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Untergeschobene Energieverträge: Strom- und Gasanbieter nutzen Energiekrise aus

Archivmeldung vom 13.09.2022

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 13.09.2022 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Sanjo Babić
Bild: Gerd Altmann / pixelio.de
Bild: Gerd Altmann / pixelio.de

Die Zahl der Beschwerden über untergeschobene Verträge ist in Deutschland seit Beginn der Energiekrise stark gestiegen. Das zeigen Recherchen des ARD-Politikmagazins "Report Mainz". Demnach habe sich deren Zahl bei der Verbraucherzentrale Bundesverband seit Jahresbeginn mit 2.700 Beschwerden fast verdreifacht. Außerdem kam es bereits zu 10.000 Beschwerden über unerlaubte Werbeanrufe zu Energieversorgungsprodukten bei der Bundesnetzagentur.

Dubiose Strom- und Gasanbieter nutzen offenbar die Angst vieler Menschen vor höheren Preisen aus, um ihnen am Telefon Energielieferverträge unterzuschieben. Personen geben zum Beispiel vor, Mitarbeiter des Energieunternehmens zu sein, bei dem der Betroffene Kunde ist. Ihr Ziel: an Zählerstände und Zählernummern zu kommen. Damit melden sie den Betroffenen ohne sein Einverständnis beim alten Versorger ab und schieben ihm teurere Verträge bei einem völlig anderen Unternehmen unter.

Eigentlich sollte das seit einem Jahr durch die Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes nicht mehr möglich sein. Auf Nachfrage von "Report Mainz" teilt die Bundesnetzagentur mit, in Folge der "jüngst stark gestiegenen Energiepreise" sei ein "überproportionaler Anstieg bei den Beschwerden über unerlaubte Werbeanrufe zu Energieversorgungsprodukten zu verzeichnen". Bis Ende August dieses Jahres seien in diesem Zusammenhang etwa 10.000 schriftliche Beschwerden bei der Bundesnetzagentur eingegangen.

Verbotene "Cold Calls" gibt es weiterhin

Werbeanrufe ohne ausdrückliche Zustimmung des Angerufenen, sogenannte "Cold Calls", sind seit Jahren verboten. Weil sie trotzdem stattfinden und Betroffenen im Rahmen des Gesprächs häufig unwissentlich Energielieferverträge untergeschoben wurden, hat der Gesetzgeber vergangenes Jahr nachgebessert. Seitdem dürfen Energielieferverträge am Telefon nur noch in "Textform" abgeschlossen werden. So sieht es das Energiewirtschaftsgesetz vor.

Unwissentliche Bestätigung der Verträge durch SMS

Recherchen von "Report Mainz" zeigen nun, wie dubiose Vermittler von Energielieferverträgen sich diese Regelung zunutze machen. Reporterinnen des ARD-Politikmagazins sprachen mit zahlreichen Betroffenen aus ganz Deutschland, die trotz der neuen Gesetzeslage unwissentlich Energieverträge abschlossen. Den Schilderungen der Betroffenen zufolge erweckten die Anrufer zu Beginn des Telefonats häufig den Anschein, im Auftrag der örtlichen Stadtwerke oder eines Vergleichsportals anzurufen. Im Laufe des Gesprächs wurden die Angerufenen aufgefordert, eine während des Telefonats erhaltene SMS unmittelbar mit "Ja" und dem eigenen Namen zu beantworten. Während viele von ihnen davon ausgingen, hierbei lediglich dem Zusenden eines Angebots zuzustimmen, schlossen sie auf diese Weise einen Vertrag bei einem neuen Energieanbieter ab.

