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Auf der Suche nach dem verlorenen Profil

Archivmeldung vom 27.01.2009

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 27.01.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Oliver Randak

Sabine Christiansen und der frühere «Spiegel»-Chefredakteur Stefan Aust sollen für Sat1 eine politische Talkshow moderieren und das Newsprofil des Senders schärfen. Ob gerade sie die Richtigen dafür sind, darf angezweifelt werden.

Für Sat1-Geschäftsführer Guido Bolten ist es der große Coup. Mit Sabine Christiansen und Stefan Aust hat er prestigeträchtige Zugpferde gewonnen. Das Duo wird voraussichtlich ab Herbst die Wahlkampfberichterstattung des Senders begleiten. Dazu sollen fünf Ausgaben einer Talksendung mit dem Arbeitstitel «Wahlarena» gehören.

Zum Konzept sowie zum Sendeplatz will Sat1 noch keine Angaben machen. Allerdings ist angedacht, «hochrangige Parteienverantwortliche» in die Sendung einzuladen, wie eine Sendersprecherin sagte. Ferner wird spekuliert, dass die Talksendung in direkter Konkurrenz zu Anne Will am Sonntagabend laufen könnte. Dies wäre besonders pikant, weil Christiansen bis Juni 2007 Anne Wills Vorgängerin bei der ARD war. Nach ihrem Ausstieg bei der ARD ging Christiansen zu CNBC und moderiert dort - auf Englisch - die Gesprächssendung Global Players.

Mit der Verpflichtung von Christiansen und Aust unternimmt Sat1 wieder einmal den Versuch, eine konkurrenzfähige Talkshow zu etablieren - ein Unterfangen, das in der Vergangenheit kläglich gescheitert ist. So wurde Talk der Woche mit Bettina Rust im Oktober 2005 nach nur drei Monaten wegen schlechter Quoten eingestellt.

Christiansen und Aust sollen nun an Zeiten anknüpfen, als Sat1 mit Talk im Turm den wichtigsten Polittalk im deutschen Fernsehen im Programm hatte. Die Sendung wurde von 1990 bis 1999 ausgestrahlt und war mit ihrem Moderator Erich Böhme und illustren Gästen aus Politik, Wirtschaft und Unterhaltung das Aushängeschild von Sat1.

Wie Sabine Christiansen kann auch Stefan Aust bereits auf Erfahrungen als Gastgeber von politischen Talkshows zurückblicken. Doch ausgerechnet der ehemalige Spiegel-Mann wurde 1999 schon einmal zum Totengräber eines Polittalks. Nach Böhmes Ausscheiden im September 1998 übernahm Aust die Moderation der schon arg schwächelnden Sendung. Als Gastgeber fungierte Aust allerdings nur wenige Wochen. Anfang 1999 stampfte Sat1 Talk im Turm wegen mangelnder Zuschauerresonanz endgültig ein.

Mit Christiansen und Aust setzt Sat1 nun also auf zwei Personen, die von ihren früheren Arbeitgebern ausgemustert wurden. Aust, ohne Zweifel einer der besten deutschen Journalisten, durfte seinen ursprünglich bis Ende 2008 laufenden Vertrag als Chefredakteur des Spiegel nicht bis zum Ende erfüllen. Die Mitarbeiter-KG warf Aust «schlechten Führungsstil und mangelnde Innovationsfähigkeit» vor. Als Chefredakteur musste der 62-Jährige im Februar 2008 vorzeitig abtreten.

Christiansen, die im Sommer 2007 bei der ARD hinschmiss, wurde immer wieder für ihren laschen Moderationsstil und angebliche Parteilichkeit gerügt, ihre Sendung Sabine Christiansen galt zuletzt nur noch als «inhaltsleere Plauderrunde». Zudem geriet die 51-Jährige in die Kritik, weil sie mit dem Daimler-Konzern einen Vertrag als «Markenbotschafterin» abgeschlossen hatte. PR-Aktivitäten und unabhängiger Journalismus vertragen sich aber bekanntermaßen schlecht.

Ob Sat1 mit Christiansen und Aust sein Informationsprofil wirklich schärfen kann, muss nach den Maßnahmen der letzten Jahre zumindest angezweifelt werden. Wie kein anderer Sender hat Sat1 seit 2007 seine Nachrichtenformate drastisch reduziert. Sendungen wie Sat1 am Mittag und Sat1 am Abend verloren ihren Programmplatz. Der seinerzeit mit viel Brimborium vom ZDF abgeworbene Journalist Thomas Kausch schied im Streit. Sat1 News - Die Nacht wurde von heute auf morgen eingestellt. Immerhin bemüht sich der Sender seit etwa einem Jahr um eine Alternative zu den öffentlich-rechtlichen Nachrichtenformaten. Im März 2008 starteten die Sat1 Nachrichten. Sie laufen unter der Verantwortung von N24-Chefredakteur Peter Limbourg in direkter Konkurrenz zur Tagesschau um 20 Uhr.

Sat1 steht zurzeit vor der größten Herausforderung seit Bestehen des Senders. Die Geschäftsführung von Pro Sieben Sat1 hat dem Sender einen rigiden Sparkurs verordnet. Gleichzeitig sollen insgesamt 225 Stellen abgebaut werden. Bis Ende Juni muss Sat1 zur Konzernzentrale nach Unterföhring bei München umziehen. Gegen die Standortverlagerung und Einschnitte beim Personal regt sich heftiger Widerstand der Belegschaft. Letzte Wochen traten rund 90 Prozent der Berliner Beschäftigten in einen 36-stündigen Ausstand.

Trotz eines in jüngster Vegangenheit wieder leicht steigenden Marktanteils kämpft Sat1 mit erheblichen Problemen bei der Programmgestaltung. Eigene Ideen für neue Formate sind Mangelware. Der Sender geht seit Jahren auf Nummer sicher und sendet weiter Gerichtsshows oder Pseudo-Dokus wie Lenßen & Partner oder K11 - Kommissare im Einsatz. Wenig innovativ ist auch, was Sat1-Chef Guido Bolten für die nächsten Monate ankündigt. Der Sender arbeitet - wie überraschend - an Coaching-Formaten und kupfert dabei fleißig von RTL ab.

In Der Jugend-Coach (Arbeitstitel) will Jugendtrainer Oliver Lück Problemkinder auf den richtigen Weg bringen. Das Ganze erinnert nicht zufällig an die RTL-Reihe Die Ausreißer, in der Sozialarbeiter Thomas Sonnenburg verhaltensauffällig gewordene Kids von der Straße pflückt. RTL hat seine Supernanny, Sat1 wohl bald Die  Superlehrer (Arbeitstitel). Die Pauker stehen vor der Herausforderung, Schulverweigerern zum Abschluss zu verhelfen.

Ebenfalls nicht besonders frisch wirkt die Idee, die Fußball-Sendung Ran aus dem Massengrab längst gestorbener Programmformate zu holen. Und als sei der Comedy-Samstagabend nicht schon unlustig genug, soll es bald auch noch eine eigene Sendung mit Dirk Bach geben. Allerdings ohne Kakerlaken und Sonja Zietlow. Rauswählen können die Zuschauer Bach dann ja nicht. Aber vielleicht machen sie etwas Schlimmeres: Sie schalten einfach nicht ein.

 

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