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Prof. Dr. Wilhelm Nölling: "Das missglückte Abenteuer Euro"

Archivmeldung vom 17.12.2011

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 17.12.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Bild: Michael Lorenzet  / pixelio.de
Bild: Michael Lorenzet / pixelio.de

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht die Eurozone auf dem "unumkehrbaren Weg zu einer Fiskalunion". Doch die Finanzmärkte haben immer noch kein Vertrauen, das Gros der Ökonomen hält die Euro-Schuldenkrise für noch lange nicht überwunden. Einer der ersten Euro-Kritiker geht zwei Schritte weiter: Professor Dr. Wilhelm Nölling fordert im Gespräch mit der Landeszeitung Lüneburg eine völlige Neuausrichtung der Gemeinschaftswährung -- mit weniger Teilnehmern. Denn an der "Unreparierbarkeit dieses missglückten Abenteuers Euro hat sich nichts geändert".

Herr Prof. Dr. Nölling, Sie gehörten zu den ersten Kritikern der Gemeinschaftswährung und haben 1998 mit drei weiteren Professoren sogar gegen die Euro-Einführung geklagt und sind 2010 wieder nach Karlsruhe gegangen. Sehen Sie sich heute in Ihrer Kritik und Ablehnung bestätigt?

Prof. Dr. Wilhelm Nölling: Ja! In meinem Buch "Unser Geld" von 1993 bin ich in einer grundlegenden politisch-ökonomischen Analyse des Maastrichter Vertrages zu diesem Ergebnis gelangt und habe schon damals gefragt: Was tun, wenn Maastricht scheitert? In meiner neuen Publikation "Die Euro-Höllenfahrt. Vom Elend der Politik zum Elend der Ökonomien" habe ich die seitherige Entwicklung nachgezeichnet.

Sehen Sie Versäumnisse der Bundesregierung seit der Finanzkrise von 2008/2009?

Nölling: Die Währungsunion ist so gebaut worden, dass -- egal, was passiert -- eine Umkehr ausgeschlossen werden sollte. Als sich zeigte, dass der Euro 12 von 16 Ländern dazu verführt, das heißt, es überhaupt erst ermöglicht hatte, sowohl bei den Staatsfinanzen als auch im Außenhandel unhaltbar große Defizite anzuhäufen, wurde auch deutlich, dass vor allem diese Staaten wirtschaftspolitisch handlungsunfähig gemacht worden waren. Die Finanzkrise hat die Euro-Schönwetterperiode abrupt beendet und die Währungszone insgesamt langfristig erschüttert. Daran haben alle Maßnahmen nichts ändern können. Es wurde und wird mit bisher für unvorstellbar gehaltenen, hohen Finanzmitteln zwar die Staatsverschuldung im selben Ausmaß im Euroraum erhöht, aber an der "Unreparierbarkeit" dieses missglückten Abenteuers nichts geändert. "Zeit kaufen" ist eben keine Ursachen bezogene Politik.

Reichen die Beschlüsse des jüngsten EU-Gipfels aus, um die Lage an den Finanzmärkten zu beruhigen?

Nölling: Diese Beschlüsse liegen im Einzelnen noch gar nicht auf dem Tisch. Trotzdem wissen wir schon, dass Europas Wirtschaftsordnung nicht nur auf Dauer mit immer größer werdender Staatsverschuldung, sondern auch mit völlig neuen Lenkungsorganen grundlegend verändert werden soll: Eine Staatsfinanzkontrollbehörde in Brüssel und eine Kapitalmarktlenkungsbehörde in Luxemburg werden als riesige Bürokratien gegründet. Wird es bald heißen: "Der freien Wirtschaft zum Gedächtnis?" Die politischen Absichten leiden vor allem an den bisherigen Unvollkommenheiten aller Maßnahmen. Sie sollen Antworten in irgendeiner fernen Zukunft auf drängende, sich ständig verschlimmernde wirtschaftliche Gegenwartsprobleme geben. Die aber heute notwendige Vertrauensbildung wird mit Mitteln versucht, die -- sieht man vom Gelddrucken ab -- überhaupt noch nicht greifen können. Es ist so, als ob man einem mit großen Schmerzen kämpfenden Krebspatienten laufend mit Morphium über die Runden hilft und verspricht: In ungefähr zwei Jahren können wir dir einen Reha-Platz in Aussicht stellen! Ist es nicht unglaublich, dass, als Folge der europäischen Währungsuniformierung, die Akteure der Finanzmärkte weltweit die europäischen Politiker reihenweise vor sich hertreiben und bestimmen können, was geschieht, um ihren Interessen zu dienen?

