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WWF-Fischereiexpertin Karoline Schacht: ,,Unterentwickeltes Problembewusstsein":

Archivmeldung vom 02.11.2012

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 02.11.2012 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Dorsch
Dorsch

Foto: Patrick Gijsbers
Lizenz: GFDL
Die Originaldatei ist hier zu finden.

Die Dorsch-Bestände in der Ostsee haben sich so gut erholt, dass Forscher von einem "Dorschwunder" sprechen. Auch bei den neuen Fangquoten folgt die EU den Empfehlungen der Wissenschaft. Dieser positive Trend wird nach Ansicht der WWF-Fischereiexpertin Karoline Schacht aber getrübt durch EU-Subventionen für die Modernisierung der Trawler. "Die Dramatik immer stärker erschöpfter Fanggründe ist in der Politik noch nicht erkannt."

Ist das "Dorschwunder" in der Ostsee Folge einer umsichtigen Fischereipolitik?

Karoline Schacht: Das "Dorschwunder" mit einer Verdreifachung der Größe eines Bestandes, der 2007 noch kurz vor dem Zusammenbruch stand, ist ja leider nur ein halbes Wunder -- denn diese Erholung beschränkt sich noch auf die östliche Ostsee. Ein "Wunder" ist es ohnehin nie, wenn sich Politiker mal richtig entscheiden. Und in diesem Fall haben sie sich zur rechten Zeit für sehr wirkungsvolle Maßnahmen entschieden, die Fangmengen wurden drastisch reduziert und ein mehrjähriger Bewirtschaftungsplan eingerichtet. Allerdings haben auch ausgesprochen günstige ökologische Rahmenbedingungen der Entwicklung in die Karten gespielt: So gab es sehr starke Jahrgänge bei den Nahrungsfischen der Dorsche. Die Bestände konnten sich auch dank einer massiv eingedämmten illegalen Fischerei -- die 2007 auf 50 Prozent geschätzt wurde -- durch polnische Trawler optimal erholen. Die Fischerei hat hier verstanden, dass sie belohnt wird, wenn sie schonend abfischt.

Dagegen gilt der Kabeljau in der südlichen Nordsee als ausgestorben. Sind die Trawler einfach nur nach Westen ausgewichen?

Karoline Schacht: Nein, das ist generell nicht möglich, weil Lizenzen vergeben werden, die der Fischer als historische Fangrechte in dem Areal geltend machen muss. Der Kabeljau ist in der Nordsee auch nicht ausgestorben, sein Bestand wurde vielmehr derart überfischt, dass seine Reproduktionsfähigkeit stark beeinträchtigt war.

Wie sind die 2013er-Fangquoten für die Ostsee zu bewerten?

Karoline Schacht: Erfreulicherweise haben sich die Politiker weitgehend an den Vorgaben der Wissenschaftler orientiert. Ausnahme ist zum Beispiel der westliche Ostsee-Dorsch: Hier plädierten die Forscher für eine deutliche Reduzierung, dem folgten die EU-Politiker nicht. Dennoch ist es erfreulich, dass der Trend in die Richtung geht, dass der Ministerrat den wissenschaftlichen Empfehlungen folgt. Das sollte aber auch angesichts der Inves"titionen der EU keine zufällige Momentaufnahme bleiben: Jedes Jahr beauftragt die EU den Internationalen Rat zur Erforschung der Meere in Dänemark. 1500 Wissenschaftler arbeiten dort -- und werden gut bezahlt: über neun Jahre gab die EU 7,5 Milliarden Euro aus, um diese Empfehlungen erarbeiten zu lassen. Wir wundern uns, wie unglaublich lange es möglich war, diese Empfehlungen über Bord zu kippen und deutlich höhere festzulegen. So erhielten Europas Fischer zwar Quoten, die legal waren, aber nicht nachhaltig.

Wenn hochentwickelte, zum Teil verbündete Anrainerstaaten Jahrzehnte brauchten, um einen vernünftigen Trend beim Fischmanagement hinzubekommen, was ist dann von konkurrierenden Staaten in Asien zu erwarten?

