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Immer mehr Menschen verzichten auf Sex

Archivmeldung vom 06.10.2008

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 06.10.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Oliver Randak

Kein Bedürfnis mehr zu haben, Sex zu praktizieren (Asexualität), scheint sich auszubreiten. Woran es liegt, weiß niemand genau. Ursache könnte eine Überreizung sexueller Präsenz in den Medien und im eigenen Umfeld sein, aber auch Drogen, Medikamente und psychische Probleme könnten eine Rolle spielen.

Sex ist zu einem Hintergrundrauschen unseres Alltags geworden“, schreibt der französische Publizist Jean-Claude Guillebaud in seinem Buch „Tyrannei der Lust“. Es gibt kaum eine Zeit, in der der Sexualität, der Lust, dem Begehren mehr Platz eingeräumt wurde. Wie toll, wie oft, wie lange? – kaum ein Detail bleibt ungesagt.

Da Scham die natürliche Hüterin der persönlichen Sphäre und der eigenen Grenzen ist, ist der Verlust des Schamgefühls für manche gefährlich. Der Alltag funkelt voller Versprechen, grenzenlos zu begehren und begehrt zu sein. Das Warten bis zur Bedürfnisbefriedigung wurde so radikal verkürzt, dass Erotik und Verlangen kaum noch eine Chance haben, sich zu entfalten.

Aber es gibt auch immer mehr Berichte über mangelndes Sexualverlangen. „40 Jahre nach der sexuellen Revolution dürfen wir zwar der Lust freien Lauf lassen, aber leider hat uns die Lust verlassen“, behauptet Guillebaud. „Heute geht es nicht darum, gegen die Unterdrückung der Lust anzukämpfen, sondern im Gegenteil ihren Bankrott zu verhindern."

Der Stellenwert der Erotik hat sich seit den 60er-Jahren ständig gewandelt. Offensichtlich wird Sexualität heute nicht mehr als Metapher des Glücks überschätzt, sondern als Quelle und Tatort von Unfreiheit, Ungleichheit und Aggression diskutiert.

Lust und Begehren, Sex und Ekstase enthalten immer auch anarchische und gewaltsame Aspekte, die durch politische und gesellschaftliche Prozesse einem stetigen Wandel unterliegen. Die heutigen Verhältnisse sind auch als Reaktion auf die sexuelle Revolution zu verstehen. Manch einer mag sich durch die befreite Sexualität überfordert fühlen oder sich vom Zwang zur Freiheit lösen wollen.

„Vor allem die neuen jungen Männer wollen lieber kuscheln“, sagt die österreichische Sexualtherapeutin Rotraut Berner. Ein Karlsruher Mathematikstudent betreibt keinen „safer sex“, sondern „safest sex“ – also „no sex“. Seine Devise lautet „Wahre Liebe wartet“. So etwas Besonderes will er sich bis zur Ehe aufheben.

Es scheint so, als entwickelte sich in unserer postmodernen Konsumgesellschaft eine Vielgestaltigkeit, in der auch extreme Positionen sichtbarer sind als früher.

Das hat nicht unerheblich mit den Möglichkeiten zu tun, über die Medien (Internet) miteinander zu kommunizieren. Die einen wollen sich alles sofort einverleiben, seien es Essen, Unterhaltung oder Sex, und die anderen verweigern sich.

„Möglicherweise nimmt aber die sexuelle Inaktivität der Gesellschaft zu“, erklärt Peer Briken, Arzt und Wissenschaftler am Institut für Sexualforschung am Universitätsklinikum Hamburg. „Bei vielen Menschen gibt es heute ein anderes Selbstverständnis im Umgang mit den Vorlieben und Neigungen. Man kann heute selbstbewusst dazu stehen, dass man keine Lust oder kein Interesse an Sex und Geschlechtsverkehr hat.

Asexualität ist eine Seite der vielfältiger werdenden Formen der Sexualität“, sagt Briken. Ob sexuelle Lustlosigkeit durch eine zunehmende Präsenz und Sättigung mit sexuellen Themen in den Medien zunehme, sei bisher nicht geklärt. In epidemiologischen Studien traten diejenigen, die keinen Sex haben, bisher immer nur als unbekannter Faktor auf. „Zehn Prozent haben demnach mindestens ein Jahr lang keine sexuelle Erfahrung gemacht, ein bis zwei Prozent sogar nie“, sagt Briken.

Jetzt kann man mehr über die Asexuellen erfahren. Auf der Internetplattform des Amerikaners David Jay, der sich stolz als einer der ersten Asexuellen outete, treffen sich inzwischen Tausende von Geistesverwandten. Deren Form der Askese hat laut Jay nichts mit einer neuen Form des Zölibats zu tun. Es ist eine bewusste Entscheidung, es fehlt einfach der Antrieb dazu. „Zwar ist das Resultat das Gleiche, aber die Beweggründe sind anders“, sagt Briken. Zärtlichkeit wird von den Asexuellen geschätzt, aber ein Zungenkuss ist oft schon zu viel. Jay teilt die Motive der Abstinenzler in vier Kategorien: Ein Sexualtrieb ist vorhanden, jedoch keine romantischen Gefühle. Romantische Gefühle sind vorhanden, jedoch kein Sexualtrieb. Romantische Gefühle und Trieb sind vorhanden, aber man will sie nicht ausleben. Romantische Gefühle und Trieb fehlen.

Es gibt aber auch ganz andere Ursachen für die Askese: Drogen- oder Medikametenkonsum aber auch psychische Störungen wie etwa eine Depression können die Lust zum versiegen bringen. Oder aber die Aversion gegen Sex ist psychisch bedingt: Helen Kaplan, Psychiaterin und Sexualtherapeutin an der State Universität in New York etwa glaubt, dass der Grund in einer ungünstigen Partnerkombination zu suchen ist. Ein Partner nimmt dann unbewusst genau die Eigenschaften am Gegenüber wahr, die ihn stören. Das tötet jedes körperliche Verlangen.

Immerhin: „Dass man jetzt offen über die nicht vorhandenen Bedürfnisse sprechen kann, ist für viele eine Erleichterung“, sagt Briken. „Nur wenn man sich dabei nicht wohlfühlt und unter seiner Asexualität leidet, sollte man einen Arzt aufsuchen.“

Teilweise schlägt das Pendel aber auch in Richtung eines neuen Puritanismus aus. Guillebaud interpretiert dies als „Sehnsucht nach dem verlorenen Gleichgewicht.“ Weil wir es alle zu leichtsinnig über Bord geworfen haben, kehrt es jetzt in Form von Disziplinierungsmaßnahmen zurück. In Umfragen zeigte sich, dass vor allem Jugendliche sich wieder mehr nach einer festen Partnerschaft denn nach schnellem Sex sehen. „Wirklich frei sind wir erst, wenn wir unser Leben und unsere Sexualität nicht von Zeiterscheinungen diktieren lassen“, schreibt Guillebaud.

 

 

 

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