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Dr. Cornelius Hammer, Leiter des Instituts für Ostseefischerei: Enorm viel Kapital auf den Meeren

Archivmeldung vom 26.09.2009

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 26.09.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Eine Woche tagten jetzt in Berlin Hunderte Fischereiwissenschaftler vom Internationalen Rat zur Erforschung der Meere (ICES). Neben Strategien gegen die Ausplünderung der Meere entwickeln die Forscher Modelle, wie sich der Klimawandel auf die Fischarten auswirkt. Versauert, überhitzt, schleppnetzrein gefischt -- sieht so der Ozean der Zukunft aus? Wir fragten Dr. Cornelius Hammer, Leiter des Institutes für Ostseefischerei.

Mehr als 80 Prozent der Fischbestände in Europa sind überfischt. Bricht der Klimawandel bedrohten Arten jetzt endgültig das Genick? Dr. Cornelius Hammer: Das kann man in dieser Einfachheit so nicht sagen. "Überfischt" heißt bei manchen Arten nur, dass sie über ihr maximales Potenzial befischt werden. Sie könnten mehr Biomasse liefern, wenn man sie schonender bewirtschaften würde. Zwar sind noch genügend Fische zur Reproduktion da, aber die Art wird zu intensiv genutzt, sodass der Ertrag nicht optimal ist. Allerdings gibt es natürlich auch Bestände, die so massiv überfischt sind, dass man sich Sorgen machen muss. Zudem beeinflusst der Klimawandel die Fischbestände -- manche positiv, manche negativ. So fragen wir uns, ob der Kabeljau in 20 bis 50 Jahren noch in der Nordsee vorhanden sein wird, wenn sich die Erwärmung fortsetzt. Derzeit wandert er Richtung Norden in kältere Gefilde. In der Ostsee sehen wir andere Effekte: Die Sprotte als wärmeliebender Fisch dehnt ihr Verbreitungsgebiet aus -- und die Bestände des sie jagenden Dorsches haben sich erholt.

Wie reagiert das Plankton als Fundament der Nahrungsketten auf die Versauerung und Erwärmung? Dr. Hammer: Die Versauerung ist potenziell verheerend: Der Ozean fungiert als Puffer für das CO2 in der Atmospäre. Das im Wasser gelöste CO2 bildet Kohlensäure. Diese lässt die Kalkschalen von Muscheln, Korallen und anderen Tieren dünner werden, es kommt zu Reproduktionsschwierigkeiten. Das wird dramatische Folgen für die Ökosysteme der Meere haben, die, wenn wir so weitermachen, auch nicht mehr zu stoppen sind. Selbst wenn wir ab morgen keinerlei CO2 mehr in die Atmosphäre blasen würden, käme es zu keiner schnellen Besserung. Das Kohlendioxid, das über Jahrhunderte im Meerwasser gespeichert wurde, würde wieder in die Atmosphäre entlassen werden. Der Ozean fungiert zwar als Puffer -- aber in beide Richtungen. Das heißt, dass der menschgemachte Treibhauseffekt noch sehr lange wirken wird, selbst wenn wir radikal unser Verhalten ändern. Aber noch ist es nicht zu spät, etwas zu unternehmen.

Verliert der wärmer werdende Ozean sein Potenzial als Puffer für CO2 ? Dr. Hammer: Ja, die Pufferungsfähigkeit wird abnehmen, aber das erst zu einem Zeitpunkt, an dem sich der Mensch längst von allen Industriegesellschaften verabschiedet hat. Dann wird es aber auf der Erde so warm sein, dass uns das nicht mehr berühren wird.

Trotz Überfischung steigt der Hunger auf Fisch. Muss der Mensch vom Fischer zum Aquafarmer werden? Dr. Hammer: Im Prinzip ja, nur leider wirft dieser Schritt große Probleme auf. Erstens fehlt es zumindest in Deutschland und Europa an den Küsten an Platz, um Aquakulturen zu betreiben. Zweitens beeinträchtigt solche Nutzung den Küstenschutz. Das Abholzen von Mangrovenwäldern in Südostasien für Fischfarmen wandelt die dortigen Ökosysteme radikal und raubt der Küste Schutz vor Stürmen. Drittens produzieren Aquafarmen schädliche Schlämme. Medikamente, die bei der Aufzucht eingesetzt werden, gelangen ins Meer. Aber das größte Problem ist das Futter. Die wenigsten Aquafarm-Fische fressen Pflanzen, die meisten brauchen tierische Nahrung. Um dieses Fischmehl produzieren zu können, müssen wieder Fische gefangen werden -- und hier sind wir bereits an der Grenze des Machbaren angelangt. Zwar werden sich die Aquakulturen weiterentwickeln, so wird es etwa gigantische Käfige geben, die mit den Meeresströmungen driften, aber die Menge des verfügbaren Futters setzt die Grenze.