Karoline Schacht: Die aufstrebenden Länder Südostasiens fischen schon längst nicht mehr nur vor der eigenen Haustür, sondern haben ihre Flotten auf große Fahrt geschickt. Taiwanesische und chinesische Schiffe erscheinen zum Fischen auch vor Afrika und Südamerika. Weltweit ist in den letzten 50 Jahren der Radius der Fischereiaktivitäten -- auch durch die Flotte der EU -- drastisch vergrößert worden, auch weil heimische Bestände die Erträge nicht mehr hergaben.

Seit Ende der achtziger Jahren stagnieren die Fangerträge, obwohl sich die Fläche der Fanggründe verdreifachte und die Flotten aufgerüstet wurden. Kann nur noch ein mehrjähriges Fangmoratorium die am stärksten belasteten Bestände retten?

Karoline Schacht: Die Fischerei für eine gewisse Zeit einzustellen, ist in der Tat eine Möglichkeit. Sie greift aber vor allem bei Arten mit kurzer Generationsdauer und hoher Reproduktionsrate wie der Makrele. Arten mit langsamer Reproduktion wie Grundfische oder große Fische wie der Kabeljau bräuchten aber entsprechend längere Fangstopps, die politisch kaum durchsetzbar sind. Weltweit steigt seit Jahrzehnten der Aufwand, um wenigstens gleichbleibende Erträge anzulanden. Zwar verkleinern nun einige Fischfangnationen ihre Flotten, modernisieren sie aber zugleich. Die EU hat dafür in 12 Jahren 1,3 Milliarden Euro aufgebracht. Am Ende steht zwar eine zahlenmäßig kleinere Flotte, die aber in ihrer Fangeffizienz stärker ist als vorher. Sparsamere Motoren und modernisierte Technik ermöglichen den Schiffen, länger draußen zu bleiben und mehr zu fischen -- ein Webfehler bei allen Versuchen, Fischfangkapazitäten zu verringern. So haben die europäischen Fischereiminister vergangene Woche einen Tag nach den erfreulichen Quoten für die Ostsee auf Druck der südeuropäischen Länder erneut die subventionierte Modernisierung der Fangflotte aufgerufen. Auch wenn Deutschland bei diesen Abstimmungen eine gute Figur gemacht hat, ist die Gesamtentwicklung bedrückend.

Schon 1982 hatte sich die Weltgemeinschaft darauf geeinigt, die Fischerei zu drosseln, damit sich Bestände erholen können. 2002 wollte sie dies umsetzen. Wo stehen wir jetzt?

Karoline Schacht: Wir stehen jetzt an dem Punkt, an dem in unserem Hausaufgabenheft vermerkt ist, dass bisher alles Notwendige versäumt wurde, so dass nun extrem drastische Maßnahmen notwendig sind, um das auf UN-Ebene verabredete Ziel einer nachhaltigen Fischerei bis 2015 noch zu erreichen. Es kristallisiert sich als kleinster gemeinsamer Nenner heraus, zumindest den Fischereidruck so herunterzufahren, dass sich die Bestände zumindest auf lange Sicht erholen können. Das ist aus unsere Sicht aber nicht genug, weil auf diese Art die Fischerei im Vordergrund steht und nicht die Erholung der Bestände. Weil das Nachhaltigkeitsziel der UN nicht bindend ist, rückt es so in weite Ferne. Bei dieser Politik sind die Regierungen treibende Kräfte, die möglichst wenig Ärger mit ihrem heimischen, volkswirtschaftlich bedeutenden Fischereisektor haben wollen. Dazu zählt Deutschland nicht.

Hauptimporteur von Fisch aus Entwicklungsländern ist die EU. Exportieren wir den Raubbau?

Karoline Schacht: Das tun wir definitiv. So beobachten wir verstärkt unternehmerische Kniffe, Schiffe zwar nicht mehr vor Europas Küsten einzusetzen, dafür aber vor Afrika. Derzeit läuft ein Genehmigungsverfahren für ein großes deutsches Schiff, das für eine niederländische Produktionsgenossenschaft fährt, um arktischen Krill fischen zu können. In europäischen Gewässern könnte dieses Schiff nicht annähernd seine Kapazitäten auslasten. Auf diese Weise haben wir Europäer in den vergangenen Jahren unsere Überfischungsproblem exportiert.

