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"Korruption und Sport formen leider eine wunderbare Einheit"

Archivmeldung vom 04.06.2014

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 04.06.2014 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Professor Dr. Harald Lange. Lehrstuhl für Sportwissenschaft an der Uni Würzburg und Direktor des Ins
Quelle: Foto: Gunnar Bartsch (idw)
Professor Dr. Harald Lange. Lehrstuhl für Sportwissenschaft an der Uni Würzburg und Direktor des Ins Quelle: Foto: Gunnar Bartsch (idw)

Sportwissenschaftler Harald Lange von der Universität Würzburg spricht im Interview mit Marco Bosch über die zunehmende Kritik an sportlichen Großereignissen wie der anstehenden Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien.

Professor Lange, mittlerweile lehnen mehr als die Hälfte der sonst so fußballbegeisterten Brasilianer die WM ab. Die Welt ist vom 12. Juni bis 13. Juni in einem zutiefst verunsicherten Land zu Gast. Wie konnte sich die Stimmung so drehen?

Die Bevölkerung nimmt – wenn sie nicht gerade in totalitären Staatensystemen wie in China oder Russland leben muss – solche Events nicht mehr einfach kritiklos hin. Wir haben das zuletzt sogar bei der per Volksentscheid abgelehnten Bewerbung Münchens für die Olympischen Winterspiele 2022 erlebt. Es regt sich Widerstand gegen solche Megaevents. Da passt das Beispiel Brasiliens genau ins Bild. Gerade, weil in zwei Jahren Rio de Janeiro auch noch die Olympischen Sommerspiele ausrichten wird.

Was sind die Gründe dafür?

Ein Grund ist sicherlich, dass sich das Sportsystem in den Spitzenetagen verselbstständigt hat. Der Sport macht seine eigene Politik und die Bindung zur jeweiligen regionalen Kultur ist verlorengegangen. Ein Sportevent wird dann nur noch als ein Symbol "derer da oben" verstanden und deshalb abgelehnt. Zudem werden eine ganze Reihe guter Gründe für die Ablehnung vorgeschoben: die Nachhaltigkeit der Konzepte ist nicht gegeben, die Infrastruktur wird mit Straßen oder eben auch Stadien in einem Maße aufgebläht, wie es nach dem Event nicht mehr benötigt wird. Unter anderem stehen die Stadien leer und verrotten. In Wirklichkeit aber drückt sich in dem Protest eine Befindlichkeit aus. Ich nutze den Protest als Symbol meiner Opposition gegen die gesellschaftliche Struktur, gegen die Armut, gegen die Korruption. Korruption und Sport formen leider eine eng verbundene Einheit, die vielerorts sogar stillschweigend akzeptiert wird.

Sind die Brasilianer diese korrupten Strukturen – schlimmerweise – aber nicht schon gewohnt?

Während einer Weltmeisterschaft erlebt man den Gegensatz zwischen Arm und Reich jedoch noch viel deutlicher. Zudem ist für den Einzelnen der Vorteil, den er aus dem Event für sich und seine Familie ziehen soll, nicht ersichtlich. Die Stadien und die überdimensionierte Infrastruktur hingegen nimmt man schnell wahr. Dieser Gegensatz von Haben und Nicht-Haben dringt auch noch in einem Bereich in das Leben der Menschen ein, in dem er vorher eine geringere Rolle spielte: dem Sport, der Freizeit.

Welche Rolle spielen der Fußball-Weltverband Fifa und das Internationale Olympische Komitee (IOC)? Man bekommt den Eindruck, diese Verbände ficht nicht an, was in dem jeweiligen Gastgeberland konkret passiert – wenn die Stadien rechtzeitig fertig werden. Unterliegen sie keinen Regularien?

Sie sind weitgehend autonom. Es werden in den jeweiligen Gastgeberländern beispielsweise Steuergesetze außer Kraft gesetzt. Fifa und IOC bekommen massive Sonderrechte, die weltweit einzigartig sind. Sie haben enorm viel Macht, weil es als Politiker eines Landes sehr attraktiv ist, sich mit einer WM, einer EM oder Olympischen Spielen zu schmücken. Des Weiteren sind diese Gruppen als Organisation der Basis bereits weit enteilt. Daher sind die führenden Köpfe auch stumm, wenn es um Themen geht wie etwa Zwangsumsiedlungen. Man müsste erwarten, dass dazu zumindest Stellung bezogen wird; vonseiten der Fifa oder aber beim IOC durch Präsident Thomas Bach. Aber auch durch die regionalen Verbände. Das passiert nicht, da es dem Kommerz nicht dienlich ist. Dieses Schweigen ist Ausdruck der Machtstrukturen. Eigentlich müsste man einmal eine Studie anlegen, die untersucht, welchen Einfluss jemand wie Fifa-Chef Joseph Blatter auf das Weltgeschehen hat. Stichwort Katar (WM-Austragungsort 2022, u.a. aufgrund der Arbeitsbedingungen in der Kritik ("Sklavenstaat Katar", sagt der Internationale Gewerkschaftsbund)). Da kann man sehen, welche globalen politischen Dimensionen solch ein Event einnehmen kann.

Helfen da Aktionen wie etwa ein Boykott?

Vor zwei Jahren, bei der Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine haben zahlreiche westliche Politiker Zeichen gesetzt und die Partien, die in der Ukraine stattfanden, nicht besucht. Ebenso bei den Olympischen Spielen in Russland, wo beispielsweise Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Francois Hollande nicht hingefahren sind. Russlands Präsident Wladimir Putin hat zu dem Zeitpunkt sicherlich schon gewusst, was er in Sachen Krim und Ukraine in den nächsten Wochen vorhat. Dazu hat er aber die ganze Zeit geschwiegen und sich lieber mit den wichtigen Größen des Sports beim Kaffeetrinken fotografieren lassen. Gut war, dass einige Staatsoberhäupter das eben nicht mitgemacht haben. Damit haben Merkel und Hollande Putin den Hof, den er sich gewünscht hatte, nicht gemacht. Das ist ein Fortschritt.