Die EU will weg von Fangquoten und Netzgrößen, lieber die Zahl der Fangtage auf See vorschreiben. Verbessert das die Lage? Dr. Hammer: Ja, die neue Fischereipolitik, die die EU anstrebt, ist schon ein gewaltiger Schritt in die richtige Richtung. Es ist eine radikale Abkehr von den alten Managementprinzipien, weil die EU erkannt hat, dass die Politik der Gesamtfangmengen und Quotenvorgaben nicht funktioniert. Die kann auch nicht funktionieren, unter anderem bedarf sie eines gewaltigen Kontrollaufwandes. Solange man Fangquoten festlegt, aber die Zahl der Schiffe nicht begrenzt, schwimmt enorm viel Kapital auf den Meeren. Die Kapitaleigner machen letztlich solange Druck, bis die Politik einknickt und die Fangmengen erhöht. So lief es in den vergangenen Jahren. Von diesem Weg in die Überfischung will die EU weg -- und das ist richtig so. Das Ziel der EU ist, das viel zu komplizierte Regelwerk über Bord zu kippen und im Endeffekt nur noch das Ergebnis zu kontrollieren. Etwa so, wie man im Straßenverkehr auch nicht vorschreibt, was ein Autofahrer im Einzelnen zu tun hat, sondern das Ergebnis vorschreibt, nämlich eine bestimmte Geschwindigkeit nicht zu überschreiten, wie er das anstellt, ist ihm überlassen. Einerseits wird der Fischerei damit mehr Freiheit gelassen, andererseits wird sie mit in die Verantwortung genommen, indem sie nachweisen muss, dass sie die Vorgaben erfüllt. Zudem sollen die Regeln regionalisiert werden, angepasst an die jeweiligen Bedingungen vor Ort. Bisher galten die Regeln für große Gebiete und waren für viele Bereiche nicht unbedingt sinnvoll. So wurden viele Fischer gegen die EU aufgebracht, denn sie konnten den Sinn für sich persönlich nicht verstehen. Desweiteren will die EU Umweltbelange mit in die Fischerei aufnehmen. Die Menge des Beifangs, unerwünschte Beute im Netz, die bisher tot über Bord gekippt wurde, soll reduziert werden. Bisher wurden etwa für 1 Kilo Seezunge sechs Kilo Beifang zurück ins Meer gekippt. Schonende Fanggeschirre kommen jetzt schon verstärkt zum Einsatz. Insgesamt ist dieser Kurswechsel sehr sinnvoll.

Eigentlich müssten die Fischer selbst das größte Interesse an einer nachhaltigen Bewirtschaftung ihrer Lebensgrundlage haben. Wie fallen bisher die Reaktionen aus? Dr. Hammer: Zwiespältig. Was die prinzipiellen Ziele der EU angeht, gehen die Fischer konform. Sie wollen selbst nicht länger Tonnen toten Fisches über Bord werfen. Sie wollen selbst eine schonende Nutzung der Ressourcen, weil sie als Erste darunter leiden, wenn die Bestände in die Knie gehen. Gleichzeitig gehen sie aber auf die Barrikaden, wenn ihnen zum Schutz der Bestände Fangmöglichkeiten eingeschränkt werden sollen. Ihr kurzfristiges Ziel ist das wirtschaftliche Überleben. Und sie befürchten, dass ihnen dies angesichts der langfristigen, ökologischen Ziele verwehrt wird.

