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Wolfgang Ehmke, Urgestein des Gorleben-Widerstandes, erwartet mehr Zulauf bei Castor-Transporten

Archivmeldung vom 10.04.2010

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 10.04.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Wer erlebt eine Renaissance, die Atomenergie oder der Widerstand dagegen? Die CDU-Ministerpräsidenten von Hessen und Baden-Württemberg drängen auf eine Verlängerung der Laufzeit der 17 deutschen Meiler. Derweil veranlasste Umweltminister Röttgen die erneute Untersuchung des Salzstocks Gorleben. In gut 20 Jahren könnte dort die Endlagerung von Atommüll beginnen. Wolfgang Ehmke, Sprecher der BI Lüchow-Dannenberg erwartet, dass der Bund die Endlagersuche "in der Einbahnstraße Gorleben an die Wand führt".

Umweltminister Röttgen hat das neunjährige Erkundungsmoratorium aufgekündigt. Werden jetzt Fakten geschaffen für das "Atomklo Gorleben"?

Wolfgang Ehmke: Wir befürchten: Ja. Das Projekt ist aus der Phase der Vorfestlegung in die der Festlegung übergegangen. Bisher bestand mit dem Moratorium noch die Möglichkeit, zurückzurudern. Etwa, indem alle geologischen Einwände, die gegen die Eignung Gorlebens sprechen, überprüft würden. Und vor allem über die Neueröffnung der Endlagersuche. Die Tatsache, dass Röttgen sich allein auf Gorleben festgelegt hat und dennoch von "ergebnisoffener Erkundung" spricht, ist ein Widerspruch in sich. Für uns ist das der Startschuss für den Ausbau des Endlagers Gorleben.

Muss Röttgens Ankündigung, auch alternative Standorte mit anderen Gesteinsformationen untersuchen zu lassen, nicht ernst genommen werden?

Ehmke: Diese Papierstudien gab es schon in den neunziger Jahren. Da wurden von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe Salzgesteine und Nicht-Salzgesteinsformationen untersucht, aber die Politiker -- gleich welcher Couleur -- scheuten sich schon immer, andere mögliche Standorte zu benennen. Denn sie fürchten den Protest der Bürger. Das jetzige Vorgehen ist ein Treppenwitz der Geschichte: Zunächst das Endlager auszubauen und erst dann ein atomrechtliches Genehmigungsverfahren zu starten! Falsch rum.

Von den Südstaaten kam prompt ein Veto. Stehen die politischen Signale unter Schwarz-Gelb klar auf Erkundung bis zur Fertigstellung in Gorleben?

Ehmke: Ja, darauf deutet ja auch der Gegenwind hin, den Umweltminister Röttgen prompt im Kabinett erhielt, als er bloß die Worte "Endlagersuche" und "ergebnisoffen" in relativer Nähe zueinander gebrauchte. Das zeigt, dass sich ein Projekt, das für Millionen Jahre Sicherheit versprechen soll, gar nicht parteipolitisch verhandeln lässt. Formelkompromisse, wie sie in der Politik üblich sind, sind offensichtlich unangemessen, wenn es um die Lagerung von Atommüll geht. Für uns ist die Aufhebung des Erkundungsmoratoriums eine Kampfansage, die wir juristisch stoppen und politisch zu Fall bringen wollen.

Röttgen verspricht größtmögliche Transparenz, analog zum AkEnd-Verfahren. Würde sich die BI an einem solchen Verfahren aktiv beteiligen?

Ehmke: Bestimmt nicht. Und da kann ich auch für die Bäuerliche Notgemeinschaft und sehr viele Kommunalpolitiker in Lüchow-Dannenberg sprechen. Alle nahmen dieses Angebot verwirrt zur Kenntnis. Modell soll wohl die Asse-Begleitgruppe sein. Aber hier verrutschen die Dimensionen. Dass sich Anwohner nach der Havarie eines Endlagers an der Lösungssuche und den Auf"räumaktivitäten beteiligen, ist nachvollziehbar. In Gorleben wird nach Bergrecht vorgegangen, um die Öffentlichkeit außen vor zu halten. Bei einem atomrechtlichen Verfahren gäbe es formale Mitspracherechte. Ein bisschen mitreden, daran haben wir kein Interesse. Wir steigen gerne in eine Begleitgruppe ein, wenn es um den Rückbau Gorlebens geht. Die Prämisse für eine konstruktive Mitarbeit bei der Endlagersuche ist im Übrigen für uns der Atomausstieg.

Gesetzt den Fall, eine Erkundung auch durch kritische Wissenschaftler würde das Ergebnis erbringen, Gorleben wäre als Standort geeignet. Gäbe es irgendeine Konstellation, die das Wendland akzeptieren würde?

