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Eisfreie Gletscherbecken als Wasserspeicher

Archivmeldung vom 16.11.2019

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 16.11.2019 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Wenn Gletscher schmelzen, geben sie Raum frei, den man als Wasserreservoir oder zur Energieproduktion nutzen könnte.
Quelle: Foto: Giovanni Kappenberger (idw)
Wenn Gletscher schmelzen, geben sie Raum frei, den man als Wasserreservoir oder zur Energieproduktion nutzen könnte. Quelle: Foto: Giovanni Kappenberger (idw)

Glaziologen der ETH Zürich und der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL schätzten das weltweite Wasserspeicher- und Wasserkraftpotenzial ab, das schmelzende Gletscher aufgrund des Klimawandels künftig frei geben könnten.

Mit der Erderwärmung wird das Gros der Gletscher weltweit in den kommenden Jahrzehnten stark abschmelzen. Damit gehen nicht nur prächtige Naturdenkmäler verloren, sondern auch eine wesentliche Funktion für den Wasserkreislauf. So sind die Eismassen in den Hochgebirgen wichtige Wasserspeicher, welche die grossen Flusssysteme speisen und helfen, den Abfluss saisonal auszugleichen.

Ohne Gletscher würden Flüsse in den Sommermonaten deutlich weniger Wasser führen, was in vielen Weltregionen einschneidende Konsequenzen für die Wasserverfügbarkeit, die Energie- und Landwirtschaft hätte. In Wissenschaftskreisen wurde daher bereits die Idee diskutiert, die schwindende Speicherfunktion der Gletscher mit Stauseen zu kompensieren.

Eine Gruppe von Glaziologen der ETH Zürich und der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL bringt sich nun erneut in die Diskussion um das schwindende Eis ein: In einer in der Wissenschaftszeitschrift 'Nature' veröffentlichten Studie untersuchen die Wissenschaftler das weltweite Potenzial für Wasserspeicher und Wasserkraft in Gletschergebieten, die im Laufe dieses Jahrhunderts eisfrei werden.

Gletscherbecken als Stauseen nutzen

In ihrer Studie analysierte das Forschungsteam um Daniel Farinotti, Professor für Glaziologie an der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH Zürich und an der Eidg. Forschungsanstalt WSL, rund 185’000 Gletscher. Für diese Standorte errechneten sie ein maximales, theoretisches Gesamt-Speicherpotenzial von 875 Kubikkilometern (km3) und ein maximales theoretisches Wasserkraftpotenzial von insgesamt 1350 Terawattstunden (TWh) pro Jahr.

«Dieses theoretische Gesamtpotenzial entspricht etwa einem Drittel der heutigen, weltweiten Wasserkraftproduktion. Doch nur ein Teil davon wäre in der Realität tatsächlich realisierbar», räumt Farinotti ein.

Um eine realistischere Schätzung zu erhalten, unterzogen die Forschenden die Standorte zudem einer ersten Eignungsprüfung. So identifizierten sie rund 40 Prozent des theoretischen Gesamtpotenzials als «möglicherweise» geeignet, was einem Speichervolumen von 355 km3 und einem Wasserkraftpotenzial von 533 TWh pro Jahr gleichkommt. Letzteres entspricht rund 13 Prozent der heutigen, weltweiten Wasserkraftproduktion oder dem Neunfachen des jährlichen Elektrizitätsbedarfs der Schweiz.

«Dieses potenziell geeignete Speichervolumen würde bereits ausreichen, um etwa die Hälfte des jährlichen Abflusses aus den untersuchten Gletschereinzugsgebieten zurückzuhalten», führt Farinotti aus. Des Weiteren könnten – unter Annahme eines mittleren Klimaszenarios – etwa drei Viertel des Speicherpotenzials bereits bis 2050 eisfrei werden.

Potenzial zurückhaltend geschätzt

Für ihre Analyse verwendeten die Glaziologen ein globales Gletscher-Inventar und platzierten zunächst virtuell eine Staumauer am heutigen Ende jedes Gletschers mit einer Fläche grösser als 50‘000 Quadratmeter ausserhalb der Subantarktis. Dann optimierten sie die Grösse der Stauseen durch eine geeignete Ausrichtung und Höhe der Dämme. Dabei achteten sie auch darauf, dass die Stauseen negative Landschaftsauswirkungen minimieren und nicht nur den wirtschaftlichen Ertrag maximieren. Um das Speichervolumen der so ausgewählten 185’000 Standorte zu bestimmen, nutzte das Team digitale Höhenmodelle des subglazialen Geländes und kombinierte diese mit einem Gletscherentwicklungsmodell.

Bei der anschliessenden Eignungsprüfung bewerteten die Forschenden die Standorte anhand mehrerer ökologischer, technischer und wirtschaftlicher Kriterien. «Darauf basierend schlossen wir die ungeeignetsten Gletschergebiete im Sinne einer realistischeren Betrachtung aus», erklärt Vanessa Round, die an beiden Institutionen tätig ist und massgeblich an der Studie beteiligt war. Bei jedem Gletscher einen Damm zu errichten sei weder realistisch noch wünschenswert.

Ein Modell für die Zukunft?

Das Team betont, dass die lokalen Auswirkungen von Fall zu Fall bewertet werden müssten. Dennoch deuten die Ergebnisse der globalen Potenzialstudie darauf hin, dass entgletscherte Becken in einer Reihe von Ländern, insbesondere im Hochgebirge Asiens, wichtige Beiträge zur nationalen Energieversorgung und zur zwischenzeitlichen Speicherung von Wasser leisten könnten.

Länder mit besonders grossem Potenzial sind Tadschikistan, in dem das errechnete Wasserkraftpotenzial rund 80 Prozent des aktuellen Elektrizitätsverbrauchs ausmachen könnte, Chile (40 Prozent), oder Pakistan (35 Prozent). Kanada, Island, Bolivien und Norwegen haben ein Potenzial von 10 bis 25 Prozent ihres derzeitigen Verbrauchs. Für die Schweiz kommt die Studie auf ein Potenzial von 10 Prozent.

Derweil hat das Bundesamt für Energie (BFE) in der Schweiz Ende August das Ausbaupotenzial für die Schweizer Wasserkraft nach unten korrigiert. Dies vor allem wegen neuen Schätzungen der Produktionsverluste durch Restwasserbestimmungen und weil das Ausbaupotenzial der Kleinwasserkraft geringer eingestuft wird als noch 2012. Das BFE hat in seiner Beurteilung jedoch das Wasserkraftpotenzial, das in künftig eisfreien Gletschergebieten entstehen könnte, explizit ausgeklammert. Die Gletscherforschenden um Farinotti sehen daher keinen Widerspruch zu ihren Resultaten, weil sich die beiden Studien nicht direkt vergleichen lassen.

Quelle: Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL (idw)

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