35 Verbrechen der RAF bis heute ungeklärt
Archivmeldung vom 05.05.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittNach Recherchen des in Berlin erscheinenden "Tagesspiegels am Sonntag" sind wesentlich mehr RAF-Verbrechen nicht oder nur teilweise aufgeklärt worden als bisher bekannt. Die Liste umfasst 35 Fälle. Sie reicht vom ersten Terror-Todesopfer, dem Polizisten Norbert Schmid im Jahr 1971 bis zum Tod des Deutsche-Bank-Chefs Alfred Herrhausen 1989.
Mehrere
Länder-Innenminister forderten im Gespräch mit dem "Tagesspiegel am
Sonntag" angesichts der Fülle der offenen Fälle weitere Ermittlungen.
Bremens Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) sagte. "Es lohnt sich,
über einen neuen Ansatz zur Aufklärung der Verbrechen nachzudenken."
Dazu zähle auch eine Sonderkommission unter Einbindung der
Bundesanwaltschaft.
Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) ist "erschrocken"
über die hohe Zahl nicht wirklich aufgeklärter Fälle. "Es ist eine
Frage der Rechtssicherheit, dass alle Fälle aufgeklärt werden." Zudem
gebe es eine Verpflichtung gegenüber Opfern und Angehörigen. Die
vollständige Aufklärung sei notwendig, um den in der aktuellen
Debatte zu beobachtenden Tendenzen vorzubeugen, "die Vergangenheit
gesundzubeten", sagte Schönbohm dem "Tagesspiegel am Sonntag". "Das
Volk muss sich insgesamt vor Augen führen, wie es gewesen ist."
Schönbohm vermisst in der Debatte "ein klares Bekenntnis: Nie
wieder". Eine Begnadigung des ehemaligen RAF-Mitglieds Christian Klar
sieht er skeptisch. Klar habe sich nicht einsichtig gezeigt und
nichts unternommen, "was zur Aufklärung der offenen und nur teilweise
ermittelten Fälle beigetragen hätte", sagte Schönbohm. Er wolle aber
dem Bundespräsidenten keine Ratschläge erteilen.
Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) äußerte sich betont
nüchtern. Die nicht oder nur teilweise aufgeklärten Taten von RAF und
Bewegung 2. Juni könnten nicht anders bewertet werden als ähnlich
schwere Delikte anderer Straftäter. Und wie in allen anderen
Strafverfahren würden Ermittlungen wieder aufgenommen, wenn es neue
Anhaltspunkte gibt, "aber auch nur dann", sagte Körting.
Hamburgs Innensenator Udo Nagel (parteilos) warnte vor Hysterie.
"Wir müssen aufpassen, dass wir die Diskussion über die RAF nicht
hysterisch führen, weil wir dann Gefahr laufen, dass die Täter
aufgewertet und die Opfer vergessen werden", sagte Nagel dem
"Tagesspiegel am Sonntag". Dennoch gelte, dass Mord nicht verjährt.
"Die nicht aufgeklärten Fälle bleiben aktuelle Fälle der Polizei. Sie
gehören nicht in den Aktenschrank", betonte Nagel.
Nach Ansicht von Schleswig-Holsteins Innenminister Ralf Stegner
(SPD) gibt es weiterhin ein "eindeutiges Aufklärungsinteresse". Auch
mit Blick auf Opfer und Angehörige habe der Staat die Verpflichtung,
"mit allen ihm verfügbaren Mitteln zu handeln". Stegner sagte zu den
Vorwürfen, die Sicherheitsbehörden hätten seit langem Erkenntnisse
über Tathergänge gehabt, diese aber nicht genutzt: "Das muss
klargestellt werden. Wenn es ungenutzte Erkenntnisse gab, muss man
dem in aller Konsequenz nachgehen."
Der Verfassungsschutz hatte
offenbar bereits Anfang der 80er Jahre bei Vernehmungen von
Ex-RAF-Mitglied Verena Becker erfahren, im Mordfall Buback sei weder
Christian Klar noch Knut Folkerts der Todesschütze gewesen, sondern
Stefan Wisniewski. Diese Informationen sollen auch an die
Ermittlungsbehörden gegangen sein. Offenbar wurde davon aber weder
bei der Fahndung noch in RAF-Prozessen Gebrauch gemacht.
Die hohe Zahl ungeklärter Taten liegt nach Ansicht des
CDU-Innenpolitikers Wolfgang Bosbach nicht an Versäumnissen der
Ermittlungsbehörden. "Es gab intensive Ermittlungen, aber es konnten
eben keine Täter identifiziert werden", sagte Bosbach dem
"Tagesspiegel am Sonntag". Sobald es neue Beweise oder Indizien gebe,
müssten die Ermittlungen weiter gehen. Der Verbleib der
Verfassungsschutz-Akte mit den Aussagen der Terroristin Verena Becker
müsse im Übrigen "sofort" geklärt werden. Bosbach sagte weiter, es
könnte einen neuen Impuls für Ermittlungen geben, wenn der auf einen
Gnadenerweis des Bundespräsidenten hoffende RAF-Terrorist Christian
Klar etwas aussagen würde. "Aber der schweigt ja weiter, was einer
von vielen Punkten ist, warum er nicht begnadigt werden sollte."
Quelle: Pressemitteilung Der Tagesspiegel