Dreistes Vorgehen dokumentiert per zugespieltem Mitschnitt

In einem fast halbstündigen Mitschnitt eines solchen Telefonats, der "Report Mainz" zugespielt wurde, ist zu hören, wie gravierend ein Verbraucher von der Vermittlerin eines Energieliefervertrags getäuscht wird. So sagt die Frau in dem Telefonat: "Sie bekommen die Unterlagen erstmal nach Hause geschickt, damit Sie das erstmal prüfen. Das ist nur alles die Vorbereitung." Der Angerufene betont mehrfach, er wolle auf keinen Fall einen Vertrag am Telefon abschließen. Unwissentlich hat der Angerufene während dieses Telefonats per SMS zwei Energielieferverträge für Gas und Strom abgeschlossen.

Experten: Nachbesserung des Energiewirtschaftsgesetzes nötig

Rechtsanwalt Marc Nörig kritisiert das Gesetz gegenüber dem ARD-Politikmagazin. Er verhandelt mehrere solcher Fälle vor Gericht. "Ich finde es dreist, wie diese Energieunternehmen vorgehen. Es soll verhindert werden, dass der Kunde während des Telefonats da in irgendeiner Weise überrumpelt wird, sondern sich Gedanken machen kann, ob er tatsächlich diesen Vertrag so schließen möchte", sagt Nörig. Ähnlich sieht es auch Felix Methmann von der Verbraucherzentrale Bundesverband: "Wichtig ist, dass jetzt da nachgeschärft wird, wo die Probleme bestehen. Und die bestehen eben darin, dass viele Verbraucherinnen und Verbraucher einen Vertrag haben, den sie nicht haben wollen. Es darf nicht möglich sein, Verträge per SMS zu schließen." "Report Mainz" sprach zudem mit Betroffenen von untergeschobenen Energielieferverträgen, die während des Anrufs keine Bestätigung per SMS oder Mail zurückschickten und trotzdem neue Energielieferverträge erhielten. In einem Fall stellte sich heraus, dass die Unterschrift der Betroffenen unter einem vermeintlichen Vertrag nachweislich gefälscht wurde. Das Unternehmen fordert dennoch weiter Geld von der 86-Jährigen. In einem anderen Fall erhielt die Verbraucherin kurze Zeit nach Abschluss des Vertrags eine deutliche Preiserhöhung. Ihr Widerspruch wurde ignoriert.

Bundesnetzagentur: an gesetzliche Rahmenbedingungen gebunden

Die Bundesverbraucherzentrale bemängelt, dass seit Jahren eine Handvoll Unternehmen durch derart dubiose Geschäftspraktiken auffalle. Der Bundesnetzagentur seien diese auch bekannt. Doch es passiere viel zu wenig. Die Unternehmen müssten viel schneller geahndet werden. "Da müssen schon ein paar 100 Beschwerden reichen über die gleiche Firma und über das gleiche Problem, dass dann schon reagiert wird", so Methmann. Die Bundesnetzagentur entgegnet "Report Mainz" gegenüber, sie sei an gesetzliche Rahmenbedingungen gebunden. Aus einer Stellungnahme von 2019 geht hervor, dass auch sie schärfer gegen die Unternehmen vorgehen möchte. Damals hatte sie vorgeschlagen, sich bei der Festsetzung von Bußgeldern "an den wirtschaftlichen Verhältnissen" der Unternehmen orientieren zu dürfen. Der aktuelle Höchstsatz von 300.000 Euro stelle "gerade bei leistungsfähigen Unternehmen keine spürbare Sanktion dar." Allerdings sei, "im Gesetz etwas anderes verankert worden. Wir arbeiten mit den rechtlichen Möglichkeiten, die wir zur Verfügung haben. Das tun wir. Und alles Weitere habe ich heute an dieser Stelle nicht zu kommentieren," so der Pressesprecher der Bundesnetzagentur, Fiete Wulff. Das Bundesjustizministerium, welches für die Novellierung des Gesetzes zuständig war, hat bislang auf Fragen des ARD-Politikmagazins nicht geantwortet.

Hintergründe und einen ausführlichen Bericht sendet Das Erste am heutigen Dienstag, 13. September 2022, um 21:45 Uhr in "Report Mainz".

Quelle: SWR - Das Erste (ots)

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