Wäre es denkbar, Fischern bestimmte Zonen im Meer exklusiv zuzuweisen, für deren nachhaltige Bewirtschaftung sie dann aber auch verantwortlich sind? Dr. Hammer: Das ist eine nette Idee, im Grunde die Regionalisierung konsequent zu Ende gedacht. Im Prinzip wäre es machbar, scheitert derzeit aber daran, dass im Rahmen der gemeinsamen EU-Fischereipolitik die nationalen Flotten auch in anderen Hoheitsgebieten aktiv sein dürfen. Die Umsetzung der Idee wäre eine zweischneidige Sache: Einerseits bestünde die Gefahr einer Monopolisierung, weil hinter den Fangflotten meist Konzerne stehen. Andererseits könnte eine Privatisierung einer langfristig profitabelsten, also nachhaltigen Nutzung den Weg ebnen.

Künftig sollen die Fischer selbst beweispflichtig sein, dass sie die Vorgaben eingehalten haben. Wie soll das kontrolliert werden? Dr. Hammer: Das weiß noch niemand genau. Wir erarbeiten gerade mit Dänen und Schotten ein Projekt, das Wege aufzeigen soll. Dabei soll eine ausgewählte Fischfangflotte verpflichtet werden, keinen Beifang mehr über Bord zu werfen. Gelingt ihnen das nachweislich, soll ihre Fangquote erhöht werden, weil sie eine große Menge Fisch, die sie sonst nutzlos getötet hätten, verschont haben, sie sollen also einen Teil von dieser Menge als Zusatzquote bekommen. In einer Pilotstudie haben die Dänen 2008 mit Kameras an Bord gearbeitet, die dokumentierten, wie viel aus dem Meer gezogen, wie viel sortiert und wie viel über Bord geworfen wurde. Das lief sehr gut. Um ihre Arbeit lückenlos zu dokumentieren, haben die Fischer dann bei Nebel die beschlagenen Kameralinsen geputzt. Die Zusatzquote ist Anreiz genug für nachhaltiges Verhalten. Möglich wäre auch, dass Beobachter an Bord gehen. Statt einer Kontrolle von außen über ein Küstenschutzschiff, das längsseits geht und stichpunktartig den Fang überprüft, wäre die Kontrolle in den Arbeitsprozess integriert.

Wären Zonen vollständiger Fangverbote nicht sinnvoller? Dr. Hammer: Zwar können Schutzgebiete sinnvoll sein, aber sie müssten sehr groß sein, um wirklich Wirkung erzielen zu können. Denken Sie an wandernde Fischarten wie Hering und Dorsch! Wie groß muss ein Schutzgebiet für solche Fischarten sein? Die Gefahr bliebe, dass die Bestände in den an das Schutzgebiet angrenzenden Zonen umso stärker befischt würden. Diskutiert wird in einigen Meeresgebieten, aber durchaus nicht in allen, die Bodenfauna stärker zu schützen vor den Veränderungen durch Schleppnetze.

US-Wissenschaftler sagten den Zusammenbruch der Fischerei für das Jahr 2048 voraus. Wird der Lebensraum vernichtet, bevor er verstanden wird? Dr. Hammer: Die Modellrechnung der Kollegen beruht auf einigen unrealistischen Annahmen. Kollegen von mir haben gezeigt, dass, wenn man heutige Arbeitslosenzahlen mit derselben Methodik in die Zukunft fortschreibt, sich ergibt, dass 2056 eine hundertprozentige Arbeitslosigkeit vorliegen würde. Die Studie berücksichtigt nicht, dass sich Fischbestände bei entsprechenden Schutzmaßnahmen auch wieder erholen. So hat sich die Scholle in der Nordsee wieder aus dem Keller herausgearbeitet. Die Dorschbestände in der zentralen Ostsee wachsen so kräftig, dass die Fangquoten jedes Jahr um 15 Prozent erhöht werden können. Die wichtigen Heringsbestände vor Norwegen haben sich nach deren Zusammenbruch vor über 25 Jahren auf einen historischen Höchststand erholt. Fischbestände sind sehr dynamisch. Sie können schnell auf ein Niveau sinken, bei dem der Kollaps droht, und sich ähnlich schnell wieder erholen. Das muss aber nicht so sein. Wenn Bestände bis zum Bestandszusammenbruch heruntergefischt werden, wie der Kabeljau vor Neufundland, kann es sein, dass es Jahrzehnte dauert, bis sie sich erholen, wenn überhaupt.

Quelle: Landeszeitung Lüneburg (Das Interview führte Joachim Zießler)

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