Verbänden als "Double Bind" dargestellt, womit das gleichzeitige Vorliegen widersprüchlicher Erwartungen in der Organisationssoziologie bezeichnet wird. Einerseits verlangt die Politik internationale Erfolge und setzt die Qualifikationsnormen für die Olympischen Spiele beispielsweise so an, dass die Chance auf eine Endkampfteilnahme besteht. Andererseits fordert sie von den Athleten, nicht zu dopen, so dass die verlangten Erfolge eigentlich illusorisch sind. Medien feiern Erfolge und Spitzenleistungen, Athleten jenseits der Medaillenränge werden oft links liegen gelassen. Geradezu zynisch wirkt dann die sensationsgierige Berichterstattung über Doping-Sünder.

Der Druck kulminiert in den Sportverbänden, deren Ressourcengeber - Politik, Medien und Sponsoren - oft im selben Atemzug den sportlichen Erfolg und die Sauberkeit der Athleten zur Voraussetzung für die Mittelzuwendung machen. Gleichzeitig beherbergt der Verband das Expertenwissen um die Bedeutung von Doping für die sportliche Leistung. Noch düsterer sieht es in weitgehend kommerzialisierten Profisportarten aus, da hier die Entscheidung über Doping oft individuell zu treffen ist und die wirtschaftliche Existenz der Kleinunternehmer-Athleten auf dem Spiel steht.

Gibt es eine Chance, den Dopingsumpf trocken zu legen? Voraussetzung dazu wäre es, dass alle Sportler sicher sein könnten, dass die Konkurrenz nicht dopt. Dies kann nicht garantiert werden, da es wohl immer Nationen geben wird, die der Versuchung erliegen, die Überlegenheit ihres politischen Systems durch sportliche Erfolge zu belegen und dabei die nationale Repräsentation über die Einhaltung der Regeln stellen. Dazu kommt der Argwohn, den man wohl gerechtfertigt gegen die Konkurrenz in Profisportarten hegen muss.

Ist nicht die Doping-Freigabe eine Lösung? Zweck der Dopingbestimmungen ist nicht nur die Sicherung der Chancengleichheit, sondern auch der gesundheitliche Schutz der Athleten. Jeder, der die Denkweise von Leistungssportlern kennt, kann einer Doping-Freigabe nicht zustimmen. Darüber hinaus ginge dann vollends das Image des Produktes "sportliche Höchstleistung" verloren mit unabsehbaren Folgen für den gesamten Sport in seiner Breite.

Es wird also auf absehbare Zeit beim Wettlauf zwischen dem Einsatz und dem Nachweis von Doping bleiben! Wir müssen permanent dafür sorgen, dass die Abschreckung möglichst hoch ist. Dies geschieht durch eine effiziente Dopinganalytik und eine gut ausgebaute Dopingkontrolle und effektive Sanktionierung. Dies gleicht einer Sisyphus-Arbeit, da bestenfalls eine Eindämmung erreichbar ist. Es wird immer wieder Doping-Skandale geben, herausragende Leistungen werden regelmäßig mit dem Doping-Stigma versehen sein.

Angesichts dieser Situation fordert die Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs), dass das Dopingkontrollsystem als öffentliche Aufgabe aufrecht zu erhalten und wirksam zu gestalten ist. Die Kosten dafür dürfen nicht zu Lasten der übrigen sportwissenschaftlichen Forschung - auch im Leistungssport - gehen, weil sonst die hervorragend überwachten deutschen Athleten und der gesamte Breitensport benachteiligt wären. Weiter muss Doping mehr ins Visier der Strafverfolgung genommen werden, was durch eine explizite Aufnahme als Betrugstatbestand angeregt werden kann. Schließlich ist zu fordern, dass ein Forschungsprogramm zur interdisziplinären Erforschung der Ursachen von Doping aufgelegt wird, dessen Ziel die Entwicklung fundierter Interventionen zur Dopingprävention sein muss.

Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.

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