Ist das auch für Brasilien denkbar?

Da ist es ein wenig schwieriger. Zum einen gibt es nicht den einen Gegenspieler, gegen den man sich positionieren kann. Es ist eher eine Oppositionshaltung gegen eine gesamte Gesellschaftsstruktur und ein historisch gewachsenes System, dass sich durch Begriffe wie Ungleichheit, Armut und Korruption charakterisieren lässt.

Rechnen Sie mit weiteren Protesten und auch Ausschreitungen während des Turniers?

Die Menschen werden ihren Protest kundtun. Wenn man eine Protestprävention hätte machen wollen, müsste man glaubhaft Reformmaßnahmen versprechen, den Menschen eine Vision geben. Der Zug ist abgefahren. Insofern ist auch das Jahr seit dem Fifa-Konföderationenpokal im Juni 2013 verschenkt worden.

Was wäre für Sie ein Grund, die WM zumindest als Zuschauer zu boykottieren?

Wenn die Armee gegen Protestierende eingesetzt würde, wäre das ein Grund, zu boykottieren. Aber ich hoffe, dass es zu solchen Szenen nicht kommt und sich die Menschen zu friedlichen Protestaktionen mit dennoch großer Wirkung zusammenschließen.

Korruption ist nicht nur in Brasilien ein Problem, sondern offensichtlich auch in den Sportverbänden selbst. Müssen Fifa und Co. an dieses Thema nicht einmal grundsätzlich ran?

Es wäre enorm wichtig für Fifa und IOC, dass sie das Korruptionsthema offensiv und selbstbewusst angehen. Perspektivisch sehe ich große Schwierigkeiten auf die Verbände zukommen. Wenn die Bevölkerung so ein Unterfangen nicht mitträgt, es intransparent vergeben und verhandelt wird, lassen sich die Menschen das nicht mehr bieten. Zumindest in den demokratischen Staaten.

Wird die Fifa nicht immer Ausrichter für solche Events finden?

Natürlich wird man weiterhin Staaten finden, die sich gerne auf alles einlassen. Aber eben nicht mehr die, die man eigentlich will. Russland, Katar für Fußballweltmeisterschaften sind eigentlich Länder, die man nicht unbedingt will. Langfristig geht es auch darum, dass die Sponsoren – ohne die solche globalen Events nicht mehr zu finanzieren sind – ihre Marken auch in den Ländern verankern wollen, wo sie entsprechende Kaufkraft und interessante Märkte sehen.

Helfen die so genannten "Compliance-Regeln" der Unternehmen, die bei Geschäften von Großunternehmen sicherstellen sollen, dass moralische und ethische Grundsätze eingehalten werden?

Die können helfen, müssen aber auch mit Nachdruck formuliert und eingehalten werden. Der Ruf nach solchen Regelungen auch in der Fifa ist so laut wie nie zuvor. Da muss man bei den nächsten Entscheidungen über Austragungsorte sicherlich auf die Umsetzung und Einhaltung achten. Ich denke, aus zurückliegenden Veranstaltungen wie auch der WM und den Sommerspielen in Brasilien kann man eine ganze Menge für die Zukunft lernen.

Was wäre das konkret?

Die Frage ist doch: Welche Wirkung kann Sport bei gesellschaftlicher

und politischer Erneuerung und Entwicklung entfalten? Nicht nur der Sport, der im Regionalen betrieben wird. Auch der vermeintlich "ganz große" Sport, das Event, sollte eine Ethik haben, an dieser Stelle werden Werte transportiert. Daher ist es wichtig, dass man auch innerhalb der Sportwissenschaft einen Diskurs aufrechterhält. Dass man analysiert und sich die Frage stellt: Was ist wichtig, was ist nicht wichtig? Ist das hier ein reinkommerzielles Geschehen, das gewisse Ethiken außer Kraft setzt, weil es um Profitmaximierung für bestimmte Leute geht? Oder ist es etwas, das von der Breite der Bevölkerung getragen werden muss, damit es seine Berechtigung hat und eben nicht irgendwo in der Retorte stattfindet.

Gibt es denn erste Erkenntnisse aus der Sozial- und Gesellschaftswissenschaft?

Es wird nach und nach wahrgenommen, dass der Rückhalt in dem jeweiligen Gesellschaftssystem enorm wichtig ist. Brasilien ist eine hervorragende Lerngelegenheit auch für Wissenschaftler. Man kann dieses soziale, politische, kulturelle Gebilde, was in den letzten Jahrzehnten gewachsen ist, als solches wahrnehmen und schauen: Was hätte man denn da besser machen können, seit dem klar war, Brasilien bekommt eine WM und kurz darauf die Olympischen Spiele. Weswegen gingen die Zusagen überhaupt dahin und wer war involviert bei der Frage: Wollen wir das überhaupt?

Wie kann denn dieser Rückhalt generiert werden?

Für den Erfolg zukünftiger Turniere wäre sicher als eine Lehre nun schon abzuleiten, dass man im Vorhinein eine gemeinsame Bewegung daraus macht. Man sollte an die Umsetzung eines Events auch gesellschaftliche Ziele knüpfen. Diese Idee muss von den Menschen mitgetragen werden. Die Gefahr in Brasilien ist eher, dass die WM als ein Symbol für Differenz gesehen wird, als Manifestation der bestehenden Strukturen, die abgelehnt werden.

Vielen Dank für dieses Gespräch.

Quelle: Julius-Maximilians-Universität Würzburg (idw)

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