Können Sie die Haltung Großbritanniens nachvollziehen?

Nölling: Ja! Die Besonderheiten der Wirtschaftsverfassung Großbritanniens, die mentalen Vorbehalte gegenüber Europa und dem Euro in weiten Kreisen des Landes sowie die politische Zerrissenheit und strukturellen Unzulänglichkeiten der Wirtschaft lassen es aus meiner Sicht gar nicht zu, Großbritannien in die europäische Geldverfassung und entstehende Planwirtschaft aufzunehmen.

Welche Auswege aus der Euro-Schuldenkrise gibt es?

Nölling: Da stellen sich zunächst zwei Fragen: Sollten wir weitermachen wie bisher, das heißt, mit Staatsschuldenvergrößerung und Gelddrucken durch die EZB nach dem Motto "Dem Gelddrucken gehört die Zukunft" fortfahren und an der Währungsunion für alle Zeit festhalten oder eine Regruppierung in die Wege leiten? Die für den Euro geeigneten Kernländer sollten die neue Eurozone mit der Europäischen Zentralbank bilden. Die übrigen Länder müssten ihre individuelle wirtschaftspolitische Handlungsfähigkeit durch Austritt aus dem Euro und -- möglicherweise Zusammenschlüssen mit anderen -- in einem für sie bereitstehenden Wechselkurssystem II wiedererlangen. Ein solches System ist ja vorhanden und voll funktionsfähig. Eine solche grundlegende Reform kann und muss unter Einbindung der EZB, des IWF und der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes von einem halben bis einem Jahr über die europäische Bühne gebracht werden. Das halte ich für möglich -- auch wenn es außerordentliche Disruptionen und Schwierigkeiten geben wird, die aber im Verhältnis zur Wiedergewinnung von Vitalität und Zukunfstfähigkeit Europas das geringere Übel darstellen.

Was spricht -- außer einer steigenden Inflationsrate -- noch dagegen, wenn die Europäische Zentralbank der US-Notenbank Fed nacheifert und ihre Zurückhaltung gänzlich aufgibt?

Nölling: Mit den Reparaturarbeiten an der Währungsunion war schon verbunden, europäisches Verfassungsrecht zu brechen. Die sogenannte No-Bail-out-Klausel -- kein Teilnehmerland zahlt für ein anderes -- wurde zugunsten der Einführung einer Transferunion über Bord geworfen. In nicht ferner Zukunft wird es zu weiteren massiven Rechtsbrüchen und Verlagerungen von Einkommen und Vermögen der nordeuropäischen Teilnehmer in die Mittelmeerregion kommen, um dort Lebensstandard und Staaten vor dem Zusammenbruch zu retten. Das wird dramatische Größenordnungen erreichen und politischen Befürwortern dieser Samaritertaten -- insbesondere in Deutschland -- den Garaus machen. In diesen Zusammenhang gehört, dass schon zwei weitere "Instrumente" auf ihre Tauglichkeit zur Verlängerung der Währungsagonie abgeklopft und für notwendig erklärt worden sind. 1. In Bezug auf ständige und massive Eingriffe der Europäischen Zentralbank in die Märkte für Staatsanleihen aller Teilnehmerländer wird zwar noch so getan, als ob es sich um verbotene, geradezu obzöne Mittel handele. Dabei ist aber vorgezeichnet, dass es immer wieder zu Gesetzesbrüchen kommen wird, weil die Zusagen der politischen Akteure, gewisse Grenzen nicht zu überschreiten, von der Wirklichkeit hinweggefegt werden. Dabei bedarf es keiner besonderen Vorschulung, um zu erkennen, dass die EZB ihren "Vorbildern" in den USA und Großbritannien folgen wird, ja folgen muss. 2. Die Vergemeinschaftung der öffentlichen Schulden aller Teilnehmerländer -- jedes Land haftet eben doch für die Schulden des anderen -- wird nicht nur von Brüssel aus offiziell angestrebt, sondern soll auch als einer dieser "letzten" verfügbaren Befreiungsschläge zur Anwendung kommen; SPD und Grüne tun sich besonders hervor. Hierzu passt ein Zitat aus Schillers "Wallenstein": "Das eben ist der Fluch der bösen Tat, dass sie, fortzeugend, immer Böses muss gebären."

