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Wirtschaftsforscher Professor Klaus Zimmermann verteidigt Öffnung des Arbeitsmarktes als wichtig für den Erhalt des Wohlstands in Europa

Archivmeldung vom 11.01.2014

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 11.01.2014 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Doris Oppertshäuser
Bild: berlin-pics  / pixelio.de
Bild: berlin-pics / pixelio.de

Was bringt die neue Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der EU für deutsche Unternehmen? Professor Dr. Klaus F. Zimmermann: Mit Bulgarien und Rumänien ist die Reihe der Freizügigkeitsregelungen in der EU abgeschlossen, und es hat schon eine Reihe von Anpassungsreaktionen gegeben, sodass es keine großen Veränderungen mehr geben wird.

Ich rechne nicht mit größeren Zuströmen auf dem Arbeitsmarkt. Umgekehrt ist es jetzt in Deutschland für Unternehmen einfacher, Arbeitskräfte aus Rumänien und Bulgarien direkt zu rekrutieren. Auch ist ein Großteil der qualifizierten, arbeitswilligen "Wanderer" schon unterwegs und kann nun leichter für Deutschland gewonnen werden.Bedroht das Grundrecht auf Freizügigkeit das deutsche Sozialsystem? Zimmermann: Das sehe ich nicht so. Sicher gibt es das eine oder andere Schlupfloch, das wir aber aus eigenem Verschulden nicht richtig verschlossen haben -- insbesondere im Kontext der Selbstständigkeit. Generell sind "Sozialschmarotzer" aus diesen Ländern ein Problem von wenigen Kommunen oder Großstädten. Die hohe Armutszuwanderung dort macht nur ein Bruchteil der Zuwanderung insgesamt aus.

Ist ein Wirtschaftsraum ohne Mobilitätsschranken der richtige Weg in die Zukunft für die EU-Wirtschaftszone? Zimmermann: Wenn man in einem Großraum keine Menschenwanderung möchte, dann muss man die Grenzen insgesamt schließen. Wir haben für unseren Wohlstand vor langer Zeit darauf gesetzt, dass eine europäische Integration gelingt. Das bezieht sich nicht nur auf die Verbindung der Kapital- und Gütermärkte, sondern auch auf die der Arbeitsmärkte und schließlich die Integration der Menschen in dem gesamten Großraum. Und Arbeitsmobilität ist einer der wichtigsten Faktoren, durch den wir unseren Wohlstand steigern können. Denn es liegt ein großes Potenzial darin, dass die Menschen dorthin gebracht werden, wo sie am meisten für die Wirtschaft bringen. Und das wird letztendlich dazu beitragen, dass sich Europa insgesamt weiterentwickelt.

Wie steht es um Ausbildungsstandards, entsprechen osteuropäische Zertifikate hiesigen Anforderungen? Zimmermann: Nicht überall. Die Zuwanderer, die jetzt zu uns kommen, sind aber im Schnitt besser qualifiziert als andere Zuwanderer und teils sogar besser als deutsche Arbeitskräfte. So haben sehr viele einen Hochschulabschluss, sind etwa Ärzte. Einige davon haben sogar einen Teil ihrer Ausbildung oder erste Berufserfahrungen in Westeuropa gemacht. Unterm Strich halte ich den Anpassungsbedarf nicht für größer als bei Bewerbern aus, zum Beispiel, Spanien.

Also ist das viel gelobte deutsche Ausbildungsniveau gar nicht so hoch? Zimmermann: Sicherlich war das Anerkennungsverfahren von ausländischen Abschlüssen in der Vergangenheit zu strikt. Das ist ja kürzlich erst gesetzlich erleichtert worden. Dennoch gibt es ein Mismatch, viele Zuwanderer arbeiten hier zunächst unter ihrem Ausbildungsniveau. Doch das reguliert sich von selbst, wenn die Menschen länger hier bleiben. Das ist ein normaler Prozess der Integration.

Wie kann man der Mismatch-Falle entkommen? Ist hier die Politik gefordert? Zimmermann: Nein, überhaupt nicht. Ich will ein Beispiel nennen: In Tunesien gibt es viele Ingenieure, aber die meisten haben nur ihr Diplom, kaum Berufserfahrung, sind daher nur begrenzt einsatzfähig. Diese Leute werden dann entweder schlechter bezahlt oder geschult oder nicht eingestellt. Insofern sehe ich keine Notwendigkeit für gesetzliche Vorgaben. Nichtsdestotrotz sind Maßnahmen wie Deutschkurse für junge Spanier, die die Bundesagentur für Arbeit derzeit unterstützt, zu begrüßen. Denn letztendlich geht es um die Schaffung eines europäischen Arbeitsmarktes.

In Großbritannien, einst Vorreiter in Sachen Arbeitsmigration, werden Maßnahmen diskutiert, den Zuzug einzuschränken. Befürworten Sie dieses Vorgehen? Was kann Deutschland daraus lernen? Zimmermann: Das ist eine eher politisch motivierte Diskussion vor dem Hintergrund, dass die Briten generell etwas gegen Europa haben. Die jetzige Regierung um Cameron spielt auf dem "Stimmungsklavier". Richtig ist zwar, dass Großbritannien mehr Zuwanderer bekommen hat, als je erwartet wurde, aber dennoch sind keine wesentlichen Nachteile zu entdecken. Ähnliche Diskussionen gibt es auch in Spanien, Frankreich oder Dänemark, aber überall geht es meist nur um Emotionen wie Angst vor Fremden und nicht um wirkliche Schieflagen. Daher ist es wichtig, gegen diese Stimmungen Informationen und Aufklärung zu setzen und die Freizügigkeit als Chance für alle zu sehen.

