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Spielen Cannabinoide eine Rolle in der Schmerztherapie?

Archivmeldung vom 30.11.2019

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 30.11.2019 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott
Prof. Dr. Dr. Nadstawek und Dr. med. Gastmeier
Prof. Dr. Dr. Nadstawek und Dr. med. Gastmeier

Bild: "obs/Leafly Deutschland/Leafly.de, Gastmeier, Nadstawek"

Im Vorfeld der ersten Leafly Medical Cannabis Conference im Mai 2020 in Berlin, hat die Redaktion von Leafly.de zwei renommierten und international angesehenen Schmerzmedizinern Fragen zur Rolle von Cannabinoiden in der Schmerztherapie gestellt.

Prof. Dr. Joachim Nadstawek ist Anästhesiologe am Schmerzzentrum an der Janker-Klinik und Vorsitzender des Berufsverband der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland - BVSD e. V.

Dr. med. Knud Gastmeier praktiziert als Facharzt für Anästhesie, Spezielle Schmerztherapie und Palliativmedizin in Potsdam. Er ist Präsident des Interdisziplinären Arbeitskreis Brandenburger Schmerztherapeuten sowie stellvertretender Sprecher der Ad-hoc Kommission "Cannabis in der Medizin" der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V.

Das Interview

Leafly.de: Welche Erfahrungen haben Sie in der Praxis beim Einsatz von Cannabis in der Schmerztherapie gemacht?

Prof. Nadstawek: Die bisherigen Erfahrungen in der Praxis sind gut. Die von der Barmer Ersatzkasse und auch vom BfArM berichtete Abbruchrate von rund 35 Prozent kann ich nicht nachvollziehen. Sie liegt in meiner Praxis bei etwa 15 Prozent. Ohne Zweifel hilft aber Cannabis nicht bei jedem - diese Erfahrung haben wir ja auch schon bei den Opioiden gemacht.

Dr. Gastmeier: Ich habe überwiegend gute Erfahrungen beim Einsatz von Cannabis in der Praxis gemacht. Unter Berücksichtigung von Respondern und Nonrespondern und einer realistischen, mit dem Patienten besprochenen Therapieerwartung, ist eine einschleichende Therapie oft erfolgreich. Dazu sind nur wenige oder gar keine Nebenwirkungen zu erwarten.

Leafly.de: Gibt es Ihrer Meinung nach genügend wissenschaftliche Grundlagen/Evidenz für den Einsatz von Cannabinoiden in der Schmerzmedizin?

Dr. Gastmeier: Eigentlich gibt es ausreichende wissenschaftliche Grundlagen, aber es fehlt häufig die Vergleichbarkeit der Ergebnisse. Allerdings ist meiner Ansicht nach die Forderung nach Evidenz ein Totschlagargument: Opioide werden immer effektiver bei der Schmerztherapie sein, wenn man die Schmerzskala nimmt. Betrachtet man aber den Patienten im komplexen Schmerzgeschehen, sieht das schon ganz anders aus. Leider geht dies aber im Rahmen von RCT Studien nicht. Dasselbe gilt für geriatrische Patienten und Palliativpatienten. Statt einer wirkungsorientierten Evidenzsuche, sollte der Fokus auf dem Nutzen-Risiko-Potenzial bei Neueinstellungen insbesondere bezüglich der Therapiesicherheit für die Patienten gerichtet werden.

Leafly.de: Wann und wie profitieren Patienten in der Schmerztherapie von Cannabis als Medizin?

Prof. Nadstawek: Vor allem Patienten mit einer neuropathischen Schmerzkomponente profitieren von medizinischem Cannabis. Meine bisherigen Erfahrungen bei viszeralem Schmerz z. B. bei entzündlichen Darmerkrankungen, Mastozytose, sind ebenfalls positiv.

Dr. Gastmeier: Besonders profitieren Patienten in der Schmerztherapie, wenn die Medikamentenanzahl und / oder -menge reduziert werden kann und damit auch die Nebenwirkungen deutlich abnehmen.

Leafly.de: Man hört immer wieder von der Cannabisrotation. Wie stehen Sie dazu? Ist das sinnvoll oder nicht?