Was nützen Quoten, die Fischer nur deswegen perfekt erfüllen, weil sie alles, was sie darüber hinaus fangen, tot über Bord werfen?

Karoline Schacht: Diese Verschwendung von Ressourcen ist ein ganz dramatisches Problem. Manche Fischereien Europas produzieren durch den Einsatz von grundberührenden Schleppnetzen bis zu 60 Prozent unerwünschten Beifang. Hier ist die Politik gefordert: Das Rückwurf-Problem muss aber bereits auf See gelöst werden, etwa durch die Förderung und Entwicklung selektiver Fischerei. Das bessere Gerät muss auf See Standard werden. Fischtrawler, die diesen höchs"ten, nachhaltigen Standard unterlaufen, sollten nicht länger von der EU subventioniert werden.

Müssten Fangrechte vererb- und verkaufbar sein, damit Fischer Verantwortung für Fanggründe entwickeln?

Karoline Schacht: Verkaufbare oder handelbare Nutzungsrechte sind in Europa schon mehrfach getestet worden, in Dänemark etwa im pelagischen Sektor -- also der küstenfernen Fischerei. Man hat die großkalibrigen Schiffe, die auf Schwarmfische aus sind, diesem System unterworfen. Mit dem Ergebnis, dass die Flotten ohne jegliche staatliche Subvention verkleinert wurden. Das ist zwar bezogen auf den Abbau von Überkapazitäten ein positiver Effekt. Es bestünde aber ein erhebliches Problem, die Nutzungslizenzen zu Beginn gerecht zu verteilen. Wer kann Urrechte auf Fanggründe geltend machen? Wen muss man ausschließen? Wie erhalten Neueinsteiger Zugang zu diesem Markt? Wie kann man sicherstellen, dass diejenigen, die Lizenzen erhalten, kaufen, handeln tatsächlich auch Aktive in der Fischerei sind und man eine Sofa-Fischerei verhindert, bei der sich ein Magnat die Fischerei kauft? International gibt es aber interessante Modelle, bei denen diese Hürden erkannt und übersprungen wurden, etwa, indem man maximale Anteile festlegte. So gibt es in Island die Regel, dass in bestimmten Fischereien nicht mehr als 12 Prozent der Quote in einer Hand liegen dürfen. Politisch ist da aber noch ein dickes Brett zu bohren. Die EU-Fischereiminister haben sich gerade auf eine allgemeine Linie verständigt und wollen es den Mitgliedstaaten überlassen, welches Quotenmanagement zum Einsatz kommt. Derzeit liegt der Ball im Feld des Europäischen Parlamentes, das erstmals an der Fischereigesetzgebung beteiligt wird. Dort geht es derzeit aber drunter und drüber mit etlichen Terminverschiebungen und extrem weit auseinander liegenden politischen Lagern.

Ist das Problembewusstsein der Politiker noch nicht sehr ausgeprägt?

Karoline Schacht: Leider ist das Problembewusstsein gerade in den Ländern, die am Ende das Zünglein an der Waage sein können, noch sehr unterentwickelt. In Ländern wie Spanien, Portugal, Frankreich, Italien oder Polen hat die Fischerei Vorrang. In Deutschland dagegen ist die Fischerei nur ein Annex des Landwirtschaftsministeriums. Für Deutschland wäre es leicht, eine gute, nachhaltig ausgerichtete Position einzunehmen und sich dafür stark zu machen. Das Problem in Deutschland ist aber, dass das Thema Fischerei in der Politik keine Zugkraft entwickelt. Da ist es auch nicht wirklich hilfreich, dass sich Ministerin Aigner entschieden hat, in die Landespolitik zu wechseln, wo sie gerade so gut im Thema ist.

Quelle: Landeszeitung Lüneburg / Das Interview führte Joachim Zießler  (ots)

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