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Schimpansen können keine neue Sprache lernen

Archivmeldung vom 04.11.2015

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 04.11.2015 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Prof. Dr. Julia Fischer ist Leiterin der Abteilung Kognitive Ethologie am Deutschen Primatenzentrum. Ihr Forschungsschwerpunkt ist das kognitive und kommunikative Verhalten von Affen. Quelle: Foto: Oliver Möst (idw)
Prof. Dr. Julia Fischer ist Leiterin der Abteilung Kognitive Ethologie am Deutschen Primatenzentrum. Ihr Forschungsschwerpunkt ist das kognitive und kommunikative Verhalten von Affen. Quelle: Foto: Oliver Möst (idw)

Sie hätten „den ersten Beweis dafür gefunden, dass Affen spezielle Lautäußerungen ihrer Artgenossen lernen können“, postulierten der Verhaltenspsychologe Stuart K. Watson von der University of York und seine Ko-Autoren in einem Fachartikel zu Beginn dieses Jahres.

In der Studie, die im Februar 2015 in der Fachzeitschrift Current Biology erschien, hatten die Wissenschaftler die Integration von einer Gruppe Schimpansen aus den Niederlanden in eine bereits bestehende Gruppe im Zoo von Edinburgh beobachtet. Die Forscher hatten festgestellt, dass sich die Lautäußerungen der holländischen Tiere mit der Zeit an die Rufe der schottischen Tiere anglichen. Julia Fischer, Verhaltensforscherin am Deutschen Primatenzentrum, hat die Daten kritisch unter die Lupe genommen und kommt zu einem anderen Ergebnis. Bemerkenswert sei vor allem, dass sich die meisten Rufe der holländischen Tiere von Anfang an überhaupt nicht von denen der schottischen unterschieden. Dies zeige vielmehr, dass die Struktur der Lautäußerungen von Affen weitgehend angeboren und nur in einem sehr geringen Maß modifizierbar ist. Zudem könne nicht ausgeschlossen werden, dass die neuen Tiere anfangs schlicht aufgeregter gewesen seien. Gemeinsam mit ihren Fachkollegen, den Verhaltensforschern Brandon C. Wheeler und James P. Higham, hat Fischer einen Kommentar zu der Studie verfasst, der nun in der aktuellen Ausgabe von Current Biology veröffentlicht wurde.

Die beiden Schimpansengruppen wurden von 2010 bis 2013 im Zoo von Edinburgh beobachtet. Eine Gruppe lebte zu Beginn der Studie bereits einige Jahre dort, während die andere aus dem Safaripark Beekse Bergen aus den Niederlanden kam. Die Wissenschaftler um Stuart K. Watson beobachteten die Schimpansen aus beiden Gruppen und zeichneten das charakteristische Grunzen auf, das die Affen während der Fütterung mit Äpfeln von sich gaben. Laut den Autoren unterschieden sich die Lautäußerungen der Schimpansengruppe aus den Niederlanden anfangs von denen aus dem Edinburgh Zoo. Nach einem Zeitraum von drei Jahren hatten sich die Laute der Affen einander angeglichen. Die Wissenschaftler sahen hierin den ersten Beleg, dass Affen von ihren Artgenossen unterschiedliche „referentielle Laute“ lernen können, die sich auf ein und dasselbe Objekt beziehen wie in diesem Fall der Apfel. Da die Fähigkeit, Objekte oder Ereignisse willkürlich mit unterschiedlichen Wörtern zu bezeichnen, eine der zentralen Eigenschaften der Sprachfähigkeit ist, interpretierten die Autoren dieses Ergebnis als eine wichtige Erkenntnis zur Evolution der menschlichen Sprache.

Julia Fischer, Leiterin der Abteilung Kognitive Ethologie am Deutschen Primatenzentrum, und ihre Ko-Autoren, Brandon C. Wheeler, Verhaltensökologe an der University of Kent in Canterbury, und James P. Higham, Assistenzprofessor für Anthropologie an der New York University, sind nach der Neuanalyse der Daten nicht von den Ergebnissen überzeugt. „Die Studie von Watson hat zwei große Schwachstellen“, sagt Julia Fischer. „Erstens haben die Autoren die Ursachen für die veränderte Lautgebung der niederländischen Schimpansen unzureichend untersucht und zweitens waren die Laute beider Schimpansengruppen bereits zu Beginn der Studie sehr ähnlich und veränderten sich über den Zeitraum von drei Jahren nicht mehr wesentlich.“

Die veränderten Lautäußerungen der niederländischen Schimpansen sind laut den Autoren des Reviews möglicherweise auf Veränderungen ihres emotionalen Zustands über den gesamten Zeitraum zurückzuführen. „Die niederländischen Schimpansen haben vermutlich zu Beginn der Studie leicht veränderte Laute in Bezug auf die Äpfel ausgestoßen“, erklärt James Higham. „Das kann als eine anfänglich gesteigerte Begeisterung der Affen für die Äpfel verstanden werden oder schlicht eine Reaktion auf die neue Umgebung und andere Artgenossen sein. Die unterschiedlichen Laute sind dann Ausdruck höherer Erregung aufgrund von Unsicherheit. Das haben Stuart Watson und seine Kollegen nicht explizit überprüft.“

Diese Umstände können Änderungen in der Lautgebung der Schimpansen bewirken. Fakt ist, dass sich der anfängliche Zustand höherer Aufregung über die Zeit wandeln kann, weil die Affen sich an die Fütterung mit Äpfeln und an ihr neues Zuhause gewöhnen. Damit können sich auch die Laute der Affen leicht ändern. Als Erlernen einer neuen, objektbezogenen Sprache kann das jedoch nach Ansicht von Julia Fischer und ihren Ko-Autoren nicht verstanden werden.

Der zweite zentrale Kritikpunkt an der Studie ist laut den Autoren die Interpretation der Ergebnisse. Eine erneute Analyse der Daten zeigte, dass sich die Lautmuster beider Schimpansengruppen bereits zu Beginn der Studie ähnelten. „Unabhängig von ihrer Herkunft reagierte der Großteil der Tiere mit dem gleichen Ruf auf die Präsentation der Äpfel“, sagt Brandon Wheeler. „Lediglich sieben der insgesamt 20 analysierten Rufe der neuen Schimpansengruppe wiesen höhere Frequenzwerte als die Lautmuster der Schimpansen aus Edinburgh auf. Im dritten Jahr der Untersuchung waren es immer noch fünf Rufe, die anders klangen. Die Veränderungen über die vielen Jahre waren also nicht besonders bemerkenswert.“

Nach Meinung der Autoren liefert die Studie von Watson keine neuen Erkenntnisse zur Entstehung der menschlichen Sprache. „Wenn die Schimpansen wirklich eine neue Sprache gelernt hätten, wären die Unterschiede viel klarer ausgefallen. So sprechen die Ergebnisse eher dafür, dass die Rufe tatsächlich angeboren sind. Warum sollten sonst die meisten Rufe von Anfang an übereinstimmend gewesen sein, also zu einem Zeitpunkt, als sich die Tiere noch gar nicht kannten?“, fasst Julia Fischer zusammen.

Quelle: Deutsches Primatenzentrum GmbH - Leibniz-Institut für Primatenforschung (idw)

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