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Jochen Schümann: "Kiel braucht für 2024 einen kompakteren Olympia-Hafen"

Archivmeldung vom 22.06.2015

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 22.06.2015 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Das Olympiazentrum Schilksee (Südteil) – im Hintergrund die beiden Apartmenthäuser
Das Olympiazentrum Schilksee (Südteil) – im Hintergrund die beiden Apartmenthäuser

Foto: Genet
Lizenz: GFDL
Die Originaldatei ist hier zu finden.

Anlässlich der Kieler Woche, dem größten Segelevent der Welt, spricht Jochen Schümann, Deutschlands erfolgreichster Segler und Mitglied der "Hall of Fame des deutschen Sports" im Sporthilfe-Interview über seine Vorstellungen zu Kiel im Rahmen der Hamburger Olympiabewerbung, über den verminderten sportlichen Wert der Kieler Woche und zieht einen Vergleich zwischen Fußball und Segeln.

Sie kennen das Kieler Segelrevier in und auswendig, waren erst zuletzt im Rahmen der Segel-Bundesliga vor Ort: Ist Kiel heute bereits olympiatauglich?

Jochen Schümann: Kiel ist olympiatauglich. Kiel hat eine Ausnahmestellung, sie hat als einzige Stadt weltweit bereits zwei Mal olympische Segelregatten ausgerichtet. Ein weiterer großer Pluspunkt ist sicherlich auch die Kieler Bevölkerung, Kiel nennt sich zu Recht "Sailing City". Es wird eine große Unterstützung vorhanden sein, denn die ganze Stadt lebt am Wasser. Außerdem haben die veranstaltenden Vereine der jährlichen Kieler Woche reichlich Erfahrung als Organisatoren von Großveranstaltungen. Anhand dieser Basis wird man viele Dinge für Olympia 2024 auch neu entwickeln können.

Sie hatten zuletzt schon mal angedeutet, dass der Olympia-Hafen von Schilksee ein Gegenmodell zum Hamburger Konzept sei. Was meinen Sie damit konkret?

Jochen Schümann: Die Spiele 1972 waren der Teil des olympischen Gigantismus, sowohl in München als auch in Kiel. Kiel Schilksee ist eine Riesenanlage und Heimathafen der größten Segelveranstaltung der Welt, der Kieler Woche. Die Olympiaanlagen zu Wasser und zu Land sind heute in privater Nutzung - gut so! Es wird deshalb wahrscheinlich notwendig sein, einen neuen kompakteren Olympia-Hafen für 2024 in die bestehenden Anlagen zu integrieren bzw. diese zu erweitern. Meine Empfehlung ist es, sich dabei eng an der Hamburger Konzeption zu orientieren, Hamburg und Kiel müssen eine Einheit bilden. Die Hamburger Bewerbung muss den Zuschlag für die Spiele nach Deutschland holen, die Segelwettbewerbe in Kiel werden dann ein erfolgreicher Event von vielen bei Olympia 2024 sein.

Würden Sie sich denn gerne bei den Planungen mit beteiligen?

Jochen Schümann: Gerne werde ich meine Erfahrungen und Ideen einbringen. Ich habe als Athlet an sechs Olympischen Spielen teilgenommen und 1972 hatte ich darüber hinaus das Glück, Teilnehmer im Olympischen Jugendlager in Kiel und München zu sein. Das bedeutete freien Zugang zu nahezu allen Wettbewerben. In diesen Tagen wurde ich mit der großartigen Begeisterung, die solche Spiele mit sich bringen, angesteckt, die mich bis zum heutigen Tage nicht mehr losgelassen hat.

Wie stellen Sie sich denn die Segelwettbewerbe im Jahr 2024 vor? Was wird oder was muss sich ändern?