Prof. Nadstawek: Wenn andere Zusammensetzungen bezüglich des THC- und CBD-Gehaltes bei verschiedenen Krankheitsbildern sinnvoll erscheinen, sollte ein Wechsel doch erwogen werden. Leider bieten im Moment nur die Blüten diese unterschiedlichen Zusammensetzungen. Deshalb wird, wenn man zuvor mit Extrakten behandelt hat, ein Neuantrag notwendig.

Leafly.de: Wo sehen Sie den Einsatz von Cannabinoiden in der Therapie in den nächsten Jahren?

Prof. Nadstawek: Da die Cannabisrezeptoren ubiquitär im menschlichen Körper vorhanden sind, gehe ich davon aus, dass sich der Einsatz von medizinischem Cannabis ausweiten wird. Nicht nur im Bereich Schmerz ist Medizinalcannabis interessant, sondern auch in den Fachbereichen der Neurologie und Gastroenterologie. Ich gehe davon aus, dass sich der Einsatz in der Schmerzmedizin etablieren wird, da medizinisches Cannabis eine interessante Erweiterung des therapeutischen Spektrums für den Schmerzmediziner darstellt.

Dr. Gastmeier: Insbesondere bei multimorbiden Patienten sehe ich den Einsatz von Cannabinoiden in der Therapie positiv. Auch bei der Schmerzchronifizierungsprophylaxe und bei der Therapierisikominimierung wird Cannabis als Medizin verstärkt eingesetzt werden. Ich sehe einen Schwerpunkt bei den Extrakten in den verschiedensten Konzentrationen und Cannabismedikament-Kombinationen, möglicherweise ebenso unter Einbeziehung von Terpenen.

Abschlussbemerkung von Dr. Gastmeier:

Meiner Meinung nach, wird das Problem der Selbstmedikation mit dem Ergebnis einer Selbstwirksamkeitserfahrung des Patienten, dass eben Cannabismedikamente helfen und besser vertragen werden als die Leitlinientherapie, durch die Gesetzgebung konterkariert. Ethisch nicht geklärt ist das Problem, dass der Gesetzgeber vor dem Einsatz von Cannabismedikamenten, zum Beispiel in der Schmerzmedizin, unter anderem die Therapieausreizung mit Medikamenten, die mit höherem Risiko behaftet sind, fordert. So haben z. B. Opioide eine wesentlich gravierendere Abhängigkeits- und Suchtproblematik, die mit einem kardialen und pulmonalen Letalitätsrisiko behaftet ist. Für Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) und andere in der Schmerzmedizin übliche Medikamente bestehen abgestuft oft ebenfalls höhere Therapierisiken als für Cannabismedikamente. Diese lehnen aufgeklärte Patienten nachvollziehbar ab. Hier ist ein Votum der Bundesärztekammer dringend notwendig. Durch den Genehmigungsvorbehalt wird die Betäubungsmittelverordnung unterlaufen. Die ärztliche Beurteilung, ob ein und welche Betäubungsmittel beim Patienten zum Einsatz kommt, wird durch nicht ärztliche Kassenmitarbeiter in unerträglicher Art und Weise zum Nachteil des betroffenen Patienten beeinflusst.

Prof. Dr. Dr. Nadstawek und Dr. med. Gastmeier sind die Präsidenten der Leafly Medical Cannabis Konferenz. Unter ihrer Leitung können sich 350 Experten, Ärzte, Apotheker und Forscher im hochwissenschaftlichen Kontext zu Themen wie "Evidenzbasierte Verwendung von cannabinoid-basierten Medikamenten: Wie kann man den klinischen Nutzen mit realen Studien erfassen" oder "Innovative Versorgungsformen im Bereich Medizinalcannabis in Deutschland" austauschen.

FAKTEN

TITEL Leafly Medical Cannabis Conference 2020 WANN 8. und 9. May 2020 WO Umweltforum Berlin, Pufendorfstr.11, 10249 Berlin WAS Europas wegweisende Fachkonferenz zu Cannabinoiden in der Medizin INFO https://www.leafly.de/conference/

Quelle: Leafly Deutschland (ots)


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