Ehmke: Nein. Weil diejenigen, die jetzt an der Macht sind, auch die Zusammensetzung einer solchen Gruppe bestimmen würden. Wir würden kein faires Verfahren erwarten angesichts der Enthüllungen der vergangenen Monate. Jetzt wissen wir, dass in den achtziger Jahren Akten geschönt wurden. Selbst behördenintern hatten nach Ende der Tiefbohrungen Anfang der achtziger Jahre große Zweifel an der Eignung Gorlebens als Endlager bestanden. Hydrogeologen hatten von Anfang an vor Gorleben gewarnt, weil der Salzstock Wasserkontakt hat. Wenn das alles nicht zur Kenntnis genommen wird, fährt Röttgen die Endlagersuche in der Einbahnstraße Gorleben gerade gegen die Wand. Angesichts dieser Geschichte der Erkundung in Gorleben nimmt dem Umweltminister bei uns niemand mehr ab, dass er alternativlos, aber ergebnisoffen erkunden will.

A propos Geschichte: Minis"terpräsident Albrecht erwartete 1977, dass sich der Protest nach zwei Jahren totläuft. Sind sie stolz auf den langen Atem der Wendländer?

Ehmke: Ja, das kann man auch mal zugeben (lacht). Wir sind mittlerweile in der zweiten und dritten Generation politisch aktiv -- ich gehöre von Anfang an dazu. Ein gewisser Stolz ist vor allem da, weil der Widerstand in der Bevölkerung so stark verankert ist. Man sieht immer dann, wenn die Trecker rollen, den sehr bodenständigen Anteil des Widerstandes. Das macht auch unsere Stärke aus. Es sind eben nicht nur ein paar Zugereiste, wie von manchen Politikern gerne gesagt wird, sondern das sind die Menschen in Lüchow-Dannenberg selbst. Wenn wir als Bürgerinitiative zusammen mit der Notgemeinschaft mobilisieren, ist ein Zehntel der Bevölkerung auf den Beinen. Übertragen Sie das mal auf Lüneburg oder Hamburg.

Spüren Sie eine Wiederbelebung der Protestbewegung durch die jüngste Debatte?

Ehmke: Das hatte sich schon vorher abgezeichnet. Wir sind im letzten Jahr etwas in den Wahlkampf hineingeraten mit unserem außerparlamentarischen Protest. Schon beim letzten Castor-Transport waren statt der 6000 - 8000 Unterstützer der Jahre zuvor bereits Tausende mehr aus der Bundesrepublik dazugekommen. Und die 50000 Demonstranten in Berlin hatte von uns niemand erwartet. Bei 35.000 hätten wir uns angesichts des kurzen Vorlaufs bereits gefreut. Man darf ja auch nicht vergessen, dass wir uns alle ehrenamtlich engagieren. Nach der Bundestagswahl haben wir eine ganz andere politische Konstellation: Drei Oppositionsparteien, die das Thema Atomkraft -- nein, danke auf ihre Fahnen geschrieben haben. Ich denke, in einer solchen Lage wird der nächste Castor-Transport eine Abstimmung mit den Füßen über die schwarz-gelben Pläne, die Atomkraft weiterzubeleben und alleine auf Gorleben als Endlagerstandort zu setzen.

Lüchows Landrat Jürgen Schulz konstatiert zunehmende Verbitterung in der Region. Besteht die Gefahr einer Radikalisierung, wenn die Proteste wieder folgenlos verpuffen?

Ehmke: Das wurden wir über 30 Jahre immer wieder gefragt, und es ist nie dazu gekommen. Wir waren immer sehr klug beraten, zu betonen, dass es nie eine Art "finale Schlacht" um Gorleben gibt. Entsprechende Erwartungen gab es etwa an den Zäunen von Brokdorf und Grohnde. Mit dem Ergebnis, dass der Widerstand dort tot ist. Uns war immer wichtig, dass es Widerstand mit einem Augenzwinkern war. Lust und List kamen zum Tragen, etwa bei Blockadeaktionen der 90-er Jahre, die als solche gar nicht zu erkennen waren, weil die Bauern ihre Produkte vor den Toren der Atomanlagen verkauft hatten. Es gab einen Friseursalon vor dem Tor, Straßentheater. Es hat sich so etwas wie Widerstandskultur entwickelt. Selbst die "Kulturelle Landpartie" zählt hierzu. Zwar ist eine Verbitterung sicherlich vorhanden, doch da sich der Widerstand aus ganz vielen Quellen speist, gibt es keine Radikalisierung, die darauf hinausläuft, eine finale Auseinandersetzung zu suchen, denn wer zuletzt lacht, lacht am besten.

Quelle: Landeszeitung Lüneburg (Interview Joachim Zießler)

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