Jochen Schümann: In den letzten Jahren gab es bereits immer wieder Veränderungen im Olympischen Segelprogramm. Die momentan ausgewählten zehn olympischen Segel-Disziplinen sollen den Segelsport mit seinen sehr vielen und unterschiedlichen Bootsklassen repräsentieren. Aktuell ist allerdings kein Kielboot mehr im olympischen Programm vertreten. Ich hoffe, das ändert sich wieder. Unabhängig davon verändert sich die Technologie der Segelboote permanent, so fahren foilende Dinghys und Katamarane beispielsweise heute weniger im als vielmehr überm Wasser, was höhere Geschwindigkeiten mit sich bringt und das Segeln artistischer und rasanter macht. Eine Zeit lang stand auch zur Diskussion, das RS:X-Surfen durchs Kiten zu ersetzen. Diese Veränderungen zeigen, dass man sich jetzt in Hinblick auf 2024 von organisatorischer Seite nicht zu schnell auf Formate oder Kurse festlegen sollte. Man muss flexibel bleiben, um 2024 attraktive olympische Segelwettbewerbe ausrichten zu können. Das ist auch meine Erwartung an die Gremien. Die olympischen Segelwettbewerbe 2024 werden sicherlich anders aussehen, als man sie sich heute vorstellt.

Sie sprechen die Attraktivität an. Wie kann dem gewöhnlichen Zuschauer, der sich nicht im Segelsport auskennt, die Sportart näher gebracht werden?

Jochen Schümann: Es gibt bereits seit langem Bemühungen, die Faszination Segeln näher ans Land zu bringen bzw. die Zuschauer direkt aufs Wasser. Das gelingt aber nur bedingt bzw. nur für wenige. Es kommt vielmehr darauf an, dass attraktive, fachmännisch kommentierte Bilder an Land zu sehen sind, über große Bildschirme, aber auch im Internet, damit jeder die Wettkämpfe verfolgen kann. Das sollte aber kein Problem sein, die nötigen Technologien haben sich in den letzten Jahren zum Glück rasant entwickelt. Wichtig finde ich aber auch, dass der Segelsport mehr personalisiert wird. Aktuell kennt man die Athleten nicht, keine Gesichter, sondern nur die Segel am Horizont. Doch nur wenn die Menschen dahinter bekannt sind, dann werden auch Geschichten über die Akteure erzählt.

Sehen Sie da in erster Linie die Athleten in der Pflicht?

Jochen Schümann: Das ist keine Aufgabe oder Verpflichtung für einen Einzelnen. Der Segelsport insgesamt muss sich zusätzlich neue Spielregeln im Rahmen der Wettkampfgestaltung geben. Nehmen wir als Beispiel den Vergleich zum Fußball-Procedere vor einem Spiel. Keiner stellt in Frage, dass sich die Spieler in den Katakomben versammeln und dann beide Mannschaften gemeinsam aufs Feld laufen. So etwas ist im Segeln aktuell undenkbar. Jeder betreibt seine Vorbereitung individuell und mehr oder weniger anonym und verlässt dann im Mix der unterschiedlichen Bootsklassen den Hafen. Eine Möglichkeit wäre aber, die Athleten vor Beginn des Rennens einzeln vorzustellen. Wenn man das bei Olympischen Spielen haben will, muss man das den Athleten wie auch den Veranstaltern und Medien schon vorher antrainieren - zum Wohle des Events, der Sportart Segeln an sich und letztendlich dann auch für die Athleten selbst.

Sie sind in diesen Tagen bei der Kieler Woche vor Ort. Ist dieser Event ein "Muss" für jeden Segelfan?

Jochen Schümann: Für die deutschen Fans auf jeden Fall. Die Kieler Woche ist nach wie vor eines oder das größte Segelevent der Welt, allein schon wegen der Masse an verschiedenen Bootsklassen. Es ist ein riesiges Volksfest. Der sportliche Wert hat in den letzten Jahren jedoch leider abgenommen. Im Rahmen der Olympischen Spiele 2012 in London verlor Kiel z. B. den Weltcup-Status an das Olympische Segelrevier in Weymouth. Zudem hat der Weltverband diverse internationale Meisterschaften in den Zeitraum der Kieler Woche gelegt, so dass auch selbst einige deutsche Top-Athleten nicht vor Ort sein können. Der Status von Kiel ist also nicht unbestritten. Aber die Hamburger Bewerbung wird der Kieler Woche hoffentlich wieder Rückenwind geben, so dass die Rennen auch wieder im internationalen Weltcup-Kalender Priorität erhalten werden.