Deutschland hat als Exportmacht am stärksten vom Euro profitiert. Wäre ein Aus der Gemeinschaftswährung am Ende nicht noch teurer?

Nölling: Diese Behauptung ist falsch. Wenn nicht alle Länder irgendwie Vorteile beim Austausch von Gütern gehabt hätten, wäre die europäische Gemeinschaft längst zerbrochen. Für Deutschland gilt, dass öffentliche und private Investitionen, wirtschaftliche Wachstumsraten und Pro-Kopf-Einkommen der Deutschen während der Euro-Zeit so stark gelitten haben, dass wir die Spitzenposition verloren haben und heute im unteren Drittel rangieren. Kann man wirklich davon sprechen, dass wir die größten Profiteure seien, nur weil der Außenhandel eine hart erarbeitete stabile Größe der deutschen Wirtschaft ist? Nein, das ist Unfug. Europa geht einem "verlorenen Jahrzehnt" mit großen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Erschütterungen entgegen. Bleibt es bei der jetzigen Maßnahmenprogrammierung, halte ich eine solche Vorhersage für zwingend. Wir haben nur eine Chance, aus dem Sumpf von falschen Anreizen, Inflationsgefahren und steigenden Arbeitslosenzahlen herauszukommen, wenn wir die Währungsunion radikal umbauen. Das wird nicht leicht sein. Aber die jetzt verfolgte Politik hat keine Perspektiven: Weder in Bezug auf wirtschaftliches Wachstum, Beschäftigung und stabile öffentliche Finanzen noch in Bezug auf Vertrauen in die Dauerhaftigkeit und Funktionsfähigkeit der europäischen Gemeinschaftswährung.

Kann sich Europa ein "Aus" des Euro leisten in Anbetracht der Tatsache, dass auch der Dollar wegen der US-Schuldenkrise schwächelt und China immer stärker an die Weltspitze drängt?

Nölling: Ich rede ja nicht vom "Aus", sondern von einer Neuausrichtung. Aber ich vermute, dass man diesen Weg leider nicht gehen wird. Einmal, weil eine falsche Diagnose -- Staatschuldenkrise statt Währungskrise -- von den Akteuren, die früher für die Währungsunion gekämpft haben und die es heute noch tun, gebetsmühlenhaft verbreitet wird. Zum anderen, weil unsere Politiker nicht sehen wollen, dass die Beibehaltung des gegenwärtigen Kurses Europa ins "Aus" treibt. Die Euro-Kritiker der ersten Stunde sind die wahren, um Europas Zukunft besorgten Europäer; sie zeigen, was geschehen müsste, um den schlimmsten Fall der Währungsgeschichte, den "Selbstmord" Europas zu verhindern. Wer aber den Kopf in den Sand steckt, wird darin ersticken.

Quelle: Landeszeitung Lüneburg - Das Interview führte Werner Kolbe (ots)

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