Die demographische Pyramide kippt - weniger "Nachwuchs", mehr ältere Bürger; was bedeutet das für den Arbeitsmarkt hierzulande? Zimmermann: Wir befinden uns in einem riesigen Umwandlungsprozess. Der Rückgang der Bevölkerung und die Zunahme des Anteils der älteren Bürger bedeuten auch, dass weniger nachgefragt wird. Das heißt der Mangel an Arbeitskräften ist nicht das zentrale Thema, sondern vielmehr die Tatsache, dass die Nachfrage sich verändert: Ältere wollen andere Güter und Dienstleistungen als Jüngere. Damit ändern sich also auch die Berufsfelder. Hier stellt sich die Frage, wie schnell wir uns an diese Veränderungen anpassen können. Und da spielt auch wieder die Zuwanderung eine Rolle - nämlich insofern, als dass wir uns in anderen Ländern Arbeitskräfte holen, deren Berufsprofile wir brauchen; ich denke da konkret an den Pflegebereich.

Laut der aktuellen Trendstudie von Peter Wippermann ist der Faktor Gesundheit auf Platz 1 der Werteskala gerückt - vielleicht ist das auch der Rente mit 67 geschuldet. Ist das nicht auch ein Signal an Arbeitgeber, mehr auf ältere Mitarbeiter zu setzen? Zimmermann: Das ist richtig. Letztendlich ist diese Werteverschiebung auch dem zunehmendem Bildungsniveau zu verdanken. Dafür spricht auch, dass es vor 10 oder 20 Jahren bei den Firmen gang und gäbe war, keine Leute über 50 einzustellen. Doch die Erwerbsbeteiligung der 50- und 60-Plus-Generation ist zuletzt erheblich angestiegen. Hier findet bereits heute weitgehend unbemerkt die größte Veränderung auf dem Arbeitsmarkt statt. Und diese Tendenz wird sich fortsetzen, weil die Menschen auch länger fit sind.

Haben das denn auch die Arbeitgeber erkannt? Zimmermann: Nicht hinreichend. Die wenigsten haben durchgerechnet, was in fünf bis zehn Jahren auf sie zukommt.

Fachkräftemangel auf der einen Seite, Stellenabbau aus Einspargründen auf der anderen Seite. Wie passt das zusammen. Man könnte doch diese Leute anwerben und umschulen, um das Fachkräfte-Loch zu stopfen, oder? Zimmermann: Der Fachkräftemangel ist eher ein Zukunftsproblem, der Stellenabbau ein normaler Anpassungsprozess der Wirtschaft. In der Zukunft müssen die Firmen frühzeitig auf Umschulung setzen, um die richtigen Fachkräfte zu bekommen. Derzeit liegt ein größeres Potenzial bei den Langzeitarbeitslosen. Denn der Dauerarbeitssuchende wird nicht wirklich in Arbeit vermittelt, sondern lediglich versorgt. Er muss besser betreut werden, um wieder in den Arbeitsmarkt eintreten zu können.

Was halten Sie von der stufenweisen Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in allen Branchen? Zimmermann: Die Maßnahme Mindestlohn hat eine gute Absicht, doch die Hoffnung trügt, damit Armut zu bekämpfen. Denn die meisten, die bisher für weniger als 8,50 Euro arbeiten, leben gar nicht in armen Haushalten. Denn es handelt sich meist um geringfügig Beschäftigte, Studenten, Schüler und Hausfrauen. Nur etwa zehn Prozent haben einen Vollzeitjob. Das heißt im Klartext: Das Ziel des Mindestlohns ist verfehlt. Und die Kosten, die für die Unternehmen entstehen, werden teilweise anderswo wieder reingeholt. Sei es durch direkte oder indirekte Preiserhöhungen oder Stellen- oder Stundenkürzungen. Die Konsequenzen verschmieren sich auf dem gesamten Arbeitsmarkt. Wenn die Arbeitskosten steigen, dann wird die unternehmerische Nachfrage nach Arbeit zurückgehen. Das ist unvermeidbar, wie viele Studien gezeigt haben. Wenn man nun sagt, das wollen wir uns leisten, dann ist es okay; ökonomisch jedoch ist es unvernünftig, es kostet etwas. Um die "Armen" zu erreichen, müsste etwas Anderes gemacht werden. In der Politik geht es häufig gar nicht um die Sache an sich, sondern darum, eine Stimmung politisch zu nutzen, um regieren zu können.

Hohe Bildung gleich Arbeitsplatzgarantie - gilt diese Formel in Zukunft noch oder werden die Akademiker von den Fachkräften überholt? Zimmermann: Das gilt im Großen und Ganzen auch weiterhin. Denn Bildung liefert mehr Flexibilität und mehr Fähigkeiten zur Anpassung. Und das ist der entscheidende Punkt. Doch auch Fachausbildungen dürfen nicht unterschätzt werden. Auf jeden Fall sollten gute Noten die Abschlüsse krönen.

Quelle: Landeszeitung Lüneburg (ots)

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