Rückenwind könnte auch das paralympische Segeln gebrauchen, denn 2020 soll es nicht mehr Bestandteil der Paralympics sein, mit der Begründung, dass es weltweit nicht genügend vertreten sei. Wie sieht es mit den olympischen Wettbewerben aus? Müssen sich Segler auf diesem Gebiet ebenfalls Sorgen machen?

Jochen Schümann: Die Entscheidung, das paralympische Segeln zu streichen, ist nicht nachzuvollziehen. Das olympische Segeln hat solche Diskussionen bislang immer gut überstanden. Segeln ist eine traditionelle Sportart, die schon immer dabei war und deren historische Wurzeln für jedermann eine große Symbolik und Faszination ausstrahlt. Allerdings kann man dies auch Ringen zusprechen, und wir wissen ja, wie knapp diese Traditionssportart zuletzt beinahe aus dem Programm gefallen ist. Entscheidender ist vielleicht, dass sich unter Segeln jeder etwas vorstellen kann und die neuen Möglichkeiten der Medialisierung diese Bilder auch in die Welt tragen werden. Auch die Kostenfrage ist etwas entschärft, weil inzwischen kleinere Boote im Programm sind und insgesamt kompaktere Spiele anstrebt werden. Die früheren Vorgaben, dass beispielsweise die Wettbewerbe zugunsten perfekter Windbedingungen mindestens drei Meilen vom Land entfernt stattfinden müssen, sind ebenfalls so nicht mehr gegeben. Schon Sydney 2000 hat das eindrucksvoll unter Beweis gestellt, als wir direkt vor der Oper gesegelt sind. Für 2024 kann ich mir sogar vorstellen, in Hamburg zu segeln, beispielsweise als Showevent aller Medaillengewinner auf der Alster. Bis 2024 können wir noch wunderbar viel entwickeln und die Attraktivität des Segelsports deutlich machen.

Vor gut einem Jahr wurden Sie mit der "Goldenen Sportpyramide" ausgezeichnet und in die "Hall of Fame des deutschen Sports" aufgenommen. Anfangs konnten Sie mit der "Auszeichnung für das Lebenswerk" noch nicht so viel anfangen. Wie blicken Sie heute, ein Jahr danach, auf die Auszeichnung?

Jochen Schümann: Ich hoffe auch heute, dass mein Lebenswerk noch nicht am Ende ist (lacht). Aber mich hat es sehr gefreut, insbesondere auch zu sehen, dass meine Erfolge und meine Sportart an sich doch von sehr vielen Leuten offensichtlich interessiert verfolgt wurden und weiterhin werden.

Zur Person: Jochen Schümann (* 8. Juni 1954 in Berlin) Jochen Schümann ist mit drei Olympiasiegen, zahlreichen Titeln bei Welt- und Europameisterschaften sowie zwei Siegen beim America's Cup der erfolgreichste Segler Deutschlands. Olympia-Gold holte der Wassersportler vom Yachtclub Berlin-Grünau 1976 in der Einmannjolle Finn-Dinghy sowie 1988 und 1996 in der Soling-Klasse. Insgesamt sechsmal nahm der "Weltsegler des Jahres 1996" an Olympischen Spielen teil, 2000 segelte Schümann dabei im Soling zu Silber. Bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften gewann er mehr als 30 Medaillen, darunter vier WM-Titel und zehn EM-Titel in drei verschiedenen Bootsklassen. Schümann war so nicht nur Aushängeschild der Segler in der DDR, sondern ab 1990 auch im vereinten Deutschland. 2014 wurde der gebürtige Berliner mit der "Goldenen Sportpyramide", Deutschlands wertvollster Sportauszeichnung, ausgezeichnet und in die "Hall of Fame des deutschen Sports" aufgenommen.

Quelle: Stiftung Deutsche Sporthilfe (ots)

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